Umwelt | Seiser Alm

Ständer & Lärm

Der Staatsrat hat ein Urteil des Bozner Verwaltungsgerichtes anulliert und einen Rekurs der Seiser Alm Umlaufbahn gegen die Gemeinde Kastelruth angenommen.
Umlaufbahn
Foto: Othmar Seehauser
  • Die Tinte auf dem Urteil ist fast noch nicht trocken. Es wurde am Dienstag veröffentlicht. Und am Ende präsentiert der eine SVP-Bürgermeister dem anderen SVP-Bürgermeister die Rechnung: 4.000 Euro aus den Kassen der Gemeinde zur Bezahlung der Prozessspesen.
    Mit Blick auf die Protagonisten des Gerichtsstreits muss man heute aber sagen: „Es war einmal…“ 
    Denn inzwischen findet man sich in völlig anderen Rollen wieder.
    Hartmann Reichhalter war von 2005 bis 2010 SVP-Bürgermeister von Kastelruth. Heute ist Reichhalter nicht nur Präsident der Brennerautobahn AG, sondern vor allem als Anwalt tätig. Andreas Colli war Reichhalters Nachfolger als SVP-Bürgermeister in Kastelruth, wo er dreimal im Amt wiederbestätigt wurde, bis er 2022 aufgrund seiner impfkritischen Haltung durch den Rücktritt des gesamten Gemeinderates aus dem Amt gehievt wurde. Heute sitzt Colli für die Liste JWA im Südtiroler Landtag.

  • Ehemaliger Kastelruther SVP-Bürgermeister Andreas Colli: Lärmbeschränkung für die Seiseralmbahn. Foto: JWA
  • Seit über drei Jahren stehen die beiden ehemaligen Kastelruther Bürgermeister indirekt gegeneinander vor Gericht. Der eine als Anwalt und Kläger, der andere als damaliger Bürgermeister und Beklagter. Vor drei Jahren hatten Andreas Colli und die Gemeindeverwaltung die erste Runde in diesem juristischen Streit vor dem Verwaltungsgericht Bozen noch für sich entschieden. Jetzt aber gehen in der zweiten und entscheidenden Runde Hartmann Reichhalter und die von ihm vertretene „Seiser Alm Bahn AG“ als Sieger hervor. Denn der Staatsrat hat das Urteil erster Instanz auf den Kopf gestellt und den Beschluss der Gemeinde anulliert.

  • Der Akustikplan

    Im Gerichtsstreit geht es um den Gemeindeakustikplan (GAK) der Gemeinde Kastelruth und dessen Auswirkungen auf die Umlaufbahn Seis-Seiser Alm. Am 28. Mai 2020 hat der Gemeinderat eine neuen Akustikplan auf dem Gemeindegebiet erlassen.
    Das Planungsinstrument GAK wurde per Landesgesetz 2012 eingeführt. Es soll ein Steuerungselement sein, das den Gemeinden ermöglich, unnötige Lärmbelästigung zu vermeiden. Dazu wird das Gemeindegebiet in Abstimmung zum Flächennutzungs- und zum Bauleitplan in akustische Zonen eingeteilt, in denem je nach Bestimmung gewisse akustische Grenzwerte gelten.
    Die Umlaufbahn Seis-Seiseralm wurde 2003 mit insgesamt 11 Stützpfeilern errichtet. Dabei führt die Bahn von Stützpfeiler 2 bis 8 über das Gebiet das vom GAK erfasst wird. 2012 wurden alle diese Stützpfeiler akustisch in die II. Klasse eingestuft. Dort gelten ein Tagesgrenzwert von 55 dB und ein Nachtgrenzwert von 45 dB. Zwischen 2017 und 2020 wurden aber ausgerechnet Stützpfeiler 3 und 4 kurzzeitig in die III. Klasse gehoben. Dort gelten 60 dB am Tag als Grenzwert und 55 dB in der Nacht.

  • Ehemaliger Kastelruther SVP-Bürgermeister Hartmann Reichhalter: „Versuch, die Seilbahnbeförderung rechtswidrig werden zu lassen.“ Foto: Autobrennero
  • Im Gerichtstreit geht es genau um diese beiden Ständer. Denn mit dem neuen GAK vom Sommer 2020 wurden Stützpfeiler 3 und 4 wieder akustisch in die II. Klasse eingestuft. Konkret heißt das: Die Seilbahn darf dort viel weniger Lärm machen.
    Die Liftgesellschaft will sich diese Einstufung aber nicht gefallen lassen. Am 11. September 2020 reicht das Unternehmen beim Verwaltungsgericht Rekurs gegen den GAK und die Klassifizierung der beiden Stützpfeiler ein. In der Klage von Hartmann Reichhalter werden eine Reihe von vermeintlichen Formfehlern der Gemeinde genauso angeführt, wie der offenen Vorwurf der Parteilichkeit der Gemeindeverwalter.
    So argumentiert der Ex-Bürgermeister im Schriftsatz, habe die Gemeinde „mit der Rückstufung von der III. Klasse in die II. Klasse die Absicht verfolge die Seilbahnbeförderung rechtswidrig werden zu lassen und anschließend zu sanktionieren und vielleicht sogar ganz zu verbieten“. Damit verstoße die Gemeinde auch gegen das Grundrecht der freien Wirtschaftsausübung (Art. 41 Verf.) und gegen die verfassungsmäßigen Grundsätze der guten Verwaltungsführung und der Unparteilichkeit.
    Das Hauptargument der Kläger: In den Zonen dieser Ständer sei die Flächennutzung eindeutig Seilbahnbetrieb.

  • Das Urteil

    Das Bozner Verwaltungsgericht ist dieser und den weiteren Begründungen aber nicht gefolgt. Der Richtersenat (Berichterstatterin und Urteilsverfasserin Edith Engl) hat Anfang April 2021 den Rekurs der Seiser Alm Umlaufbahn abgeschmettert und der Gemeinde in allen Punkten recht gegeben.
    Im Urteil heißt es:

    Das Kollegium erachtet daher, dass der angefochtene G.A.K., der die Lärmbelästigung der Seilbahn an die der umliegenden Zone anpasst und nicht umgekehrt, völlig legitim ist.…[…].. Der G.A.K. kann durchaus eine Zone, in der eine Lärmquelle hervorsticht, einer niedereren Klasse zuordnen und die dort befindlichen Anlagen zu lärmverringernde Vorkehrungen zwingen, um die Lebensqualität zu erhöhen und die menschliche Gesundheit zu schützen“.

    Als Beispiel wird im Urteil die Zone um den Stützpfeiler 3 her, so befindet sich diese in einem Landwirtschaftsgebiet mit Wohnsiedlungen. In der näheren Umgebung befinden sich das Feriendomizil des Militärs, die Villa Ausserer, einige Wohngebäude und eine Pension. Für das Gericht ist die Klassifizierung und die Verringerung der akustischen Grenzwerte deshalb auch zulässig.

  • Seiseralm-Lift: Streit um die akustische Einstufung von zwei Ständern. Foto: Helmuth Rier
  • Die Liftgesellschaft ging daraufhin mit Anwalt Hartmann Reichhalter in die Berufung an den Staatsrat. Nach der öffentlichen Anhörung am 18. April 2024 wurde am Dienstag das Urteil veröffentlicht. Der Richtersenat und Berichterstatter Thomas Mathá kommen darin aber zu einem völlig entgegengesetzen Schluss. 
    Der Grund: Das zuständige Landesamt für Luft und Lärm hatte nach Klagen von Anwohnern wegen Lärmbelästigung bereits 2017 Lärmmessungen durchgeführt und hatte eine Verordnung erlassen, nach der die Seilbahngesellschaft die Grenzwerte der Klasse III einhalten müsse. Was auch geschehen sei.
    Zuständig für die Überprüfungen des Gemeinde-Akustikpläne ist die Umwelt- und Klimagentur. Bei der Prüfung des Kastelruther GAK beanstandet die Landesagentur deshalb die Änderung in dieser Zone. „Das führt zu einer Rechtsunsicherheit, die nach unserer Auffassung nicht annehmbar ist“, heißt es im Gutachten der Umweltagentur.
    Laut Gesetz können sich die Gemeinden über die Einwände der Landesagentur hinwegsetzen, müssen im Beharrungsbeschluss aber diese Entscheidung begründen. Das tut die Gemeinde Kastelruth auch.

  • Staatsrat Thomas Mathà: Als Berichterstatter das Bozner Urteil revidiert. Foto: Asp
  • Doch genau diese Begründung demontiert der Staatsrat in seinem Urteil als zu allgemein und nicht ausreichend durch technische Argumente und Daten untermauert. Staatrat Thomas Mathá ist im Urteil nicht zimperlich:


    "Dalla piana lettura risulta che oltre ad affermazioni generiche o interpretazioni generali (e in alcune parti tesi soggettive piuttosto polemiche) sulla legislazione provinciale o sull’attività dell’Agenzia, nulla (o troppo poco) viene dedotto in concreto dal Comune quanto al “merito tecnico” delle osservazioni dell’Agenzia provinciale." 

    Vor diesem Hintergrund hat der Staatsrat den Rekurs der Seiser Alm Bahn AG angenommen. Die beiden Ständer werden somit wieder in die III. Klasse eingestuft.
    Der Kastelruther Gemeinderat könnte jetzt den Beschluss noch einmal fassen und besser begründen. 
    Doch dazu wird es – nach dem Abgang von Andreas Colli  – wohl kaum kommen.

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Tschoerner Hagen Mi., 15.05.2024 - 10:29

Auch wenn das Verwaltungsgericht falsch liegt hat es keine Konsequenzen zu befürchten.
Von Politik ernannt, um als Richter gegen politische Verordnungen gegen den eigenen Arbeitgeber zu urteilen , oft ex Verwaltungsangestellte...
Diese Art von Gerichtsbarkeit ohne persönliche Konsequenzen ist zu überdenken...
Auch die langen Verfahren sollten auf maximal 6 Monate reduziert werden.
Wenn man beim Verwaltungsgericht gewinnt sprechen die Richter dem Kläger 1.000 bis 2.000€ Rechtsspesen zu, wenn man verliert muss man meist 3.000 bis 4.000€ bezahlen.
Ein Schelm, wer böses denkt.

Mi., 15.05.2024 - 10:29 Permalink