Politik | Senat

„Lernen Sie vorher Italienisch“

Julia Unterberger und ihre Senatskollegin Elena Cattaneo werden im Senat von Vertretern der Regierungsmehrheit angepöbelt. Und die SVP-Spitze schweigt dazu.
Julia Unterberger
Foto: SVP
  • Hier zeigt diese Regierungsmehrheit ihr wahres Gesicht“, sagt Julia Unterberger. Die Meraner SVP-Senatorin ist auch einen Tag nach dem Vorfall noch aufgebracht. „Das sind Aussagen und Ansichten, die eindeutig unakzeptabel und minderheitenfeindlich sind“, meint Unterberger. 
    Der Anlass ist eine Episode, die sich am Dienstag im Senat zu einer politischen Affäre ausgeweitet hat und ihren Niederschlag in fast allen nationalen Medien gefunden hat. Es ist weit mehr als nur ein politischer Schlagabtausch.

  • Die Abschaffung

    Im Senat hat die Diskussion über jenen umstrittenen Gesetzentwurf begonnen, der Italiens politisches System nachhaltig verändern soll. Der Vorschlag zur Direktwahl des Ministerpräsidenten, dem sogenannten „premierato“. Die Reform in Richtung eines autoritären Staates sieht in Artikel 1 auch die Abschaffung einer Institution vor, die es seit 70 Jahren im italienischen Parlament gibt: die Senatoren auf Lebenszeit.

  • Aula des Senats: Meloni will die Senatoren auf Lebenszeit abschaffen.
  • Es ist ein Institut, das auch direkt mit der SVP verbunden ist. Denn der Senatsgruppe „Per le Autonomie“, die von der Volkspartei erdacht und angeführt wird, gehören traditionell auch immer wieder Senatoren auf Lebenszeit an. Zum einen kann die Minderheitengruppe so die vorgesehene quantitative Stärke zur Bildung einer Fraktion erreichen. Zum anderen verschaffen diese Senatoren – ehemalige Minister- oder Staatspräsidenten oder auch Nobelpreisträgerinnen – der Senatsgruppe ein besonderes Prestige.

  • Die Autonomiegruppe

    Die Autonomiegruppe hat in dieser Legislatur sechs Mitglieder. Sie besteht aus den zwei SVP-Senatoren Julia Unterberger und Meinhard Durnwalder, aus dem Trentiner PATT-Senator Pietro Patton und dem Südtiroler PD-Senator Luigi Spagnolli. Dazu kommen noch zwei Senatoren auf Lebenszeit: Der italienische Physiker und Nobelpreisträger Carlo Rubbia und die Pharmakologin und Forscherin Elena Cattaneo. Cattaneo wurde 2013 vom damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano als dritte Frau und zur bisher jüngsten Senatorin auf Lebenszeit ernannt. Auch Napolitano selbst saß bis zu seinem Tod im September 2023 in der Autonomiegruppe im Senat.

  • Die Kritik

    Am Dienstagnachmittag wird im Senat über Artikel 1 der geplanten Reform diskutiert. In ihrer Erklärung zur Stimmabgabe kritisiert Julia Unterberger dabei die Reformpläne der Regierungsmehrheit vehement. Die SVP-Senatorin: „Die Abschaffung der SenatorInnen auf Lebenszeit ist ein reiner Propagandaakt. Sie dient der rechten Mehrheit als Argument im Hinblick auf das zu erwartende Referendum. Positionen abzuschaffen kommt bei den WählerInnen meistens gut an. Zudem geht es hier gegen die sogenannten Eliten; Studierte, WissenschaftlerInnen oder gar NobelpreisträgerInnen, die die rechten Parteien immer gern in einen Gegensatz zum Volk setzen. Eine bedenkliche Botschaft in einem Land, das eine der niedrigsten AkademikerInnenraten in Europa hat.“

  • Unterbergers Replik
    (c) Senato

  • In der Senatsdebatte führt Unterberger auch aus, dass sich Ministerpräsidentin Giorgia Meloni immer wieder als Frau des Volkes darstelle, in Wirklichkeit aber seit 20 Jahren im Parlament sitze. Der populistische „Kampf gegen die Eliten“ sei deshalb völlig unglaubwürdig.
    Auch die Abschaffung der Senatoren auf Lebenszeit falle unter diesen populistischen Feldzug gegen die Eliten, den Meloni & Co. demonstrativ umsetzen. „In Wirklichkeit wird der Senat wichtiger Persönlichkeiten beraubt, die in den letzten Jahren maßgeblich zur Qualität der Debatten und Entscheidungen beigetragen haben. Unerlässlich waren der Beitrag von Elena Cattaneo zum Thema Wissenschaft und der Einsatz von Liliana Segre gegen Rassismus und Diskriminierung“, so Unterberger. Vor allem in dieser historischen Situation, in der der Antisemitismus auf dem Vormarsch ist, und Liliana Segre fast täglich bedroht werde, sei die Aussage, dass ihre Rolle abzuschaffen sei, verheerend.

  • Die Provokation

    Zu diesem Zeitpunkt ist das Klima aber bereits nachhaltig gestört. Denn ausgerechnet Senatspräsident Ignazio La Russa lässt sich in dieser Debatte zu einer Provokation hinreißen, die deutlich macht, dass Melonis politisches Niveau - häufig jenes der Straße - inzwischen auch im Parlament zum Alltag gehört.
    In der Debatte meldet sich auch Elena Cattano kritisch zu Wort. Bevor Ignazio La Russa der Senatorin auf Lebenszeit das Wort erteilt, meint er spöttisch: „Da wir ausnahmsweise die Ehre haben, sie reden zu hören, gewähre ich Ihnen die doppelte Redezeit“.
    Allen in der Aula ist die Botschaft klar: Die Senatoren auf Lebenszeit sind nie da, aber wenn es um ihren Sessel geht, ergreifen sie plötzlich das Wort.

  • Unschuldslamm La Russa
    (c) Senato

  • Diese Aussage bringt Julia Unterberger zur Weißglut. Denn Tatsache ist, dass Carlo Rubbia, der in Salzburg lebt, kaum im Senat erscheint, Elena Cattano sich aber jede Woche mindestens einen Tag lang im Senat aufhält. „Sie arbeitet weit mehr als viele der gewählten Senatoren“, sagt Unterberger zu SALTO.
    In ihrer Wortmeldung greift die Meraner SVP-Senatorin deshalb Ignazio La Russa direkt an. „Sie hätten sich die battuta ersparen können“, so Unterberger zum Senatspräsidenten. Doch La Russa spielt das Unschuldslamm und verdreht die Provokation zur höflichen Geste.

  • Der Zwischenruf

    Julia Unterberger erntet von Seiten der Opposition für ihre Rede viel Applaus, während die Regierungsmehrheit die SVP-Senatorin ausbuht. Aus der rechte Ecke kommt während der Unterberger-Rede aber auch ein Zwischenruf, der zum politischen Brandbeschleuniger wird. Francesco Zaffini, FdI-Senator aus Umbrien, wirft in Richtung Unterberger einen sehr despektierlichen Satz. „Lerne zuerst Italienisch, bevor du redest“, so der Zwischenruf des rechten Politikers.

  • SVP-Obmann Dieter Steger: Die Parteiführung hat anscheinend dazu nichts zu sagen. Foto: Seehauserfoto
  • Gegen diese Aussage meldet sich Julia Unterberger nochmals zu Wort und verlangt von Senatspräsident Ignazio La Russa, dass er solche Aussagen unterbinden müsse. La Russa erklärt lapidar, dass er den Zwischenruf nicht gehört hätte.
    Nachdem die SVP-Politikerin offen den minderheitenfeindlichen Ton der rechten Mehrheit im Senat geißelt, legt der FdI-Senator Alberto Balboni noch einmal nach und wiederholt die Aussagen seines Parteikollegen. „Ihr werdet mein Italienisch akzeptieren müssen“, erklärt daraufhin Unterberger, „aber ich hätte mir eine Entschuldigung erwartet und nicht eine weitere Attacke“.
    Es ist der PD-Senator und ehemalige Regionenminister Francesco Boccia, der daraufhin eine Sitzung der Fraktionssprecher verlangt. Auch weil das Klima im Senat immer mehr „degeneriere“ und untragbar sei.
    Was aber besonders auffällt: Die SVP-Spitze scheint dieser Angriff nicht zu stören. Denn in der Brennerstraße schweigt man einfach.

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Salto User
nobody Mi., 29.05.2024 - 21:00

"Sage mir mit wem Du umgehst und ich sage Dir wer Du bist." So wer darf nicht über JWA schimpfen. Das dürfen nur jene, die sich nicht zu den noch Rechteren ins Bett legen. Also SVP ist da schon mal aus dem Rennen.

Mi., 29.05.2024 - 21:00 Permalink
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Martin Tarshito Do., 30.05.2024 - 09:20

Zur Sache: Ein Land, das es in den letzten Jahren geschafft hat, weitere 10% Punkte Staatsverschuldung zuzulegen (140% sind erreicht), muss klare Zeichen setzen. Nachdem Senat und Parlament bereits verkleinert wurden, die SVP-ler und Co aber immer noch den Nerv haben, sich ihre goldenen Pensionen inflationsbereinigen zu lassen (sogar jene, die vor über 10 Jahren bereits ca. 1. Mio Vorschuss erhalten haben), ist es an der Zeit, auch die Senatoren auf Lebenszeit abzuschaffen.
Sie können ja gerne weiterhin E
ehrenamtlich arbeiten. Der staatlich garantierte Lebensunterhalt reicht auch hierfür aus. Oder nicht?
Wenn es ums Geld geht, ist die Sprache der SüdtirolerInnen ebenso perfekt italienisch (zumindest im Gedanken) wie die aller Italiener. Meine Meinung.

Daher habe ich auch für Links-Populismus nichts übrig!
"Mi è stato riferito che...[O-Ton im zweiten hier eingebetteten Video]" ist übrigens Hörensagen.
Und darauf stützt sich hier diese an der Sache vorbei laufende Polemik?!

Do., 30.05.2024 - 09:20 Permalink
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Hartmuth Staffler Do., 30.05.2024 - 13:52

Antwort auf von Martin Tarshito

Im Zweifelsfall ist mir Links-Populismus lieber als Rechts-Nationalismus, um den es hier geht. Die bedenkliche Finanzlage Italiens ist nicht durch die Entschädigungen für die paar Senatoren auf Lebenszeit verschuldet, sondern durch Misswirtschaft und Korruption aller politischen Richtungen, wobei allerdings die Rechten in der ersten Reihe stehen., .

Do., 30.05.2024 - 13:52 Permalink
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Martin Tarshito Fr., 31.05.2024 - 10:18

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Falsch: Sobald Salvini 2019 zurück getreten war (die EU drohte mit Verfahren wegen geringster Neu- Verschuldung; das Defizit sank 2018 auf -2,1% und 2019 sogar auf -1,6%), bot die nicht gewählte Ursula von der Leyen Italiens PD die Kompetenz "Wirtschaft (inklusive Finanzen, Steuern)" an, wenn sie die Conte II Regierung stützen würde. So erhielt Gentiloni seinen Posten. Und Conte II die Zusage, sich verschulden zu dürfen: zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 (also noch vor Corona) ging die Verschuldung von 2409,8 Milliarden auf 2443 Milliarden in die Lüfte!https://www.wallstreetitalia.com/debito-pubblico-ad-agosto-forte-cresci…
Das Defizit im ersten Trimester 2020 lag damit (relativ unabhängig von Corona) auf -5,5%.

Was stimmt, ist: Die neue Regierung hat es nicht geschafft, die -9,5 bis -8,x% Defizit Quote von Conte II und Draghi auf weniger als -7,2% runter zu bringen.
Ist auch kein leichtes Erbe.
Abgesehen davon fallen die Waffenlieferungen an die Ukraine mit ins Gewicht?

Kleinvieh macht auch Mist. Daher zählt jede Einsparung: v.a. bei Senatoren auf Lebenszeit und goldenen Pensionären.

Fr., 31.05.2024 - 10:18 Permalink