Politik | Frankreich

Rechtswende oder Wackel-Regierung?

Frankreich Parlamentswahlen die Zweite. Laut Umfragen sind die Siegeschancen der Rechtsextremen gesunken.
Frankreich
Foto: BR24
  • Seit der überraschenden Ausrufung von Neuwahlen durch Präsident Macron infolge des spektakulären Erfolgs der extremen Rechten bei der EU-Wahl, war der Wahlkampf kurz, aber heftig. 51 körperliche Angriffe von KandidatInnen und AktivistInnen bei Auftritten oder Plakatieraktionen durch meist Jugendliche rivalisierender Parteien forderten Verletzte und 30 Festnahmen. 
    Die politischen Gewichte scheinen sich seit dem 1. Wahlgang am vergangenen Sonntag allerdings verschoben zu haben. Nicht weil die Wählerinnen und Wähler innerhalb weniger Tage ihre Meinung gewechselt hätten, sondern aufgrund des Mehrheitswahlrechts. In 306 von 577 Wahlbezirken wäre es zu sogenannten „Dreiecks-Stichwahlen“ gekommen. Deshalb haben sich das Linksbündnis „Nouveau Front Populaire“ und Macrons „Ensemble“ auf den Rückzug ihrer KandidatInnen geeinigt, falls sie als Drittplazierte gegenüber dem „Rassemblement National“ Marine Le Pens gegenüberstehen. So hat das Linksbündnis 131 und das Macron-Lager 81 Kandidaten oder KandidatInnen zurückgezogen und eine Wahlempfehlung für die jeweils verbliebenen Anti-Le-Pen-KandidatInnen abgeben. Wie sehr die Wähler und Wählerinnen sich an diese Empfehlungen auch halten werden bleibt natürlich ungewiss. 

     

    „Das Linksbündnis hat 131 und das Macron-Lager 81 Kandidaten oder KandidatInnen zurückgezogen und eine Wahlempfehlung für die jeweils verbliebenen Anti-Le-Pen-KandidatInnen abgeben.“

     

  • Französische Nationalversammlung: Hält der cordon sanitaire? Foto: upi
  • Aber immerhin haben die Umfragen und Projektionen der vier bedeutendsten Institute ergeben, dass die Maximalergebnisse für den „Rassemblement National“ zwischen 210 und 250 Sitzen in der 577 Abgeordnete zählenden Assemblée Nationale liegen sollten. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen, die nach dem 1. Wahlgang durchaus möglich galt, scheint damit in die Ferne gerückt. 
    Zu welcher Regierungsform und welcher Mehrheit die in Grundsatzfragen so unterschiedlichen und sich teils radikal ablehnenden Parteien von linksaußen über die Macronie bis hin zu den national-gaullistischen Rechten finden sollen, bleibt dahingestellt. Darüber auch nur zu spekulieren, macht aber bestenfalls am Sonntag nach 20 Uhr Sinn. Fest steht allerdings, dass es doch noch einmal gelungen ist, eine breite „republikanische Front“ gegen die extreme Rechte zu bilden, zum sogenannten „cordon sanitaire“ (im deutschen Politsprech die „Brandmauer“) zu mobilisieren. Genau diese Politik hat – gepaart mit dem Mehrheitswahlrecht – in der Vergangenheit verhindert, dass der „Front National“ von Vater Jean-Marie Le Pen, aber auch der sich gemäßigter gebende „Rassemblement National“ unter der Tochter Marine Le Pen zumindest auf nationaler Ebene an die Schalthebel der Macht gelangt.

  • Die Le-Pen-Familie

    Gegründet wurde der „Front National“ 1972 auf Initiative leitender Mitglieder der faschistischen Gruppe „Ordre Nouveau“ (ihr Logo war das keltische Kreuz), den zwei prominenten, freiwilligen Mitgliedern der Waffen-SS Pierre Bousquet (33. Waffen-Grenadier-Division der SS Charlemagne) und Léon Gaultier sowie von ehemaligen Mitgliedern der Terrororganisation OAS (Organisation de l`armée secrète)Aus Mitgliedern der Armee und Zivilisten gebildet, kämpfte die Untergrundorganisation OAS gegen die Entlassung Algeriens in die Unabhängigkeit durch General De Gaulle. Zwischen 1961 und 1965 gingen an die zweitausend Tote auf ihr Konto. 

  • Jean-Marie Le Pen: Nach 40 Jahren das Ruder an die jüngste seiner drei Töchter übergeben. Foto: dd
  • Jean-Marie Le Pen war rechter Studentenanführer, trat 1953 den Fallschirmjägern bei, wurde im Indochina-Krieg zum Offizier und wechselte in die Fremdenlegion, um gegen die algerische Befreiungsorganisation FNL zu kämpfen. Vorwürfe schwerer Folter in dieser Zeit, hatte Le Pen zuerst eingestanden, dann vergeblich per Gericht abzustreiten versucht. 1956 und 1958 wurde Le Pen für verschiedene rechte Bewegungen ins Parlament gewählt und 1972 schließlich als Mitbegründer zum Präsidenten des „Front National“- bis er nach fast 40 Jahren, 2011 das Ruder an die jüngste seiner drei Töchter, Marine, übergab. 

  • Vom neofaschistischen Grüppchen zur rechtsextrem Partei

    Anderthalb Jahrzehnte lang dümpelte der „Front National“ unter der Wahrnehmungsgrenze vor sich hin. Nach Jahrzehnten der konservativen Regierungen kommt 1981 die Linke unter Francois Mitterrand im Bündnis mit der damals noch starken kommunistischen Partei an die Macht. Ein Schock für Konservative und zum Teil auch Grund für wirtschaftliche Turbulenzen.     1982-84 entsteht in der Automobilindustrie eine anhaltende Streikbewegung und erstmals beteiligen sich auch führend die in großer Zahl dort beschäftigten Arbeiter nordafrikanischer Herkunft. Neben höherem Gehalt und besseren Arbeitsbedingungen wird erstmals eine vollkommen neue Forderung erhoben: das Anrecht auf Gebetszeiten für Muslime in der Fabrik. 

  • Jean Marie Le Pen (1974): Kampf gegen Abtreibungsgesetz. Foto: upi
  • In diese Zeit fallen die ersten Wahlerfolge des „Front National“. Zuerst im 20. Pariser Bezirk mit 11%, dann in zwei kleineren Städten mit 9% und 16% und schließlich in einem historisch kommunistisch geprägten Arbeitervorort von Paris. Und schließlich der Paukenschlag bei den EU-Wahlen 1984 mit 11%, der sogar international für Aufmerksamkeit und Schlagzeilen sorgt. 
    Seitdem sind die Rufe „Frankreich den Franzosen“, „Die Franzosen zuerst“ und die Forderung nach „Sicherheit und Ordnung“ zum Markenzeichen Le Pens geworden und aus der öffentlichen Debatte nicht mehr wegzudenken. In der Tat hatte die Kleinkriminalität schon Anfang der Achtziger Jahre stark zugenommen. Als vereinzelte Unruhen Jugendlicher mit Migrationshintergrund in den Armutssiedlungen bei Lyon und Paris ausbrachen, war für Le Pen die propagandistische Verbindung von Immigration und Unsicherheit ein Leichtes.

  • Zündstoff für Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus

    In den Jahren 1985/86 erschüttern in kurzer Zeit vierzehn Bombenattentate in Paris und auf der Bahnstrecke Paris-Lyon mit 14 Toten und 300 Verletzten das Land. Die libanesische Hezbollah wollte damit in Frankreich inhaftierte Terroristen freipressen. Die Serie war ein blutiger Höhepunkt, nachdem schon in den frühen Achtziger Jahren regelmäßig Anschläge mit Toten im Zusammenhang mit dem Nahen Osten verübt worden waren. 

  • Im wachsenden Klima der Angst und wegen wachsender Probleme mit der Integration, konnte Le Pen mit seinem Mix aus Rassismus, Law-and-order-Slogans aber auch sozialen Forderungen kontinuierlich an Popularität gewinnen. Aber je erfolgreicher seine Kampagnen waren, umso stärker kam auch die tiefer sitzende Weltsicht des ehemaligen Fremdenlegionärs zum Vorschein. Immer häufiger wurden seine antisemitischen Sprüche („Die Gaskammern sind nur ein Detail der Geschichte…“), sein Geschichtsrevisionismus, die Rechtfertigung der Kollaboration mit den deutschen Besatzern (Vichy-Regime), die Verhöhnung der Resistance und insgesamt die Vision einer autoritären Gesellschaft – heute würde man sagen, einer illiberalen Demokratie. 

     

    „Im wachsenden Klima der Angst und wegen wachsender Probleme mit der Integration, konnte Le Pen mit seinem Mix aus Rassismus, Law-and-order-Slogans aber auch sozialen Forderungen kontinuierlich an Popularität gewinnen.“

     

    Das Referendum über das Maastricht-Abkommen zur Stärkung der Europäischen Union 1992 und die Einführung des EURO 2002 waren zwei Weichenstellungen, die heftige Debatten und auch Verunsicherung bei Teilen der Bevölkerung hervorriefen – und Le Pens Angst-Propaganda vor einem drohenden Verlust der eigenen Souveränität, ja gar dem Untergang der Nation willkommene Nahrung boten. 

  • Die Tochter wie der Vater…?

    Marine Le Pen hat sich vom offen zur Schau getragenen Rassismus und Antisemitismus ihres Vaters deutlich distanziert. Auch von ihren eigenen radikalen Positionen hat sie sich zumindest entfernt. Als Abgeordnete zum EU-Parlament hatte sie noch posaunt, sie wäre nur in Brüssel und Straßburg, „um die EU von innen zu zerstören“. Jetzt ist keine Rede mehr von Frexit und auch nicht mehr von der Abkoppelung vom EURO. Mit der Namensänderung von „Nationaler Front“ in „Nationale Sammlungsbewegung“ ist selbst das Parteilogo verschwunden - die lodernde Flamme in den Nationalfarben, die Vater Jean-Marie von der Meloni-Partei „Movimento Sociale Italiano“ abgekupfert hatte und auf das zu verzichten sich Meloni hartnäckig weigert.
    Und trotzdem – bei aller Imagekorrektur und Hoffähigkeit bleibt auch Marine`s „Rassemblement National“ den alten Grundsätzen treu. Vor allem die „Priorité nationale“, also der „nationale Vorrang“ zieht sich programmatisch durch alle Bereiche. Ob Sozialwohnung, Arbeitsplatz, Gesundheitsversorgung, Familienbeihilfen oder Sozialleistungen – geht es nach Marine Le Pen, sollen französische Staatsbürger Vorrang haben. „Ausländer“ sollen weniger erhalten, oder erst nach 5 Jahren Arbeitstätigkeit.

  • Marine Le Pen und Emanuel Macron: In Asyl- und Migrationsfragen hat Le Pen erst kürzlich mit Jubel drastischen gesetzlichen Verschärfungen Präsident Macrons zugestimmt. Foto: upi
  • Staatsbürger soll man auch nicht mehr so einfach werden können – denn Marine plant für den Fall einer Regierungsübernahme das traditionell geltende „ius soli“ (Geburtsortsprinzip) abzuschaffen. Zu Bürgern zweiter Klasse sollten auch die 3,5 Millionen Menschen mit Doppelstaatsbürgerschaft werden: für die Sicherheit der Nation wichtige Posten im öffentlichen Dienst und Schlüsselsektoren sollen sie nicht mehr einnehmen dürfen.
    In Asyl- und Migrationsfragen hat Le Pen erst kürzlich mit Jubel drastischen gesetzlichen Verschärfungen Präsident Macrons zugestimmt. Und von den „Brüsseler Zwängen“ würde sich der „Rassemblement National“ umgehend befreien. Angefangen von einer deutlichen Reduzierung der Beitragszahlen bis hin zur Nichteinhaltung des Green Deal. So würde das Ende für Brenner-Motoren 2035 ignoriert werden, die Stromtarifverträge müssten neu verhandelt werden und sämtliche bestehenden Windräder sollen wieder abgebaut werden – weil sie die Landschaft und den Lebensraum der Nation ruinieren. Dafür wäre eine Verdoppelung der von Macron geplanten neuen Nuklearkraftwerke vorgesehen. Auch die Freizügigkeit in der Union sollte eingeschränkt werden, indem der Schengenraum nur mehr für EU-Bürger gelten sollte – also Grenzkontrollen allerorts.

     

    „Wie sich der 28-jährige Bardella, der noch nicht einmal über eine Gemeinderats-Erfahrung verfügt, außenpolitisch verhalten würde, bleibt fraglich.“

     

    Aufnahme neuer EU-Mitglieder lehnt Le Pen ebenso ab, wie die Übertragung weiterer Kompetenzen in diplomatischen und verteidigungspolitischen Belangen. Obwohl im Programm des „Rassemblement“ Russland und Putin noch als „Partner“ bezeichnet werden, distanzierte sich vor allem im Wahlkampf Marine Le Pens aufgebauter Parteichef Jordan Bardella von Putin und nannte ihn gar eine „Bedrohung“.  Aber wie sich der 28-jährige Bardella, der noch nicht einmal über eine Gemeinderats-Erfahrung verfügt, außenpolitisch verhalten würde, bleibt fraglich. Schließlich hat ja der ungarische Gesinnungsgenosse Viktor Orban gerade vorgeführt, wozu man Funktionen in der EU provokant missbrauchen kann.

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KarlSchn So., 07.07.2024 - 23:26

Sie irren: weder Rechtsextreme, noch "Wackelregierung". In Frankreich hat die Linke klar gesiegt- ein Freudentag, bravo FranzösInnen!

So., 07.07.2024 - 23:26 Permalink
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Cicero Mo., 08.07.2024 - 15:46

Antwort auf von KarlSchn

Wer in den Kategorien Rechts = Schlecht, Links = Gut denkt mag mit dem Ausgang zufrieden sein. Tatsächlich hat ein linker, antisemitscher, antieuropäischer, putinfreundlicher Populist gegen eine rechte antisemtische, antieuropäischen, putinfreundliche Populistin gewonnen. Den Freudentag sehe ich nicht.

Mo., 08.07.2024 - 15:46 Permalink
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Profil für Benutzer Manfred Klotz
Manfred Klotz Di., 09.07.2024 - 06:49

Antwort auf von Cicero

Stimmt nicht, denn eigentlich hat ja nicht Mélenchon gewonnen, sondern eine Listenverbindung und darunter ist La France insoumise die stärkste Kraft. Auch Ihre Gleichstellung der Haltung von Mélenchon und Le Pen, ist weit hergeholt und zum Teil nicht korrekt.

Di., 09.07.2024 - 06:49 Permalink