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Politik | Tourismuspolitik

Die Mär vom Wohlstandsschaffer Tourismus

Der "Tourismusrat", ein neues Lobbygremium, will die zentrale Rolle des Tourismus als Wohlstandsbeschaffer herausstellen. Doch um welchen Wohlstand geht es dabei?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Tourismus
Foto: Othmar Seehauser
  • Vor Kurzem traf zum ersten Mal der neue „Tourismusrat“ zusammen, einberufen vom Tourismus-LR Walcher. Dem Gremium gehören die Vertreter der Tourismuswirtschaft, die Handelskammer und der Gemeindenverband an, keine einzige zivilgesellschaftliche Organisation. Treffender wäre somit die Bezeichnung „Tourismuslobbyrat“. Wichtigstes Thema gleich zu Beginn: wie kann die Akzeptanz des Tourismus erhöht werden, die sog. „Tourismusgesinnung“? Denn nachweislich sind immer mehr Südtiroler dem Tourismus nicht mehr so freundlich gesinnt wie vielleicht noch vor 30-40 Jahren. Laut einer Studie der Universität Bozen nimmt eine Mehrheit der Bevölkerung die Auswirkungen in zumindest drei Bereichen als sehr oder überwiegend negativ wahr: Immobilienpreise, Verkehrsbelastung und Lebenshaltungskosten. Kein Wunder, dass LR Walcher gleich zu Beginn den Akzent auf die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für „unseren“ Wohlstand legen möchte. Doch ist dem noch so? Braucht es Übertourismus, um den Wohlstand zu sichern?

    Aus mehreren Gründen ist diese These nicht mehr haltbar. Zunächst kann heute Wohlstand nicht mehr nur nach Wertschöpfung und Einkommen bemessen werden. Es gibt umfassendere Maße für Lebensqualität, die auch das Land Südtirol anwendet, wie den SDG-Tracker oder das wenig bekannte BES (Benessere equo e solidale).  Dort schneidet Südtirol im inneritalienischen Vergleich gut ab, aber nicht wegen des inzwischen überdeutlichen Übertourismus. Auch bei der Wertschöpfung ist der Tourismus mit rund 11% Anteil nicht von solch überragender Bedeutung, wie von Lobbys immer behauptet. Verwiesen wird auf die induzierten Effekte in vorgelagerten Branchen wie Handel, Handwerk und Landwirtschaft. Die Vorleistungen der Südtiroler Landwirtschaft an den Tourismus sind aber überraschend gering, weil der Löwenanteil der Lebensmittel im heimischen Gastgewerbe importiert wird. Zum anderen hätten auch andere Branchen wie die Industrie und Dienstleistungen ähnliche Effekte. Wenn bestenfalls das Bauhaupt- und Nebengewerbe vom Tourismus profitiert, ist das insgesamt kritisch zu bewerten: noch mehr „qualitative Erweiterung“, also Bauen im landwirtschaftlichen Grün, und noch mehr Luxus ist für Landschaft, Umwelt und Klima nicht verträglich, steigert keinen Wohlstand außer jenen der Hotelbesitzenden.

    Dann die Geschichte mit den Arbeitsplätzen. Heute arbeiten zur Hochsaison über 50.000 Menschen abhängig und selbstständig im Tourismus. Ganzjahresarbeitsplätze gibt es in dieser Branche weit weniger. Im Jahresdurchschnitt liegt die Beschäftigtenzahl bei 37.500 (ASTAT 2023, vgl. HGV). In der Wintersaison 2023-24 lag die Zahl der Mitarbeitenden bei 31.100. Der Anteil des Gastgewerbes an der Gesamtbeschäftigung lag 2023 bei 14,2% (STOST 2023). Das könnte auch reichen, weil die Arbeit im Tourismus eine vergleichsweise geringere Produktivität und unterdurchschnittliche Entlohnung aufweist. 

    Solche Arbeitsplätze werden nach und nach von Zuwanderern übernommen. Südtirol mit seinem leergefegten Arbeitsmarkt braucht einerseits nicht mehr Arbeitsplätze dieser Art, andererseits werden auch Zuwanderer mittlerweile in anderen Sektoren dringender gebraucht. War das Gastgewerbe in den 1960er und 1970er die Rettung vor der Abwanderung aus strukturschwachen Berggebieten, ist das seit Jahrzehnten nicht mehr so. Heute emigrieren qualifizierte junge Leute, weil es bei der Arbeit eben nur mehr die Wahl zwischen Tourismus, Handwerk und Landwirtschaft gibt. Südtirol hat inzwischen zu viele unterbezahlte, nicht stabile, saisonale und unterversicherte Arbeitsplätze im Gastgewerbe.

    Zudem stellt sich in Zeiten des demografischen Wandels die Problematik neu dar. In den nächsten 10-15 Jahren wird sich der Personalmangel in verschiedenen qualifizierten Bereichen von der Pflege über das Handwerk bis zum Bildungssystem verschärfen. In dieser Situation gereicht zu viel Tourismus zum Schaden, weil er tausende junge Erwerbstätige absorbiert, die in anderen Bereichen sozial, ökologisch und sogar wirtschaftlich sinnvoller tätig sein könnten. Von wem werden wir im Alter gepflegt? Von Robotern? Welche Techniker installieren klimafreundliche Heizungen für 80.000 Haushalte, die noch mit Gas und Öl heizen? Wer saniert zehntausende alte Häuser? Welche jungen Menschen lehren und erziehen auf allen Stufen? Zugespitzt: alte Menschen rundum zu pflegen ist anspruchsvoller als hinter der Theke Cocktails aufzuschenken oder Wellnessbuden zu reinigen. Doch für den gesellschaftlichen Wohlstand sorgt nicht noch mehr Tourismus in einer Region, die schon 250.000 buchbare Betten aufbieten kann. Dies gilt auch für Migrantinnen, die für qualifiziertere Berufe ausgebildet werden können als bloß als Saisonniers im Tourismus. Hier kann die Politik Anreize setzen und die Weichen neu stellen.

    „Den Südtirolern muss vor Augen geführt werden, was der Tourismus leistet und sie müssen verstärkt spüren, dass dieser Wirtschaftszweig jedem Einzelnen etwas bringt“, meinte LR Walcher beim Auftakt des Tourismusrat. Die vielen Nachteile geraten schnell unter den Teppich, wenn nur Interessengruppen am Tisch sitzen. Der neue Tourismuslandesrat wäre gut beraten, sich nicht die Beschwichtigung der besorgten Bevölkerung zum Hauptziel zu setzen, sondern das Hauptproblem zu bearbeiten: die exzessive touristische Vermarktung unseres Landes, der tourismusintensivsten Region der Zentralalpen.

     

     

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Sepp.Bacher Mi., 17.07.2024 - 14:58

Guter Artikel mit wichtigen Informationen, Thomas B.!
Im Tourismus verdienen nur wenige gut: die meisten Unternehmer/innen, einige Spitzen- Köche oder -Manager im Toerismusbereich. Der Rest des Personals verdient aufs ganze Jahr umgerechnet und ohne Überstunden nur durch- bis unterdurchschnittlich.
Die meisten durchnittlichen Südtiroler leiden unter der Wohnungsnot, den hohen Mieten und übermäßig hohen Preisen, wofür einzig der Tourismus schuld ist.
Es wäre ganz sympatisch, wenn es gelänge in nächster Zeit einen Aufmarsch der Betroffenen und jener, welche darunter Leiden, zu organisieren um es denen zu zeigen.

Mi., 17.07.2024 - 14:58 Permalink
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Gasteiger josef Sa., 20.07.2024 - 09:08

Antwort auf von Sepp.Bacher

Bin derselben meinung, tourismus wir für das gesamte gemeinwohl überbewertet, bzw die negativen seiten ( um nur die umweltbelastung die ausbeutung der arbritskräfte, die massive steuerhinterziehung zu nennen) werden nicht diskuttiert. Es muss einen aufstand von unten geben sonst werden die pinzger, dorfer u co nicht zu einem umdenken bereit sein

Sa., 20.07.2024 - 09:08 Permalink
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Helmuth Kompatscher Mi., 17.07.2024 - 16:00

Kompliment zu diesem effizieren Beitrag. Ich bin, wie Sie, auch einigermassen besorgt über unser Wohlergehen in dem Land, an das ich immer glaubte!
Wenn sich alles nur um das liebe Geld, subventionen u.a. dreht, das kann doch nicht unser aller Ziel sein.
Folgt nach dem Treffen des Tourismusrates ein Treffen mit einem noch zu ernennenden Expertengremium wo Südtirol in 5-10-15 Jahren sein will??
Was nützt die Studie der Universität, wenn sie eh ignoriert wird?
Es wäre ein Studie wert, die ergründet wieviele Menschen im Tourismus und Landwirtschaft arbeiten und wieviele Angehörige unser Sanitätssystem/Bildungssystem regelrecht in Beschlag nehmen.
Landesrat für das Wohlbefinden der Ureinwohner und deren Zukunft wäre auf jedem Fall anzudenken, oder?

Mi., 17.07.2024 - 16:00 Permalink
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Gasteiger josef Sa., 20.07.2024 - 09:18

Antwort auf von Helmuth Kompatscher

Super, ja es braucht diesen landesrat, rätin für das wohlbefinden bzw landesrat-rätin für soziale gerechzigkeit. Ob der inhaltliche schwerpunkt ( nicht die formale bezeichnung) des jetzigen ass. Der frau Pamer das bewerkstelligt wage ich zu bezweifeln. Es ist eher eine reparaturwerkstatt, die versucht löcher zu flicken aber nicht den mut für schubumkehr haben wird, dass bleiben der supertourismus und die anderern überzüchtungen in unserm land wie sie glauben so weiterhausen zu können, d.h. sie sind das gegenteil von nachhaltig

Sa., 20.07.2024 - 09:18 Permalink
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Salto User
Milo Tschurtsch Do., 18.07.2024 - 13:54

Schon mal nachgedacht woher das Geld für die Renten kommt ( vor allem in Zeiten des zunehmenden demografischen Wandels) ? Die leeren Kassen werden es nicht richten.
Überall wo die ( Fremdenverkehrs) Wirtschaft läuft wird Steuergeld generiert, das dringend für die Querfinanzierung von allem möglichen gebraucht wird.
Nur mit Gelddrucken wird es halt längerfristig auch nicht getan sein.

Do., 18.07.2024 - 13:54 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Do., 18.07.2024 - 14:57

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Habe gerade etwas nachgedacht, und versucht auszurechnen, wie lange wieviel der Cyprianerhof-Wirt wohl einzahlen muss, damit sich die von uns finanzierte Seilbahn rechnet,
komm so auf ungefähr 200 Jahre, bei 20-25 Angestellten. Da haben wohl wir für den Herrn das Geld gedruckt, oder?

Do., 18.07.2024 - 14:57 Permalink
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Gasteiger josef Sa., 20.07.2024 - 09:25

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Können sie offen legen, wieviel die tourismustreibenden (nicht die beschäftigten) in der summe einkommenssteuer aufbringen, dann reden wir weiter. Ganz zu schweigen, dass auch die beschäftigten aufgrund der tatsache, dass der großteil der überstunden von den betriesinhabern schwarz ausgezahlt werden wodurch sowohl der arbeitgeber als auch der arbeitnehmer illegal handen u damit zu steuerhinterziehern werden. So sauber linear, wie sie das darstellen, ist das nicht

Sa., 20.07.2024 - 09:25 Permalink
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Gasteiger josef Sa., 20.07.2024 - 09:25

Antwort auf von Milo Tschurtsch

Können sie offen legen, wieviel die tourismustreibenden (nicht die beschäftigten) in der summe einkommenssteuer aufbringen, dann reden wir weiter. Ganz zu schweigen, dass auch die beschäftigten aufgrund der tatsache, dass der großteil der überstunden von den betriesinhabern schwarz ausgezahlt werden wodurch sowohl der arbeitgeber als auch der arbeitnehmer illegal handen u damit zu steuerhinterziehern werden. So sauber linear, wie sie das darstellen, ist das nicht

Sa., 20.07.2024 - 09:25 Permalink
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Profil für Benutzer J V
J V Sa., 20.07.2024 - 10:39

In Südtirol wird gezielt mit Fehlinformationen die Bevölkerung verarscht, bestes Beispiel Tourimusrat.... es lebe der Lobbyismus:(

Sa., 20.07.2024 - 10:39 Permalink
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Josef Fulterer So., 21.07.2024 - 06:45

Die zu vielen Arbeitsplätze im Gastgewerbe von Südtirol,
die unter-bezahlt,
nicht stabil,
saisonal +
unter-versichert,
"mit der Einbeziehung des Arbeitslosen-Geldes" von den Arbeitgebern angeboten werden, "sind außer dem Scham-losen / als selbstverständlich genommenen Konsum der Landschaft" + der "nicht zu verantwortenden Verschwendung der fossilen Rohstoffen in den Nobel-Betrieben,"
sollten für die Landes-Regierung der Anlass sein,
"die IDM nicht weiter mit Geld zu stopfen +
die mehr als großzüge Suventions / Beitrags-Verschwendung von Steuergeld für den Fremdenverkehr, sofort ab zu stellen!"

So., 21.07.2024 - 06:45 Permalink
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Profil für Benutzer Thomas Benedikter
Thomas Benedikter Do., 25.07.2024 - 11:47

Eine kurze Replik zum Einwand von Milo Tschurtsch in Sachen "Querfinanzierung von öffentlichen Aufgaben" durch Steuereinnahmen (für das Land), die der Tourismus generiert. Der Einwand ist widerlegbar: Zum einen braucht die Tourismuswirtschaft selbst wieder eine Menge Steuergeld auf (z.B. bezieht jährlich mind. 70 Mio Euro an direkten Landesbeiträgen, nimmt vom Land finanzierte Infrastrukturen in Anspruch, nutzt die landesfinanzierte Standortbewerbung), zum anderen generiert sie nicht so viel an Steuereinnahmen, wie oft unterstellt und wie von Josef Fulterer richtigerweise angemerkt. Im Tourismus gibt es eine unterdurchschnittliche Produktivität und eine unterdurchschnittliche Entlohnung. Steuer- und sozialversicherungsfinanziert hingegen die starke Inanspruchnahme des Lohnausgleichs der Saisonniers. Was bei uns oft unter den Tisch fällt: heute und in nächster Zukunft werden bei uns junge Leute in produktiveren und sozial wichtigeren Arbeitsfeldern benötigt, würden dort auch mehr verdienen und mehr Einkommenssteuern zahlen. Denken Sie an die Schweiz mit einem weit geringerem Anteil an Beschäftigten im Gastgewerbe (insg. 59 Mio. touristische Nächtigungen im Jahr). Kann sie deshalb öffentliche Aufgaben nicht mehr erfüllen? Ist sie deshalb verarmt?

Do., 25.07.2024 - 11:47 Permalink