Gesellschaft | Gastbeitrag

Manie, Sonnenlicht und Psychopharmaka

Die bipolare affektive Störung: Erkrankte pendeln zwischen den Polen von Hochgefühlen und depressiven Episoden. Ein Gastkommentar von Dr. Roger Pycha.
Bipolar
Foto: Darya Sannikova/Pexels
  • Jeder Mensch kennt Zeiten, in denen er überglücklich ist. Auch starke Gereiztheit und Zornesausbrüche sind niemandem fremd. Normalerweise passen diese Gefühle zur auslösenden Situation und dauern nicht sehr lange. Wenn jemand aber ohne ersichtlichen Grund eine Woche oder länger andauernd übermäßig heiter oder sehr gereizt reagiert, dauernd in Lachen oder in Wut ausbricht, und keine anderen Gefühle mehr entwickelt, liegt eine psychische Erkrankung vor: die Manie. Im Sommer häufen sich auch durch den Einfluss des Sonnenlichts manische Episoden. 

  • Dr. Roger Pycha: Primar des psychiatrischen Dienstes in Brixen Foto: Roger Pycha
  • Die Erkrankung ist so eigenartig, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Dabei wirken Betroffene für Wochen oder Monate überdreht, extrem aktiv, selbstsicher, unnatürlich heiter oder gereizt, brauchen sehr wenig Schlaf, essen viel und magern dennoch ab. Die Erkrankten entwickeln meist einen Größenwahn, halten sich für großartige Geschäftsleute, Politiker, Liebhaber oder Religionsgründer. Sie sprengen soziale Regeln, geben viel Geld aus, sind im sozialen Kontakt und sexuell enthemmt, konsumieren gern Alkohol oder Drogen. Man könnte sagen, sie leiden an erstarrt guter Stimmung und an zu viel Energie. In aller Regel fühlen sie sich kerngesund, während die Angehörigen das Zusammenleben mit ihnen kaum mehr aushalten. Ungefähr drei Prozent der Bevölkerung haben mehr oder weniger ausgeprägte manische Zustände. Die Selbstheilungsrate der Manie ist praktisch 100 Prozent - früher oder später geht jede manische Episode zu Ende. Allerdings haben Betroffene auch eine fast 100 prozentige Wahrscheinlichkeit für Rückfälle in erneute manische Episoden nach Monaten, Jahren oder Jahrzehnten. Zusätzlich besteht bei ihnen eine hohe Wahrscheinlichkeit, zwischenzeitig depressive Episoden mitzumachen. Auch diese gehen von alleine zu Ende, können aber quälend lange bestehen bleiben und sind mit erhöhter Suizidgefahr verbunden. Psychiater nennen diese seelische Erkrankung „bipolare affektive Störung“, weil zwei Pole der Verstimmung, nämlich Depression und Manie, zu unterschiedlichen Zeiten vorhanden sind und großes Leid verursachen.

  • Die bipolare affektive Störung: „Die Erkrankung ist so eigenartig, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass es so etwas gibt. Dabei wirken Betroffene für Wochen oder Monate überdreht, extrem aktiv, selbstsicher, unnatürlich heiter oder gereizt, brauchen sehr wenig Schlaf, essen viel und magern dennoch ab.“ Foto: Andrea Piacquadio/Pexels
  •  Die guten Nachrichten sind: Zwischen den manischen und depressiven Episoden liegen oft lange Zeiten völliger seelischer Gesundheit. Mit zunehmendem Alter werden die manischen Episoden auch seltener, kürzer und leichter. Eine rechtzeitige Behandlung dieses manischen Zustandes verhindert die schlimmsten sozialen Folgen wie Verarmung, Lösung der Partnerschaft oder Verlust des Arbeitsplatzes. Dabei kommen heute verschiedene vorbeugende, beruhigende und konzentrationsfördernde Medikamente zum Einsatz, die oft kombiniert verabreicht werden müssen. Wie viele moderne Errungenschaften werden Psychopharmaka von der Öffentlichkeit sehr zwiespältig gesehen, als Segen und Fluch zugleich. Einerseits ist jedem klar: Erst durch Medikamente, die gegen schwere seelische Leiden wirksam sind, konnten seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts die großen psychiatrischen Anstalten überall auf der Welt geschlossen werden – die Behandlung kann seitdem meist zu Hause und ambulant erfolgen. Anderseits beunruhigt jeden Menschen die Tatsache, dass in sein Gehirn eingegriffen werden kann. Dass Medikamente sein Fühlen und Erleben veränderen können. Psychopharmaka sollen deshalb zurückhaltend verwendet werden und gehören in die Hand von bestens ausgebildeten Fachleuten. Wenn es Alternativen zu medikamentösen Behandlungen gibt, sind diese fast immer viel eleganter und weniger angstbesetzt. Ist eine Therapie mit Psychopharmaka aber unumgänglich, so soll sie nach dem Grundsatz „So wenig als möglich, aber so viel wie nötig“ durchgeführt werden. 

     

    „Wie viele moderne Errungenschaften werden Psychopharmaka von der Öffentlichkeit sehr zwiespältig gesehen, als Segen und Fluch zugleich.“

     

    Bei der Behandlung der Manie ist die Hauptschwierigkeit allerdings, dass sich Betroffene nur sehr selten überhaupt krank oder verändert fühlen. Meist pochen sie mit viel Energie auf „Selbstverwirklichung“ und wollen dabei nicht gestört werden. Um sie zu Therapien zu überreden, braucht es viel Geschick und Geduld. Für Psychotherapien nehmen sie sich meist nicht die Zeit, eher schon schlucken sie unter Aufsicht gezielt wirksame Medikamente. Manche Betroffene müssen von einem Krankenhausaufenthalt überzeugt werden, weil sie zu Hause zu viel Unruhe stiften. Wenn die Manie überbordet und das soziale Leben der Erkrankten schwer gefährdet, haben Psychiater die unangenehmste Aufgabe – nämlich die Betroffenen an der Psychiatrie zwangsweise zu behandeln. Es ist erstaunlich, wie viele Geheilte sich später dafür bedanken, dass man sie gegen ihren Willen vor sich selbst geschützt hat.

  • Zur Person

    Dr. Roger Pycha (geb. 1959) ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und Primar des psychiatrischen Dienstes in Brixen. 

    Promovierte zum Doktor der Heilkunde an der Universität Innsbruck im Jahre 1985. Durchlief die Facharztausbildung Psychiatrie an der Uniklinik Innsbruck 1989-1992. Zwischen 199ß und 2018 war er Primar des psychiatrischen Dienstes in Bruneck, bevor er diese Tätigkeit seit 2018 in Brixen weiterführt.

Bild
Profil für Benutzer Factum Est
Factum Est Sa., 03.08.2024 - 23:51

Nun aus der Sicht eines Psychiaters erklärt und für gut entfunden Aus Sicht eines Angehörigen sehe ich den klinischen Aufenthalt etwas anders. Vorerst wird der/die Patient erstmal sediert sodass Er von Arzt und Pfleger kontrolliert und studiert werden kann. Danach werden die verschiedenen Medikamente eingesetzt welche erst nach mehreren Tagen oder sogar Wochen ihre Wirkung zeigen. Der Patient wird entlassen um sein gesunden temporär in seinem vertrauten Umfeld und mit immer wiederkehrenden Besuche in der ambulanten Praxis des Psychiaters zu besuchen. Dass dabei mitunter auch weiterhin die Therapiemedizin verändert verabreicht wird ist dabei die Folge Wie sich der Patient dem Herrn Doktor gegenüber verhält. Auf lange Sicht gesehen ist die Einnahme der zu Verfügung stehenden Medikamente unabdingbar. Wenn sich dabei Einer der Angehörigen nicht in die Pflicht nimmt dass Alles korrekt eingenommen wird, ist ein weiteres Auf und Ab vorprogrammiert. Ich möchte betonen dass ohne medikamentöse Mittel der Krankheit nicht anzukommen ist. Mit steigendem Alter wird aber auch jeder Patient in sich schlauer und verstellt sich der Außenwelt so dass Er unter Anderem auf das Ein oder Andere Medikament und des jeweiligen Charakters glaubt besser in der Gesellschaft wiedererkannt zu werden.

Sa., 03.08.2024 - 23:51 Permalink