Politik | Digitalisierung

Eine moderne Autonomie

Jährlich wird am 5. September an die Unterzeichnung der völkerrechtlichen Grundlage der Südtiroler Autonomie erinnert. Heuer stand die Tagung unter dem Motto Digitalisierung.
Autonomie und Digitalisierung
Foto: SALTO
  • Die Digitalisierung sei nicht nur eine Notwendigkeit, sondern biete auch enorm viele Möglichkeiten, eröffnete Landeshauptmann Arno Kompatscher die heutige Tagung zur Autonomie in Zeiten des technologischen Fortschritts. „Digitalisierung geht einher mit Standardisierung und Homogenisierung, zwei Tendenzen, die eigentlich nicht mit Autonomie vereinbar sind. Letztere dreht sich nämlich um die Differenzierung.“ Es sei daher zentral, die Autonomie zu verteidigen und weiterzuentwickeln, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.
    Kompatscher nutzte den Moment, um einmal mehr auf die Verhandlungen mit dem italienischen Staat zur Autonomiereform einzugehen. Man warte aktuell auf eine Rückmeldung des Ministerrats, so das Fazit.

  • Arno Kompatscher: Der Landeshauptmann eröffnete die heutige Tagung. Foto: Seehauserfoto
  • Keine spezifische Zuständigkeit

    Im Anschluss an die Grußworte des Landeshauptmannes kam Walter Obwexer vom Institut für Europarecht und Völkerrecht der Universität Innsbruck zu Wort. In seinem Vortrag beschäftigte sich der Experte mit den unionsrechtlichen Rahmenbedingungen der digitalen Transformation in Europa. Mit digitaler Transformation war dabei die mit der Digitalisierung einhergehende Veränderung innerhalb der Gesellschaft gemeint. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Transformation sind überwiegend auf EU-Ebene verankert. 
    Trotzdem verfügt die EU über keine spezifische Zuständigkeit im Bereich Digitalisierung. Ihr ist es jedoch möglich, Regelungen zu erlassen, wie etwa im Bereich Datenschutz. „Überall, wo die EU in Sachen Digitalisierung eingreift, werden die Regionen in ihrer Kompetenz beeinträchtigt“, meint Obwexer. 
    Die EU verfolgt ein Ziel: Einen europäischen Weg für den digitalen Wandel, in dessen Mittelpunkt die Menschen stehen und der auf europäischen Werten beruht, sowie allen Menschen und Unternehmen zugutekommen soll. In diesem Zusammenhang soll jede Person Zugang zu allen wichtigen online erbrachten öffentlichen Diensten in der gesamten Union haben. Hier sieht Obwexer aber bereits Umsetzungsprobleme: „Es ist bekannt, wie schwer es ist, für Bürger, die nicht aus Italien stammen, einen SPID und damit Zugang zu den Onlinediensten des Staates zu erhalten“, kommentiert der Professor.

  • Digitalisierung

    Der Begriff wurde ursprünglich verwendet, um die Umwandlung analoger Signale in Daten, die mit einem Computer weiterverarbeitet werden können, zu beschreiben. Mittlerweile wird unter Digitalisierung – relativ unpräzise – die Verwendung digitaler Daten und digitaler Technologien verstanden.

  • Wäre ein Alleingang möglich?

    „Das 1972 erlassene Autonomiestatut berücksichtigt die Digitalisierung zwar nicht, allerdings verfügt das Land Südtirol über eine primäre Kompetenz im Gebiet der Landesämter und Personal“, erklärt Philipp Rossi vom Institut für Italienisches Recht der Universität Innsbruck. Diese Zuständigkeit umfasse all das, was der Verfassungsgerichtshof 1991 entschieden hat – auch die Regelung des Verwaltungsverfahrens in jenen Bereichen, in denen Südtirol Zuständigkeit über die Änderung hat, da laut dem Gerichtshof ein sogenannter natürlicher Zusammenhang zur Zuständigkeit auf dem Gebiet der Änderung besteht. 
    Wenn man davon ausgeht, dass die Digitalisierung ein sogenanntes transversales, querschnittübergreifendes Phänomen ist, dann könne man sagen, dass sich grundsätzlich Kompetenzgrundlagen für Südtirols Digitalisierungsvorhaben in jenen Bereichen finden, in denen das Land über eine Kompetenz in Gesetzgebung und Verwaltung verfügt. Wenn man auch einen kurzen Blick auf die Durchführungsbestimmungen wirft, so finde man zwar keine ganz einheitliche Regelung, sehr wohl aber spezifisch punktuelle Verweise auf Datenerhebung und Austausch zwischen Staat und Land, vorwiegend im Zusammenhang mit der Übertragung und den Verwaltungsbefugnissen an die beiden Länder und auch insbesondere beim Kraftfahrzeugamt, auf die Verwendung von IT-Systemen. 
    „Wo Südtirol hingegen eine ziemlich umfassende und auch weitreichende Kompetenzregelung hat, ist bei der Regelung der Statistik. Wenn wir bedenken, dass ein wichtiger Bereich der Digitalisierung die Datengrundlage ist, dann wissen wir, dass hier die Kompetenzgrundlage über die Datenerfassung bereits eine wichtige Funktion in der Ausgestaltung der Digitalisierung einnimmt“, so Rossi.

  • Stark besucht: Von Landeshauptmann a.D. Luis Durnwalder über Bischof Ivo Muser bis hin zu zahlreichen Landtagsabgeordneten. Foto: SALTO
  • Digitalisierung und Minderheitenschutz

    Die Verfassungsreform von 2001 sieht vor, dass der Staat eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Kombinierung der statistischen Information und der informatischen Kombinierung der Daten der staatlichen, regionalen und lokalen Verwaltung besitzt. Gleichzeitig müsse man aber berücksichtigen, dass eine Schutzklausel für die Sonderautonomien vorgesehen ist, weshalb sich die Frage stelle, ob nun diese staatliche Kompetenz auch auf die beiden Länder Südtirol und Trentino anwendbar ist oder nicht, so Rossi. Diese Frage hat der Verfassungsgerichtshof in unterschiedlichen Fällen unterschiedlich beantwortet.
    Für Südtirol stellt sich im Zusammenhang mit Digitalisierung auch die Frage nach dem Minderheitenschutz und der Zweisprachigkeit. Auch hier findet sich in der statutarischen Regelung kein ausdrücklicher Verweis dazu, die entsprechenden Regelungen können aber auch auf diese Bereiche ausgelegt werden. „Hier gibt es ein ziemlich interessantes Beispiel in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes“, so Rossi, „ein Urteil aus dem Jahr 2016, hier hatte das Land Südtirol eine Beschwerde angestrengt, weil der Staat eine Datenbank nur in italienischer Sprache zur Verfügung gestellt hatte. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Beschwerde abgelehnt.“

  • Francesco Palermo: Der Verfassungsrechtler moderierte den Vormittag. Foto: SALTO
  • Allgegenwärtig

    Esther Happacher vom Institut für Italienisches Recht der Universität Innsbruck ist überzeugt, dass Digitalisierung heute in allen Bereichen der Südtiroler Autonomie angekommen ist. Vor allem in der Verwaltung, also im Verwaltungsverfahren, sei Digitalisierung allgegenwärtig. Die Digitalisierung ziele in diesem Bereich vor allem darauf ab, Dienstleistungen für die Bürger und Bürgerinnen, Stellen und Unternehmen zu gewährleisten und zu verbessern. „Aber natürlich gibt es auch Digitalisierung in der Gesetzgebung“, so die Expertin, „zum Beispiel könnte man hier daran denken, in einem Gesetzesdschungel Applikationen zu haben, die es dem Gesetzgeber erleichtern zu schauen, welche Regelungen es schon gibt.“ Das Ziel müsse ihr zufolge eine Kultur der Digitalisierung sein, sowohl in der Verwaltung als auch bei den Menschen, also den Bürgern, den Unternehmen und so weiter. In diesem Zusammenhang nennt Happacher auch die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz. Diese
    Chance müsse in der Verwaltung verpflichtend vorhanden sein, da es Teil der Digitalisierungskultur sei. Beispielsweise bei Bildungsangeboten für die öffentliche Verwaltung müsse KI ihrer Meinung nach viel mehr zum Einsatz kommen. Aber nicht nur, sie müsse auch ihren Weg in die Schule finden und universitäre Lehrpläne finden. „Meiner Meinung nach ist ein wesentliches Element dieser Kultur der Digitalisierung auch, dass man jeden und jede mitnimmt“, so Happacher abschließend.

  • Eine digitale Sonderautonomie

    Philipp Rossi zufolge wäre eine Digitalautonomie für Regionen mit Sonderautonomie in Italien durch eine Änderung des Kompetenzrahmens möglich. Dies funktioniere entweder durch die Einführung einer neuen primären Kompetenz im Autonomiestatut oder durch einen Erlass einer Durchführungsbestimmung zur Digitalisierung, wo die komplette Abgrenzung zur staatlichen IT-Koordinierungsbefugnis ist und eine komplette Festsetzung der Kompetenzen des Landes gegründet werden. 
    Digitalisierung müsse als Chance begriffen werden, Modelle zu etablieren, um bestimmte gesellschaftliche Herausforderungen, wie beispielsweise den Brain-Drain oder andere Herausforderungen, das Angebot an digitalen Diensten zu erweitern und die grenzüberschreitenden Kooperationen zu verstärken.

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G. P. Do., 05.09.2024 - 20:10

"Man warte aktuell auf eine Rückmeldung des Ministerrats, so das Fazit."

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie in fünf Jahren immer noch ...

Do., 05.09.2024 - 20:10 Permalink
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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Do., 05.09.2024 - 20:14

Es gibt viele alte und neue Unwegsamkeiten im Detail bei der Umsetzung. Irgendwas. Igendwann. Vielleicht - oder auch nicht.
Bin schon gespannt, wie Obwexers optimales “Vermittlungergebnis”, zentralistische (top-down) Herrschaft der (digitalen) Bürokratie einerseits und Subsidiaritätsprinzip im Dienst FÜR Bürger-innen (selbverständlich in ihrer Sprache) andererseits, in der Verwaltungspraxis dann konkret aussieht.
Vielleicht sollte man in Rom und Bozen bei der Umsetzung des Rechts auf Gebrauch der eigenen Sprache parallel dazu auch Praktiker (digitaler Verkaufsplattformen, wie z.B. Temu …) fragen.
Erfolgreiche Politik kennt ja nicht nur das Wirkliche, sondern erkennt auch das Mögliche. So, wie damals.
Dem Schutzübereinkommen für das Südtirol im Rahmen des Pariser Friedensvertrages vom -5.09.1946, das u.a. auch territoriale Selbstverwaltung beinhaltet, hat man vieles – oft auch (eigenes) Wunschdenken – zugeschrieben. Von völkerrechtlicher Selbstverwaltung als innere Selbstbestimmung bis hin zu innerstaatlicher Autonomie als Übergang in der Realpolitik der Pax Romana des 20.Jhs.
Der wesentliche Gehalt, der bis heute noch zu wenig in der Öffentlichkeit gewürdigt wird, war aber neben der Revision des Mussolini-Hitler-Pakts, der ethnische Säuberung, Assimilation (Ethnozid) im kolonialen Grenzraum Tirols, des Kanaltals ... beinhaltete, (bes. aus US-Sicht) der „Spirit of Equality“.
Die Ungleichwertigkeit der dt. Bürgerschaft heißt bis heute gänzliche Gleichstellung des Deutschen mit dem Italienischen. Deutsch als Amts- und nicht nur als Hilfs- und Verkehrssprache; Teilhabe und Mitbestimmung; Recht auf Bildung in der Erstsprache … bilaterale Rechts- und Schutzmechanismen.
Nur. Italien hat trotz Artikel 10 der Verfassung dies bis heute einfach nicht umgesetzt.
Am 05.09. werden wohl auch dieses Jahr zum ausgerufenen, mehr symbolisch angedachten Festtag des Landes, nicht die EU-UN-Südtirol-Flaggen von allen öffentlichen Gebäuden wehen.
Stattdessen: Negation, Selbstentwertung, schmollende Selbstgefälligkeit statt (gemeinsam) Potenziale zu erkennen, auszuschöpfen und zu nutzen.

Do., 05.09.2024 - 20:14 Permalink
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Günther Alois … Fr., 06.09.2024 - 06:26

Herr Kompatscher,vor den letzten Wahlen haben sie wie üblich VERSPROCHEN,die Besserstellung der Autonomie ist bis Ende Juni unter Dach und Fach! Das Gegenteil ist der Fall zudem heute haben wir den
6 September! Laut RAI tre habe ich von Meloni gehört,was die Autonomie in Südtirol betrifft: werden wir schauen????? Also voll ins Fettnäpfchen getreten it ihren FRATELLI Herr Kompatscher bravo SVP×

Fr., 06.09.2024 - 06:26 Permalink
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opa1950 Fr., 06.09.2024 - 06:31

Was ist mit unserer Südtiroler Autonomie los? Die gibt es ja schon lange nicht mehr dank SVP, Kompatscher und der Landesregierung.

Fr., 06.09.2024 - 06:31 Permalink
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opa1950 Fr., 06.09.2024 - 11:09

Antwort auf von Günther Stocker

Da haben sie vollkommen Recht. Die sehr schwache Präsidentin des WOBI Tossolini wurde schon damals von der Lega vorgeschlagen und von der Landesregierung genehmigt.Also das beweist wieder einmal das unsere Autonomie langsam unter der Regierung Kompatscher an Italien verscherbelt wird.

Fr., 06.09.2024 - 11:09 Permalink