Kultur | Archäologie

Alte Rituale

Rituale und religiöses Brauchtum in der Bronze- und Eisenzeit. Ein Kulturelemente-Gastbeitrag.
10_Archäologische Grabungsstätte
Foto: Oswald Stimpfl
  • Das Leben der Menschen in der Bronze- und Eisenzeit (2. und 1. Jahrtausend v. Chr.) war beherrscht von einem ausgeprägten Jenseitsglauben bzw. durch den Glauben an höhere Mächte, an Gottheiten. Es ist ein ureigenes menschliches Verhalten, mit den Gottheiten, den unsichtbaren Lenkern unseres Schicksals in Kontakt zu treten und diese durch gezieltes Agieren zu beeinflussen. Durch das Opfer findet eine direkte besondere Kommunikation mit den überirdischen Mächten statt. Der Verzicht auf Gaben, der Aufwand für ihre Darbringung bzw. ihre Zerstörung verpflichtete gemäß der damaligen Vorstellung die Gottheiten geradezu zur Gegengabe. Insbesondere in Angst- und Krisensituationen versuchte der Mensch stets durch freiwilligen Verzicht bzw. durch Versprechen, die Gottheiten gnädig zu stimmen. Anlass dazu konnten Krankheit, Risiko, Hungersnot, Seuche, Krieg usw. bilden.
    Mit den religiösen Vorstellungen und dem Brauchtum waren Rituale verbunden, die über Jahrhunderte hindurch unverändert beibehalten wurden. Rituale waren für das Bestehen der Gemeinschaften von besonderer Bedeutung, sie gaben Struktur, Sicherheit und prägten zudem das gesellschaftliche und soziale Leben. Die Forschung nimmt an, dass die Gemeinschaften ohne ihre religiösen Vorstellungen, ohne den Glauben an Gottheiten gar nicht überlebensfähig gewesen wären.
     

    „Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser.“


    Die Archäologie vermag nur sehr bruchstückhaft das religiöse Leben und die Vorstellungen der damaligen Zeit zu erfassen. Zum einen können nur die dinglichen Hinterlassenschaften bewertet und interpretiert werden und dies aus unserer heutigen Perspektive. Zum anderen fehlen eine schriftliche Überlieferung oder bildliche Darstellungen. Erst in der Eisenzeit (um 500 v. Chr.) treten erste Bildfriese auf Bronzegefäßen auf, die ausschnittweise Einblicke in das Geschehen komplexer religiöser Feiern geben.
    Rituale und Brauchtum begleiteten die Menschen das gesamte Leben hindurch bis zum Tod. Durch archäologische Untersuchungen wissen wir, dass im Zuge der Errichtung eines Hauses manchmal ein sog. „Bauopfer“ dargebracht wurde, etwa in Form der Deponierung eines Gefäßes samt Inhalt (Getreide). Ebenso wurden in der Eisenzeit anlässlich der Auflassung eines Hauses im Bereich des Einganges im Rahmen eines Ritus Knochenspitzen mit Schriftzeichen deponiert.

  • Foto: Südtiroler Archäologiemuseum
  • Flüsse, Bäche, Seen und Moore übten für die Menschen der Bronze- und Eisenzeit eine besondere Faszination aus. Das Element Wasser bildete in der damaligen Vorstellung einen Zugang in eine andere Welt bzw. bildete es die Grenze zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. So nimmt es nicht Wunder, dass im Wasser immer wieder archäologische Objekte geborgen wurden, die einen besonderen materiellen und symbolischen Wert hatten und mit Absicht entäußert worden sind (Schwerter, Beile, Lanzenspitzen). Das Wasser war Symbol des Lebens, wie es Thales von Milet (624–um 546 v. Chr.) ausdrückte: „Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser; aus Wasser ist alles und ins Wasser kehrt alles zurück“.
    In der Bronzezeit bildete das Hochgebirge einen wichtigen Wirtschaftsraum und zwar zur Weidenutzung. Erstmals können Almhütten nachgewiesen werden, in denen vermutlich auch Käse und Butter hergestellt wurden. Die Jöcher und Pässe wurden intensiv begangen, zum einen im Rahmen der Weidenutzung, zum anderen auch zu Handelszwecken. An diesen Kommunikationsrouten barg man immer wieder einzelne Objekte aus Bronze, die vermutlich als Dank oder Bitte für eine gelungene Überquerung niedergelegt wurden. Der Fund eines Dolches oder eines Schwertes legt nahe, dass sie vom Anführer einer Siedlungsgemeinschaft geopfert wurden.

  • Foto: Südtiroler Archäologiemuseum

    Während bei Deponierungen von Bronzegegenständen im Wasser oder an Übergängen im Hochgebirge die Intention der Menschen nicht in wünschenswerter Art und Weise erfasst werden kann, ist diese bei Heilquellen offensichtlich. So wurden die Schwefelquellen von Bad Bergfall/Olang und von Moritzing von Menschen in der Eisenzeit aufgesucht. Als Dank für erlangte Heilung opferte man in Moritzing über mehrere Jahrhunderte Fingerringe aus Bronze (8. bis 4. Jahrhundert v. Chr.), was eine besondere lokale Tradition zum Ausdruck bringt.
    In der Bronzezeit wurden im alpinen Raum erstmals feste Heiligtümer errichtet, sog. Brandopferplätze. Für den heiligen Ort wählte man besondere Orte aus, etwa eine markante Bergkuppe, ein Seeufer oder eine Moorlandschaft. Brandopferplätze finden sich auch in exponierten Lagen nahe einer Siedlung.
    In den Heiligtümern wurden am Altar im Rahmen einer Gemeinschaftsfeier landwirtschaftliche Produkte (Brot, Getreidebrei), Feldfrüchte (Ackerbohne, Saubohne, Erbse, Flachs bzw. Lein, Linse, Schlafmohn) und Sammelpflanzen (etwa Haselnuss, Himbeere, Brombeere, Erdbeere und Holunder) verbrannt. Hinzu kommt das Opfer von Haustieren (Schaf, Ziege, Rind), von denen nur ausgewählte Teile auf den Altar gelegt wurden, insbesondere Schädel und Füße.
     

    „Die Wurzeln unserer Religion reichen in die Bronze- und Eisenzeit zurück.“


    Durch die Verbrennung wurden gemäß der damaligen Vorstellung die Opfer in eine andere Materie verwandelt und stiegen nunmehr zu höheren Sphären auf, wie es Homer in der berühmten Ilias schildert: „Und den Fettdampf trugen vom Boden die Winde zum Himmel“ (VIII,548–549).
    Zum Geschehen an den Brandopferplätzen gehörten mit Sicherheit Tänze, Gesänge, Gebete, symbolische Handlungen u. ä. Überdies bildete das gemeinschaftliche Essen und Trinken einen wesentlichen Teil des Ritus.
    Einen überaus seltenen Einblick in das Geschehen gewähren die Funde des Brandopferplatzes auf der Göge-Alm in Weißenbach/Ahrntal, der inmitten eines Moores angelegt war. Für den Vollzug des Kultes verwendete man speziell für diesen Zweck hergestellte Kellen aus Zirbenholz, die als Feuerpfannen dienten. Am Schluss der Zeremonie wurden diese stets an derselben Stelle im Moor versenkt. Bei einer archäologischen Ausgrabung kamen rund 150 Kellen, dazu angebrannte Äste und Kienspäne zum Vorschein, die aus der Zeit zwischen 900 und 600 v. Chr. stammen.
    Anlass für die Opfer dürften Aussaat und Ernte gebildet haben, bei Brandopferplätzen im Hochgebirge vermutlich der jährliche Auf- und Abtrieb der Tierherde.
    Mit der Verbreitung des Christentums endeten keineswegs ältere Vorstellungen und kultische Handlungen, im Gegenteil, sie erwiesen sich als besonders beharrlich und konnten nur mit Mühe eingedämmt werden. Viele Elemente wurden vom Christentum übernommen, überlagert, abgewandelt. Die Wurzeln unserer Religion reichen in die Bronze- und Eisenzeit zurück.
    Religion und Glaube gehören zu den zentralen und gleichzeitig zeitlosen Bedürfnissen des Menschen und blieben dies unverändert bis in heutige Zeit, auch wenn sich Formen und Zugang im Laufe der Zeit änderten. „Es ist nur eine Religion, aber es kann vielerlei Arten des Glaubens geben“ (Immanuel Kant 1724–1804).