Chronik | Renzi

Vom Sprinter zum Marathonläufer

An sein ehrgeiziges 100-Tage-Programm hat Matteo Renzi eine Null drangehängt. Trübe Aussichten und Deflation lassen den Glanz des jungen Premiers verblassen.

Matteo Renzi hat sich vom Sprinter zum Marathonläufer gemausert. Um Wunder zu wirken, sind mehr als 100 Tage nötig - auch im Mutterland der katholischen Kirche. Ab heute sollen es 1000 sein. "Potrete giudicare il governo nel maggio del 2017", so der Premier auf seiner heutigen Pressekonferenz, auf der er die "accuse di annuncite" zurückwies.

Reformen sollen in Zukunft nicht mehr bündelweise präsentiert werden, sondern Schritt um Schritt. Auf der Webseite passodopopasso.italia.it sollen alle Bürger ab sofort jedes Reformprojekt detailliert einsehen können. Auf der unspektakulären Pressekonferenz versuchte Renzi wie gewohnt, mit Witz und Esprit zu punkten. Doch der Glanz des Turboreformers verblasst. Die Deflation, die dramatischen Konjunkturdaten, der tägliche Verlust von 1000 Arbeitsplätzen, der Anstieg der Staatsverschuldung um 100 Milliarden in nur sechs Monaten dämpfen den Optimismus der Italiener, eine Wende zum Besseren sei nur eine Frage weniger Monate.

Renzis größter Fehler ist nicht seine Selbstherrlichkeit, sondern das permanente Wecken unrealistischer Hoffnungen. So, als könnte ein zutiefst marodes und reformfeindliches Land wie Italien im Handumdrehen radikal verändert werden. Auch die besten Reformen benötigen in einem politisch, sozial und wirtschaftlich heruntergewirtschafteten Land wie Italien viel Zeit, bis sie greifen. Und jedes neue Gesetz benötigt zur konkreten Anwendung eine Flut von Durchführungsbestimmungen. Von den 889 noch ausstehenden Durchführungsbestimmungen der Regierungen Monti und Letta hat die Regierung Renzi 528 genehmigt. Insgesamt verbleiben, unter Einschluss der eigenen Gesetze, 699. Damit wird die Regierung bis zum nächsten Jahr beschäftigt sein. Kein Anlaß, euphorisch in die Zukunft zu blicken.

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Klaus Griesser Di., 02.09.2014 - 08:49

Lieber Gerhard, im Grunde bewunderst du nach wie vor den "jungen Premier" mit seinen Werbetänzen (passo dopo passo). Ich kann dir da nicht folgen: Renzi beschreitet Schritt für Schritt mehr Handlungsfreiheit für das Regime zwecks Sozialabbau im Lande, strebt den Lohnabbau nach deutschem Muster an - führt einen marathonmäßigen Crashkurs gegen das Volk!

Di., 02.09.2014 - 08:49 Permalink
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Willy Pöder Mi., 03.09.2014 - 08:58

Einmal mehr hinkte die Bozner Redaktion der Rai den Ereignissen hinterher. Die bereits seit 1. September in den Umlauf gesetzte Schlagzeile "Vom Sprinter zum Marathonläufer" (siehe salto.bz, G. Mumelter) entdeckte der Sender erst in seiner Presseschau vom 3. September mit G. Schedereith in anderen Medien. Mit der Geschwindigkeit der modernen Zeit scheint die Rai Südtirol nicht den Schritt halten zu können - trotz der Mittelaufstockung auf 20 Millionen Euro jährlich durch die Provinz Bozen. Bekanntlich wollte der Staat das Budget des Senders hingegen von 15 auf 10 Millionen Euro stutzen.
Ein weiteres Beispiel zeitlicher Rückständigkeit war die Meldung von der Enthauptung des zweiten Amerikaners durch die IS-Mörder. Während der Boazna in den Frühnachrichten die Authentizität des Videos noch offen ließ, wurde diese von der BBC noch in der Nacht von gestern auf heute unter Berufung auf den FBI bestätigt. Man hätte also nur hingucken müssen, um aktuell zu sein.

Mi., 03.09.2014 - 08:58 Permalink