„Das einzige Mittel“
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Zu den Streiks könne Landesrat Alfreider nur wiedergeben, was viele Familien und Menschen ihm mitteilten: Sie verstünden nicht, warum die Gewerkschaften in Südtirol jedes Mal streikten, wenn in Italien ein Streik stattfinde, häufig sogar aus Gründen, die mit Südtirol kaum in Zusammenhang stünden, wie etwa der Streichung von Linien oder einer Reduktion der Angebote. Ihm selbst seien die Mitarbeitenden, insbesondere diejenigen aus dem Bus-, Bahn- und ÖPNV-Sektor, besonders wichtig, da sie das Rückgrat der Branche darstellen. Viele von ihnen wollten ihre Arbeit einfach seriös und verantwortungsvoll verrichten. Dieses fortwährende Mitwirken an nationalen Streiks belaste jedoch alle Beteiligten: allen voran Schüler, Familien, Pendler, Senioren und auch die Mitarbeitenden selbst. Er meint auch: Die Streiks würden dem Ansehen des gesamten öffentlichen Nahverkehrs schaden, da für die Pendler am Morgen oft unklar sei, welche Linien genau vom Streik betroffen seien.
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Die Antwort der Gewerkschaften
Der Fachsekretär für Transport und Verkehr des ASGB, Hans Joachim Dalsass lud gestern (12. November) zu einer Pressekonferenz, um seine Sicht der Dinge zu erläutern. Dalsass versicherte, dass die Gewerkschaften das Wohl der Arbeitenden anstreben und niemanden „vor ihren Karren spannen wollen“. Die Gewerkschaft kämpfe vor allem um faire Löhne, die den Arbeitenden ein Leben ohne Sozialhilfe ermöglichen könnten, wie es auch im Transportsektor nicht immer der Fall ist. Auch der Ausgleich zwischen Arbeitszeit und Freizeit soll gewährleistet sein. Dabei widerspricht Dalsass den Aussagen, die Gewerkschaften würden am Freitag zum Streik ausrufen, um ein langes Wochenende zu haben. Im ÖPNV habe kaum jemand einmal Samstag und Sonntag frei, die Linien seien das ganze Wochenende in Betrieb. Dalsass beklagt, dass die Gewerkschaften stets das Gespräch mit den Betrieben, den Verbänden und den politischen Verantwortlichen suchten, jedoch immer seltener eingeladen würden. Da Reden ebensowenig helfe, so Dalsass, „ist und bleibt der Streik das letzte Mittel“.
Wichtig für den Fachsekretär des ASGB war es zu betonen, dass Landesrat Daniel Alfreider die Gewerkschaften stets darauf hingewiesen habe, ihre Lohnverhandlungen nach Rom zu verschieben, wo der nationale Kollektivvertrag verhandelt wird, der seit 2015 verfallen ist. Jetzt beklage Alfreider die Beteiligung der Südtiroler Gewerkschaften an einem nationalen Streik, bei dem es um eben diesen Kollektivvertrag gehe. Zudem weist Dalsass darauf hin, dass bei einem Ausbau des ÖPNV, wie ihn der zuständige Landesrat vorsieht, die Arbeit im Sektor attraktiv bleiben müsse, um ausreichend Arbeitskräfte zu finden.
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Auch Rosaria Severino (FIT-SGB-CISL) zeigte sich verwundert über die Aussagen Alfreiders. Sie unterstrich die Wichtigkeit des Nationalen Kollektivvertrags, als Basis für Abkommen der zweiten Ebene, die durch Verhandlungen zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und den Arbeitnehmervertretungen (RSU), sofern vorhanden, die Möglichkeit bieten, die Bedürfnisse eines einzelnen Unternehmens oder einer Region anzupassen. Sie ist überzeugt, dass auch Landesrat Alfreider über die Verhandlungen Bescheid weiß, und hofft, bald zu einem konstruktiven und kontinuierlichen Dialog über das Thema Verkehr in Südtirol eingeladen zu werden. Schon seit langer Zeit hätten sie dem Mobilitäts Departement der Autonomen Provinz Bozen eine regionale Vereinbarung vorgeschlagen und vorgestellt, die einheitliche Regelungen und wirtschaftliche Anpassungen vorsieht, wie die Gleichstellung der Zweisprachigkeitszulage in allen Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs.
„Der Streik ist jedoch das einzige erworbene Recht, das den Arbeitnehmern bleibt, um sich gegenüber den Regierenden und den Arbeitgebern Gehör zu verschaffen.“
Auch Marina Vettori (FILT - CGIL) wies auf die Wichtigkeit des Streikrechts hin, das in Italien seit dem Ersten Weltkrieg gilt und immer mehr in Frage gestellt werde. Auch sei der Streik am 8. November, den Landesrat Alfreider so stark kritisierte, kein gewöhnlicher Streik gewesen. Es sei um die Erneuerung eines seit Jahren ausgelaufenen Tarifvertrags gegangen, um die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sowie um Gesundheit und Sicherheit, da zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden auf nationaler Ebene keine Einigung erzielt werden konnte. Laut Vettori möchte kein Arbeitnehmer und kein Gewerkschaftsvertreter diejenigen benachteiligen, die zur Arbeit müssen oder die Südtirol besuchen möchten. „Der Streik ist jedoch das einzige erworbene Recht, das den Arbeitnehmern bleibt, um sich gegenüber den Regierenden und den Arbeitgebern Gehör zu verschaffen“, so Vettori, die betont, dass dieses Recht heute in Gefahr sei.
Nicht zuletzt ist es ihr wichtig anzumerken, dass die Arbeitnehmer, die am Streik teilnehmen, keinen Lohn erhalten, sondern einen erheblichen finanziellen Verlust in der Gehaltsabrechnung hinnehmen müssen. Außerdem zwingt keine Gewerkschaft einen Arbeitnehmer zur Teilnahme an einem Streik; die Teilnahme erfolgt freiwillig.
Tja, dann ist das Privatauto…
Tja, dann ist das Privatauto doch wieder der rettende Anker.
Zuerst abwarten was der neue…
Zuerst abwarten was der neue Kollektivvertrag hergibt........denn sonst könnte die Provinz leicht ein paar Euro zuviel vorsehen für die territorialen Zulagen......tüchtig der Mann!
Natürlich gibt es ein…
Natürlich gibt es ein verfassungsmäßig garantiertes Streikrecht; hier ein kurzer Überblick in deutscher Sprache, was dies eigentlich bedeutet: https://www.drda.at/a/355_DRDA_13/Das-Streikrecht-in-der-Daseinsvorsorg…
Das Streikrecht wird stumpf, wenn es inflationär genutz wird. Ich bin mir sicher: Die Öffentlichkeit weiß kaum, warum gestreikt wird. In AT oder DE z.B. werden Streiks medial vorbereitet, es wird über Alternativen nachgedacht, die Öffentlichkeit wird sensibilisiert, es wird argumentiert.
Südtirol sollte über ein eigenständiges Kollektivvertragssystem nachdenken: Wer hat etwas davon, wenn die Entlohnungen auf staatlicher Ebene festgesetzt werden und auf Landesebene lediglich „Zusatzverhandlungen“ möglich sind? Warum nicht alles vor Ort entscheiden: Entlohnung, Produktivitätsentwicklung, Qualität der Dienstleistung, Kosten? Gute nationale Praktiken können ja übernommen werden. Nur: der inflationäre Gebrauch des Streikrechts zu Lasten der Pendler:innen (die zum großen Teil ja auch Arbeitnehmer:innen sind) und der Umwelt gehört mit Sicherheit nicht dazu.
Italien leistet sich den Luxus eines äußerst fragmentierten Verbandssystems auf Arbeitnehmer- wie auf Arbeitgeberseite, kennt kaum funktionierende „Abkühlungsmechanismen“ bei kollektivvertraglichen Auseinandersetzungen, Kollektivverträge werden mit jahrelanger Verspätung unterzeichnet. Wie viele Standortvorteile böte ein effektives und effizientes Südtiroler Verhandlungssystem!
PS: Ein „Tarifvertrag“ wird in der BRD abgeschlossen! In Österreich schließen die Kollektivvertragsparteien Kollektivverträge ab, in Italien einen „Contratto Collettivo [Nazionale] di Lavoro“. Warum ausgerechnet in Südtiroler Medien der Begriff „Tarifvertrag“ verwendet wird, erschließt sich mir nicht.