Unvorbereitet im Einführungsseminar
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In der Edition Zoom-ED beim Raetia Verlag, die im nächsten Jahr Pause macht und zu einem Zwei-Jahres-Rhythmus wechselt, erscheint mit Lena Wilds Debüt ein Buch zwischen Roman und Novelle, mit informaler und stark präsenter Erzählstimme, die man zumindest in Teilen mit Wild gleichsetzen möchte. In „Vorbereiten auf den Zufall – Eine Bestandsaufnahme“ folgen wir auf rund 110 Seiten einem von der Autorin (Jahrgang 2000) ausgelegten Pfad, der mäandriert, abschweift und sich oft für - von der Erzählerin markierten - wichtigen Details einen Fokus setzt. So auch beim zugegeben etwas ausufernden Einstieg in die Geschichte, der uns in einen Wiener Vorlesesaal zu einer Einführungsvorlesung im Master Physik mitnimmt. Bei AKT 2 - Atom-, Kern- und Teilchenphysik - lernen wir Johann Rootmayr, Physiker mittleren Alters mit Partnerin und E-Bike, gleich von seiner schlechtesten Seite kennen.
Auf dieser Seite begegnen wir einem anfänglich arroganten, wenngleich fachlich verdientem theoretischen Physiker, dem die saloppen Fragen eines Studenten, welche die Autorin in Wiener Mundart zu Papier bringt, den Boden unter seinen Füßen entreißen. Rootmayr befindet sich daraufhin für ein Gros des Buches in einem Sturz- beziehungsweise Schwebezustand, der den Mann mit CERN-Teilchen-Beschleuniger-Erfahrungen unvorbereitet erwischt. Er muss mit sich selbst und später im Büchlein auch mit seiner Partnerin „Pizzi“ aushandeln, nach welchen Regeln - wenn überhaupt - die neue Realität, in der er sich nun wiederfindet, funktioniert. Im Kern des kleinen Weltmodells zwischen zwei Buchklappen steht vielleicht die Frage nach einer (Un)Möglichkeit: Kann man sich überhaupt auf den Zufall vorbereiten?
Mit einem für einen einstiegen Wisslyzer zumindest plausiblen Gedankengerüst für den Physikprofessor Rootmayer, baut Wild ein überzeugendes Abbild seines Innenlebens ab. Wild wahrt als Erzählerin kritische Distanz und ist sich der Fehlbarkeit eines wissenschaftlich geschulten Geistes bewusst. Die Sucht und die Suche nach Schönheit aus Sicht eines Physikers spielen sich im Zuge eines Ausbruchs aus dem Alltäglichen ab. Das Gefühl, sich seit längerem in einem Trott zu befinden, nur um dann aufzublicken und hinter dem Alltag die Schönheit der Welt zu entdecken, dürfte wohl etwas Universelles haben. Lena Wild, selbst „Doktorandin in der Entwicklung intelligenter, autonom fahrender Schwerfahrzeuge“ hat persönlich Wienerfahrung sowie neben Technischer Physik auch Klassische Philologie- und Philosophie-Studien-Erfahrungen in der Autorinnen-Biografie vorzuweisen. Der Umstand, dass ein Mann in voller Tauchermontur auf der Wiener MaHü im Wiener Alltag für nicht weiter viel Aufmerksamkeit bei Passantinnen und Passanten stoßen dürfte, ist wohl wahr und so ist das Setting des Kurzromans durch und durch das Richtige. Spieten sich unter den Bozner Lauben solche Szenen ab, so würde es sich wohl um eine Aktion fürs Stadtmarketing durch Kaufleute handeln oder in allen Zeitungen stehen.
Stilistisch changiert die Autorin zwischen zwar wortreichen, durchaus aber unterhaltsamen Tangenten und manchmal saloppem Umgangston, der mit den Erwartungshaltungen des Lesers spielt und diese - bei mir mit wechselndem Erfolg - vorwegzunehmen versucht. Man hat das Gefühl, dass sich die Autorin auf knappen Seiten größtmöglich ausprobieren wollte, zwischen einer Episode und der nächsten. Das Resultat ist ein Kammerspiel mit durchgängig durchdachten Charakteren, das sich zu einem guten Teil in deren wie in unseren Hirnkästchen abspielt. Jung und frisch erzählt, wie auch in einigen Fällen ironisch selbst-datiert, findet Lena Wild das Fantastische an dem, was nicht ganz alltäglich ist, auch wenn am Ende das Ende ein, – zugegebenermaßen selbstreflektiert – nicht ganz vollendetes ist.
Der Nino aus Wien, ein Musiker, raunzte 2015 „Es geht immer ums Vollenden“, einen seiner schönsten frühen Songs. Beim Erstling ist das nicht ganz so streng zu sehen und dass trotz Lektorat und Mentoring (wie bei der Reihe Zoom-ED vorgesehen) von Anna Rottensteiner der Schluss weniger gelungen ist als der Rest des Buchs, lässt es trotzdem „leiwand“ sein. Oder, wie es später im Nino Song noch heißt: „Es gibt Menschen, es gibt Freunde – aber meistens sind es Leute.“ Ähnliches lässt sich auch über literarische Figuren sagen und die wenigen, die uns Lena Wild im Erstling vorstellt, „menscheln“ auf eine ur-wienerische und authentische Art und Weise, die zu allermindest diesem Leser sympathisch ist.
Danke für die schöne…
Danke für die schöne Besprechung, ich bin gespannt auf die Lektüre.