Kultur | SALTO Gespräch

Gaismair, der Demokrat

500 Jahre sind vergangen, seit Michael Gaismair und die Bauern den Aufstand probten. Geschichtsprofessor Martin Scheutz über einen „Menschenrechtler“ und Antiglobalisten.
Martin Scheutz
Foto: ORF
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Salto User
Michael Lochmann So., 19.01.2025 - 14:27

Den politischen, sozialen und religiösen Vorstellungen von Michael Gaismair sollte im Unterricht an Südtiroler Schulen endlich gebührend Raum gegeben werden. Bisher findet man ihn kaum in den Lehrplänen und wenn, dann meist nur als Randthema.

Die Frage nach dem Warum das so ist, wäre es ebenfalls wert, gestellt und beantwortet zu werden.

Ob er nun Rebell, Revolutionär, die Urform eines Kommunisten oder ein Verbrecher war, eines kann man von ihm lernen: Auch Vertreter der (be)herrschenden Klassen (damals Adel, katholische Kirche und ihre En­tou­ra­ge) erkennen Machtmissbrauch und soziale Missstände, können - wenn sie denn wollen - zwischen Recht und Unrecht differenzieren.

Sofern sie den Mut aufbringen, ihrem Gewissen zu folgen, persönliche Vorteile abzulehnen und für die eigenen Ideale einzustehen, dann sind Veränderungen möglich - wenn auch nur teilweise und von kurzer Dauer wie bei Michael Gaismair, aber immerhin sprechen wir noch von ihnen.

Nicht Mitläufer, Duckmäuser und Profiteure verändern die Welt, sie verschwinden spurlos im Sog der Geschichte.

So., 19.01.2025 - 14:27 Permalink
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Hartmuth Staffler So., 19.01.2025 - 16:18

Ein Rebell gegen ein ungerechtes System war Michael Gaismair sicherlich. Er wäre wohl auch Revolutionär geworden, aber zu einer Revolution,, das heißt zu einer Änderung des Systems, fehlte ihm der Anhang. Eine Revolution braucht zwar einen Anführer, aber der wiederum braucht Menschen, die ihm bedingungslos folgen, und nicht Anhänger, die sich mit Befriedigung ihrer privaten Anliegen zufrieden geben. Ein Verbrecher war Gaismair nach damaligem Verständnis, weil er sich gegen ein angeblich gottgewolltes (wenn auch ungerechtes) System auflehnte. Ein Ur-Kommunist war Gaismair sicher nicht, dafür dachte er zu sehr religiös und zu wenig international. Seither haben aber die verschiedensten ideologischen Richtungen, von Nazis bis zu Kommunisten, versucht, Gaismair für ihre Zwecke zu missbrauchen, ein Schicksal, das er mit vielen anderen historischen Persönlichkeiten teilt. Den Nazis war Gaismair sympathisch, weil sie seine Feindschaft zum jüdischen Finanzminister Gabriel Salamanca fälschlich als Antisemitismus interpretierten. In der DDR wurde Gaismair als Ur-Kommunist gefeiert (Wilhelm Zimmermann: "Der Große Deutsche Bauernkrieg", Manfred Bensing, Siegfried Hoyer: Der deutsche Bauernkrieg 1524-1526", Gerhard Brendler: "Mit Morgenstern und Regenbogenfahne"), nachdem bereits Friedrich Engels ("Der Deutsche Bauernkrieg") Gaismair als Frühsozialisten bezeichnet hatte. Wesentlich differenzierter haben ihn dann Josef Macek ("Michael Gaismair") und Hans Benedikter (Rebell im Land Tirol") gesehen. Das jüngste Buch von Ralf Höller (Die Bauernkriege 1525/26) rückt, trotz einiger Ungenauigkeiten, die Sache doch etwas in ein sachlicheres Licht. Er räumt vor allem mit der falschen Ansicht auf, dass es einen einzigen großen Bauernkrieg gegeben habe, da die verschiedenen Erhebungen nicht koordiniert waren und auch unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen stattfanden. So gab es in Tirol im 16. Jahrhundert keine Leibeigenschaft mehr, die andernorts zur Rebellion führte. Die Auseinandersetzung wurde in Tirol, im Gegensatz zu anderen deutschen Ländern, nicht nur militärisch, sondern auch argumentativ im Landtag geführt, wenn dann zum Schluss auch die militärische Übermacht den Ausschlag gab. Dass Gaismair in Tirol bisher zu wenig beachtet wurde, führe ich auf mehrere Umstände zurück: Die unterschiedliche, bis heute nicht eindeutige Bewertung Gaismairs in ideologisch unterschiedlichen Gesellschaften hat es schwer gemacht, Gaismair klar einzuordnen, sein erklärter Kampf gegen die Kirche, der er jeden politischen Einfluss nehmen wollte, war lange Zeit im heiligen Land Tirol suspekt, zumal man über andere, besser in das Konzept passende historische Persönlichkeiten verfügt.

So., 19.01.2025 - 16:18 Permalink
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Josef Fulterer Mo., 20.01.2025 - 07:07

100 Jahre davor hat -a d e l i g e- Landsmann "Oswald von Wolkenstein," die damals von ganz -o b e n- erdachte + viel zu oft überschrittene Welt-Ordnung so gesehen:

"Dem Klerus ist es zugewiesen,
dass er da betet, Tag und Nacht,
um Gottes Kraft für beide Stände.

Der Ritterschaft obligt der Kampf,
für beide vorgenannten Stände.

Der Dienstbarkeit ist auferlegt,
dass sie ihr Tagwerk vollbringt
für unsre Nahrung und für sich."
Da für das "-s i c h- viel zu oft ganz wenig geblieben ist," hat der "Gerechtigkeits-gesinnte Gaismair" die Bauern zum Protest gegen die ungerechte Ausbeutung aufgerufen!

Mo., 20.01.2025 - 07:07 Permalink
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Hartmuth Staffler Mo., 20.01.2025 - 13:25

Antwort auf von Josef Fulterer

Gaismair hat nicht zum Protest aufgerufen. Es war wohl eher so, dass die Bauern gegen die ungerechte Ausbeutung rebelliert haben. Sie haben dann den Gaismair, weil er gebildet war, zu ihrem Anführer gewählt. Gaismair ist während des Aufruhrs von einem gewählten Rebellen-Anführer zu einem Revolutionär geworden, aber da wollten ihm die meisten Bauern nicht mehr folgen. Sie waren zufrieden, wenn die Urbare, in denen ihre Zinspflichten niedergeschrieben waren, vernichtet wurde, nicht wissend, dass es eine Abschrift in Innsbruck gab. Seither hat sich wenig geändert. Die Politiker versteht es, mit ein paar "Zuckerlen" die Massen ruhig zu halten, während sie sich selbst den Kuchen aufteilen.

Mo., 20.01.2025 - 13:25 Permalink