Wirtschaft | Landwirtschaft

Von der Kuh zur Kulisse

Markus Hafner rechnet ab: Südtirols Bauern liefern das Image, nicht mehr die Milch. Die Produktion wandert ab und keiner will über Preise reden.
Markus Hafner
Foto: Seehauserfoto
  • SALTO: Herr Hafner, Sie sind Landwirt in Mals und gleichzeitig als Simultanübersetzer für den EMB (European Milk Board) in Brüssel tätig. Was brennt den Bauern derzeit unter den Nägeln?

    Markus Hafner: Was vielen Bäuerinnen und Bauern auf der Seele liegt, ist ganz klar: Wir wollen endlich wieder von unserer Milch leben können. Momentan ist das kaum möglich. Ich habe mir gestern wieder die Milchpreise in Italien angesehen: In Vicenza zahlen sie 65 Cent pro Liter konventioneller Milch, stellenweise sogar über 70 Cent. Und das in Regionen mit großen Strukturen und moderner Technik. Wir hier in Südtirol mit unseren kleinen, arbeitsintensiven Betrieben bleiben deutlich darunter.

  • European Milk Board (EMB)

    Das European Milk Board (EMB) ist ein Zusammenschluss von Milchviehhalter-Organisationen aus mehr als 15 europäischen Ländern. Gegründet im Jahr 2006, vertritt das EMB die Interessen von rund 100.000 Milchbauern in Europa. Ziel des EMB ist eine faire und kostendeckende Bezahlung für die Erzeuger. Es fordert eine Milchwirtschaft, die wirtschaftlich tragfähig, ökologisch nachhaltig und sozial gerecht ist. Zentrale Forderung ist die Einführung eines europaweiten Instruments zur freiwilligen Mengenreduzierung in Krisenzeiten, um Überproduktion und Preisdruck entgegenzuwirken. Das EMB fordert unter anderem Kostenwahrheit: Milchpreise sollen die tatsächlichen Produktionskosten abbilden – zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und als Grundlage für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Mehr Informationen unter: www.europeanmilkboard.org

  • Wie macht sich das bemerkbar?

    Wir rutschen in die sogenannte soziale Landwirtschaft ab. Wir liefern das schöne Bild – gepflegte Wiesen, Kühe auf der Alm, idyllische Bauernhöfe. Aber für die eigentliche Produktion spielen wir kaum noch eine Rolle. Die Milch wird aus anderen Regionen geholt, zum Teil sogar aus dem Ausland. Es gibt Gerüchte, dass Milch aus Polen importiert wird – zumindest steigen dort die Produktionszahlen, während jene in Deutschland, Frankreich und Holland rückläufig sind.

    Und Italien?

    Italien hält sich mit einem leichten Plus, aber auch das ist nur eine Momentaufnahme. Wir in Südtirol liefern derzeit rund zehn Prozent weniger Milch als im Vorjahr. In manchen Sennereien wie in Brixen ist es sogar noch dramatischer: Dort wurden mir minus 12 Prozent genannt. Die Tendenz ist klar – wir verlieren an wirtschaftlicher Bedeutung.

     

    „Wir in Südtirol liefern derzeit rund zehn Prozent weniger Milch als im Vorjahr.“

     

    Weshalb?

    Es ist eine Kombination aus politischem Druck und internationalen Handelsabkommen. Die EU-Kommission verfolgt mit dem Green Deal Ziele, die in der Praxis bedeuten: Weniger Produktion in Europa. Gleichzeitig werden durch Abkommen wie Mercosur Produkte aus Südamerika importiert – Fleisch, Milch, alles. Wir exportieren dafür Maschinen oder Waffen. Und das, obwohl wir hier in Europa die höchsten Produktionsstandards haben. Wir fordern Spiegelklauseln – also gleichwertige Auflagen für Importe –, aber das lässt sich in Brasilien oder Argentinien schwer kontrollieren.

  • Schöne Idylle, doch der Schein trügt. Foto: Othmar Seehauser
  • Sie sprechen von einem Systemversagen?

    Ja, wir produzieren unter höchsten Standards, aber es rechnet sich nicht. Die Universität Bozen hat im Jahr 2022 die Produktionskosten berechnet. Diese betragen 80 Cent für konventionelle Milch, über 1 Euro für Bio. Und was bekommen wir ausgezahlt? 60, 65 Cent. Das rechnet sich einfach nicht.

    Gibt es Lösungsansätze?

    Ein zentrales Thema ist die Vertragslandwirtschaft. Die Idee: Bauern schließen mit Abnehmern längerfristige Verträge ab, die auf realen Produktionskosten basieren. So hätten vor allem junge Landwirte Planungssicherheit. Länder wie Spanien, Portugal und Frankreich befürworten das, Italien ebenso. Aber in den nordischen Ländern, wo große Genossenschaften dominieren, stößt die Idee auf massiven Widerstand. Diese Konzerne agieren zwar unter dem Deckmantel einer Genossenschaft, funktionieren aber wie klassische Industrieunternehmen.

     

    „Diese Konzerne agieren zwar unter dem Deckmantel einer Genossenschaft, funktionieren aber wie klassische Industrieunternehmen.“

     

    Und wie ist die Situation in Südtirol?

    Auch hier gibt es Widerstand. Viele Funktionäre in Bauernverbänden sitzen gleichzeitig in den großen Genossenschaften. Es sind dieselben Personen oder sie wechseln die Positionen – das klassische „Verfilzungsproblem“. Solange diese Verflechtungen bestehen, wird es keine echte Veränderung geben. Dabei wäre gerade jetzt die Chance da, faire Bedingungen zu schaffen.

  • Markus Hafner, Bauer in Mals: „Wir produzieren unter höchsten Standards, aber es rechnet sich nicht.“ Foto: Privat

    Wie geht Brüssel mit dem Thema um?

    Der EMB fordert ganz klar: Verträge auf Basis der Produktionskosten. Alles andere ist Augenauswischerei. Das Kartellamt der EU prüft gerade, ob man langfristig auch Genossenschaften in diese Vertragsverpflichtungen einbinden kann. Aber es gibt noch viele Unsicherheiten – auch, weil enorme Mittel aus dem Agrarbudget abgezogen und für die Rüstung verwendet werden könnten. Die Rede ist von bis zu 800 Milliarden Euro.

    Wie erleben Sie den Alltag als Bauer in Südtirol?

    Ehrlich gesagt, zunehmend frustrierend. Wir arbeiten hart, auch händisch, oft unter schwierigsten Bedingungen. Gleichzeitig wird uns signalisiert: Ihr seid vor allem fürs Image da. Produzieren dürfen andere. Und wenn du dich öffentlich kritisch äußerst, musst du mit Konsequenzen rechnen – Kontrollen, Nachprüfungen, Druck. Das haben wir selbst erlebt. 

     

    „Ihr seid vor allem fürs Image da.“

     

    Wie sieht es mit dem Konsumverhalten der Menschen aus?

    Auch da bin ich ernüchtert. Ich habe jahrelang dafür geworben: Kauft regionale Produkte, unterstützt unsere Joghurthersteller, unsere Mozzarella, unsere Milch. Und wer kauft dann beim Diskonter ein? Oft genau die, die am lautesten nach Bio rufen. Das ist kognitive Dissonanz: Man fordert das eine, lebt aber das Gegenteil. Ich habe das Thema für mich aufgegeben.

    Gibt es auch etwas Positives zu berichten?

    Ja, das möchte ich betonen: In Italien gibt es eine viel stärkere Wertschätzung für lokale Produkte. Dort funktionieren DOP-Qualitätssiegel, wie beispielsweise „Tutto latte italiano“, da wird konsequenter regional gekauft.Das ist ein positives Beispiel. Vielleicht können wir uns da eine Scheibe abschneiden.

    Was fordern Sie konkret?

    Dass wir den Wert unserer Arbeit wieder anerkennen. Dass wir nicht in einer Art Alibi-Landwirtschaft enden, die nur noch die Landschaft pflegt und Bilder liefert, aber wirtschaftlich irrelevant wird. Und dass wir nicht von außen kontrolliert, sondern von innen gestärkt werden. Mit fairen Preisen, klaren Verträgen und politischem Willen. Sonst verlieren wir eine Generation von Bäuerinnen und Bauern – und das wird auch die Gesellschaft spüren.

  • Tag der Milch

    Jährlich am 1. Juni wird der Tag der Milch begangen. Statt Hochglanzbildern von glücklichen Kühen lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen der Milchwirtschaft. Für viele Milchbauern ist dieser Tag nämlich kein Grund zum Feiern: Vollerwerb ist nur für große Betriebe möglich, die kleinen brauchen ein zweites Standbein, um den Hof überhaupt halten zu können – nach dem Motto: zweimal arbeiten, um einmal zu leben.

Bild
Salto User
opa1950 Sa., 31.05.2025 - 11:47

Um auf Brüssel zurück zu kommen. Wer hat denn den Bauer Vertreter nach Brüssel gewählt, dieser Herr ist nur Abkassierer welcher sich sicher nicht über das Wohlergehen der Südtiroler Bauern interessiert. Sein Hotelbau am Gardasee interessiert ihn momentan viel mehr.

Sa., 31.05.2025 - 11:47 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Karl Gudauner
Karl Gudauner Sa., 31.05.2025 - 17:00

Die EU muss eine Förderungsschiene einrichten, die dafür sorgt, dass die naturnahe Bewirtschaftung, die den Alpenraum charakterisiert, für die Bauern zwischen Erlös und Abgeltung landschaftsökologischer Leistungen sowie mit der Landwirtschaft zusammenhängendem Nebenerwerb dauerhaft ein angemessenes Einkommen gewährleistet. Das Jubiläum der Bauernaufstände von 1525 sollte genutzt werden, um diesbezüglich einen wirksamen Vorstoß auf politischer Ebene zu lancieren.

Sa., 31.05.2025 - 17:00 Permalink
Bild
Salto User
franz So., 01.06.2025 - 10:58

Antwort auf von Karl Gudauner

Vor der eu war der Auszahlungspreis an Mitglieder 800 Lire,und sie verlangen von genau der Institution die fuer die Verarmung der Bauern verantvortlich ist,eine neue Foerderungsschiene, wo es doch genau mit Beginn des eu-Foerderungsprogramm zu diesem Desaster gekommen ist.Nonsens pur

So., 01.06.2025 - 10:58 Permalink