Kunst | Kolonialismus

Psychokoloniale Entstörungen

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff „psychokoloniale Räume“ hören? Im Raum der Ar/Ge Kunst versucht Samia Henni ein Bild von solchen in Bozen und Südtirol zu greifen. Fachleute im ungewohnten Untertitelformat haben sich und uns einiges zu sagen.
Psychocolonial Spaces - Act 1, Samia Henni
Foto: ArGe Kunst / Tiberio Sorvillo
  • Die Ar/Ge Kunst ist, wenn es um immer wieder mal schwierige, konzeptuelle Ausstellungen zu schweren Themen geht, eine der Adressen in Bozen. Hier ist die Herangehensweise an ein Thema oft ebenso spannend, wie die ihm zu Grunde liegende Thematik und der Sache dabei fast immer zuträglich. Das Format der Schau Psychocolonial Spaces – Act 1 führt in der Kommunikation eines zum Teil sehr akademischen Denkmarathons zwischen vielen Stühlen allerdings zu einigen Schwierigkeiten: Die Expertenrunden, die sich auf Einladung der algerisch-schweizerischen Autorin und Historikerin für je rund drei Stunden zusammenfanden, werden uns zwar durch Videoausschnitte von rund zehn Minuten aus den Gesprächen gezeigt, allerdings ohne Ton.

  • Teilnehmer:innen an den Gesprächen

    Alessio Giordano, Anastasia Routou, Andrea Di Michele, Angelika Burtscher, Annalisa Conti, Astrid Kofler, Beatrice Harb, Camilla Corti, Carmela Nevano, Claudia Gianella, David Calas, David Hofman, Elisa Piras, Elisabetta Rattalino, Filippo Contatore, Frida Carazzato, Gabriele Di Luca, Hannes Obermair, Hans Knapp, Jasmin Khalifi, Katherina Longariva, Martin Hanni, Martina Drechsel, Marzia Bona, Monika Verdorfer, Raffaele Virgadaula, Renato Sette, Roberto Gigliotti, Valentina Cramerotti und Verena Perwanger.

     Am zweiten, seitlich platzierten Bildschirm sieht man dafür ein dreisprachiges Transkript des aktuellen Gesprächsinhalts. Gesprochenes und Sprecher – letztere sind nur an ihrer Körpersprache mal besser, mal schlechter zu erkennen – beide werden nochmal stärker entkoppelt, als wenn man dasselbe Gespräch mit Unter- oder Übertiteln sehen würde. In einem kleinen Land wie Südtirol dürfte man wohl nicht nur meinen Kollegen Martin Hanni in der Liste der Sprecherinnen und Sprecher an den Tischen wiederfinden. Dass ich die von ihm getroffene Aussage erst halb durch den etwa einminütigen Ausschnitt seiner Person zuordnen konnte verdeutlicht vielleicht, dass Psychocolonial Spaces – Act 1 die Aufmerksamkeit des Besuchers teilt.

    Auf diese Weise erklären sich auch die schwarzen Stoffbanner, mit weißen, allzu vergänglichen Kreidezeichnungen verschiedener historischer Grenzziehungen in und um Italien (im weitesten Sinn, wenn es zurück zum „impero romano“ geht) und auch Südtirol wird als Fehlstelle auf einer Karte vor 1919 an der Krempe der Stiefelform sichtbar. Die großen, an den Karten angedeuteten Räume der gestern gefeierten Republik und darüber hinaus, spielen dabei vor allem insofern eine Rolle, als regional relevant. So oder so sind sie beim Displaylesen ein willkommener Lichtschutz. Immer wieder sind dabei allerdings auch akademische Überlegungen zu sehen, bei denen wir vielleicht nicht mal so sehr die Identität von Sprecher oder Sprecherin wissen wollten, sondern deren Ausgangssprache, aus Verständnisgründen.

  • In Séparée: Hinter schwarzen Vorhängen ist die Auseinandersetzung mit Samia Hennis Ausstellung eine Frage der Distanz, wie auch der Aufmerksamkeit. Foto: ArGe Kunst / Tiberio Sorvillo
  • Zum besseren Verständnis der künftigen Ausstellungsbesucher ließe sich mit auf den Weg geben, dass die „lingua franca“ der Gespräche in Psychocolonial Spaces in Bozen das Italienische war und nur einzelne Begriffe in englischer und deutscher Sprache gefallen sind. Das Endresultat sind leider nicht drei gleichwertige Textfassungen, auch weil der deutsche Teil nicht immer fehlerfrei ist und gegen Satzende da und dort mitten im Wort abreißt. (Das Formatierungsproblem der deutschen Sprachausgabe ist mittlerweile behoben, Anm. d. Red.) Wir empfehlen daher den italienischen Text, für bestes Verständnis in der ohnehin etwas widerspenstigen Ausstellung.

  • Weg der Sprache: Wenn mit einem eventuellen Act 2 für die psychokolonialen Räume eine Fortsetzung folgt, ist bei der Übersetzung mehr Einsicht in den Prozess erwünscht. Sprache einfach verschwinden zu lassen, ist kaum möglich. Foto: ArGe Kunst / Tiberio Sorvillo

    Wer sich wirklich mit den Folgen und Spätfolgen psychologischer Prägung in kolonialen und postkolonialen Räumen auseinandersetzen möchte, den werden auch kommunikative Reibungskräfte in diesem ersten Akt und einem dunklen Raum nicht schrecken. Vielleicht ließen sich hier auch nicht notwendige Irritationen mit dem Format vermeiden. Am Tisch bei der Treppe finden sich schließlich noch mehrheitlich unmissverständliche Beispiele in Form einer Bildsammlung von als psychokolonial wahrgenommenen Räumen. Neben den zu erwartenden Schnappschüssen, etwa vom Straßenschild der Amba Alagi Straße, finden sich dabei auch die Cover und Deckblätter allerlei Publikationen zu Themen der Colonial Studies und darüber hinaus, um weiterführender Neugier einen Weg zu weisen.

    Im Video dagegen zeigen jene Reibungsfunken in der Kommunikation, die da und dort von sprachlich wie gesagt nicht markierten, aber doch durch kulturelle und perspektivische Unterschiede bedingten Spannungsunterschieden ausgelöst werden, dass es Redebedarf gibt. Auch bei Menschen ohne Migrationshintergrund, dafür aber mit Bewusstsein für die Thematik sieht man die Dinge, ob Architekt beflissen, historisch versiert oder derzeit im Studium ist, ausgesprochen unterschiedlich. Die Ansichten gehen auseinander, sodass es gut tut, sich zusammenzusetzen und zu reden. Wo zum Teil noch frisches Narbengewebe direkt unter der Oberfläche liegt, ganz gleich ob zwischen Sprach- oder anderenGruppen, kann eine Entstörung, wenn auch im Moment vielleicht unangenehm, dafür sorgen, dass sich das geteilte Gewebe nicht verhärtet.

  • Bis 2. August kann Samia Hennis Ausstelleung Psychocolonial Spaces – Act 1  in der Ar/Ge Kunst in der Bozner Museumsstraße besucht werden.

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gorgias Di., 03.06.2025 - 22:01

>Das Endresultat sind leider nicht drei gleichwertige Textfassungen, auch weil der deutsche Teil nicht immer fehlerfrei ist und gegen Satzende da und dort mitten im Wort abreißt. Wir empfehlen daher den italienischen Text, für bestes Verständnis in der ohnehin etwas widerspenstigen Ausstellung.<

Der korrekte Gebrauch der deutschen Sprache verhält sich in Südtirol oft grundsätzlich etwas widerspenstig, auch bei Muttersprachlern.
Der durchschnittliche Südtiroler begügt sich in seinem Alltag mit einem Substandarddeutsch. Der durschschnittliche Museionbesucher wird sich auch nicht bekalgen, da man Angst vor Applaus von der falschen Seite befürchtet und von der anderen Seite der eigene Kosmopolitismus angezweifelt werden könnte.

Di., 03.06.2025 - 22:01 Permalink
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Evelin Grenier Mi., 04.06.2025 - 10:35

Wie Henni in ihrem Artikel „On Frantz Fanon and the Manichean World“ deutlich macht, der 2024 in Mousse erschien, spielte das Werk des Psychiaters, politischen Philosophen und antikolonialen Aktivisten Frantz Omar Fanon (1925–1961) eine wesentliche Rolle für die Behandlung von psychologisch-psychiatrischen Leiden des Kolonialismus und ihre Theoriebildung.

Unter anderem schreibt Henni im obengenannten Artikel :
"He understood that it was not possible to cure colonial alienation without liberation and independence from colonial domination."

Mi., 04.06.2025 - 10:35 Permalink