Umwelt | Gastbeitrag

Viel Vieh, viel „pecunia“

Pecunia war im alten Rom das Wort für Geld und kommt von pecus, Schaf oder Kleinviehherde. Viel Vieh, viel pecunia, also. Südtirol gibt alljährlich viel Geld für die Almwirtschaft aus. Ein längerfristiges Ziel ist allerdings nicht erkennbar.
Schafe auf der Weide
Foto: Johanna Platzgummer
  • Die Grüne Fraktion stellte zum Thema Schafhaltung 2024 eine Landtagsanfrage (Nr. 428-2024-Südtirols Schafe), die am 27. November beantwortet wurde. Stand Oktober 2024 sind 2.554 aktive schafhaltende Betriebe registriert. Die Frage, wie viele Betriebe hauptberuflich von der Schafzucht leben, blieb unbeantwortet, mit der Begründung, es fehlten die Detaildaten dazu. Das wäre aber gut zu wissen, um die Verhältnismäßigkeit in der Wolfsdebatte und der so zögerlichen Umsetzung von effizientem Herdenschutz zu verstehen. 

    Die Auflistung der Schafzahlen je Betrieb vom Oktober 2024 ist aufschlussreich zur Frage der wirtschaftlichen Bedeutung. Von den 2.554 Betrieben halten 836 Betriebe ein bis fünf Schafe. Die meisten der 36.735 Schafe werden in Betrieben gehalten, die ein bis 20 Schafe halten. Davon wurden 27.987 Schafe letztes Jahr auf die Almweiden gebracht. 2023 waren es 28.392, im Jahr davor 27.648. Der Agrar- und Forstwirtschaftsbericht 2024 hält fest: „Die Anzahl an landesweit gealpten Rindern und Ziegen ist in den vergangenen fünf Jahren geringfügig angestiegen, die Anzahl an gealpten Schafen blieb im selben Zeitraum praktisch unverändert.“ 

  • Zur Person

    Johanna Platzgummer, PhD in Alter Geschichte, arbeitet seit 1998 in Museen, seit 2007 im Naturmuseum Südtirol, Bereich Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit. Schwerpunkt ihrer Arbeit sind die so genannten Große Beutegreifer. Im Rahmen des EU-Projekts LIFEstockProtect, ist sie Kuratorin der Sonderausstellung im Naturmuseum „Gras und Zähne-al pascolo-may safely graze“. 

  • Was kostet ein Schaf?

    Zurück zum Geld: Wie viel kostet ein Schaf im Verkauf? Die meisten Schafe, die in Südtirol verkauft werden, sind Schlachtlämmer (agnelloni), Lämmer mit unter 40 Kilogramm Lebendgewicht, die zwischen September und Oktober vor allem auf den Schlachtviehversteigerungen angeboten werden. Der Durchschnittspreis liegt bei 113 Euro Lebendgewicht. Der Preis ist gegenüber 2023 leicht gestiegen.. Der Schafhalter bekommt aber nicht alles: 9 Prozent machen die Vermarktungsspesen aus, dazu kommen vier Euro pro Lamm Verkaufskommission. Kommentar eines langjährigen Schafhalters: „Damit deckst du nicht die Kosten für Winterhaltung und Kraftfutter für das ideale Mastgewicht, Entwurmung, weitere Maßnahmen für Tiergesundheit, Tierarztkosten, kleine Transport-Anhänger und Weidegeld für die Alm. Die ganze Arbeitszeit und die Maschinen zum Futter einbringen sind gar nicht gerechnet!“ Ein Schafhalter: „Wir alle halten die Schafe im Nebenerwerb. So heißt das vornehm; praktisch verdiene ich nichts. Ich kann froh sein, wenn die Einnahmen die Ausgaben einigermaßen decken. Zu Deutsch: Schafe sind mein Hobby.“ 

    Warum kann zurzeit niemand in Südtirol von Schafhaltung leben? Oder warum sind die Schafe zu billig? Die Metzger sagen, Fleisch von Südtiroler Schafen sei teurer als das aus Neuseeland. Lammfleisch aus Neuseeland ist im Einkauf billiger, weil die gesamte Arbeit ausgelagert ist: Schlachten, Zerteilen, Portionieren erfolgt nicht in Südtirol. Die Kosten für diese Arbeit sind in Südtirol hoch, weil es handwerklich erfolgt, in Neuseeland bei Millionen von Schafen und Lämmern ist es ein industrieller Prozess. 

    Aus der Landtagsanfrage der Grünen Fraktion geht hervor, dass aktuell keine Initiativen zur Stärkung der Schafhaltung vorgesehen sind. Der zuständige Landesrat Luis Walcher beantwortet die Frage „Warum berücksichtigt das von der IDM im Auftrag des Landes entwickelte Nachhaltigkeitslabel nicht heimische Produkte vom Schaf (…)?“,so: „Schafsprodukte wurden noch nicht berücksichtigt, weil zum heutigen Standpunkt die Produktion und damit die Produktverfügbarkeit in Südtirol nicht ausreichend ist, um den Bedarf zu decken.“ 

    Schafhalter, die die Situation im Trentino und Veneto gut kennen, sagen: „Was die Schafpreise in Südtirol auch im Keller hält, ist die Saisonalität. Die Schlachtlämmer haben nur an Weihnachten und Ostern gute Preise. Nach dem Almabtrieb im Herbst werden sehr viele Schafe zum Verkauf angeboten, und die Schafhalter können fast nicht anders als verkaufen, um sich die Kosten für die Winterhaltung zu sparen und im Stall ist ja nicht unendlich Platz. Es ist immer das Gleiche: Wenn viele zur gleichen Zeit anbieten, sinken die Preise“. 

    Die wichtigsten Abnehmer sind die Viehhändler, die den italienischen Großhandel beliefern, 75 Prozent der in Südtirol aufgezogenen Schafe und Ziegen werden zu Wurstwaren und Halal-Fleisch verarbeitet. In der Versteigerungshalle in Bozen ist die Geschäftssprache Italienisch.

  • Schlachtlammversteigerung in Bozen: 75 Prozent der in Südtirol aufgezogenen Schafe und Ziegen werden zu Wurstwaren und Halal-Fleisch verarbeitet. Foto: Johanna Platzgummer
  • Ein Blick über Südtirols Grenzen

    Im Trentino und im Veneto läuft der Markt anders: Es werden das ganze Jahr über Schlachtlämmer unterschiedlicher Altersklassen an Direktkunden verkauft, daher liegen die Preise deutlich höher als in Südtirol. 

    Und die Winterkosten? Im Trentino sind die Herden viel größer, im Veneto sowieso. Die Wanderhirten führen die Schafherden, die tausend Tiere umfassen oder mehr, vom Sömmerungsgebiet -also Almen im Trentino, im Veneto oder in Friaul,auf die Wanderweide. Das Futter kostet daher nichts. Die Herden gehören meistens kleinen Schäferei-Unternehmen, die Hirten sind angestellt oder am Unternehmen beteiligt. Die Lohnkosten für die Hirten sind niedrig. 

    Und wer sind die Kunden? Fast ausschließlich muslimische Gemeinschaften oder Familien, die 8-monatige Lämmer für das Beyram-Fest kaufen oder das ganze Jahr über ihren Fleischbedarf mit überwiegend Schaf- und Ziegenfleisch decken. Sie essen auch Fleisch von erwachsenen Schafen. So sind das Angebot und die Nachfrage über das ganze Jahr verteilt. Warum kaufen die muslimischen Gemeinschaften nicht das billigere Neuseeland-Lamm? In italienischen Schlachthöfen kontrolliert der jeweilige Imam, ob die rituelle Schlachtung eingehalten wird. Und für gläubige Moslems ist wichtig, dass das Tier gut gelebt hat und nicht in der Intensivmast aufgezogen wurde. Sie wissen, dass das seinen Preis hat.

    Ein Schafhalter: „Ja, ich bekomme schöne Kommentare dafür, dass ich Schafe halte. Ganz viele Daumen hoch! Was soll ich damit? Dran lutschen? Ich brauche Fleischbestellungen.“ Die Südtiroler Essgewohnheiten haben sich verändert. Es ist nicht selbstverständlich auf den Schafscheiden, wenn die Schafhalter zusammenkommen ihre Schafe nach dem Almsommer abzuholen und zu feiern, auch Schaffleisch zu finden. Gegrilltes Huhn und Schweineschnitzel hingegen gibt es immer. Die nicht-schafhaltenden Familien essen kaum noch Schaf-oder Lammfleisch.

  • Sauber abgenagt.: Die meisten Schafe sterben allerdings durch Krankheiten, Blitzschläge oder Abstürze und nicht durch Wolfs- oder Bärenrisse. Foto: Johanna Platzgummer
  • Woran stirbt ein Schaf?

    Das andere Problem der Schafhalter und Schafhalterinnen wird wesentlich häufiger diskutiert: die Sicherheit. Wie groß die Differenz zwischen der Anzahl der Schafe im Moment des Almauftriebs und des Almabtriebs ist, zu dieser Frage der Grünen Fraktion gibt es von den Behörden keine Zahlen. Es gibt dazu in einem anderen Dokument Angaben: Verluste an gealptem Kleinvieh (Schafe und Ziegen im Zeitraum 2022 bis-2023) werteten Julia Stauder, Benjamin Kostner und Katharina Erlacher vom Institut für Regionalentwicklung von EURAC Research 2025 aus. Grundlage waren die Almstatistiken des Landestierärztlichen Dienstes.

  • Almstatistik des Landestierärztlichen Dienstes

    Etwa 6 von hundert Tiere sterben auf der Alm. 4 bis 5 Tiere fallen Krankheiten, Blitzschlägen oder Abstürzen zum Opfer. Die restlichen 1 bis 2 Tiere werden von Raubtieren gerissen.

  • Die Verluste innerhalb einer Almsaison machen 6,1 % an der Gesamtzahl der aufgetriebenen Tiere aus. Von diesen 6,1 Prozent sterben 82,8 Prozent an Krankheiten, Blitzschlägen oder Abstürzen. Die Verluste durch große Beutegreifer machen 17,2 Prozent von den genannten 6,1 Prozent an Verlusten auf Almen aus. Sepp Ortler, ehemaliger Almverantwortliche für die Schafe auf der Stilfser Alm: „Bevor die Wölfe und Bären auftauchten, wussten alle, dass im Herbst mit Verlusten von Weidetieren zu rechnen ist.“ („Von Tutn und Blasn koa Ahnung“, Ausstellungskatalog „Gras und Zähne-al pascolo-may safely graze“, LIFEstockProtect, Naturmuseum Südtirol 2025).

    Sind Hirten und Hirtinnen ständig anwesend, reduzieren sich die Ausfälle jeder Art ganz deutlich. Optimiert könnte das werden, wenn nur gesunde, geimpfte, entwurmte Schafe aufgetrieben würden. Es kostet, braucht Zeit, Beobachtung und Wissen. Aber auch die Allgemeinheit, die Steuern zahlt, beteiligt sich an diesen Kosten mehr als häufig angenommen. Die Lohnnebenkosten von Hirtinnen und Hirten trägt zu 75 Prozent die Gesellschaft, nur zu 25 Prozent die Almgenossenschaft oder Privatalm. Die Ausfälle „natürlicher Art“ decken Versicherungen, wenn Schafhalter eine Versicherung abschließen; die Landesbeihilfe für Viehversicherungen fördert 50 Prozent; 2024 machte das bei Schafen 21.000 Euro aus. Auch Herdenschutzmaßnahmen werden subventioniert, in Südtirol derzeit nur Zäune. Der Laufmeter Zaun wird mit acht Euro vergütet. Auf Heimweiden werden die Zäune nur subventioniert, wenn Kleinvieh gehalten wird und zwar üer elf Tiere. Auf Almweiden werden die Kosten für Schutzzäune immer gedeckt, wenn sie mindestens 1,2 Meter hoch sind. Kosten für Hirten und Hüte- oder Herdenschutzhunden werden nicht gedeckt.

    Die Ausfälle „unnatürlicher Art“, verursacht durch die geschützten großen Beutegreifer Bär, Wolf, Luchs und Goldschakal werden durch Rissvergütungen ausgeglichen, die Richtpreise für die schwer verletzten oder toten Weidetiere je Tierart und Alter sind höher als die Preise innerhalb der Fleischvermarktung; 150 Euro für junge Schafe, 250 Euro für die älteren Lämmer, Schafe von 1 bis 1,5 Jahren werden mit 350 Euro, Schafe von 1,5 bis 3 Jahren mit 400 Euro entschädigt, Schafe, die älter sind als drei Jahre mit 300 Euro. Es sei angemerkt, dass ein großer ökonomischer Unterschied zwischen Zuchttieren und Schlachttieren besteht; auf Südtirols Almen weiden in der überwiegenden Mehrheit aber keine sehr kostbaren Zuchtschafe gehalten. 

    Kommentar eines Schafhalters: „Es ist das ganze Wirtschaftsmodell Schaf, das schief hängt.“ Der Landesrat antwortet auf die Landtagsanfrage der Grünen Fraktion, „Wozu in Südtirol Schafe gehalten werden“: „Lammfleisch, Herstellung von Käse, Wollverwertung, Landschaftspflege.“ 

  • Immer auf der Hut: Foto: Johanna Platzgummer
  • Das Schaf und seine Produkte

    In Südtirol werden im Jahr 50 Tonnen Schafwolle kostenpflichtig entsorgt, durch Verbrennen. Der Bedarf an Schafwolle für Bekleidung, Haustextilien oder Dämmmaterial ist sehr gering. Die Herstellung von Schafkäse in Südtirol ist sehr begrenzt; vielleicht entsteht daraus in Zukunft ein kleiner Markt. Bleibt noch die Landschaftspflege: Vergleiche mit historischen Fotos, Flugaufnahmen und Kartierungen mit den heutigen Weideflächen legen nahe, dass die nutzbaren Weiden immer kleiner werden, weil Rhododendron, Wacholder und Bäume immer mehr Platz einnehmen. Diese Entwicklung begann in den 1950er Jahren mit der Grünen Revolution, der Industrialisierung und allmählichen Globalisierung der Landwirtschaft und dem wirtschaftlichen und sozialen Wandel insgesamt. 

    Weiden sind im Durchschnitt stark unternutzt und Tiere, die nicht von Hirten und Hirtinnen gezielt geweidet werden, fressen die Gräser, Kräuter und Baumschösslinge auch nicht gleichmäßig ab. Schafe sind Feinschmecker, sie laufen dem zarten Gras auf den Gipfeln entgegen, das reife oder dürre Gras verschmähen sie. Daher hat das freie Weiden auch für die Landschaftspflege wenig Nutzen, wie Hirten und Hirtinnen oder Vegetationsökologen sagen.

    Es gibt noch einige Gründe Schafe zu halten, sie haben allerdings wenig mit Schafprodukten zu tun. Zur Bewahrung der Agrobiodiversität werden Prämien bezahlt, immer auf eine Großvieheinheit gerechnet - das sind sieben Schafe. Die Betriebsprämie für die Almflächen ohne Auflagen machen rund 130 Euro je Hektar aus; dazu kommt die Prämie für ökologischen Landbau, wenn die Almfläche Bio-zertifiziert ist, etwa 50 Euro je Hektar. Schafhalter können zusätzlich um die Tierwohlprämie ansuchen, wenn sie die Schafe mindestens 60 Tage auf den Almflächen weiden lassen. Das Ansuchen kann nur für Schafe gestellt werden, die älter als ein Jahr sind. Je sieben Schafe macht diese Tierwohlprämie 240 Euro aus. Für gefährdete Schafrassen gibt es eine eigene Förderung. 

    Der eigentliche Mehrwert der Schafhaltung liegt wohl nicht in den Direktzahlungen, von den großen Almflächen abgesehen, für deren Betreiber die Prämien durchaus interessant sind. 

    Wie eine deutsche Studie zur Wirtschaftlichkeit der Schafhaltung in Deutschland aus dem Jahr 2020 zeigt, sind auch die professionellen Schäfereien nur zu halten, weil etwa die Hälfte der Einkünfte aus öffentlichen Geldern stammen und die Lohnkosten sehr niedrig sind. Immerhin, es gibt Förderungen unterschiedlicher Art. Zusätzlich noch die Projekte im Bereich Almwirtschaft: Südtirols Verwaltung gab im Jahr 2024 dafür 2.000.000 Euro aus. Kommentar eines Halters von Schafen, Ziegen und Kälbern: „Viel Geld, aber ein Plan und ein längerfristiges Ziel in der Weidewirtschaft kann ich nicht erkennen!“

  • Anmerkung der Autorin

    Alle Namen von Schafhaltern- und halterinnen, Hirten und Hirtinnen sind der Redaktion bekannt und ihre Aussagen überprüfbar. Da Personen, die sich für eine artgerechte Schafhaltung einsetzen und Herdenschutzmaßnehmen auf Heim- oder Almweiden durchführen, in den Sozialen Medien sehr angegriffen werden, geben wir keine Namen an, außer bei publizierten Texten.