„Systemisches Totalversagen“
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Es sind zehn Monate vergangen, nachdem seine Kanzlei aus München das unabhängige Missbrauchsgutachten der Diözese Bozen-Brixen vorgestellt hat. Rechtsanwalt Ulrich Wastl findet deshalb klare Worte zur Versetzung eines beschuldigten Priesters in den Reihen der Südtiroler Kirche und spricht von einem „systemischen Totalversagen“.
Die einberufene Tagung der Diözese heute Vormittag im Bozner Pastoralzentrum ist auf großes Interesse gestoßen. Anlass ist der äußerst fehlerhafte Umgang der Kirche mit Priester Don Giorgio Carli: Anfang September hatte Bischof Ivo Muser nach einem öffentlichen Aufschrei seine Versetzung zurückgezogen und sich entschuldigt. Don Carli war wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vor Gericht gestanden. Das Verfahren war als verjährt archiviert worden, seine Taten hat die Anwaltskanzlei im Gutachten ebenso dokumentiert.
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Scharfe Kritik aus München
„Bei der Entscheidung zu Don Carli waren keine einzigen Betroffenen angehört worden“, erklärt Wastl, der die externe Untersuchung zur Versetzung des Täters leitete und für die Tagung der Diözese nach Bozen gereist ist. Im Schreiben seiner Kanzlei wird dies als „Kardinalfehler“ bezeichnet.
„Wir haben eine Reihe von Fehlern festgestellt, wenn auch keine Absichten zur Vertuschung. Don Carli hätte nach der rechtskräftigen Feststellung der Tat sofort abberufen werden müssen. Stattdessen fand eine Verantwortungsdiffusion statt, die ich in meiner langjährigen Arbeit im kirchlichen Bereich häufig feststellen musste“, so Wastl in Bozen. „Das hatte zur Folge, dass am Ende alle Schaden davon nahmen, die Betroffenen, die beauftragte Task Force, die Kirche und auch der Täter. Aber systemisches Versagen kann zur Chance werden, wenn Verantwortung und Transparenz neu geordnet werden.“
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Außerordentliche Tagung
Gottfried Ugolini, Leiter des diözesanen Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen, eröffnete die Tagung und betonte, dass Aufarbeitung nur mit einer Haltung der Ehrlichkeit und Lernbereitschaft gelingen könne: „Wir brauchen alle zusammen, einschließlich der Betroffenen, einen strukturellen Kulturwandel, der in eine persönlich verantwortete Haltungsänderung mündet: hin zu einer menschlicheren, christlicheren, sozial gerechteren und solidarischeren kirchlichen und gesellschaftlichen Weggemeinschaft.“
In seinem Schlusswort nahm Bischof Ivo Muser die Ergebnisse der Analyse auf und bekannte, dass die Diözese strukturelle Fehler gemacht habe. „Wir bekennen unsere Schuld in der Wir-Form. Es war keine böse Absicht, aber es war ein Versagen. Wir wollen daraus lernen und wir übernehmen Verantwortung.“
Unabhängige Interventionsstelle angekündigtMuser kündigte drei konkrete Konsequenzen an: dauerhafte Einbindung der Betroffenen in Entscheidungsprozesse, eine organisatorische Neuordnung des Bereichs Aufarbeitung und Prävention unter klar definierten Zuständigkeiten und lückenlose Dokumentation aller relevanten Entscheidungen und Abläufe. Zudem solle so schnell wie möglich eine unabhängige Interventionsstelle als Kontroll- und Vertrauensinstanz eingerichtet werden.
Bischof Muser stellte die aktuellen Reformprozesse der Diözese auch in einen größeren Zusammenhang. Die Auseinandersetzung mit Missbrauch lege dieselben Schwachstellen offen, die auch in der Diskussion über Synodalität sichtbar werden: „Wenn wir glaubwürdig sein wollen, müssen wir jene Verhaltensweisen verändern, die Machtmissbrauch begünstigen und Beteiligung verhindern. Synodalität und Prävention gehören zusammen.“
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Die Diözese hat das Gutachten in Auftrag gegeben, um sich selber einen Persilschein auszustellen. Sie hat aber nicht die geringste Absicht, sich an das Gutachten zu halten.