Frage mich, wieso ich friere
Susanne Wachter ist entmutigt. "Was hilft in Südtirol wirklich?" Ihre Geschichte erzählt Frau Wachter so: "Mein Partner und ich haben Zivilcourage gezeigt. Wir wurden seit Monaten bis vorgestern (8. Oktober) vor unserem Büro im Herzen von Meran am Ausgang einer Tiefgarage von ausländischen Obdachlosen (Deutschland, Kroatien, Bulgarien, Rumänien - der Polizei ist ihre Identität bekannt) ganztägig belagert, die betrunken johlten, Kunden anpöbelten, nachts in jedes Eck urinierten und schissen und ihre Flaschen, Dosen, Kartons, Papiere, usw. liegen ließen. " Nachdem die Leute, ihren Platz nicht verließen, kam die Polizei, "hat ihre Dokumente geprüft und sie verschickt, aber einer von ihnen kam in unser Büro, spuckte meinen Partner an und drohte mit Rache. Diese ist dann auch prompt gekommen: gestern früh war unsere Eingangstür mit Kot verschmiert, unsere Pflanzen wurden abgebrochen. Wir wissen wer es war, die Polizei auch, aber gegen Obdachlose gibt es keine Maßnahmen... Und besonders nicht wenn sie EU-Bürger sind."
Verärgerte BürgerInnen, hilflose Ordnungskräfte. Was tun? Sozialarbeiter Roberto Defant vom Verein Volontarius kennt die Problematik zu gut. Zunächst möcht er eine Tatsache vor Augen führen: "Menschen, die auf der Straße leben, tun das in 99 Prozent der Fälle nicht freiwillig. Jeder Mensch auf der Straße ist einer zu viel." Von Zahlen zu sprechen, das mag Defant nicht, wir führen eine an: 400 bis 500 Obdachlose wurden 2011 in der Provinz Bozen gezählt, die Dunkelziffer dürfte wie immer um einiges höher sein. Klar wird auch: Den typischen Obdachlosen, mit langem Bart, Plastiksäcken und kaputten Schuhen gibt es nicht mehr. Defant sagt: "Man sieht den Menschen oft auch gar nicht an, dass sie in einer dramtischen Situation sind." Die Vorurteile Obdachlosen gegenüber sind ihm bekannt, "der Clochard, der sich ein schönes Leben gibt, das ist ein vielverbreitetes Bild. Die Realität ist es nicht."
Das Forschungsprojekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit misst die Abwertung von Personengruppen in Deutschland, so auch von Obdachlosen. Zur Frage hinsichtlich der Obdachlosenabwertung sagten 2007 38,8 %, dass ihnen Obdachlose in Städten unangenehm seien (2005: 38,9 %). Der Aussage, Obdachlose seien arbeitsscheu, stimmten 32,9 % zu (2005: 22,8 %). Der Forderung, bettelnde Obdachlose sollten aus den Fußgängerzonen entfernt werden, schlossen sich 34 % der Befragten an (2005: 35 %).
Susanne Wachter ist entrüstet darüber, dass sie keine Hilfe bekommt. Sie ist überzeugt: "Es gibt Menschen, die freiwillig als Obdachlose leben und sich gewollt in Meran ansiedeln. Vielleicht weil ihnen das Klima zusagt, aber wahrscheinlich hauptsächlich deswegen, weil es ihnen bei uns finanziell gut geht (Caritas verköstigt sie, gutgläubige Bürger stecken ihnen immer ein paar Cent zu, ecc..) und sie eben keinerlei Sanktionen erfahren."
Müssen die Obdachlosen also weg, weil sie nutzlos sind, gewalttätig, alkoholisiert? Wohin sollen sie? Was wollen wir? Am Samstag, 11. Oktober macht Volontarius in Bozen, mit einer Aktion aufmerksam. Nimmt den Menschen in den Fokus.
"Menschen, die auf der Straße leben, tun das in 99 Prozent der Fälle nicht freiwillig. Jeder Mensch auf der Straße ist einer zu viel."
"Wir sammeln Schlafsäcke, Decken, Betten, damit die Menschen, die in der kalten Jahreszeit keine Unterkunft in den Schlafstellen finden, zumindest eine warme Decke haben", erklärt Defant. "Wir treffen uns am Rathausplatz, vier Oberschulklassen machen bei dem Projekt mit, es geht um einen Austausch, um ein Miteinbinden. Wir essen dann auch gemeinsam mit den Obdachlosen."
Kreativität beweisen, anstatt Ausgrenzung betreiben, das möchte auch eine Non-Profit Organisation in Kanada. Wettergeschützte Bänke wurden für zwei Monate aufgestellt, das internationale Aufsehen war groß. Die Benutzung gering.
Sieben solche modifizierte Sitzbänke wurden im kanadischen Vancouver und Burnaby installiert. Das Projekt ist ein lieb gemeinter PR-Gag. Die Non-Profit-Organisation «Raincity Housing» steht dahinter, die suchtkranken und psychisch angeschlagenen Menschen ein Dach über dem Kopf bietet.
In London ging man in die andere Richtung. Von Januar bis März 2014 hatten schätzungsweise mehr als 2.000 Menschen auf der Straße übernachtet, acht Prozent mehr als im Jahr zuvor. Überforderung für die Stadt, Kurzschlussreaktionen der Menschen: Kurze, spitze Nägel, ähnlich den Metallstacheln zur Abwehr von Tauben wurden vor Gebäuden angebracht, die Obdachlose als Schlafstätte nutzen.
In Hamburg wird subitler vorgegangen. Musik spielt am Bahnhof, sie soll Obdachlose vertreiben, an Mülleimer werden Klappen angebracht, die verhindern, dass Pfandflaschen herausgenommen werden können. In Berlin wurden Metallplatten über Fensterbänken an privaten Häusern errichtet - Sitzen verboten. In einigen U-Bahnhöfen, die im Winter zum Aufwärmen geöffnet bleiben, wurden die Sitze so zweigeteilt, dass sich niemand hinlegen könne, berichten Hilfsorganisationen.
In Dresden haben im vergangenen Jahr zwei Sandsteinriegel Schlagzeilen gemacht. Das Sächsische Immobilien- und Baumanagement (SIB) brachte sie an dem denkmalgeschützten Blockhaus neben der Augustusbrücke im Eingangsbereich für rund 900 Euro an - an einer Stelle, an der zuvor ein Obdachloser geschlafen hatte. Die Klötze machten das Ausrollen etwa einer Isomatte an dem witterungsgeschützten Ort unmöglich. Eine SIB-Sprecherin begründete die Maßnahmen mit der notwendigen "Verkehrssicherung" für Fußgänger.
Zum Fall Susanne Wachter hat Defant eine klare Botschaft: "Wenn es zu Auseinandersetzung zwischen Obdachlosen und BürgerInnen kommt, dann sollte zuerst die Polizei aktiviert werden. Dann aber ist Prävention und Aufklärung wesentlich. Wir sind 24 Stunden erreichbar." Streetwork um zu sensibilisieren, um das Gespräch zu ermöglichen, auch um den Ärger darüber, was passiert ist, Raum zu geben. "Ich weiß, dass viele Leute Angst vor Obdachlosen haben, aber je aktiver die BürgerInnen sich einbringen, das Phänomen erkennen, es uns melden, und wir eingreifen können, umso mehr erreichen wir." Der Sozialarbeiter plädiert für mehr Aufklärung - der Vorfall in Meran, der Susanne Wachter schlaflose Nächte bereitet, darf nicht verharmlost werden: "Wir müssen den Menschen begreifbar machen, dass es viele einfach nicht mehr schaffen in unserer Gesellschaft. Dass sie alleine verloren sind." Robert Defant richtet ein Appell an alle: "Wir sind da, wir wollen helfen. Bitte meldet Euch."
24 Stunden Sozialer Notdienst - Verein Volontarius: 0471 402 338
Vielen Dank für den Artikel
Vielen Dank für den Artikel und an Herrn Defant für den gut gemeinten Rat.
Wenn das nächste Mal ein Sandler in mein Büro kommt, meinen Partner anspuckt und provokant " dai, dai, picchiami, picchiami" auffordert, werde ich nach der Polizei gleich Sie anrufen. Und am nächsten Morgen, wenn der Dreck von der Auslage zu wischen ist, wen darf ich da rufen?
Und wenn die Geschäftsleute in der Meraner Altstadt am Morgen vollgekotzte und -gepisste Schaufenster putzen müssen, wen rufen wir da?
Und wenn ein Staatspolizist von einem Obdachlosen gestoßen wird, darf er da auch Sie rufen?
Weil eines ist sicher: wehren dürfen wir uns nicht. Wir haben was zu verlieren und Sanktionen zu riskieren. Die Obdachlosen nicht.
Ihren Einsatz in Ehren, aber ich glaube, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Viele Meraner haben Angst, sind ratlos und vor allem MACHTlos.
Antwort auf Vielen Dank für den Artikel von Susanne Wachter
es gibt gut funktionierende
es gibt gut funktionierende projekte in denen sich sozialarbeiter_innen um die probleme von obdachlsoen menschen, bettlern und punks UND den geschäftleuten kümmern und für ein einigermassen gutes auskommen sorgen. dazu braucht es aber einen auftrag und geld statt wegschauen und ignorieren bzw. ein paar überzuversorgen statt bedarfsgerecht zu unterstützen und wieder zu einem würdigen leben zu verhelfen. (weitere infos in meinem kommentar: http://www.salto.bz/comment/16965#comment-16965)
Antwort auf es gibt gut funktionierende von Michael Bockhorni
Ich sitze im Büro und sehe
Ich sitze im Büro und sehe durch das Fenster den Typen, der letzte Woche meinen Mitarbeiter angespuckt hat, uns gedroht hat und uns Schaden angerichtet hat. Er bettelt unberührt an den Kassenautomaten Leute um Kleingeld an.
Polizei hab ich gerufen - sie haben gerade keinen Einsatzwagen bereit.
volontarius habe ich angerufen - sie sagen mir, dass diese Gruppe von Menschen hier in Meran bekannt sei. Es handelt sich um Leute aus dem Osten, die keine Obdachlosen im herkömmlichen Sinne sind und die sich in Meran gewollt angesiedelt haben.
Sie haben zuhause Immobilien und haben das Betteln als Beruf gewählt!!!
WAS SOLL ICH TUN???
Südtirol ist ein Reiseland,
Südtirol ist ein Reiseland, ein Urlaubsland: anscheinenden zieht dies auch Landstreicher und Clochards an. Was ich weiß, kommen immer ab August viele. In Fehleinschätzung ihrer Situation, träumen sie auch vom Vielen-Geld-Verdienen bei der Apfelernte, werden meistens aber nicht genommen. Dann bleiben sie hier hängen mit all den negativen Begleiterscheinungen. Ich glaube es ist richtig auch denen, wie den Zuwanderern, die Grenzen aufzuzeigen, evtl auch mit der Polizei.
Das Phänomen der Bettler und Landstreicher ist keine Neues. Wahrscheinlich gibt es dies schon seitdem es Reiche und Arme gibt. Es gab im Mittelalter sogar streunende Bettelmönche.
In Zeiten meiner Kindheit (Fünfzigerjahre) kamen öfters Bettler und Landstreicher auf den Hof mit der Bitte um eine Mahlzeit und eine Übernachtung. Das Nachtlager gab es dann in der Scheune und im Winter im Stall. Wir wissen, dass in jenen Ländern, wo es ein schlechtes Sozialsystem gibt und entsprechend viele Arme, aber viele Wohlhabende das Problem der Obdachlosen und der Clochards am größten ist, z. B. in New York. - Und im wohlhabenden Südtirol in den größeren Städten. - Wenn ich angebettelt werde, spende ich auch eine Kleinigkeit (einmal am Tag). Für den Rest beruhigt mich, dass sich Idealisten und Organisationen um sie sorgen.