Gesellschaft | Hoffnungsträger

Ein großer Mann

Viel zu selten erreichen uns gute Nachrichten aus Afrika. Die Geschichte des kongolesischen Gynäkologen Dr. Mukwege ist eine davon. Sie verdient, gehört zu werden.
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Meist erfahren wir sehr viel über die Not und das menschen- und naturgemachte  Elend, die Afrika im Griff haben und beherrschen, aber kaum je etwas über deren Hintergründe. Schöne, gute Geschichten vom "schwarzen Kontinent" sind rar gesät, und wo sie erzählt werden, werden sie kaum wahrgenommen.

Auch die Nachricht, dass Dr. Mukwege aus der Demokratischen Republik Kongo mit dem „Sacharow-Preis für geistige Freiheit“ ausgezeichnet wird, wurde quasi „en passant“ durch die großen Medien gereicht, ist aber kaum irgendwo über die randsächliche Notiz hinaus gekommen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht interessieren uns Nachrichten aus Afrika nicht besonders, oder vielleicht auch nur jene nicht, die dem hungernden, sterbenden und tötenden Kontinent starke und positive Bilder entgegen zu setzen haben. Im Falle des Dr. Denis Mukwege könnten für diese nachlässige Beachtung aber noch zwei andere Gründe bestehen: Zum Einen heilt er und engagiert sich hauptsächlich für Frauen, das Geschlecht mit geringer weltpolitischer Relevanz. Frauen werden in Dr. Mukweges Heimat seit mehr als zwanzig Jahren zu Abertausenden Opfer von (Massen-)Vergewaltigungen und  von unbeschreiblicher, sexualisierter Kriegsgewalt.

Zum Anderen spricht vieles dafür, dass westliche Wirtschaftsmächte sich um die Kontrolle dieses an Bodenschätzen überaus reichen Landes „bemühen“ und also wenig Interesse haben dürften, an zuviel weltweiter Aufmerksamkeit und Anteilnahme: Im Norden des Kongo wurden jüngst Erdgas- und Erdölvorkommen gemeldet, im Osten lagern Gold und Diamanten, Zinn und Wolfram - vor allem aber die weltweit größten Coltan-Vorkommen. Ohne dieses Mineral kommen weder Smartphones noch die Weltraumtechnologie aus. Zwar ist der Kongo-Krieg offiziell beendet, bewaffnete Konflikte flackern aber vor allem in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu an der Grenze zu Ruanda und Burundi immer wieder auf. Sie gehen hauptsächlich von Terrorbanden aus Ruanda und Burundi aus: die besetzen – die Vereinten Nationen haben es wiederholt angeklagt – das Territorium, um es im Auftrag mächtiger westlicher „Interessensträger“ auszubeuten und zu zerstören.

Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras, weiß ein kongolesisches Sprichwort.

In diesem Kontext also und an einem der am schwersten traumatisierten Orte der Welt arbeitet und wirkt der in Frankreich ausgebildete Gynäkologe Denis Mukwege, der Arzt, „der Frauen repariert“. Er sagt, es gäbe die Worte nicht, um all das Grauen zu beschreiben, dem er in der von ihm aufgebauten und geführten Panzi-Klinik in Bukavu tagtäglich begegnet, bis zu 3.500 Mal im Jahr, und dessen Opfer er bis zu 18 Stunden am Tag operiert, um sie körperlich und psychisch so gut wie möglich wieder herzustellen.  Er näht Frauen und Mädchen wieder zusammen, denen Gewehrläufe, Bajonette und zerbrochene Glasflaschen den Unterleib und somit den Reproduktionsapparat oft unwiederbringlich zerstört haben. Zerstört ist aber nicht nur der Körper, sondern auch die Psyche, die Würde und jegliche Zukunft seiner Trägerinnen: Diese auf unbeschreibliche Weise geschändeten Frauen werden großteils und trotz der weltweit einzigartigen, fachspezifischen Fertigkeiten des Dr. Mukwege nie wieder gebären können. Sie sind somit für ihre Gesellschaft „nutzlos“, werden ausgestoßen, und – auch weil sie oft mit AIDS und anderen Krankheiten infiziert wurden – zur Gefahr für ihre Familie und ihre ganze Gesellschaft. Mukwege erzählt oft von seiner ersten Patientin: man hatte ihr eine Waffe in den Unterleib eingeführt, und abgedrückt. Ihr Becken war völlig zerstört.

"Ich dachte, das sei das Werk eines Irren gewesen", sagt der Arzt, "aber im selben Jahr musste ich noch weitere 45 solcher Fälle operieren.“

Zerstöre die Frau – die Grundlage jeder Kultur – und du zerstörst ihr Dorf, und letztlich das ganze Volk. So lautet das zynische Kalkül politischer und militärischer Machthaber – nicht nur im Kongo, sondern überall auf der Welt, wo Krieg herrscht: In Bosnien, Syrien, Liberia, Kolumbien – überall sind Vergewaltigungen, Massenvergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt vor allem an Frauen keineswegs die irren Taten mehr oder weniger verrückter Soldaten und entarteter Krieger, sondern eine höchst effektive Kriegsstrategie.

Und so besteht die Größe des Dr. Denis Mukwege nicht allein darin, dass er mitten im Kampfgebiet seines von Kriegswirren und internationalen Wirtschaftsinteressen gebeutelten und traumatisierten Landes ein gut funktionierendes, international anerkanntes Krankenhaus aufgebaut hat und betreibt und unter Einsatz seines Lebens einer schutzlosen, nur gering geachteten Bevölkerungsschicht zu helfen versucht, sondern auch darin, dass er die Verantwortlichen anklagt, unermüdlich, und der zusätzlichen Gefahr, in die er sich damit begibt, trotzt. Als Folge dieses politisierten Engagements wurde er in 2012, nach einer flammenden Rede vor den Vereinten Nationen, Opfer eines Mordanschlags, bei dem einer seiner Wächter ums Leben kam. Das eigentliche Ziel des Attentats, Denis Mukwege, kehrte schon nach wenigen Monaten in seine Heimat zurück, um ihren Frauen wieder auf die Beine zu helfen, im sprichwörtlichen und im übertragenen Sinne.

Trotz des Attentats hat er nie aufgehört, die Regierung seines eigenen und anderer Länder unbeirrt und furchtlos anzuklagen, dafür, dass sie untätig bleiben angesichts dieser Massaker, und sie dulden. Er verstünde nicht, sagt er, er verstünde nicht die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber dem Schicksal dieser Frauen  - mehr als 500.000 Opfer in weniger als 20 Jahren. Wie ist es möglich, fragt er, dass die Internationale Gemeinschaft und die Welt untätig bleiben, angesichts dieser unbeschreiblichen Gräuel? Und liefert die Antwort gleich mit: „Es ist ihnen gleich“, sagt er, „für sie ist es normal, dass eine Frau leidet, fast so, als gehörten Leid und Schmerz zur Natur der Frau, als sei die Vergewaltigung Tausender Frauen weniger schlimm als der Tod eines einzigen Mannes“. „Diese Gewalt“, sagte er in einem Interview, „ist nicht ein Frauenproblem. Sie ist ein Problem der Menschheit, und Männer müssen dafür Verantwortung übernehmen“.

Denis Mukwege wurde vielfach ausgezeichnet: In 2008 erhielt er den “Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen”, in 2013 den „Right Livelihood Award“ (auch "alternativer Nobelpreis" genannt), kürzlich den „Sacharow-Preis“ des Europäischen Parlaments und nicht zuletzt den renommierten „Premio Primo Levi“ der gleichnamigen Stiftung mit Sitz in Genua. Mukwege ist Anwärter für den Friedensnobelpreis.

Die Stimme des hünenhaften Kongolesen wird inzwischen gehört in der Welt, sein grenzenlos scheinendes Mitleid und Mitgefühl bewegen und rütteln auf – und doch tut sich wenig, immer noch, viel zu wenig. Deshalb wollte ich heute diese Geschichte erzählen, die Geschichte eines großen Mannes aus Afrika.

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gorgias So., 02.11.2014 - 15:48

Es gehört viel mehr Aufmerksamkeit auf das Problem der Infibulation und andere Grausamkeiten die Frauen in Afrika erleiden müssen. Es ist aber nicht hilfreich den Fokus darauf zu halten, wenn man dann von den "Leiden der Frauen dieser Welt" spricht.

Übrigens könnten Sie die Quelle nennen aus der Sie zitieren. Ich würde gerne das ganze Interview lesen.

So., 02.11.2014 - 15:48 Permalink
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Sylvia Rier So., 02.11.2014 - 16:24

Antwort auf von gorgias

Ich zitiere aus mehreren Quellen - sie müssten nur ein bisschen googlen. ich nehme aber an, dass sie das hier "interessiert" und also verlinke ich - weil sie's sind - dorthin: “It’s not a women question; it’s a humanity question, and men have to take responsibility to end it,” Dr. Mukwege said in an interview last year. “It’s not an Africa problem. In Bosnia, Syria, Liberia, Colombia, you have the same thing.” (http://www.nytimes.com/2014/10/23/world/europe/denis-mukwege-congolese-…)

So., 02.11.2014 - 16:24 Permalink
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Frank Blumtritt So., 02.11.2014 - 22:18

Wichtig finde ich hierbei die Feststellung "zerstöre die Frauen und du zerstörst ein ganzes Volk". Dieses Vorgehen aber ist nicht typisch für Afrika, sondern für Krieg allgemein und leider kommt es immer öfter vor, seitdem Kriege immer weniger zwischen den Profisoldaten der Nationalstaaten und immer mehr von Milizen geführt werden, ohne den Schutz der Zivilbevölkerung durch Konventionen und militärisch ethische Werte.
Bezüglich Afrika muss man auch vorsichtig sein mit Verallgemeinerungen, da es riesig groß und extrem vielschichtig ist. Ich bin früher oft auf dem Landweg von Deutschland durch die Sahara und bis zum Äquator gefahren. Dabei fiel besonders auf, wie sich das Zusammenleben zwischen den Geschlechtern und somit das "Lebensgefühl auf der Straße" änderte, wenn man vom arabischen Maghreb Nordafrikas zum Südrand der Wüste nach Schwarzafrika kam. Für den europäischen Reisenden eine wahre Erleichterung, endlich wieder unverschleierte Frauen gleichberechtigt in der Öffentlichkeit zu sehen, lachend und tanzend, sehr selbstbewusst am sozialen Leben teilnehmend. In Algerien musste man schon von Freunden nach Hause eingeladen werden, um von deren Frauen einen "ungefähren" Eindruck zu bekommen. Ich sage das nur, um die traditionell positive Rolle der Frauen in vielen Ländern Afrikas zu betonen. Das ist meine persönliche Erfahrung aus Benin, Niger, Nigeria, Kamerun, Gabun, Kamerun aus den Achziger Jahren (!).
Gewalt gegen Frauen gehört nicht in die Kulturen dieser Länder. Vielmehr hat die rasante Verschlechterung der ökonomischen Situation Afrikas und die resultierenden Konflikte in den letzten Jahrzehnten die im Artikel beschriebenen Phänomene mit sich gebracht - wohl genau wie in Bosnien (unsere Nachbarn!), Syrien und manchen Teilen Südamerikas.
Es geht nicht um das "Leiden der Frauen dieser Welt" (Zitat @Gorgias), sondern um die Tatsache, dass die wahren Opfer der Kriege, heute mehr denn je, tatsächlich Frauen (und ihre Kinder) sind. Den so in vielen Orten der Welt entstehenden sozialen Schaden halte ich für die Zukunft der Menschheit für viel gefährlicher als alle anderen "Kolateralschäden" des Krieges.

So., 02.11.2014 - 22:18 Permalink