Gesellschaft | Zusammenleben

Das kleine Allerseelen-Wunder

Eva Klotz und die Alpini gemeinsam bei den Erinnerungsfeierlichkeiten für die Kriegsgefallenen? Luigi Spagnolli und ein kleines Allerseelen-Wunder.


Für ungeschulte Augen war es einer jener Zeremonien, die Jahr für Jahr mit viel Pathos, aber wenig öffentlichem Interesse heruntergespult werden: die Kranzniederlegung für die Gefallen der Weltkriege auf dem Militärfriedhof in St. Jakob am Allerheiligen-Wochenende. Wer diesmal genauer hinschaute, wurde dagegen Zeuge eines kleinen Wunders, wie es Bozens Bürgermeister Luigi Spagnolli in einem enthusiastischem Kommentar im Alto Adige bezeichnet: „Dopo 100 anni ci siamo riconciliati“, so seine Zusammenfassung eines sonntäglichen Pflichttermins, der sich in diesem Jahr darüber hinaus entwickelt.

Immerhin fand sich Bozens Bürgermeister erstmals nicht mit nur mit den üblichen VertreterInnen von Staat, Land und Gemeinde sowie italienischen Veteranenvereinen auf der Tribüne wieder. Mit dabei diesmal auch Eva Klotz von der Südtiroler Freiheit, Schützenvertreter mit Ehrenleutnant und Vize-Bürgermeister Klaus Ladinser in Uniform oder die deutschsprachigen Kriegsveteranen. Was traditionell in zwei strikt getrennten Zeremonien begangen wurde, gelang dank Jubiläumsjahr zum Ersten Weltkrieg erstmals in einer gemeinsamen Feierlichkeit. „La tromba che suona il Silenzio, ma anche il Gute Kamerad. Santa Messa mischmasch tedesco/italiano con passagi in latino“,  beschreibt Luigi Spagnolli die Atmosphäre. Und: Selbst die rechte Partei  Fratelli d’Italia sowie Vertreter von Casa Pound hätten letzendlich beschlossen, ihre Kränze am gestrigen Sonntag niederzulegen – statt wie ursprünglich geplant am 4. November vor dem Siegesdenkmal.

Nach der versöhnlichen Eröffnung des dortigen Dokumentationszentrums schmilzt das ethnische Eis also weiter. Den Bozner Bürgermeister schien das am Sonntag so zu beflügeln, dass er sich entgegen seiner sonstigen Gewohnheit mit zwei seiner institutionellen Insignien schmückte: der italienische Fahne und seinem sonst in deutschsprachigem Umfeld bevorzugten Bürgermeister-Medaillon. Spagnollis optimistische Prognose: Künftig werden man die Zeremonie immer gemeinsam abhalten – „und in ein paar Jahren wird sich keiner mehr daran erinnern, dass es einst mehrere Feiern brauchte, um  sich der Gefallenen zu erinnern.“

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Willy Pöder Mo., 03.11.2014 - 14:19

Vielleicht kann sich das amtlich dreisprachige Südtirol, oft allerdings nur einer Sprache (trotz Zulage) halbwegs mächtig, nun doch noch auf einer längst fälligen territorialen Identität treffen. Die 'Autonome Provinz Bozen' könnte daran wachsen und daraus sehr wohl profitieren. Man kann die Erkenntnis des Bozner Bürgermeisters, wonach die gemeinsame Gedenkfeier an die Gefallenen zu Allerseelen hierzu ein erster, wagemutiger und versöhnlicher Schritt war, problemlos teilen. Der im Titelfoto zum Bericht von 'su' abgebildete Handschlag zwischen dem Bozner Vizebürgermeister in Schützenuniform und dem Alpini-Divisionsgeneral darf als zukunftsweisend im Sinne der Perfektionierung eines kulturübergreifenden Gesellschaftsvertrages interpretiert werden.

Mo., 03.11.2014 - 14:19 Permalink