Gesellschaft | Tradition

Martins vergessene Botschaft

Welchen Stellenwert hat die Legende vom Hl. Martin in unserer Zeit? Was können wir von Martin lernen?
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Das Martinsfest wird immer wieder zum Aufhänger für hitzige Diskussionen. Einige fürchten um unser Brauchtum und warnen vor falsch verstandener Toleranz. Andere weisen darauf hin, dass wir in letzter Zeit so manche Ereignisse als Tradition und Brauchtum verkaufen, obwohl sie noch gar nicht so alt sind. Ich kann diesen Launen nicht viel abgewinnen, denn für mich ist das Martinsfest eines der sinnvollsten Feste, die wir heute noch haben.

Der Martinstag ist in seiner Botschaft so klar und zeitgemäß, wie kein anderer Festtag. Weihnachten ist zum Konsumfest verkommen und reiht sich somit in die Phalanx der recht netten, aber letztlich inhaltsleeren Rituale ein, die mehr aus Gewohnheit als aus Überzeugung gefeiert werden.

Wieso halte ich das Martinsfest für sinnvoll? Martin teilte seinen fein verarbeiteten Mantel mit dem Schwert und überließ die Hälfte seines Mantels einem notleidenden Fremden. Seine Tat ist ein Beispiel für wahre Solidarität. Ist es diese Botschaft wert, weitergegeben (lateinisch: tradere = weitergeben => traditio – Weitergabe) zu werden? Natürlich! Doch leider verwenden v.A. rechtspopulistische Kreise das Martinsfest dazu, einen Strohmann zu erschaffen, der scheinbar diese Tradition abschaffen will. Anstatt die positive Botschaft des Martinsfestes in den Vordergrund zu rücken, wird ein Feindbild erschaffen. Es mag schon sein, dass gewisse linke Kreise das Martinsfest verachten. Denn Martin entlarvt wiederum das Feindbild der Linken –den bösen reichen Mann, der nur an sich selbst denkt- als Konstrukt. In diesem Sinne können alle Menschen, egal ob politisch links oder rechts stehend, etwas von Martins Botschaft mitnehmen.

Was zeigt uns die Legende vom heiligen Martin noch? Oft haben wir den Eindruck, wir persönlich könnten nichts für notleidende Menschen tun. Wir geben die Verantwortung ab, schließlich gibt es ja zuständige Behörden. Früher war Solidarität die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Reichskanzler Bismarck gründete die ersten staatlichen Sozialversicherungen und legte damit in den 1880ern den Grundstein für die Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates. Doch die Okkupation des Sozialwesens durch den Staat hatte nicht nur gute Folgen. Sie führte auch ein Stück weit dazu, dass wir unsere ganz persönliche Verantwortung an eine höhere Instanz abgegeben haben. Als Beispiel dazu braucht man sich nur anzuschauen, wie wir mit alten Menschen umgehen. Wenn wir alle Verantwortung an Ämter abgeben, stirbt damit ein Stück weit auch die Solidarität. Der heilige Martin zeigt uns, dass wir selbst Verantwortung übernehmen können. Martin beruft sich nicht auf einen Wohlfahrtsstaat oder eine höhere Institution –im Gegenteil- er nimmt seinen Dienstmantel und zerteilt ihn.

Ich feiere das Martinsfest gerne. Dabei geht es aber nicht nur darum, ein köstliches Martinigansl zuzubereiten oder an einem Laternenumzug teilzunehmen, es geht darum, die Botschaft der Eigenverantwortung weiterzugeben. Man ist selbst dafür verantwortlich, was für ein Mensch man sein will. Will man Verantwortung abgeben und sich auf die Caritas und den Sozialstaat verlassen oder möchte man selbst ein Zeichen setzen?

Abschließend noch einen Gedanken zum Martinsfest in Kindergärten zwecks Kindern mit Migrationshintergrund: Hier geht es vor Allem um Laizismus. Martin ist ein Heiliger der katholischen Kirche. Wir instrumentalisieren ihn aber nicht dazu, Katholiken anzuwerben, sondern erinnern an ihn, weil er uns allen ein Beispiel sein kann. Die Legende vom Hl. Martin transportiert eine Botschaft von freiwilliger Solidarität, welche unabhängig vom religiösen Bekenntnis allgemeingültig als gut bezeichnet werden kann.

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Oskar Egger Mo., 10.11.2014 - 14:00

Bin vollkommen einverstanden mit dem, was Du sagst, Oliver. Hoffe, dass, zumindest der teilende Martin als Tradition in unseren Schulen bleiben darf, da wir doch alle etwas von ihm haben :)

Mo., 10.11.2014 - 14:00 Permalink