Die Geschichten hinter den Zahlen sehen
Der mehrfach preisgekrönte Film des Wiener Regisseurs Ed Moschitz erzählt die Geschichte dreier Mütter, die Moldawien verließen, um ihren Familien ein besseres Leben zu bieten. Drei Jahre lang war Aurica illegal in Österreich, ehe sie ihre Kinder nachholen konnte. Sechs Jahre lang lebte Raia ohne Arbeitserlaubnis und damit ohne Recht auf ärztliche Versorgung in Italien. Die dritte Protagonistin, Nataša, hat immer noch kein Visum oder eine Arbeitserlaubnis, ihre kleine Tochter wächst bei den Großeltern auf. Es ist eine elternlose, vor allem eine mutterlose, Gesellschaft, die in Moldawien heranwächst.
Gleichzeitig bleiben badanti in unserer Gesellschaft unsichtbar – unabhängig davon, ob sie sich legal im Land aufhalten oder nicht: Sie putzen, sie pflegen – aber abgesehen von diesen Arbeiten treten sie in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung: Da ist keine Gewerkschaft, die hinter ihnen steht, keine der in Südtirol so mächtigen Interessensvertretungen.
Die an die Filmvorführung anschließende Diskussion mit Landesrätin Martha Stocker, Input-Beraterin Edina Pusztai, der badante Lidia Husan und der Moderatorin Marita Gasteiger zeigte die Allgegenwart von Schuldgefühlen, Selbstzweifeln und Angst in rechtlichen Grauzonen.
Lidia Husan (1.v.r.), die selbst als badante in Bruneck tätig ist, erzählte im Anschluss an den Film ihre eigene Geschichte: Sie war zunächst nach Deutschland gegangen, um ihre Familie von dort aus zu ernähren, später nach Italien. Ihren Mann, ihre Töchter und Enkelkinder hatte sie in ihrer Heimat, im ukrainischen Černovcy nahe an der ukrainisch-rumänischen Grenze, zurückgelassen. „Es ist schwer, irgendetwas zu planen. Ich möchte gerne mehr Zeit mit meinen Kindern und Enkelkindern verbringen“, sagte sie.
Edina Pusztai (2.v.l.), Mitarbeiterin der Migrant/innenberatung Input der Caritas in Bruneck, berichtete aus ihrem Alltag: „Auch zu uns kommen Menschen, auch Frauen, die weinen, weil sie keinen Ausweg mehr wissen“. Etwa zehn Prozent ihrer Klient/innen seien Extremfälle, denn „auch wenn die Papiere in Ordnung sind, heißt das noch lange nicht, dass die Menschen zurechtkommen.“
In Anbetracht der Tatsache, dass sich in Südtirol für 24-Stunden-Dienste ein Monatslohn von etwa 1000 Euro eingebürgert hat, appellierte Landesrätin Martha Stocker (1.v.l.) an das Verantwortungsbewusstsein jedes/jeder einzelnen: „Wer einen Menschen anstellt, ist auch dafür verantwortlich, dass dies auf legalem Wege passiert und die Personen entsprechend entlohnt werden.“ Sie selbst arbeite im Moment daran, sich ein umfangreiches Bild der Situation im Pflegebereich zu machen. „Natürlich ist es hierbei unglaublich schwierig, den Teil abzuschätzen, der sich in der Illegalität abspielt“, ergänzte sie.
Wissenschaftliche Aufarbeitung in Südtirol
Das Thema der bezahlten Hausarbeit wurde in Südtirol zuletzt von Frau Prof. Annemarie Profanter von der Freien Universität Bozen aufgegriffen. Sie veröffentlichte ein Buch unter dem Titel „Badanti – Pflegen in der Fremde“ / „Badanti – assistere in terra straniera“ sowie den Kurzfilm „Die Badante“.
2012 prämierte zudem der Landesbeirat für Chancengleichheit die Diplomarbeit von Claudia Kuenz zu dem Thema. Die Studentin der Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien hatte sich vor allem mit dem Faktor Arbeitssuche auseinandergesetzt. Unter dem Titel „Intersektion in der bezahlten Hausarbeit. Badanti in Südtirol“ beschäftigt sich Kuenz mit Arbeitsbedingungen in der bezahlten Hausarbeit, Vermittlungsinstitutionen, den Konsequenzen des staatlichen Migrationssystems sowie dem Umgang und der Reputation der Arbeiter/innen. Darin kommt die Meranerin unter anderem zu folgendem Schluss:
„Durch die Koppelung von Aufenthaltserlaubnis an Arbeitsverträge fordert das staatliche Migrationssystem die totale Unterordnung von MigrantInnen heraus – dienlich ist dies vor allem der nationalen Ökonomie.“
Sie geht damit auf den Umstand ein, dass der Verlust der Arbeitsstelle unverzüglich den Verlust der Aufenthaltserlaubnis des/r Migranten/in zur Folge habe. Die Alternative sei ausschließlich eine andere Arbeitsstelle unter noch präkereren Bedingungen mit einem noch höheren Arbeitspensum – während Mehrheitsitaliener/innen bei Verlust der Arbeitsstelle oder im Krankheitsfall von einem Sozialsystem aufgefangen werden, das Kranken- oder Arbeitslosengeld beinhaltet.
Den anonymen Zahlen ein Gesicht geben, das wollte die Veranstaltung im Jugend- und Kulturzentrum UFO in erster Linie; aufzeigen, dass jeder einzelne dieser Menschen eine Geschichte hat, die besonders ist, einzigartig. Es sind Geschichten, mit denen sich die vielschichtige, multikulturelle Südtiroler Gesellschaft von heute auseinandersetzen muss, ob sie ihr gefallen oder nicht.
Die Veranstaltung wurde getragen und unterstützt vom Jugend- und Kulturzentrum UFO, den Sozialdiensten der Bezirksgemeinschaft Pustertal, dem Haus der Solidarität Brixen, der Stadtbibliothek Bruneck, der MigrantInnenberatung InPut der Caritas, der Organisation für eine solidarische Welt und der Raiffeisenkasse Bruneck.
gratulation, eine ganz
gratulation, eine ganz wichtige initiative !