Kultur | Hans Piffrader

Hans Piffrader & seine 192m² Travertin

Über Kunst, Politik und Ethik. Er war zwar ein gefeierter Künstler von europäischem Rang, und doch fand seine künstlerische Schaffensphase ein jähes und dunkles Ende.
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Foto: salto

Gedanken über Hans Piffrader (Klausen, 1888, Bozen, 1950), sein unheilvolles Monumentalrelief an den Bozner Finanzämtern, und seinen zurückgezogenen letzten Lebensabschnitt.

Wie es scheint, ist eine Historisierung des Piffrader-Reliefs am Gerichtsplatz in Bozen anvisiert. Unübersehbar, auch in Debatten hier auf salto.bz, wie kontrovers Meinungen, Argumente und Ansichten sind. Aber, in der Tat, das Format des Reliefs ist beeindruckend: 57 Travertin-Kacheln, 35 Meter breit und 5.5 Meter hoch. Wegschauen geht einfach nicht, dafür sind allein die Dimensionen dieses Trumms zu monumental. Habt ihr aber schon mal hinter die Kulissen geschaut und Euch über die Hintergründe seiner Entstehung infomiert? Darüber sinniert, wie der Künstler das Werk zu gestalten versuchte, und wie die faschistische Maschinerie ihm bestimmte Szenen verbot? Oder, umgekehrt, welcher Druck ausgeübt wurde, damit andere Szenen als ursprünglich vorgesehen eingebaut wurden? Wie Piffrader selbst, nach dem Werk, in einen Lebensabschnitt von dunkler Depression und Schaffenspause schlitterte, in eine künstlerische wie menschliche Tragödie. Es lohnt, hinter die Oberfläche zu blicken und eine kritische Auseinandersetzung zu führen. Ich wage diesen Blogbeitrag, mit dem bewussten Risiko, missverstanden und –interpretiert zu werden, und versuche mich trotzdem kürzer, als mir lieb wäre. Einerseits ist das dem Medium Salto.bz geschuldet, wo meine Gedanken ja nur der Startpunkt einer Debatte sein können. Meinungen dazu darf es viele geben. Wenn ich darf, nehm ich euch kurz mal mit, auf eine Reise in die Vergangenheit.

Das Gasthaus zum Weißen Kreuz (Nussbaumer) zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den beliebtesten Treffpunkten der Klausner Künstlerkolonie. Dies war vor allem das Verdienst von Hans Rauter, seit 1899 Eigentümer des Hauses, der wegen seiner Freundlichkeit und seiner Geselligkeit allseits bekannt war. Quelle: Kulturgüterverein Klausen.

Wenn ich darf, nehm ich euch kurz mal mit, auf eine Reise in die Vergangenheit.

Piffraders Geburtsort war das idyllische Künstlerstädtchen Klausen am Eisack, das kleine Nest am Fuße des Säbener Berges, wo er 1888 geboren wurde und dem er auch später stets verbunden bleiben wird. In Klausen erinnert ein von Piffrader geschaffenes meterhohes Kruzifix bis heute in seinem Geburtshaus an ihn. Piffrader fand sich in den Jahren nach seinem Kunststudium gelegentlich in illustrer Künstlerrunde: In der Rauterstube des Cafè Nussbaumer beispielsweise, mit dem sonst zurückgezogenen Josef Telfner, oder mit Alexander Köster, Franz von Defregger oder Albin Egger-Lienz. Die Dürerstadt war Ende des 19. Jahrhunderts zu einem beliebten Treffpunkt für Künstler avanciert. Die Atmosphäre von Klausen, mit den dort wirkenden und zu Besuch kommenden Künstlern war für einen Kunstinteressierten sehr anregend: In den engen Gassen von Klausen stolperte man regelrecht über Staffeleien, landschaftszeichnenden Künstlern und malerischen Kulissen.

Nachts dann, in den Klausnern Wirtshäusern, die historische Variante von Sex, Drugs, and Rock and Roll: Legendär die Feten im Gasthof zum Lamm unter Georg Kantioler, der sein Etablissement gegen Ende des 19. Jahrhunderts - dank ausgezeichneter Kost und tüchtiger Töchter - zum beliebten Treffpunkt von Künstlern, Literaten und Wissenschaftlern verwandelte. Kein Wunder, wenn auch die eine oder andere Gasthausrechnung in Naturalien beglichen wurde: in Öl auf Leinwand. Gastwirte zählten immer schon zu den Kunstmäzenen, lange bevor Picasso in der Provence seinen Durst stillen musste, wanderte das eine oder andere Kunstwerk über den Wirtshaustresen.

Das Gasthof zum Lamm der Familie Kantioler, ein beliebten Treffpunkt von Künstler, Literaten und Wissenschaftler. Quelle: Kulturgüterverein Klausen.

Nachts dann, in den Klausnern Wirtshäusern, die historische Variante von Sex, Drugs, and Rock and Roll: Legendär die Feten im Gasthof zum Lamm unter Georg Kantioler.

Sehr wahrscheinlich, dass auch die Volksschüler von Klausen – und das Kind Hans Piffrader war eines davon – das Eine oder Andere von diesem kreativen Kunstschaffen in der Altstadt mitgekriegt haben. Später besuchte Piffrader das altehrwürdige Franziskanergymnasium in Bozen, sah dort wohl die Altäre von Klocker und Pacher, und entschied sich als 17jähriger für das, was man heute wohl la vie pour l'art nennen würde: Er besuchte die Staatsgewerbeschule in Innsbruck, dann Wien, die Akademie der Bildenden Künste. Und schließlich kam der Weltkrieg. Piffrader diente als Kaiserjäger und erlebte schwere Schlachten an der Südfront. Den Pasubio und das, was er dort mit ansehen musste, sollte er Zeit seines Lebens nicht vergessen. Er kehrte verwundet, aber mit Auszeichnungen, an die Wiener Akademie zurück.

Die grausamen Erfahrungen dieses Krieges gewannen Einfluss auf sein ganzes späteres künstlerisches Schaffen: In Plastiken und Zeichnungen verdichtete er beklemmende Visionen von Leid und Schmerz. Auch in religiösen Motiven verarbeitete er das menschliche Sein, aber stets von Schwermut gekennzeichnet. Dieselbe Schwermut übrigens, die nur bei den Alltagsszenen aus dem bäuerlichen Raum schwindet und die ihn wohl auch im letzten Lebensabschnitt persönlich begleitet und aller Lebensfreude beraubt hat. Man sagt, er habe seine letzten Jahre zurückgezogen und ohne Schaffen, in dunkler Depression verbracht.

Bauernszene aus dem Opus Hans Piffrader, Titelbild der ihm gewidmeten Ausstellung, 2007 Stadtmuseum Klausen.

Das war er also, unser Piffrader. Ein Mann, dessen monumentales Werk in Bozen– nota bene von einem faschistischen, menschenverachtenden Regime im Auftrag gegeben – nun als unbequemes Mahnmal von den Finanzämtern am Gerichtsplatz auf uns hinunterschaut. Ein Werk, um dessen Historisierung, Musealisierung oder Schleifung heftig debattiert wird. Wer sich nur auf die unverschämte Reiterfigur im Mittelpunkt fixiert, dem werden meine folgenden Überlegungen sicher zu feingeistig erscheinen, und die Geduld mit mir bereits hier am Ende sein. Sei’s drum: Wer es hingegen riskiert, Abstand zu gewinnen, den nehme ich gerne auf ein paar Gedanken mit. Und Abstand gewährt zugegebenermaßen Klausen wohl leichter als Bozen, das kann ich nachvollziehen.

Was also bleibt, wenn man Abstand gewinnt? Dass die meisten Ängste, Vorbehalte, Kritiken an das Piffrader-Relief automatisch differenzierter werden, sobald man sich mit dem Werk eingehender auseinandersetzt. Mag sein, dass viele von denen, die bei Betrachtung des Reliefs "faschistischer Dreck!" schreien, diese Auseinandersetzung mit der Kunst gar nicht suchen und auch nicht schaffen können. Auch das finde ich völlig legitim. Und es ist sicher wahr, dass ich über einen früheren Klausner Mitbürger naturgemäß etwas milder urteilen mag als jemand, der keinen Bezug dazu hat: Es liegt mir also fern, meine Einschätzung als allgemeinen Maßstab anbieten zu wollen.

Wichtig sind Aufklärung und Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk. Keiner - ich bestimmt nicht - braucht ein Kunstwerk, hinter dem die Einen nur ihre vermeintliche "Italianità", die Anderen ein "Faschistisches Monster" sehen. Wenn es sich so verhielte, müsste die Devise lauten: Weg mit dem Zeug.

Wer es hingegen riskiert, Abstand zu gewinnen, den nehme ich gerne auf ein paar Gedanken mit. Und Abstand gewährt zugegebenermaßen Klausen wohl leichter als Bozen, das kann ich nachvollziehen.

Beide Kategorien verlieren aber an Bedeutung, wenn man sich Kachel für Kachel des Werkes anschaut, vor allem die Entwürfe dazu, die abgelehnten Varianten: Dann kommt auch ein anderer Künstler zum Vorschein, der sicher kontrovers bleiben wird. Die Kenntnis der Zeitumstände ist dabei grundlegend: Es hätte genauso gut einen von den Faschisten hofierten Albin Egger-Lienz treffen können, wenn Piffrader diesen Auftrag nicht übernommen hätte, oder gar irgendeinen unbekannten glühenden faschistischen Künstler aus Rom. Hätte ein anderer Künstler womöglich noch Schlimmeres verzapfen können? "Hic patriae fines siste signa. Hinc ceteros excoluimus lingua legibus artibus" docet. Hätte Piffrader diesen Auftrag ablehnen wollen, ablehnen können?

Das müssen leider Gedankenspiele bleiben. Letztlich traf es ihn, und keinen Anonymous und auch keinen Egger-Lienz. Wollte Piffrader wirklich nur ein zweites "Hic patriae fines..." verhindern? War er etwa so naiv, zu denken, er könnte sein Kunstwerk völlig frei von Vorgaben der faschistischen Auftraggeber umsetzen? Betrachtet man die abgelehnten Entwürfe, zeichnet sich ein ergänzendes - wenn auch niemals vollständiges – Bild ab. Wer sich seine Vita in Erinnerung ruft, sich sein Zurückziehen in einem finsteren Lebensabschnitt danach vor Augen hält, mag darin auch ein Zerbrechen an diesem Auftrag sehen.

Die Entwürfe spielen bei der Interpretation und dem Nachsinnen auf Piffrader für mich eine herausragende Rolle. Zu jeder der 57 Travertin-Kacheln gibt es zahlreiche Skizzen: Schriftverkehr zeugt davon, wie kritisch die faschistischen Auftraggeber die Arbeit bewerteten. Kachel für Kachel musste genehmigt, oft umgestaltet, neu gezeichnet werden. Einzelne Kacheln wurden zurückgewiesen, weil deren Inhalt der gewünschten faschistischen Botschaft „überhaupt nicht“ entsprach. Selbst das Reiterstandbild in der Mitte war gar nicht in dieser Form geplant: Piffrader hatte stattdessen eine weibliche, stehende „Italia“ entworfen. Einige Entwürfe kann man in diesem Kontext geradezu als „mutig“ bewerten, so wie die Skizze zum Spanischen Bürgerkrieg, die letzte Kachel oben rechts: Im Entwurf blitzt der Versuch des Künstlers auf, mit der Kriegsverherrlichung kritisch umzugehen.

Allegorie des Krieges. Entwurf zur Szene "il volto guerriero dell'italia fascista", zum Spanischen Bürgerkrieg. Quelle: "die gunst der stunde & der lange arm des faschismus, Franz. J. Haller, 2013".

Der Entwurf zeigt den Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939), links "il volto guerriero dell' italia fascista", rechts eine Allegorie des Krieges. Der Krieg wird als Tötungsmaschine gezeichnet, an den Füßen trägt er Schuhe aus Panzerfahrzeugen, aus dem Körper brennen Flammenwerfer, in den Händen hält er grausame Waffen. Bei diesem Bild muss ich an "Guernica" denken, die Greuel des Krieges sind für mich unmittelbar zu spüren. Dieser ursprüngliche Entwurf von Piffrader stellt Krieg in seiner wirklichen Dimension dar: ein Gemetzel, faschistische Großmachtfantasien stehen hier wohl nicht im Vordergrund.

Das schließlich realisierte Werk zum Spanischen Bürgerkrieg.

Das zweite Bild zeigt indes das, was die Auftraggeber gewähren ließen, und was seither am Finanzgebäude hängt: Links der „guerriero fascista“, in der Mitte ein weibliches Spanien. Ein Soldat zur Rechten, ein Halbmond, möglicherweise Anspielungen auf andere, grausame Kriegsschauplätze des Imperialismus?

Bei diesem Bild muss ich an "Guernica" denken, die Greuel des Krieges sind für mich unmittelbar zu spüren. 

Stand hinter der Annahme des Auftrags also Piffraders Naivität, gepaart mit der Hoffnung, den Auftraggebern vielleicht doch nicht zuviele Zugeständnisse machen zu müssen? Oder - war ihm nur schlicht das Geld wichtig, wer kann das schon ausschließen? Wer meint, aus der bequemen Perspektive des Jahres 2014 darauf zu verweisen, dass "andere" sich nicht an dem faschistischen Geld befleckt hätten, dem sei folgendes nahegelegt: Besorgen wir uns mal Kataloge der Bozner Kunstausstellungen während der faschistischen Zeit, und betrachten wir gemeinsam, wer alles ausgestellt und verkauft hat.

Pecunia non olet, Kriegszeiten sind harte Zeiten, und kein Künstler kann von Luft und Inspiration leben. Sicher, Ethik ist genau das: Im richtigen Moment "nein" sagen zu können. Andere, wie die Geschwister Scholl, haben für ihr „Nein“ sogar mit dem Leben bezahlt, das ist und bleibt Fakt. Es liegt mir aber fern, einzelne Künstler pauschal zu kritisieren, die auch in diesen schweren, widerspruchsvollen Zeiten im Kunstbetrieb mithalten wollten und mussten. Ein solches Urteil fiele nur aus einer überheblichen Außensicht, und würde niemals die reale Situation berücksichtigen.

Nach dem Krieg verschwinden die entlarvenden Ausstellungskataloge, vielleicht findet man in der Landesbibliothek „Tessmann“ noch das eine oder andere Büchlein, aber letztlich wächst Gras über diese unsägliche Zeit. Besonders bei uns in Südtirol - wir waren Opfer, so im Rückblick die gängige Lesart dieser Zeit. Und doch, einer wie Piffrader kann sich wohl nicht hinter dem Schleier des Vergessens verstecken: Sein Werk steht so unübersehbar unbequem klotzig da, es bleibt für alle weithin sichtbar. War er also einer, der mit dem Regime kollaborierte? Hat er sich bereichert? Nur seine Kunst, oder gar seine Seele verkauft? Kann man auf diesen Einen stellvertretend für alle, die sich „danach“, am Ende der faschistischen Epoche, geschickter verstecken konnten, mit dem Finger zeigen? Mich würde es nicht wundern, wenn Piffrader genau daran, an seinem Versuch, seinen künstlerischen Anspruch und die Anpassung an das Regime zu verbinden, zugrunde gegangen wäre.

Ethik ist genau das: Im richtigen Moment "nein" sagen zu können.

Noch ein letzter Gedanke zum künstlerischen "Wert" des Reliefs. Selbstverständlich, es wurde vom Regime in Auftrag gegeben. Und einzelne, nein, vermutlich alle, Kacheln musste der Künstler mehrfach neu zeichnen, bis sie den Geschmack und Genehmigung der Auftraggeber fanden. Ist das nun überhaupt noch innerer Ausdruck des Künstlers, oder ist das nur noch Propagandaschrott, wie ein billiges Kim Jong-un Portrait eines Kitschkünstlers aus Nordkorea?

Wenn man genau hinschaut, bleibt ein Grundelement: Expressionismus pur. Das größte Relief, zumindest in Europa, und ein Kunstwerk, mit dem sich Primär- und Sekundärliteratur, und manch eine Universitäts- oder Akademievorlesung beschäftigen. Faszinierend dabei: Es ist derselbe Expressionismus, den Hitler und die Seinen als "entartete Kunst" verboten und vernichteten. Von den Faschisten wurde er hingegen begeistert angenommen, als Ausdruck und Symbol der "modernità".

Das also sind die Ebenen, auf denen eine Diskussion über das Kunstwerk für mich interessant zu werden beginnt - und nicht immer nur das Wehklagen darüber, wie schändlich es sei, wenn Einzelne ihre "Italianitá" am Relief aufhingen oder Andere darin die Glorifizierung eines Kriegsunrechtes erblickten.

Ist das nun überhaupt noch innerer Ausdruck des Künstlers, oder ist das nur noch Propagandaschrott, wie ein billiges Kim Jong-un Portrait eines Kitschkünstlers aus Nordkorea?

Außer Frage steht dabei fest: Der Auftraggeber war ein totalitäres, menschenverachtendes Regime. Das Werk wurde inhaltlich manipuliert, der Künstler offensichtlich unter Druck gesetzt und in seine Schranken verwiesen. Man kann sich zurecht fragen: Wieviel Kunst ist da eigentlich noch enthalten? Zu diesem Gedankengang empfehle ich die 114 Minuten "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl. Ein furchtbares Propaganda-Machwerk und zurecht ein Werk, das die Mühe lohnt, über die Zusammenhänge von Kunst, Politik und Ethik zu diskutieren.

Titel "Triumph des Willens" aus dem gleichnamigen Film von Leni Riefenstahl.

Trotzdem - oder gerade deshalb – gilt auch dieses Werk weltweit als filmisches Jahrhundertkunstwerk, Hunderttausende von Filmhochschulabgänger werden weiterhin seine handwerklichen und künstlerischen Qualitäten studieren und analysieren. Und keiner wird auf die Idee kommen, den Film zu verbieten, zu verstecken, oder gar zu vernichten. Es gibt ihn auf amazon.co.uk (und .de) als DVD oder Blu-Ray zu erwerben. Ein schrecklicher Film. Aber eine ernstgemeinte Übung darin, Botschaft von Kunstwerk zu trennen.

Ein schrecklicher Film. Aber eine ernstgemeinte Übung darin, Botschaft von Kunstwerk zu trennen.

Was bleibt also von Piffrader: zunächst ein furchtbar unbequemes Werk. Bei aller Kunst und bei allem Expressionismus, die im Relief liegen, wage ich - für mich – zumindest folgenden unbedeutenden Gedanken. Wenn ich die Menschen auf dem Relief betrachte, diese kräftigen, muskulösen, an das Regime angepassten Figuren: Sie strahlen allesamt keine rechte Freude aus. Wer weiß, vielleicht war das die einzige Widerspruchs-Geste ihres Schöpfers: Sollten sie von ihm doch dazu verdammt werden, so freudlos in die Welt zu schauen - die Figuren dieses unglücklichen Reliefs?

Szene aus dem Relief. Quelle: "die gunst der stunde & der lange arm des faschismus, Franz. J. Haller, 2013".

Sollten sie von ihm doch dazu verdammt werden, so freudlos in die Welt zu schauen - die Figuren dieses unglücklichen Reliefs?

Was am Ende kommen wird, werden die Zeit und weitere Interpretationen zeigen. Es braucht aber auch mutige Entscheidungen. So gesehen war die Entscheidung des Bozner Gemeinderats 1957 alles andere als mutig: Die letzten Tafeln des Reliefs wurden erst 1957, also über ein Jahrzehnt nach dem Fall des Faschismus, montiert. Vielleicht wäre es damals das bessere Signal gewesen, ein für alle sichtbares Zeichen, jene eine Tafel für immer elendig auf dem Boden verstauben zu lassen.

Geschätzte Historikerkommission, an Dich die ehrliche Bitte: Macht jetzt das Beste draus. Wenn es nach mir ginge, dann könnte man auch den einen oder anderen Erstentwurf von Piffrader aus den Archiven holen und diesen so ausstellen, dass der Kontext klar wird. Und falls ihr diesen unmöglichen Reiter wieder herunterschrauben, ein leuchtendes rotes Stoppschild drüberstülpen, oder gar vor dem Gaul eine ganze Kachel mit dem ursprünglichen Entwurf von Piffrader stellen wolltet: nur Mut dazu. Das wäre für mich alles leicht zu verschmerzen, und würde dem formalen Kunstwerk, und dem Andenken an Piffrader, wohl nicht schaden.
 

Christoph Moar hat diesen Artikel im November 2014 für Salto.bz geschrieben. Aus aktuellem Anlass drucken wir den Beitrag nochmals ab.

 

Weiterführende Medien
Eine filmische Reise Hans Piffrader, 1888 Klausen - 1950 Bozen. 
Die Gunst der Stunde & der lange Arm des Faschismus. Franz J. Haller. Arbeitskreis visuelle Dokumentation Südtiroler Volkskultur, Meran, 2013.

http://vimeo.com/72611446
http://www.tirolerland.tv/hans-piffrader-das-mussolini-relief-in-bozen/
 

Frei, Mathias ; Südtiroler Künstlerbund (Hrsg.):
Hans Piffrader : 1888 - 1950 ; Entwürfe zum Relief am Gebäude der Finanzämter in Bozen

http://www.tessmann.it/script/pages/site.asp?ID=6620&modid=976&m1=4123&m2=1951&m3=0&L=de

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Waltraud Astner Mi., 26.11.2014 - 21:24

Die Entstehungsgeschichte dieses Reliefs (unter Einbeziehung von Entwürfen usw.) könnte man am besten in einem Museum darstellen. In ein solches möge man das Relief bringen , dann wir auch die Historisierung am deutlichsten vermittelt. Das Kriegsmuseum in Rovereto würde sich dazu vielleicht eignen.

Mi., 26.11.2014 - 21:24 Permalink
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Christoph Moar Mi., 26.11.2014 - 23:19

Antwort auf von Waltraud Astner

Ja, diese Einschätzung kann ich verstehen und respektieren. Ich selbst kann ihr aber nur bedingt folgen. Ich brauche kein Kunstwerk, das in einem akademischen Umfeld, fern seiner Konzipierungs- und Entstehungsgeschichte verfrachtet wird. Wenn es gelingen würde, den Raum, den nach mancher Vorstellung das Relief heute beherrscht, für die Bürgerinnen und Bürger, für die Kinder von Bozen zurückzuerinnern, dann hätte ich nach meinem Verständnis viel mehr erreicht.
Heute geht es bei musealen Konzepten hauptsächlich darum, dass man einen niederschwelligen Zugang zu den Exponaten ermöglicht - der Rovereto Ansatz wäre für mich anders. Die Stadt ist zwar spannend, die Ergänzung mit dem Mart sehr attraktiv, aber: was hat Piffrader in Rovereto verloren? Dann lieber Klausen, dort hat er einen Bezug, zeitlebens. Aber so gesehen: was spricht gegen ein offenes Museum im urbanen Raum? Wenn, dann wohl nur die "Beleidigung", die aus diesem Werk ausgeht. Ist es wirklich ein Ding der Unmöglichkeit, diese Beleidigung umzukehren? Kann nur Entfernung oder Schleifung Satisfaktion bieten?

Mi., 26.11.2014 - 23:19 Permalink
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Manuel Kasslatter Do., 27.11.2014 - 08:52

Antwort auf von Waltraud Astner

ich finde den vorschlag von frau Astner sehr gut, für mich sogar der beste bis dato, zumal noch zu viele Emotionen durch das relief, insbesondere durch das abbild vom dux hoch zu ross, geweckt werden. auch finde ich das projekt, das Arendt-zitat darüber zu blenden, von der idee her nicht schlecht, nur passt dies meiner meinung nach überhaupt nicht in das umfeld des kunstwerks: für mich ist es ein skandal, "niemand hat das recht zu gehorchen" auf ein finanzamtgebäude zu projizieren!

Do., 27.11.2014 - 08:52 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 26.11.2014 - 22:55

Finanz- und Gerichtgebäude würden zusammen ein interessantes Museumsgelände geben. Wenn man den Duce nicht von den Ämtern trennen soll, warum denn nicht die Ämter vom Duce?

Mi., 26.11.2014 - 22:55 Permalink
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Christoph Moar Mi., 26.11.2014 - 23:05

Antwort auf von Benno Kusstatscher

In der Tat ein interessanter Ansatz, Benno. Ich denke, dass die Dreierkonstellation, ja der große Platz zwischen den Gebäuden inmitten der Stadt, gar ein wesentliches Element des architektonischen Gesamtkonzeptes ist. Will man aus der Situation etwas gewinnendes machen, darf aus meiner Sicht das ganze Umfeld mit einbezogen werden. Und vor allem: es muss von den BürgerInnen rückerobert werden. Ich brauche kein akademisches Kunstwerk, das irgendwo hängt und vor sich hin mottet. Lieber ist mir ein im Kontext sichtbares kritisches Werk, ein Park, das von Kindern täglich zum Skaten und Radfahren genutzt wird, Grünflächen, die gemütliche Studenten zum Bücherlesen einladen, und vor allem eins: Leben. Schau dir den Gerichtsvorplatz an, wenn die Kids ihren Fahrradführerschein machen: herrlich. So lässt sich dem Platz auch Normalität einhauchen, und menschenverachtende Ideologie zurückdrängen.

Ob wir die Finanzbediensteten in den Räumen brauchen? Vermutlich nicht, eine Zweitnutzung wäre da durchaus eine Idee wert. Das Gericht verlagern? Stell ich mir schwieriger vor, das Raumprogramm findet man nicht so ohne weiteres woanders wieder. Aber den Duce nicht von den Ämtern trennen? Wie du liest (wenn Du es geschafft hast, dich durch meinen Blogbeitrag bis zum Schluss zu kämpfen) könnte ich mir vorstellen, dass die zentrale Kachel durchaus auf der Kippe stehen könnte. Die Skizze der weiblichen Italia vor der Pappnase hätte was.

Mi., 26.11.2014 - 23:05 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 26.11.2014 - 23:26

Antwort auf von Christoph Moar

Bis zum bitteren Ende, Christoph, ja :-) Genau diese Kacheln könnte man gleich unter dem Ding ausstellen. Den Ötzi gleich mit dazu, meinetwegen. Nachdem Bozen auf der Suche nach einem vernünftigen Bibliotheksgebäude gescheitert ist und in der Zone als auch am frei werdenden Bahnhofsgelände etliches an Flächen haben, würde ich den Richtern schon etwas Mobilität zumuten wollen.

Mi., 26.11.2014 - 23:26 Permalink
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Christoph Moar Do., 27.11.2014 - 09:05

Antwort auf von Maximilian Ben…

Ich bin kein Bozner, kann da also nicht mitmachen. Aber: ja, Bürgerbeteiligung ist (ich komme aus einer kleinen Gemeinde) ein Schlüssel, schwierige Projekte voranzutreiben. Es ist - und ich spreche aus Erfahrung als Gemeinderat - ein wesentlicher Vorteil, wenn die Bürgerbeteiligung am Beginn des Projektes steht und nicht erst später, nachträglich, quasi als Alibiabstimmung mit eingebaut wird. Speziell dann, wenn es gilt, einen öffentlichen Raum einer anderen Nutzung zuzuführen und für die BürgerInnen wieder zu erobern.

Nur - ich bin auch Realist. Was in einem kleinen Nest mit 5000 Einwohner schon mühsam anzuwenden ist, sorgfältiger Technik und Moderation bedarf, und einem Gemeinderat mit 20 Leuten als Input dient, ist wohl nicht 1:1 auf eine Hunderttausenderstadt anzuwenden, bei der 50 (!) Meinungen im Gemeinderat sich aussprechen. Nur ein Beispiel: wenn wir ein Bürgerinnenkomittee nach dem Zufallsprinzip auswählen, schreiben wir Hundert ausgeloste Bürger an, davon melden sich dann 15 für die Mitarbeit. Diese 15 sind als Ideengeber gar nicht so unrepräsentativ, wenn man sie auf die ganze Bevölkerung aufrechnet.

Auf dem Bozner Maßstab multipliziert müsste ich 2000 Bürgerinnen auslosen und hoffen, dass sich 300 zur Mitarbeit melden? Autsch, das wird schwierig, und noch mehr bei dieser emotionalen Problematik hier. Darum geht Bozen wohl exakt andersrum an: Expertenkommission. Bedeckte Kommunikation. Und schließlich Big Bang.

Wie auch immer, ich schreibs im Abschluss meines Beitrags: Wünsche der Kommission, sie möge wirklich das Beste aus der Situation herausholen.

Do., 27.11.2014 - 09:05 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mi., 26.11.2014 - 23:32

Sehr interessanter Artikel. Diese ganze Geschichte würde samt Relief in einem Museum passen, dazu noch einige Bilder oder Kurzfilme vom heutigen Salò und Predappio um zu zeigen wie der Kult des Diktators und der Diktatur sich entwickelt haben....

Mi., 26.11.2014 - 23:32 Permalink
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Profil für Benutzer Sebastian Felderer
Sebastian Felderer Do., 27.11.2014 - 07:32

Bravo Christoph und Mitdenker! Macht euch Benko zum Verbündeten und schafft für Bozen etwas Bemerkenswertes. Ich hätte das Siegesdenkmal in die Mitte des Gerichtsplatzes gesetzt und ihm somit einen geeigneten Platz im urbanen Museum geschaffen. Gerichtssaal und Finanzämter wären im Bahnhofareal verkehrstechnisch besser untergebracht.
Denker, bieten den Spekulanten die Stirn und macht aus Bozen die Landeshauptstadt !

Do., 27.11.2014 - 07:32 Permalink