Chronik | Gastbeitrag

Wird jetzt ein gigantisches Da capo fällig?

Über die Schieflage allenthalben und weltweit schreibt Heinz Zanon, Landesgerichtspräsident a.D.

Unser Gesellschaftssystem, das Wirtschafts- und Sozialgefüge, die Beziehungen zwischen den Menschen und den Staaten befinden sich zunehmend in einer tiefen Krise. Reformen werden durch die Regierungen aller Länder immer wieder versprochen. Grundlegende Reformen scheitern aber regelmäßig weitgehend an verkrusteten Verfassungen und Gesetzen sowie an eingespielten Strukturen, deren zielgerichteter Umbau sich als kaum noch umsetzbar erweist. Sie scheitern aber vielleicht noch viel mehr am hartnäckigen, meist verbrämten Widerstand derjenigen, die in irgendeiner Form an den Hebeln der Macht sitzen und es meisterhaft verstehen, Egoismen zu pflegen und Privilegien zu verteidigen. So erleben wir nichts als ein jämmerliches Weiterwursteln und Herumbasteln am System mit marginalen Adaptierungen, die mit großer Verzögerung erfolgen und kaum einschneidende Verbesserungen erzeugen.


Misstrauen und Abwendung vom öffentlichen Leben

Zunehmend mehr Zeitgenossen reagieren auf den offenkundigen Reformstau mit geradezu panischem Misstrauen an den Regierenden, mit Fernbleiben von Wahlgängen oder mit dem Wählen irgendwelcher konfuser Protestparteien, mit zivilem Ungehorsam wenn nicht gar mit Gewaltausbrüchen, nicht wenige mit dem Abtauchen in illegale Verhaltensweisen, bestenfalls mit dem Rückzug in privates Wohlbefinden. Die Parteienlandschaft verändert sich unaufhörlich und auf nicht mehr erkennbare Ziele zu, und selbst altehrwürdige Parteien zerbröseln.

Aus dem Schlammassel führt jetzt wohl nur mehr ein Neustart. Er könnte - was den Stiefelstaat betrifft - eine Radikalkur erfordern: die Ausarbeitung einer neuen Verfassung verbunden mit dem Erlass von Anhanggesetzen im Verfassungsrang mit bindenden Vorgaben zu einem langfristig angelegten Abbau der Staatsverschuldung, zur Gewährleistung einer gerechteren Vermögensverteilung und zu mehr Steuergerechtigkeit, zur Einbeziehung aller beschäftigungsfähigen Menschen in den Produktionsprozess durch neue Formen der Arbeitsverteilung, zur Absicherung der Altersversorgung und Pflegesicherung, zu einer längst unaufschiebbar gewordenen Reanimation der Rechtssicherheit, zur Anbahnung eines gezielten und massiven Abbaus von Bürokratie, zu beherzter Regulierung des Bankensektors, zum Schutz der Umwelt und der Kulturgüter, zur Absicherung demokratischer Prozesse und zur Einrichtung von Mechanismen der Mitwirkung der Bürger an wichtigen öffentlichen Entscheidungen.


Renaissance durch neue Verfassung

Die Ausarbeitung einer solchen neuen Verfassung und der weiteren grundlegenden Gesetze sollte einer verfassunggebenden Versammlung anvertraut werden. Die Versammlung sollte neben einem vorerst weiter bestehenden Parlament ihre Arbeit aufnehmen und mit dem Auftrag betraut sein, in einer Zeit von fünf Jahren die dazu erforderlichen Regelungen festzuschreiben, die zum Ende der vorgenannten Legislaturperiode in Kraft treten und die derzeitige Verfassung und die bisher geltenden einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu ersetzen hätten. In die verfassunggebende Versammlung sollten durch allgemeine Wahl und über ein reines Persönlichkeitswahlrecht nicht mehr als 250 Mitglieder entsandt werden, die ehrenamtlich tätig werden müssten und lediglich Anspruch auf den Ersatz tatsächlicher und zu belegender Unkosten haben dürften. Das Mandat sollte mit der erfolgten Ausübung politischer Wahlämter in den vergangenen fünf Jahren unvereinbar sein. Den Mitgliedern der verfassunggebenden Versammlung sollte außerdem für zumindest zehn Jahre ab dem Auslaufen ihres Mandats die Ausübung politischer Ämter jedweder Art versagt sein.

Es ist zu erwarten, dass die erfolgreiche Umsetzung eines derartigen Konzepts zu einer nachhaltigen Gesundung des gesamten Staatswesens führen würde, also Optimismus, Unternehmergeist, Investitionsbereitschaft, Arbeitseifer und Konsumfreude, aber auch Bereitschaft zu schmerzhaften Opfern und Einschränkungen bei den Bürgern wecken würde, dass sie eine Rückbesinnung auf Werte wie Redlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität zur Folge hätte und dass sie nicht zuletzt auch das Vertrauen der Staatengemeinschaft und der internationalen Märkte in die Leistungskraft Italiens wieder herstellen würde. Auch darf wohl davon ausgegangen werden, dass sich mit einer Neuausrichtung der hier eingeforderten Art Chancen für eine Renaissance des Parlamentarismus und für die Wiedergeburt seriös und sauber agierender Parteien eröffnen würden. Freilich darf nicht verkannt werden, dass ein italienischer Aufbruch zu einem derartigen Neustart mit analogen Anstrengungen der Partnerstaaten der EU und möglichst in vielen weiteren Industrieländern einhergehen sollte und dass eine Erholung der weltweiten Krisenwirtschaft letztlich nur im internationalen Kontext und Gleichschritt erfolgreich sein würde.

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Willy Pöder So., 14.12.2014 - 03:30

Das, was Dr. Heinrich Zanon als erfahrener Jurist und Richter im Paket vorschlägt, enthält das Rüstzeug für eine Staatsgründung. Es fehlt lediglich ein Territorium und das passende Volk hierzu. Im Kleinen könnte sich derweil freilich der "Südtirol-Konvent" an Zanons Geistesquelle Nahrung holen. Noch besser: Man würde ihn beauftragen, das Ganze auf den Weg zu bringen und ans Ziel zu führen. Denn auch Südtirol würde ein, wenn auch eingeschränktes Dakapo guttun.

So., 14.12.2014 - 03:30 Permalink
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Christian Mair So., 14.12.2014 - 10:45

Ein verfassungsgebendes Konvent zur nachhaltigen Gesundung des gesamten Staatswesens und vor allem auch des Finanzwesens ist im Grossen auf gesamter EU Ebene nötig um Reformen die eine Finanztransaktionssteuer, Besteuerung von Grosskonzernen (Steuerflucht), Austrocknung von Steueroasen, Schwellgeldsteuer beinhalten, umzusetzen.
Nach 7 Jahren Krise sind in diesem Bereich politisch keinerlei Reformen erfolgt.

So., 14.12.2014 - 10:45 Permalink
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Benno Kusstatscher So., 14.12.2014 - 17:02

Renaissance eines Nationalstaates? Wozu? Anstatt restaurativ ein im Grunde gescheitertes Projekt neu erfinden zu wollen, könnte man die notwendigen Reformkräfte für eine Grunderneuerung des Europäischen Ordnungssystems binden. Als die Idee des Südtirol-Konvents aufgebracht wurde, war das schon eine tolle Sache. Mittlerweile, in Anbetracht der strukturellen Probleme, aber vor allem in Anbetracht der sich auftuenden, krisebedingten Chancen und dem immer globaler werdenden Brodeln wirkt ein Südtirol-Konvent wie ein kleinkariertes Festhalten an bereits vergehende Zeiten. Was wir brauchen, ist ein überregionales Konvent-Netzwerk, das immer größere, räumliche Kreise zieht.

So., 14.12.2014 - 17:02 Permalink
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Sebastian Felderer Sa., 20.12.2014 - 09:44

Diesen Beitrag habe ich ausgedruckt und in den "Südtiroler Frühling" geteilt. Heinz Zanon weiß besser als jeder andere, wovon er spricht. Er zeigt auch Lösungen auf. Hoffnungsschimmer in einem Tunnel, das immer länger erscheint, ja, sehr oft den Eindruck der Sackgasse hinterlässt.

Zum neuen Jahr ein neues Hoffen,
die Erde wird noch immer grün,
auch dieser März bringt Lerchenlieder,
auch dieser Mai bringt Rosen wieder,
auch dieses Jahr lässt Freuden blühn.
Zum neuen Jahr ein neues Hoffen,
die Erde wird noch immer grün.

K. von Gerok

Sa., 20.12.2014 - 09:44 Permalink