"Ich ziehe an der anderen Seite..."
Die Vorwahlen innerhalb der Bozner Mehrheit sind vom Tisch. Doch auch darüber hinaus scheint Guido Margheri von der Liste SEL zwei Monate vor den Gemeinderatswahlen mehr in Opposition zu Bürgermeister Luigi Spagnolli zu stehen als Teil der Mehrheit zu sein. Denn auf die Kritik am SEL-Etschwerke-Deal der Stadtregierung folgte am Montag eine vernichtende Bilanz zum Benko-Projekt. Auf den Punkt gebracht: Der Plan zur städtebaulichen Umstrukturierung der Zone rund um das Busbahnhofsareal, das immer noch von der Dienststellenkonferenz geprüft wird, würde „contraddizioni insanabili“ aufweisen – zu bestehenden Plänen der Gemeindeverwaltung, zu Projekten wie dem Bahnhofsareal und zur allgemeinen Lebensqualität in der Stadt. Eines der Beispiele, das der SEL-Politiker und sein Mitstreiter Lorenzo Sola bei einer Pressekonferenz am Montag nannten, ist die ungelöste Verkehrsfrage rund um das neue Einkaufszentrum.
Offene Probleme, die nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden dürfen, wie der Gemeinderatspräsident forderte. Angesichts der knappen Zeiten stellt sich allerdings die Frage, ob der aktuelle Gemeinderat überhaupt noch mit der Diskussion und vor allem dem Beschluss zum Projekt befasst wird. Laut aktuellem Zeitplan sollte das Projekt in der Woche vom 10. März von den Gemeinderäten behandelt werden. Allerdings endet die reguläre Tätigkeit des Gemeinderats am 26. März, wie der Gemeinderatspräsident erinnerte. Selbst wenn das Projekt also nun noch diese Woche von der Dienststellenkonferenz freigegeben und der Bürgermeister den so genannten accordo di programma unterzeichnen sollte – eine seriöse Diskussion im Gemeinderat sei in diesem Zeitraum ohnehin unmöglich, meint Margheri. Und: Das Schlimmste, das laut ihm passieren könnte, wäre nun grünes Licht zu einem Projekt voll ungelöster Probleme zu geben.
Doch was ist die Alternative? Eine weitere Verschiebung – und Behandlung durch „einen etwas freundlicher gestimmten neuen Gemeinderat“, wie Margheri selbst in den Raum stellte. Die beste Lösung, die er in der derzeitigen Lage sieht, ist dagegen eine Aufschiebung, die dafür genutzt wird, die Widersprüche in einem Projekt zu bereinigen, das die Entwicklung der Stadt zumindest in den kommenden 50 Jahren mitbestimmt.
Doch wird ein Guido Margheri dabei noch mitbestimmen – wenn er so kurz vor den Wahlen die zwei größten Projekte seiner Mehrheit so radikal in Frage stellt? „Ich finde, in einer Mehrheit muss Raum für solche Diskussion sein“, lautet Margheris Antwort. „Wichtig ist nur, dass die Positionen vor Bildung der Mehrheit klar auf den Tisch gelegt werden“. Hört man den Äußerungen eines Bozner SVP-Obmanns zu, könnte Margheri mit dieser Einschätzung jedoch allein dastehen. Für den SEL-Politiker noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. „Sagen wir es so“, beschrieb er die aktuelle Situation in der Bozner Mehrheit, „Steger zieht an der einen Seite und ich ziehe eben an der anderen.“
Man kann dem
Man kann dem Gemeinderatspräsidenten Margheri nur beipflichten:
Das Benko-Projekt ist keineswegs ausgegoren. Es enthält vielmehr zahlreiche Faktoren, die der Gemeinde noch teuer zu stehen kommen werden, wenn sie diese nicht sorgfältig ausdiskutiert - nicht nur auf der technischen Ebene der Dienststellenkonferenz sondern vor allem auch auf der politischen Ebene auf der dringender Nachholbedarf an Information besteht. Da geht es natürlich um den Nutzen des Projekts für Bozen aber auch um die finanzielle Situation des Signa-Konzerns, die sehr aufschlussreich in der Wirtschaftswoche vom 23.2.2015 beschrieben wurde. Da muss auf der politischen Entscheidungsebene freimütig darüber diskutiert werden, ob man mit im Boot eines rechtskräftig verurteilten Investors sitzen möchte, dessen Frachtraum mit dem Karstadtproblem und seinen 14.000 Mitarbeitern so belastet ist, dass alle miteinander baden gehen könnten. Dann möchte man nicht in der Haut der Bozner Gemeindepolitiker stecken. Auch wäre vor einer Entscheidung die Information über zentrumsnahe Shoppingcenter etwa in Deutschland und Österreich - aber auch den USA und Frankreich - einzuholen. Dort sind diese Center bereits Auslaufmodelle, während man in Bozen so tut als hätte man den Stein der Weisen gefunden. Kurzum: keine Hals über Kopf-Entscheidung kurz vor der Gemeindewahl, bei der sich eine breite Wählergruppe dann anders als bisher erwartet an den Wahlurnen verhalten könnte.
Also: jetzt erst einmal den Hals aus der Schlinge ziehen, kühlen Kopf bewahren und nach der Wahl alles gründlich überlegen! "Kommt Zeit, kommt Rat" ist kein schlechte Empfehlung in diesem Fall.