Gesellschaft | Extremismus

Turnschuhfaschismus auf dem Weg in die Mitte?

Als "Faschisten des Dritten Jahrtausends" sehen sich die Anhänger von CasaPound. Sie buhlen um Akzeptanz. Doch worin liegt die Faszination für die rechtsextreme Bewegung?

Als Giovanni Benussi seine Liste für die Bozner Gemeinderatswahlen vorstellt, drücken sie sich am Rande der Veranstaltung herum. Und während Benussi die SVP als Vorbild seines Engagements nennt, eifern sie den Schützen nach. Es seien sogar einige Schützen Mitglied bei ihnen – Namen wolle man aber nicht nennen. Klar sei jedenfalls, dass bei den Wahlen im Mai auch Personen mit deutschem Vor- und Nachnamen auf ihrer Liste kandidieren werden. Auf der Liste jener Bewegung, deren Mitglieder sich offiziell als “Faschisten des Dritten Jahrtausends” bezeichnen. Die Rede ist von CasaPound.

Demonstration der CasaPound-Anhänger gegen die Entschärfung des Siegesdenkmales in Bozen am 5. März 2011. Foto: it.wikipedia.org

Giovanni Benussi hat sich inzwischen besonnen – er will die Unterstützung der Neofaschisten nicht mehr. Die Einsicht komme etwas spät, meinen viele. Es sei unverständlich, wie ein erklärter Katholik und Zentrumspolitiker sich überhaupt auf den politischen Flirt hatte einlassen können.


Weder rechts noch links

Dass CasaPound seit ihren Anfängen Anfang der 2000er Jahre Bestrebungen unternimmt, gesellschaftliche und politische Akzeptanz zu erlangen, ist kein Geheimnis. 2003 wurde die Bewegung aus der Besetzung eines Gebäudes in der Nähe des Bahnhofs Termini in Rom geboren, Vorbild für die Gründung waren die linken Centri Sociali, die in den 1990er Jahren durch Hausbesetzungen in ganz Italien entstanden. Auch ideologisch lehnt sich CasaPound stark an linke Inhalte an: Antikapitalismus, Arbeitskämpfe, Solidarität, soziales Engagement, Ausstieg aus dem Euro, Kämpfe gegen Teuerung – dies sind nur einige der Themen, durch die CasaPound in gesellschaftliche Felder, die sonst wenig mit der rechtsextremen Szene zu tun haben, vorzudringen versuchen.

Dabei ist es der Bewegung in den Jahren ihres Bestehens gelungen, ein breites Netz an Infrastruktur zu entwickeln: Von 2.000 eingeschriebenen Mitgliedern und “tausenden Sympathisanten” ist auf der Seite von CasaPound Italia zu lesen. Italienweit hat man 13 Provinzorganisationen (darunter auch jene in Bozen und Trient), verfügt über acht Sportgruppen in den Bereichen Kampfsport, Tauchen, Rugby oder Eishockey (erinnert sei an dieser Stelle an die Verbindungen zwischen CasaPound und Fans aus der Ultra-Szene des HC Bozen) und betreibt 15 Büchereien, 20 Pubs, ein Webradio, ein Web-TV und zahlreiche Geschäfte. Darüber hinaus wird monatlich eine Zeitschrift herausgegeben, und in 25 Redaktionen im In- und zehn im Ausland kräftig die Propagandatrommel gerührt.

Ankündigung einer Veranstaltung von CasaPound Bolzano für Fans des HC Bozen im Mai 2014. Veranstaltungsort ist der “Spazio Sociale Nonconforme ROCKaFORTE”, allseits bekannter Treffpunkt für CasaPound-Anhäger in Bozen.

Im ganzen Land sind Mitglieder der Bewegung, die 2008 zur “Associazione per la promozione sociale” geworden ist, auf allen Ebenen politisch aktiv. “Weder rechts noch links” will CasaPound sein, erzielt damit zwar keine riesigen Wahlerfolge, doch schafft es durchaus, auch bei wichtigen Wahlen beachtliche Ergebnisse einzufahren. 2013 etwa, bei den Kommunalwahlen in Rom, erhielt CasaPound 0,61 Prozent der Stimmen – ein eher mäßiges Ergebnis, aber immerhin vier Mal so viele Stimmen wie die Fiamma Tricolore und drei Mal so viel wie Forza Nuova, die beide schon um einiges häufiger angetreten waren. Sehr erfolgreich hingegen ist der Blocco Studentesco, die Jugendorganisation von CasaPound. Er existiert in 40 Städten, ist sehr aktiv und erhielt bei den Schülervertretungswahlen 2009 28 Prozent der Stimmen. In Bozen engagiert man sich unter anderem für einen intensiveren Sprachunterricht und mehr kulturellen Austausch zwischen den Schulen.


Faschismus als Basis der idealen Gesellschaft

Was sich alles ganz harmlos, ja sogar lobens- und unterstützenswert anhört, ist in Wirklichkeit aber nur der Deckmantel für eine xenophobe, rassistische, gewaltbereite, autoritäre und antidemokratische Grundhaltung, wie auch ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Osservatorio contro i fascismi del Trentino-Alto Adige-Südtirol bestätigt:

Sotto la patina di movimento nazionalista, rispettabile e democratico, si nasconde un gruppo organizzato che pratica la violenza in maniera metodica come mezzo di sopraffazione, utile a mettere a tacere i nemici politici e, contemporaneamente, a disegnare la società desiderata (...) dove difficilmente possono trovare posto antifascisti, immigrati, gay e tutti coloro che non sono riconducibili all'idealtipo del cittadino bianco e patriota. (Auszug aus dem Bericht)

Denn bei all dem Engagement für soziale Anliegen, die Jugend, Sport und auch Kultur, darf nicht vergessen werden, wo CasaPound ideologisch steht: Der historische Bezugsrahmen für die Bewegung ist der Faschismus. Laut Heiko Koch “der Faschismus, als dieser noch nicht an der Macht war, also der Faschismus der Bewegung”. Koch ist Autor des Buches “CasaPound Italien. Mussolinis Erben” und sieht Parallelen zwischen dem Personenkult und Verhalten innerhalb von CasaPound und jenem um Benito Mussolini damals.

Gianluca Iannone, der Präsident von CasaPound. Um ihn herrscht ein regelrechter Personenhype. Foto: news.you-ng.it

Doch was macht diese Bewegung nun so anziehend, dass sich sogar zwei Südtiroler Schützen einschreiben? Und das, obwohl sich CasaPound wie bereits erwähnt offen zum Faschismus bekennt und sich für den Erhalt des Siegesdenkmals (unter anderem mit dem Aufmarsch “Bolzano è Italia” am 5. März 2011) einsetzt?


Irgendwie anders sein wollen

Die Faszination vor allem für die Jugendlichen liegt für Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl in dem jungen, rebellischen und “nonkonformen” Image, das sich die Bewegung gibt. Die drei AutorInnen des Buches “Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa” erklären sich die konstant zunehmende Akzeptanz von CasaPound folgendermaßen:

CasaPound konnte sich deswegen so gut entwickeln, weil es die spezifische politische Lage in Italien zuließ. Der Untergang der ersten italienischen Republik, Korruptionsskandale und zahlreiche etablierte sehr rechte Kräfte halfen der Entwicklung auf die Sprünge. Die Enttabuisierung des italienischen Faschismus in der italienischen Gesellschaft und das Wohlwollen der institutionalisierten Rechten waren hierfür genauso entscheidend.

Dabei setze CasaPound unter anderem auf die Strategie, in vermeintlich harmlose und unpolitische Bereiche vorzudringen (z.B. Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Vereinen oder Organisation von kulturellen Veranstaltungen und Konzerten) und dabei die Schwächen des italienischen Staates auszunutzen. Zum Beispiel engagierten sich Aktivisten von CasaPound 2012 für die Erdbebenopfer in der Emilia Romagna. In Bozen werden Decken an Obdachlose verteilt und illegale Müllhalden beseitigt, in Trient Lebensmittel für Bedürftige gesammelt – aber Achtung: “Prima gli italiani!”, so lautet das Credo der Bewegung. Und obwohl in der Regel Männer das Sagen innerhalb der Bewegung haben, gibt es auch eine eigene Frauenorganisation (Tempo di essere madri), deren einzige Ausrichtung jedoch ist, Frauen dazu zu bewegen, Kinder zu bekommen.


Gewalt an der Tagesordnung

In Bozen setzt man sich gegen Tierversuche und für Umweltschutz gleichwohl ein wie für gehörlose Kinder und gegen Misswirtschaft in der öffentlichen Verwaltung. Gleichzeitig wird – auch mit Gewalt – gegen alles, was nicht im Interesse des “italienischen Volkes” ist beziehungsweise ihm schaden könnte, vorgegangen. In Rom verwehrt man Kindern aus Roma-Familien den Zugang zu Schulen und organisiert Sit-Ins gegen Roma- und Sinti-Lager. Neben den sich letzthin häufenden tätlichen Übergriffen auf linke und antifaschistische Aktivisten, aber auch unpolitische Jugendliche im Trentino kommen auch immer wieder Meldungen von Zwischenfällen in Meran und Bozen. Drohungen, Beleidigungen, aber auch handfeste Schlägerattacken sind inzwischen – leider – zur Gewohnheit geworden. Nicht zuletzt geht auch der Übergriff auf drei Jugendliche am Dienstag Abend in Bozen auf das Konto von CasaPound. Regelmäßig werden Aufmärsche, Blitzaktionen, aber auch Konzerte und Tagungen veranstaltet. Vergangenen Samstag, 14. März, etwa marschierten Aktivisten von CasaPound am Bozner Bahnhof auf, um gegen die Verwahrlosung des Bahnhofsparks zu protestieren.

Foto: Facebook/Casapound Bolzano

Auf der einen Seite soziales Engagement – welches jedoch stets unter dem Slogan “Prima gli italiani!” propagiert wird – auf der anderen Seite rohe Gewalt, Intoleranz und hipper “Turnschuhfaschismus” (Zitat Koch – im Gegensatz zum “Stiefelfaschismus der vergangenen Tage”), das ist CasaPound. In Rom, in Trient, und in Bozen.

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Hartmuth Staffler Sa., 21.03.2015 - 19:08

Kurios finde ich in diesem Artikel die Frage, wie sich Benussi als "erklärter Katholik und Zentrumspolitiker" auf den politischen Flirt mit der faschistischen Casa-Pound-Bewegung hatte einlassen können. Wer ein klein wenig Ahnung vom Faschismus hat, der weiß, dass er in Italien nur dank der gütigen Unterstützung durch die heilige römisch-katholische Kirche an die Macht kommen konnte und dass dieses Nahverhältnis, wenn auch nicht so offensichtlich, immer weiter bestanden hat. Auch Bischof Muser findet nichts daran, an der blasphemischen Virgo-Fidelis-Feier teilzunehmen, bei der an die in Äthiopien gefallenen Carabinieri und faschistischen Schwarzhemden-Milizen gedacht wird, während es für die zu Hunderttausenden ermordeten Äthiopier kein Gedenken gibt.

Sa., 21.03.2015 - 19:08 Permalink
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gorgias Sa., 21.03.2015 - 19:12

Antwort auf von Hartmuth Staffler

>Es sei unverständlich, wie ein erklärter Katholik und Zentrumspolitiker sich überhaupt auf den politischen Flirt hatte einlassen können.<

Wer sich in der Geschichte umsieht wird immer wieder sehen, dass Konservative sich als Steigbügerhalter für Faschisten bewährt haben. Von Papen lässt grüßen!

Sa., 21.03.2015 - 19:12 Permalink
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Mensch Ärgerdi… So., 22.03.2015 - 11:19

"Doch was macht diese Bewegung nun so anziehend, dass sich sogar zwei Südtiroler Schützen einschreiben"
Finde das schon ein wenig frech, wenn man Behauptungen von Casapound einfach so als war annimmt, überhaupt wenn Casapound keine Namen nennt. Wurde da überhaupt recherchiert, oder passt das einfach so gut ins Weltbild der Autorin, dass sie sich keine Sorgen darum macht?
"Die Enttabuisierung des italienischen Faschismus in der italienischen Gesellschaft"
Oje oje, wo haben diese Leute den gelebt? In Italien ist der Faschismus und dessen Huldigung nie ein Tabu gewesen! Man braucht nur durch Bozen zu laufen um dies zweifellos zu erkennen, besucht man dann Predappio (überhaupt wenn man dabei Braunau als Vergleich her nimmt) wird das Bild erst richtig dramatisch war, von den Aussagen verschiedener Spitzenpolitiker Italiens in den letzten Jahrzehnten mal ganz zu schweigen.
Alles im allem ein "solala" Artikel über Casapound, aber mindestens wird mal auf Salto darüber berichtet.

So., 22.03.2015 - 11:19 Permalink
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Paolo Zanandrea Do., 09.03.2017 - 14:35

Geehrte Fr. Gasser, sind Sie sicher dass unter den angepriesenen Sportarten Rugby steht und nicht doch Football? Ich bin seit einiger Zeit in der Jugendarbeit von Bozen aktiv und hatte zum Glück noch nie irgendwelche Akteure aus der Szene beobachten können, andererseits würde ich mich umgehend in diesem Sinne aktivieren. Die Werte unseres Sportes sind vollkommen unvereinbar mit Radikalität jeder Art. Ich würde sogar sagen, durch die gesunde Härte des sportes, genießt der "rugbista" eine Art Immunität gegen Quacksalber jeder Art. Bei Interesse würde ich Sie gerne einmal zu unseren Aktivitäten in Meran (U8-U12), Brixen (Senioren - bayrische Verbandsliga) oder beim größten Verein, Südtirol(o) Rugby in Bozen mit 300 Mitglieder, einladen! MfG Paolo

Do., 09.03.2017 - 14:35 Permalink