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Gesellschaft | Uni-Gesichter 6

"Südtirol? Ein Sprung ins kalte Wasser"

Die in Brixen lehrende US-Anthropologin Dorothy Zinn empfiehlt Südtirol größeren Einsatz auf dem Weg zur Mehrsprachigkeit.

Das Foto der San Antonio Spurs in ihrem Büro würde man Dorothy Zinn eigentlich gar nicht zutrauen. Das Basketballteam ihrer texanischen Heimatstadt, das im letzten Jahr den Meistertitel der Profiliga NBA gewann, betrachtet sie eher als gesellschaftliches Phänomen: "Alle in San Antonio sind für die Spurs, ob sie sich nun für Sport interessieren oder nicht." Und für die Anthropologin Dorothy Louise Zinn ist die Mannschaft Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung, der sie wissenschaftlich schon lange nachspürt: dem Multikulturalismus.
Seit Jahren untersucht sie Phänomene, die Arbeitswelt und kulturelle Beziehungen verändern: Korruption, Klientelismus, Immigration, Jugendarbeitslosigkeit, soziale Verwerfungen und Protestbewegungen. Ihr mehrfach ausgezeichnetes Buch "La raccomandazione. Clientelismo vecchio e nuovo" gilt seit Jahren als Standardwerk zur Erforschung dieser unausrottbaren italienischen Unsitte.


Trifft es zu, daß der Klientelismus im Süden der Halbinsel entstanden ist? Wie hat er sich im Laufe der Jahrzehnte verändert und der Entwicklung angepaßt? "Der Optimismus nach Tangentopoli  und Mani pulite war verfrüht und fehl am Platz", versichert Zinn. "Es handelt sich um systemimmanente, tief verwurzelte Erscheinungen, die man nicht einfach mit ein paar Gerichtsurteilen auslöscht."


Mit gemischten Gefühlen Richtung Brenner

Dorothy Zinn kam vor zwei Jahrzehnten nach Italien, wo sie zunächst an der Universitá della Basilicata in Matera unterrichtete. Ihre Übersiedlung nach Brixen schildert sie  lächelnd als Sprung ins kalte Wasser: "Wie bei einer Kneipp-Kur." Man habe sie in Süditalien gewarnt: "Al Nord sono freddi." So habe sie die Einladung der Universität Bozen zur Teilnahme an einem Wettbewerb für die  Stelle eines Assistenzprofessors mit gemischten Gefühlen aufgenommen: "Insgeheim habe ich sogar gehofft, daß meine Konkurrenten gewinnen", gesteht  die sanftmütig wirkende Anthropologin: "Doch vor Ort habe ich erleichtert festgestellt, daß meine Befürchtungen unbegründet waren. Die Realität hat alle Vorurteile Lügen gestraft. Meine Kollegen an der Uni Brixen haben mich mit außergewöhnlicher Herzlichkeit empfangen und umsorgt."
In Brixen hat sich die Amerikanerin inzwischen gut eingelebt. Skifahren hat Zinn bereits gelernt. Das Langlaufen hat sie vorerst auf den kommenden Winter vertagt. Die üppige Südtiroler Küche kann sie als Vegetarierin allerdings nur zum Teil genießen: "Aber dafür ich habe hier bisher unbekannte Gemüsesorten wie Kohlrabi  und Sellerieknollen kennengelernt."

Mehrsprachigkeit läßt Wünsche offen

Eines von Zinns Forschungsgebieten ist die Mehrsprachigkeit. Hier sieht sie in Südtirol erheblichen Nachholbedarf:

"Ich habe mir erwartet, hier auf eine weit verbreitete Zweisprachigkeit zu treffen. Doch die Sprachkompetenz vieler Bewohner läßt zu wünschen übrig. Viele schlüpfen durch die Maschen und lernen die zweite Sprache nicht oder nur ungenügend"  

Das gelte auch für Südtirols "jüngste Minderheit", die Immigranten.
Den  schulischen Problemen von Einwanderer-Kindern hat Zinn eine eigene Untersuchung gewidmet. Zur Zeit bereitet sich die Professorin auf die obligatorische Deutsch-Prüfung vor, die viele ihrer ausländischen Kollegen als schwierige Hürde empfinden. Derzeit übt sie mit Schnitzler-Lektüre : "Nicht gerade das Einfachste. Aber mein Lesegerät übersetzt auf Knopfdruck unbekannte Begriffe", lächelt Zinn, die deutsche Literatur schätzt.

Dreisprachige Grundschule in Brixen

Neben kutureller Anthropologie lehrt sie in Brixen auch Ethnographic research in social- and education field. Aus Leidenschaft zur Ethnographie hat sie den 1965 erschienenen Klassiker "La terra del rimorso" des bedeutenden italienischen Anthropologen Ernesto De Martino ins Englische übertragen. Ein Standardwerk, das die Religionsgeschichte des Mezzogiorno ausleuchtet. "Eine aufwändige Arbeit", erzählt Zinn. "Aber es hat sich gelohnt, denn die anglophone Welt mußte diese herausragende Persönlichkeit kennenlernen." 
Das Curriculum der bescheidenen Anthropologin listet eine Fülle von Forschungsprojekten und Veröffentlichungen auf. Einige davon betreffen Südtirol. Auch ein effizientes Modell zur Förderung der Mehrsprachigkeit kann Zinn empfehlen:

"Es liegt direkt vor der Haustür: Die dreisprachigen Sektionen der Brixner Rosmini-Grundschule sind ein perfektes und erfolgreiches Full-Immersion-Programm, in dem die Lehrfächer in drei Sprachen unterrichtet werden. "

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Martin B. Fr., 27.03.2015 - 23:24

Naja die Amis sind kein leuchtendes Beispiel. Mehr als ein paar Brocken Hispanisch kann fast niemand... Wo gibt es denn eine "bessere" zwei- oder multisprachliche Region?

Fr., 27.03.2015 - 23:24 Permalink