Gesellschaft | Flüchtlinge

Am Limit

Situation am Bozner Bahnhof spitzt sich zu. Unhaltbare sanitäre Zustände und die Schließung des Warteraums auf Gleis 3 stellen die Freiwilligen auf eine steinharte Probe.

Ratlosigkeit herrscht am Freitag Morgen am Bahnhof in Bozen. Wieder sind zahlreiche freiwillige Helfer erschienen, um für die ankommenden Flüchtlingen da zu sein. Zunächst wurde man von Polizei und Eisenbahn nur geduldet, im Laufe der vergangenen Woche dann auch unterstützt. “Danke, dass ihr da seid”, hieß es immer wieder am Gleis 3, wo die Freiwilligen in einem Warteraum die Flüchtlinge so gut es ging versorgten. Doch am Donnerstag war Schluss mit der Dankbarkeit.


Die Hoffnung war umsonst

Ein “Befehl aus Rom” sei es gewesen, der die Bediensteten der italienischen Eisenbahnen am späten Nachmittag erreichte. Die Anweisung ist klar: Der Warteraum zwischen Gleis 3 und Gleis 4 am Bozner Bahnhof muss geräumt und geschlossen werden. Dort, wo freiwillige Helfer seit einer Woche die gesammelten Lebensmittel, Wasserflaschen, Kleider, und Hygieneartikel für die Flüchtlinge aufbewahrten. Kein würdiger Aufenthaltsraum für erschöpfte, zum Teil traumatisierte oder kranke Menschen. Doch man hatte versucht, sich zu arrangieren. In den vergangenen Tagen wurden Landkarten aufgehängt, Übersetzungstafeln angebracht und Decken gestapelt, auf denen sich die Menschen ausruhen konnten.

Wir wollen helfen, doch jetzt können wir nicht mehr.

Warum der Warteraum geschlossen werden musste, ist nicht eindeutig klar. “Aus Sicherheitsgründen” heißt es hier, “auf politischen Druck von rechts hin”, munkelt man dort. Von den zwei Bedienstete der italienischen Eisenbahnen, die am Donnerstag Abend mit Werkzeug anrücken, um den Warteraum zu verschließen, ist keine Auskunft zu bekommen. Nur so viel verraten sie: “Bereits Freitag früh wird der neue Raum auf Gleis 1 für die Versorgung der Flüchtlinge bereit sein.” Der Raum war Gesundheits- und Soziallandesrätin Martha Stocker am Dienstag von den Ferrovie dello Stato zugesichert worden.

Eigens wurden Löcher in beide Türen des Wartesaals gebohrt. Um anschließend Eisenketten anzubringen und den Raum zu verriegeln.

Der anfänglichen Empörung als sich die beiden Arbeiter ans Werk machen, weicht ein zaghaftes Hoffnungsgefühl. “Ich glaube zwar nicht an Wunder, aber wenn wir am Freitag wirklich den neuen Raum bekommen, dann sind wir mit der Räumung einverstanden”, so einer der anwesenden Freiwilligen. Doch Wunder sind bekanntlich rar. Denn als die Freiwilligen am frühen Freitag Morgen zum Bozner Bahnhof kommen, müssen sie feststellen, dass es den berühmten Raum am Gleis 1 gar nicht gibt. “Niemand weiß etwas von dem Raum. Nur so viel ist uns gesagt worden, dass er wohl ‘irgendwann’ fertig sein wird”, berichtet eine Helferin vor Ort.


Zwei verkehrte Welten

Am 1. Mai sind erneut zahlreiche Flüchtlinge angekommen. Viele Kleine sind dabei, eine Frau mit vier Kindern. Der Warteraum zwischen den Gleisen 3 und 4 verriegelt, die Menschen über das gesamte Bahnhofsgelände verstreut. Zum ersten Mal ist auch ein Arzt anwesend, gemeinsam mit einem Helfer des Roten Kreuzes. Sie stehen den freiwilligen Helferinnen und Helfern bei und klären über eventuelle Gefahren beim Kontakt mit den Flüchtlingen auf. Was bisher niemand wirklich gemacht hat. Die Freiwilligen wollen helfen, doch haben selbst keinerlei Hilfe erfahren. Martha Stocker hatte noch am Dienstag den Einsatz der Helfer gelobt, doch angekündigt, erst wenn die Freiwilligen sich zurückziehen würden, die Ressourcen des Landes mobilisieren zu wollen.

Auch Quästor Lucio Carlucci zeigte sich am Donnerstag noch “hoch zufrieden” mit der Situation am Bahnhof der Landeshauptstadt:

Il Questore, nel prendere atto con soddisfazione delle sinergie createsi sulla complessa questioni profughi, tiene a sottolineare l’eccezionale impegno profuso dalla Polizia di Stato i cui operatori sono quotidianamente chiamati, sia a Bolzano che al Brennero, a fare fronte alle note criticità con doverosa determinazione ma anche con la necessaria umanità che ha consentito di evitare che sfociassero in situazione pregiudizievoli per l’ordine pubblico.

“Wir wollen helfen”, stellt eine Freiwillige klar, “doch jetzt können wir nicht mehr.” Viele Helfer sind am Ende ihrer Kräfte. Insbesondere jene, die seit über einer Woche Tag für Tag zum Bahnhof kommen. “Wir sind psychisch am Ende. Und die Situation ist mittlerweile extrem schwer zu kontrollieren”, heißt es am Bahnhof. Die sanitären Bedingungen für die Helfer sind katastrophal. “Wir wurden vom Roten Kreuz angewiesen, Handschuhe zu tragen. Damit lösen wir noch mehr Panik unter allen Menschen am Bahnhof aus. Die Bedingungen sind unter jeder Sau”, empört sich eine Helferin.

Der geräumte und verschlossene Warteraum zwischen Gleis 3 und Gleis 4.


Alle Hilferufe sind verhallt

Doch hat sich Resignation breit gemacht. Nicht nur erst seit Tagen – seit Monaten schon hat man auf die Situation am Brenner hingewiesen, und darauf, dass die hygienische Versorgung praktisch inexistent ist. Auch die italienischen Polizeigewerkschaften haben bereits im September Alarm geschlagen. Die Situation würde sich nicht bessern, ganz im Gegenteil. Am Donnerstag Mittag war der Generalsekretär der italienischen Polizeigewerkschaft Coisp Franco Maccari für einen Lokalaugenschein in Bozen.

Entgegen den Behauptungen von Quästor Carlucci, seien auch die Polizisten überfordert. Auf ihren Notruf hin hat es, sage und schreibe, einen einzigen Mann als Verstärkung gegeben. “Das Problem wird damit aber nicht gelöst”, so Maccari. Denn es handle sich um ein politisches Problem, “und insbesondere in Bozen stehen wir vor gigantischen Schwierigkeiten.” Doch diese werden von der Politik ganz offensichtlich nicht gesehen. “Preferiamo far finta di non vedere il problema”, beschwert sich Maccari, “ma non è possibile scaricare sull’ultimo  poliziotto italiano o austriaco la risoluzione di un problema che è politico e di gestione globale.”

Die sanitären Bedingungen für die Helfer sind katastrophal.

Dass das Problem auf europäischer, ja wenn nicht sogar auf globaler Ebene gelöst werden müsse, darauf hatte auch Martha Stocker am Dienstag hingewiesen. Ihre Aussagen hatten nur Kopfschütteln und Unverständnis unter den freiwilligen Helfern am Bahnhof ausgelöst: “Keine hundert Meter Luftlinie von den Landhäusern passiert eine humanitäre Katastrophe. Doch niemand will einen Finger rühren”, so die Stimmung unter den Freiwilligen. Wer sich rührt ist die Zivilgesellschaft. Am heutigen 1. Mai haben sich zum Beispiel die Jugendlichen von Sterzing zusammengeschlossen, um Lebensmittel für die Flüchtlinge in Bozen zu sammeln.

Und während im ganzen Land die Menschen auf den 1. Mai-Feiern einen freien Tag genießen, reißt der Hilfestrom am Bahnhof Bozen nicht ab. Man will weiter machen. Allen widrigsten Bedingungen zum Trotz.

Wie ich lese, kommen am 5. Mai Renzi und Salvini nach Bozen. Wenn die unseren Respekt wollen, dann verlassen die Bozen nicht wieder, ohne am Bahnhof persönlich eine warme Mahlzeit serviert zu haben. Gerne auch gemeinsam und medienwirksam inszeniert.

Fr., 01.05.2015 - 12:12 Permalink

Danke Lisa Maria Gasser für deinen Einsatz! Muss man sich mal vor Augen halten: Die einzige Journalistin in diesem Land welche konstant die Problematik in die Öffentlichkeit rückt und sich kritisch mit den Zuständen auseinandersetzt. Vom Rest gibts wieder mal nur blabla und wenig Gehaltvolles oder Neues. Sollte auch mal erwähnt werden.

Fr., 01.05.2015 - 14:28 Permalink

RESIS TANZ goes Stuttgart

IT IS NOT MY CHOICE TO BE A REFUGEE !

Erste Eindrücke aus unsrer Reise über den Tellerrand.

Die Route gibt Themen vor.
Was passiert? Wer passiert?
Am Pass. Brenner.
Kalter Regen. Darunter - Menschen an der Grenze.

Ein einzelner Mann von VOLONTARIUS schenkt Caffèe aus der Kanne und später dann Jacken und Decken.

Sprach-unkundige Menschen dabei zu unterstützen, ein Zug-Ticket zu lösen, ist zuweilen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Sagt später dann irgendwer.

RESI hat das nicht verstanden.

Welche Züge werden mehr kontrolliert, die Regionalen oder die EC? Wir haben keine Antwort.

Menschen Hände Blicke.
Leben will leben. Menschen wollen Leben! Brauchen ganz wie Pflanzen dazu Erde, Wasser, Minerale, Nahrung, Sonne, Liebe.

Khalid hat 2009 in Asmara-Eritrea sein Diplomstudium an der Kunst UNI absolviert. Und ein Stipendium zum Post Graduate Programm in Paris erhalten. Bei einem berühmten chinesischen Professoren sagt er. Die Regierung hat ihm die Ausreise dann verwehrt. Jetzt steht er am Brenner und spricht als einziger unter ca. 50 Männer und einer Frau mit Kind für mich verständliches Englisch.

Wir sind mehr als sonst verdutzt über die Zug-Preise in die nächsten deutschen Städte. Tickets werden um schwere Euro gelöst.

Khalids Fachgebiet ist Bildhauerei, zeichnen tut er eher nebenbei. Ich frage nach. Er zeigt die einzige Zeichnung in seinem Block. 4 Tage alt. Zeigt Jacke und Hose die auf dem Bügel hängen. Der Titel darüber

IT IS NOT MY CHOICE TO BE A REFUGEE !

Khalid übersetzt der Gruppe unsere Erklärungen zu RESIS TANZ. Wir knipsen ein Gruppenfoto. Die Männer bedanken sich für die Polaroid-Abzüge. Gemeinsam freuen wir uns am Pass, der Zug nach München wird in ca 20 Minuten einfahren. Viele werden einsteigen.

Wir gelangen über die Autobahn einfach so ohne Kontrollen nach Stuttgart... Vieles fühlt sich trüb an. Auch der Fern-Pass ist trüb und gar nicht hoch aber drückt. Wir denken laut an Nachtsichtgeräte und Heißluftballoone und kleine Fischerboote, die an der lybischen Küste mit EU-Geldern versenkt werden.

An der Autobahn-Raststätte kostet ein Cappuccino € 4.10.-

Am Abend singt LENE im UNI-Cafè FAUSTE in der Geschwister-Scholl-Straße gleich am Bahnhof STUTTGART 21:

Tirol isch lei oans, isch a Landl a kloans, isch a schians isch a feins, und des Landl isch MEINS! LEI MEINS!

www.resistanz.it
facebook: Resis Tanz

ein Projekt der : INITIATIVE FÜR MEHR DEMOKRATIE

Sa., 02.05.2015 - 14:47 Permalink