Politik | Sanität

Stich ins Wespennest

Die Sanitätsbetriebe Bozen und Meran benützen ein digitales Archivierungssystem, an dem Private Millionen verdienen. Politik und Verwaltung schauen seit Jahren weg.

Paul Köllensperger will sich das nicht gefallen lassen. „Ich werde auf jeden Fall noch einmal nachhaken und genaue Auskunft verlangen“, sagt der Landtagsabgeordnete der 5-Sterne-Bewegung. Köllensperger weiß nur zugut, dass das Ganze ein Stich ins Wespennest sein könnte.
Ausgangspunkt ist eine Landtagsanfrage und die Antwort der zuständigen Gesundheitslandesrätin Martha Stocker darauf. Paul Köllensperger „Ich finde diese Antwort, gelinde gesagt, unglaublich“.


Landtagsabgeordneter Paul Köllensperger: "Unglaubliche Antwort".

Nix wissen

Köllensperger stellte Anfang Februar eine ebenso kurze, wie klare Anfrage im Landtag.

„Die Krankenhäuser in Bozen und Meran bedienen sich des Systems zur Digitalisierung der Krankenkarteikarten MEDarchiver. Der Sitz befindet sich in der Altmannstraße in Bozen, wo sich auch die Firmen BTC, Health Robotics und SAIM befinden.
Die Landesregierung wird deshalb um die schriftliche Beantwortung folgender Fragen im Sinne der Geschäftsordnung ersucht:

Wer besitzt die Patente des MEDarchiver-Systems?
Von wem wurden die Patentrechte gekauft?
Welche Kosten wurden dafür bezahlt?
Falls die Patentrechte nicht gekauft wurden, wie viel wird an Royalties bezahlt und an wen?
Wurden bei der Finanzierung von SIAM oder MEDarchiver europäische Gelder in Anspruch genommen? Falls ja, in welchem Ausmaß?“

Gesundheitslandesrätin Martha Stocker hat jetzt auf die Anfrage geantwortet. „Der Südtiroler Sanitätsbetrieb und die Landesabteilung Gesundheit können dazu keine Auskunft geben“, lautet die nichtssagende Standartantwort auf gleich drei der fünf Fragen. Zu den zwei anderen Fragen meint Martha Stocker: „Der Sanitätsbetrieb und die Landesabteilung Gesundheit sind nicht darüber in Kenntnis, ob es ein Patent oder Patentrecht zur Software von MEDarchiver gibt“. Ebenso wissen weder Land noch Sanitätsbetrieb anscheinend, ob die Betreiberfirma des MEDarchiver EU-Gelder für die Entwicklung des Programms in Anspruch genommen hat.

Die Firmen

Wir absurd diese Antwort ist, zeigt ein Blick auf die Unternehmen SIAM und MEDarchiver.
Die „Südtirol Alto Adige Informatica Medica Srl - Südtirol Alto Adige Informatik und Medizin GmbH“ (SAIM) mit einem Gesellschaftskapital von 200.000 Euro wird am 7. Dezember 2004 gegründet. Die SAIM verfolgt einen zentralen Gesellschaftszweck: die Informatisierung und die EDV-gestützte Vernetzung von Krankengeschichten in den Krankenhäusern der Provinz Bozen. Mehrheitseigentümer des Unternehmens mit Sitz in der Altmannstraße 9 in Bozen ist der Südtiroler Sanitätsbetrieb mit 51 Prozent. 44 Prozent hält die MEDarchiver GmbH und jeweils 2,5 Prozent die „Insiel AG - Informatica per il Sistema degli Enti Locali“, eine Inhouse-Gesellschaft der Region Friaul-Julisch-Venetien und die private Datef AG.

Datenverarbeitung im Krankenhaus: PPP-Projekt mit Millionengewinnen?

Jahrelang sitzt im SAIM-Verwaltungsrat neben dem Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes Andreas Fabi auch Theiners Ressortdirektor Florian Zerzer und Umberto Tait, Direktor des Sanitätsbetriebes Bozen.
Die SAIM sollte das Südtiroler Krankenhaus Informationssystem (KIS) aufbauen und warten. Allein bis Mitte 2013 hat man dafür 6,2 Millionen Euro ausgegeben. 4,1 Millionen für die Hardware und 2,1 Millionen für die Software.
Inzwischen sind die privaten Eigner der SAIM aus dem Unternehmen ausgestiegen. Heute halten der Sanitätsbetrieb und die Insiel AG die Anteile der Gesellschaft. Was aber niemand sagt: Wie teuer war der Ausstieg der "MEDarchiver GmbH"? Zudem ist es eine Tatsache, dass auch heute noch das private Unternehmen einen Großteil der Software wartet.

Der Kopf

Denn rund um die SAIM und das Unternehmen MEDarchiver gibt es Vorgänge, die man lieber nicht allzu genau beleuchtet haben will.
Der Kopf der geplanten Informatisierung der Südtiroler Krankenhäuser und die Schlüsselfigur in den beiden Unternehmen SAIM und MEDarchiver ist Werner Rainer. Rainer leitete jahrelang den landesweiten Dienst für Medizintechnik, bevor der Südtiroler Ingenieur aus dem öffentlichen Dienstverhältnis ausstieg und sich selbstständig machte. Rainer blieb dabei aber genau in jenem Bereich tätig, in dem er gearbeitet hatte.
Die „MEDarchiver GmbH“ wurde 2001 als kleines Software Unternehmen in Triest gegründet. Werner Rainer stieg in das Unternehmen ein, verlegte den Sitz in die Altmannstraße 9 nach Bozen und brachte die Firma hier groß ins Geschäft.
MEDarchiver implementiert zunächst ein „Pilotprojekt für klinische Informatisierung“ an der Kardiologie Bozen und wird danach zum ersten Ansprechpartner in Sachen KIS.


Altmannstraße 9: Sitz mehrerer Rainer-Firmen

Obwohl das KIS bis heute Südtirolweit noch immer nicht funktioniert und man von einem einheitlichen EDV-System in der Sanität ungefähr so weit entfernt ist wie von einer Rückkehr Südtirols zu Österreich, ist Rainers Firma bis heute im Sanitätsbetrieb tätig. Allein die Tatsache, dass das Programm, mit dem man die Krankengeschichten archiviert, "MEDarchiver" heißt, führt nicht nur zur Verwechslung mit der gleichnamigen Firma, die das Programm entwickelt hat, sondern dürfte auch eine klare Antwort auf die Frage sein, wem die Patentrechte gehören.
Werner Rainer gründete aber an demselben Sitz in der Bozner Altmannstraße noch einige weitere Unternehmen. Eines davon ist die „Biomedical Technology Consultig Srl“ (BTC), die sofort einen Millionen-Auftrag erhält. Die BTC arbeitet für den Neubau des Krankenhauses Bozen das Vor-, Einreich- und Ausführungsprojekt der gesamten Medizintechnik aus.

Die Ermittlungen

Das Unternehmen „MEDarchiver“ steht seit langem im Zentrum zweier Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bozen. 2011 ermitteln die Finanzwache und Staatsanwalt Igor Secco – nach der Eingabe eines Konkurrenten - gegen Andreas Fabi. Der Grund: Bei der europäischen Ausschreibung, mit der man die MEDarchiver GmbH als Partner für das KIS ausgesucht hat, soll der Sanitätsbetrieb gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen haben. Die Ermittlung wurde inzwischen archiviert.
Im Februar 2015 machen zudem die Ärztegewerkschaft ANAO und mehrere Ärzte eine Eingabe bei Oberstaatsanwalt Guido Rispoli. Der Grund: Grobe Verstöße gegen die Privacy-Gesetzgebung bei Krankenakten.
Auch dabei kam eines zum Vorschein: Die SAIM und die Insiel haben 2014 der MEDarchiver GmbH einen Auftrag zur Wartung und zum Umbau des Systems erteilt. Es galt, das System den neuen Privacy-Bestimmungen anzupassen. Was am Ende dann aber nicht termingerecht umgesetzt werden konnte.

Die Vergesslichkeit

Die plötzliche Vergesslichkeit an der Spitze des Sanitätsbetriebes und des Gesundheitsassessorates könnte aber auch an der Angst liegen, dass noch andere Details ans Tageslicht kommen. So will es der Zufall, dass die Tochter des scheidenden Generaldirektors Andreas Fabi zeitweilig für eines der Rainer-Unternehmen tätig war.


Generaldirektor Andreas Fabi: Tochter arbeitete für Rainer-Firma.

2007 gewinnt eine Unternehmergruppe den internationalen Planungswettbewerb für das Mailänder “Ospedale Maggiore Policlinico, Mangiagalli e Regina Elena”. Bis 2012 erarbeitet die Unternehmergruppe das Ausführungsprojekt.
An der siegreichen Unternehmergruppe beteiligt ist auch Werner Rainers BTC. Im fünfköpfigen BTC-Team, das am Mailänder Projekt arbeitet, findet sich neben Firmengründer Werner Rainer auch Susanne Fabi, damals frischgebackene Akademikerin. Inzwischen ist die Tochter des Chefs der Südtiroler Sanität für eine Südtiroler Privatklinik tätig, die direkt mit dem Südtiroler Sanitätsbetrieb zusammenarbeitet.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Paul Köllenspergers Anfrage im Landtag ein Stich in ein Wespennest ist.
Martha Stocker und ihre Ämter ziehen es deshalb vor, nichts zu wissen.

Bild
Profil für Benutzer G G
G G Mo., 04.05.2015 - 13:40

Unglaublich!!!!!
Und für dieses Kopf in den Sand stecken bekommt eine Stocker sooo viel Geld. Politik ist einfach ein Sauhaufen, der viel Geld bekommt, um bei den Machenschaften der Privatwirtschaft die Augen zuzudrücken... im Kleinen hier bei uns wie auch im Großen der globalen mafiösen Zusammenhänge.
Was Politiker am besten können: die Masse der Menschen ruhig zu stellen und beschäftigt zu halten - Schauspieler auf der Bühne, um vom Tun dahinter abzulenken.

Mo., 04.05.2015 - 13:40 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Heinrich Tischler
Heinrich Tischler Mo., 04.05.2015 - 15:16

https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=Ps2CN0aS2mQ

Dieses Video vom 20.9.2008 anlässlich der Ärztekammertagung in Bozen ist insofern interessant, als der Ressoertdirektor Dr. Zerzer, ein Informatiker (!), nach seinen ersten 5 Amtsjahren zugibt, dass die Implementierung des KIS (Krankenhausinformationssystem) ein sehr großer Misserfolg war und dabei meint, nicht die richtigen Partner gefunden zu haben bzw. auf organisatorische Mängel hinweist. Dass dann die nächsten 5 Jahre diese Misserfolgsstory fortgesetzt wurde, ist bekannt, obwohl Dr. Zerzer weiterhin im Verwaltungsrat der SAIM geblieben ist. Zaghafte Versuche der Grünen, der SF, auch einiger Medien den KIS-Skandal anzusprechen, sind im Sande verlaufen. Ich wünsche dem Herrn Paul Köllensperger mehr Glück und mehr Durchschlagskraft, dass wirklich Licht in die Sache kommt. Nicht nur Gelder sind verprasst worden, auch indirekte Schäden kommen zum Tragen. Ich wage zu behaupten, dass wegen des schlecht funktionierenden Informatiksystems unter anderem sicherlich viel an Arbeitszeit der Benutzer verloren gegangen ist, Arbeitszeit, die besser für die klinische Arbeit am Patienten hätte aufgewendet werden können.

Mo., 04.05.2015 - 15:16 Permalink