Politik | Aus dem Blog von Martin Geier

Neue Regierung, alte Geldsorgen

Erster Streit und vermeintlich die ersten Risse in der Regierung. Aber die internationale Lage kommt Italien zu Hilfe und auch die Märkte, die das Ende der politischen Hängepartie honorieren.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

In den letzten zwei Tagen hat die neue Regierung unter Enrico Letta das Vertrauen beider Kammern erhalten, bereits heute aber streiten PD und PDL über die Abschaffung der IMU. Bis auf weiteres scheint man sich darauf geeinigt zu haben, dass die erste Rate im Sommer vorerst "eingefroren" wird. Manch voreiliger politischer Beobachter wittert bereits die ersten Risse und weist darauf hin, dass die vorgesehenen Einsparungen die Koalition zerreißen könnten. Das ist aber meiner Ansicht nach ein Trugschluss, zumal sich Italien derzeit zu niedrigeren Zinsen refinanzieren kann. Der Hauptgrund ist auch, dass wichtige Länder wie die USA, England und nun auch Japan eine expansive Geldpolitik betreiben, zumal sie wenig mehr fürchten als ein durch Deflation verlorenes Jahrzehnt - und diese Geldpolitik soll nach Meinung von Experten noch Jahre anhalten. Das "neue Geld" stürzt sich auf die Bonds der Euro-Periphärieländer, zumal diese bei überschaubarem Risiko noch eine zufriedenstellende Rendite versprechen. Laut Expertenmeinung hätte die sommerliche IMU Rate die nun eingefroren wurde vielleicht zwei Milliarden Euro gebracht. Kann der Staat aber Zinsen auf die Staatsschulden sparen, kommen schnell zweistellige Milliardenbeträge zusammen - das macht die Arbeit für die Regierung leichter. Gut für die Regierung auch, dass die Italiener die BTP Italia mit Freuden aufgenommen und kräftig in die eigenen Staatsschulden investiert haben. Das könnte man leicht ähnlich wiederholen. Traditionell wird der größte Teil der Italienischen Staatsschulden von Italienischen Instituten und Privaten gehalten; dieser Anteil (laut Experten >60%) könnte sich weiter erhöhen. Ein default in der Eurozone ist aus Sicht der Investoren in weite Ferne gerückt. Es war auch bisherige Politik der EU ihn so und anders zu verhindern - zuletzt im Falle Zyperns.

Sich veränderndes Machtgefüge
Die andere Neuausrichtung ist das sich verändernde Machtgefüge in Europa. Die bisherige Eurorettungspolitik wurde im wesentlichen von Berlin bestimmt und legte den Schwerpunkt auf Sparmaßnahmen und Austerity-Politik und weniger auf Reformen. Nach mehreren Jahren ist ziemlich klar, dass eine Politik mit Schwerpunkt aufs Sparen im Prinzip gescheitert ist. Bei aller Unterschiedlichkeit der Blöcke, die Sparpolitik ist in Italien eindeutig abgewählt worden. Es gibt in Italien Null politische und gesellschaftliche Zustimmung für eine Neuauflage Montianischer Sparpolitik, damit ist auch in Europa die politische Waage von Austerity in Richtung Wachstumspolitik gekippt. Frankreich befindet sich in dieser Hinsicht im gleichen Boot wie Italien und Spanien: es kann nicht mehr. Aus Rücksichtnahme vor den deutschen Wahlen im Herbst wird es noch einige Lippenbekenntnisse geben, aber der Damm ist gebrochen: Selbst in Berlin hat man verstanden, dass das Weiterbestehen auf eine Spar- und Austeritypolitik die Eurozone über kurz oder lang zerreißen wird. Wichtige Interessengruppen in Deutschland erkennen, dass die wichtigsten Handelspartner immer noch in der EU liegen und dass ferne Partner wie USA und China sie nur bedigt ersetzen können. Selbst die kleineren Länder und Steueroasen in EU-Gefilden fürchten eine weitere Austerity-Politik, zumal sie mit ihren hohen Bankeinlagen im Verhältnis zum BIP im Zweifelsfall als erste über die Klinge springen. Für eine Änderung sorgte bereits Draghi mit seinem 'Whatever it takes'. Aber die Verhandlungen mit der EZB und der EU-Komission werden sehr hart werden.   Abkehr vom Euro wäre ein Desaster
Die meines Erachtens wichtigste Personalie im neuen italienischen Kabinett ist Wirtschafts- und Finanzminister Fabrizio Saccomanni: International sehr erfahren und angesehen und vielleicht im Verbund mit EZB-Präsident Draghi und den Franzosen (Hollande übt bereits heute großen Druck auf Berlin, die EZB und die EU-Kommission aus) und Spaniern dazu auserkoren, die deutschen Austerity-Wünsche zu stutzen. Sind die deutschen Wahlen einmal durch  - ironischerweise muss sich Merkel intern einer neuen Partei, der Alternative für Deutschland (AfD), erwehren die praktisch einen Austritt aus der Eurozone anstrebt, was ihren innenpolitischen Spielraum schon heute einschränkt - ist der Weg frei für eine Lockerung des Stabilitätspakts, für die große Kanone der EZB (quantitative easing) oder gar für Eurobonds. Das werden natürlich harte Verhandlungen - die anderen Länder fürchten die deutsche Finanzmacht, die Deutsche Regierung selbst aber auch den Mittelfinger der anderen. Die gemeinsame Währung hat Vorteile, wird der Preis aber zu hoch so werden mehrere lieber zu ihrer Währung zurückkehren, was ein episches Desaster wäre. Es gibt keine einfache Rückabwicklung wie Mancher sie erträumt, die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen wären gewaltig. Was Italien und andere Länder brauchen sind Reformen. Was die neue Regierung unbedingt tun ms, ist die Durchführung wichtiger Reformen. Es sind weniger die Steuern, es ist vielmehr die überbordende Bürokratie sowie die schleppenden Verfahren die die Wirtschaft lähmen.
Die Voraussetzungen sind gut, mal sehen ob sie Letta nutzen kann. Die Reformen und die Abkehr von der reinen Sparpolitik würde wieder viele Menschen in Arbeit bringen. Eine Hoffnung am Ersten Mai.

Interessante Artikel und Links:

FT Person of the Year: Mario Draghi

http://www.ft.com/intl/cms/s/0/8fca75b8-4535-11e2-838f-00144feabdc0.html#axzz2S1WM2vpL

http://www.ilfattoquotidiano.it/2013/04/30/sende-spread-piu-fiducia-nel-nostro-paese-no-merito-di-stati-uniti-e-giappone/579497/

Vorteile des Euro für Deutschland - eine Studie der angesehenen Bertelsmann Stiftung:

http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-5A383E0A-6346945E/bst/xcms_bst_dms_37726_37727_2.pdf

Bild
Profil für Benutzer Peter Rabanser
Peter Rabanser Mi., 01.05.2013 - 17:42

Na ja,das gesamte globale Finanzsystem sitzt auf einen Berg von Dynamit. Banker und Zentralbanker gießen Benzin darüber und unsere Politiker paffen ahnungslos daneben Zigarren.
Es stellt sich auch doch die Frage,wie weit wir noch entfernt sind,von dem Zeitpunkt, ab dem die Illusion der noch heilen Welt bei den Massen zerplatzt.
So viel Geld wie man brauchte, um den Zusammenbruch abzuwenden, ist weltweit nicht vorhanden. Wir reden vom 40-fachen des Welt-Bruttosozialprodukts. Das ist beim besten Willen nicht zu schaffen.
Zumindest ein EU-Politiker redet Klartext.
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=UZap5n3zGZ8#!

http://www.zerohedge.com/news/2013-04-30/nigel-farage-wholesale-violent…

Mi., 01.05.2013 - 17:42 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Mi., 01.05.2013 - 21:31

Antwort auf von Peter Rabanser

andererseit ist immer wieder von zuviel Geld die Rede, daß im Umlauf ist und zu Blasen führt, weil es nicht in der Realwirtschaft investiert werden kann. Kann mir jemand erklären, wieso es dann Sparpakete gibt und kein Wachstum?

Mi., 01.05.2013 - 21:31 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Martin Daniel
Martin Daniel Do., 02.05.2013 - 09:14

Antwort auf von Peter Rabanser

Glaube, das Problem der Industriestaaten ist die (allseits als erstrebenswert erachtete) Produktivitaetssteigerung in Kombination mit einem stagnierenden Bevoelkerungswachstum. Bei gleichbleibender Nachfrage werden Arbeitsplaetze eingespart, deren Inhaber aufgrund ausfallender Kaufkraft in Summe zu einem Rueckgang der Nachfrage beitragen. Die Anbieter versuchen durch Verlockungen und Tricks aller Art (bspw. vorprogrammietes Ablaufdatum technischer Geraete) die Nachfrage - sogar durch Vorstrecken der noetigen Kaufkraft an den Kunden! - aufrecht zu halten, aber die immer groesser werdenden Einkommensunterschiede verursachen einen wohl kaum wettzumachenden Nachfrageausfall. Die Autoindustrie ist wohl das beste Bsp. dafuer: ein auch noch so Vermoegender wird halt kaum ein drittes oder viertes Auto kaufen, waehrend Geringverdiener nicht mal mehr die Schrammen an ihren alten Karren reparieren lassen. Wir haben es m.E. in Europa mit einer veritablen Nachfragekrise zu tun, denn die Produktionskapazitaeten sind ja in ueberdimensionierem Masse vorhanden. Die Staaten versuchen sie nun in der ganzen Welt mit einer ultraexpansiven Geldpolitik zu ueberwinden. Das ist sicher ein grosses Experiment mit offenem Ausgang, wenn der Hebel oder Pump auf gesamtwirtschaftlicher Ebene angesetzt wird. Ich verfolge Japan als Exempel moegliches fuer die EU jedenfalls derzeit mit grosser Neugier - kann der einzige Ausweg sein und klappen oder gewaltig schief gehen. Krugman ist begeistert, andere warnen vehement... wer jetzt behauptet zu wissen, dass das alles schiefgeht, ist ein Glaubender.

Do., 02.05.2013 - 09:14 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Bernhard Oberrauch
Bernhard Oberrauch Do., 02.05.2013 - 12:36

Ich teile die Einschätzung, dass es die Durchführung wichtiger Reformen braucht. Ja, "Es sind weniger die Steuern, es ist vielmehr die überbordende Bürokratie sowie die schleppenden Verfahren die die Wirtschaft lähmen."
Es sind jedoch auch die Steuern, und auch die legalen und halblegalen Möglichkeiten, dem Bezahlen von Steuern auszuweichen. Wenn es möglich ist, dass in den Niederlanden sich Firmen ansiedeln, und damit Steuern, die eigentlich in Portugal zu bezahlen wären, dann nicht mehr zahlen müssen (so habe ich es aus den Medien erfahren), dann kann das natürlich auch gegen Italien ausgenützt werden.
Hier sehe ich das sehr wohl als absolut dringlich Aufgabe der EU, dagegen vorzugehen und zusätzlich die Flucht in die Steueroasen zu verhindern. Auch die Spekulation, so wie sie in Zypern legal durchgeführt wurde, geht zu Lasten von uns allen Mitbürgern.
Hier verlange ich Transparenz und Gerechtigkeit. Ich bin gegen eine Umverteilung des Geldes von den Armen bzw. Mittelstand zu den Über-Reichen.
Eine gute Lektüre ist das Buch von Christian Felber "Rettet den Euro" bzw. jenes über die Gemeinwohl-Ökonomie, siehe auch www.gemeinwohl-oekonomie.org
Wenn die Mehrheit der Gesellschaft ausgepresst wird wie eine Zitrone, dann fehlt die Kaufkraft, und dann kann die "Wirtschaft" nicht mehr funktionieren, auch wenn es noch so viele Anreize vom Staat gibt.
Ich verstehe übrigens immer noch nicht, wieso Bereicherung durch Kapitalbewegungen weniger besteuert wird als Arbeiten für die Realwirtschaft. Was passiert da wirklich?

Do., 02.05.2013 - 12:36 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Giancarlo
Giancarlo Do., 02.05.2013 - 18:38

Antwort auf von Bernhard Oberrauch

Condivido. L'Italia deve risolvere da sé i problemi che altri stati non hanno o hanno molto meno, né può aspettarsi dagli altri un aiuto per quanto riguarda: corruzione e peso eccessivo del settore economico illegale o sommerso, burocrazia inefficiente e spesso vessatoria nei confronti di chi fa impresa, giustizia civile scandalosa per la durata dei procedimenti e per l' incertezza del diritto che ne risulta. Detto questo, in Europa c'è una concorrenza fiscale interna, come nel caso citato dell'Olanda, e qui non si vede come si possa andare avanti con una moneta comune, l'euro, che impone a tutti i paesi dell'area comportamenti finanziariamente rigidi, vedi il fiscal compact, l'obbligo del 3% massimo di deficit, il patto di stabilità ecc., né allo stato attuale fa sperare in nessuna forma di "quantitative easing", ma che al tempo stesso permette che un paese faccia concorrenza fiscale a un altro, togliendogli risorse e alimentando il circolo vizioso: più deficit, più debito, più spread e quindi tassi d'interesse più alti da pagare.

Do., 02.05.2013 - 18:38 Permalink