Chronik | Auf Stimmenfang

Mäuse, Müll, Illegale

Zum Selbstverständnis viele Grillini gehört der Einsatz für die Menschenrechte, auch in der Flüchtlingsfrage. Warum fällt ihnen Grillo dabei immer wieder in den Rücken?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Grillos 5-Sterne-Bewegung befindet sich wieder im Aufwind. Nimmt man die eingeleiteten Ermittlungsverfahren zum Maßstab, ist sie die einzige Partei, die im Sumpf der römischen Cloaca Maxima „sauber“ blieb. Gegen Mitglieder aller anderen Parteien wird ermittelt. Die Affäre ist so übel – die Bande verdiente sogar an der Unterbringung der Flüchtlinge – und die Verstrickung der anderen Parteien so tief, dass man versucht ist, die grillinische Totalverweigerung jedes Bündnisses nicht nur als einzigen Ausweg, sondern auch mit Sympathie zu betrachten. Kein Wunder, dass sich Grillos Partei in Rom mit der Forderung nach Rücktritt des gesamten Stadtrats in der Offensive befindet, obwohl sie mit Bürgermeister Marino wohl den Falschen trifft. Wie aber jetzt die römische PD samt ihrer nationalen Führungsspitze auf diese Forderung reagiert, ist peinlich. Zwar kann man darüber streiten, ob Neuwahlen sinnvoll sind, wenn eine ganze politische Klasse von der Seuche der Korruption befallen ist und erst einmal radikal erneuert werden müsste. Aber sie vor allem deshalb abzulehnen, weil jetzt nur die 5-Sterne-Bewegung gewinnen könne, ist erbärmlich.

Am vergangenen Sonntag und teilweise auch Montag fanden noch ausstehende Stichwahlen für die Gemeinderäte statt. Niemand weiß, welchen Anteil daran die römische Affäre hatte, aber diesmal gingen weniger Menschen denn je zur Wahl. In Sizilien kam es in fünf Gemeinden zu einer Stichwahl unter Beteiligung der 5-Sterne-Bewegung. In all diesen Fällen siegte sie. Dies steigert das Selbstbewusstsein. Warum nicht die Gunst der Stunde nutzen und nun auch zum Sturm auf Rom blasen?

Es scheint das Gefühl der Allmacht gewesen zu sein, das nun Grillo überkam. Und in dem er am Mittwoch, den 17. Juni, folgende Botschaft an seine Anhängerschaft twitterte (siehe das Original):

 

         Grillos Botschaft

                        Grillos Botschaft

„Neuwahlen in Rom so schnell wie möglich. Bevor Rom von Ratten, Müll und Illegalen überschwemmt wird. Marino, tritt zurück!“

Mäuse sind die Tiere, die im Untergrund leben, oder die unappetitlichen Akteure von „Mafia Capitale“. An der Müllentsorgung hapert es in der Hauptstadt seit Jahren. Beides, kann man sagen, ist gut gezielt. „Illegale“ jedoch sind Flüchtlinge, die wie überall in Italien auch in Rom gestrandet sind und keinen offiziellen Aufenthaltsstatus haben. Mäuse, Müll, Flüchtlinge. Topi, Spazzatura, Clandestini. Alles in einem Atemzug, alles muss weg.

Warum begnügt sich Grillo nicht damit, die anderen Parteien wegen ihrer Korruption anzugreifen, die Entfernung der in sie Verstrickten aus dem römischen Stadtrat zu fordern, auf die „Sauberkeit“ seiner Vertreter hinzuweisen und meinetwegen Neuwahlen zu fordern? Warum rührt er in diese Suppe auch noch die „Illegalen“ hinein? Gerade wir Deutschen wissen, wie kurz der Weg von der Forderung nach „Reinheit“ zur “Säuberung” sein kann. Ihn hat offenbar auch Grillo eingeschlagen. Wir halten uns rein, und wir säubern das Land vom Schmutz. Die Konkurrenz ist Salvini von der Lega. Auch dieser will Italien von den Flüchtlingen säubern, und die Boote, in denen sie kommen, auf Grund setzen, bevor sie die Küste erreichen. Das Mittelmeer als Medium der Säuberung. Ein Programm, mit dem er bei einem Teil der Wählerschaft punktet. Auch Grillo will an diese Wähler ran. Er ist zu gebildet, um nicht zu wissen, in welcher Tradition er steht, wenn er Menschen mit Ungeziefer gleichsetzt. Er tut es trotzdem.

Zur Ehre seiner Anhängerschaft sei gesagt, dass Teile von ihr Grillo damit allein ließen. Im Netz regte sich Protest. Der so stark wurde, dass Grillo einige Stunden später, noch am gleichen Tag, seiner Anhängerschaft eine zweite Version zutwitterte. Mit der er zweierlei erreichen sollte: möglichst weitgehend beim Wortlaut der ersten Botschaft bleiben (ein Grillo ist im Prinzip unfehlbar) und trotzdem den Stein des Anstoßes in etwas mehr Watte packen. Das Ergebnis:

„Marino, tritt zurück, bevor Rom von den Mäusen, dem Müll und den von der Mafia verwalteten Camps der Illegalen überschwemmt wird!“

Die Gleichung Illegale = Mäuse und Müll hat jetzt den Zusatz „Mafia“. Damit ist sie nach allen Seiten abgedichtet. Und trotzdem nicht widerrufen. Ist doch genial, oder?

Es ist vor allem widerwärtig. Ich weiß, dass ein beträchtlicher Teil der 5-Sterne-Aktivisten davon meilenweit entfernt ist. Trotzdem dulden sie diesen Mann weiterhin an ihrer Spitze. Nach dem Motto: Unser Beppe, der ist eben so. Ein bisschen überspitzt, ein bisschen provokativ. Sie machen sich etwas vor. Es ist kalkulierter Stimmenfang, in trüben Gewässern.

Das ist das Dilemma. Italien ist in Not, siehe die römische Cloaca Maxima. Aber es gibt nicht nur den einen Sumpf, aus dem sich das Land herausarbeiten muss. Es muss sich auch von dieser Alternative befreien.

Bild
Salto User
Sepp.Bacher So., 21.06.2015 - 20:01

Vorweg: Grillo ist und war mir von Anfang an unsympathisch und widerlich. Hinter einigen Zielen der Bewegung könnte ich stehen. Kölnsberger schätze ich.
Den folgenden Satz finde ich gut: "Gerade wir Deutschen wissen, wie kurz der Weg von der Forderung nach „Reinheit“ zur “Säuberung” sein kann." Trotzdem verstehe ich den Groll gegenüber den "Illegalen", denn wenn sie ohne Papiere und ohne Aufenthaltsgenehmigung im Land oder in Rom sind, können sie fast nur in die Kriminalität absacken, und die will wohl niemand. Oder?

So., 21.06.2015 - 20:01 Permalink
Bild
Salto User
Sepp.Bacher So., 21.06.2015 - 21:57

Antwort auf von Roland Kofler

Das ist sicher ein Teil der Realität, aber auch das soll nicht gefördert werden. Ich kenne aber auch keinen Staat, der unbegrenzt Asylrecht oder unbegrenztes Aufenthaltsrecht gewährt. Also müssen die Illegalen untertauchen, wie es in Italien möglich ist, oder sie werden abgeschoben, wie in anderen Ländern. Als vor mehr als 100 - 120 Jahren Millionen Europäer nach Amerika oder noch nach den zweiten Weltkrieg nach Australien auswanderten, mussten diese sich auch darum kümmern, unter welchen Bedingungen sie dort aufgenommen werden. Andernfalls riskierten sie auch, zurückgeschickt zu werden.

So., 21.06.2015 - 21:57 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Mo., 22.06.2015 - 08:21

das sind doch die gleichen Winkelzüge wie von Haider und Konsorten, die zuerst lautstark populistische Sprüche loslassen und sich dann mit halbseidenen Korrekturen wieder rausreden. Ehrlich gesagt, finde ich das zum Kotzen und mir schwant Übles falls Grillo mal an der Macht ist und mehrere Jahre im Aufwind. Es ist höchst an der Zeit, dass die 5 Sterne Bewegung beweist, dass sie basisdemokratisch ist und nicht eine Führerpartei.

Mo., 22.06.2015 - 08:21 Permalink