Politik | Griechenland

David gegen Goliath

Die Griechenland-Krise ist nicht nur eine Krise der EU.
Sie stellt uns auch vor die Frage der Entwicklung unserer Gesellschaft.

Wir durchleben eine ernste Krise Europas, das ist unbestreitbar. Seit der Insolvenz der amerikanischen Lehman-Brothers-Bank 2008 und der folgenden internationalen Krise der Finanzindustrie hat sich der kapitalistisch-globalisierte „Westen“ noch immer nicht erholt. Keine Wachstumsraten, hohe Arbeitslosigkeit, radikale Zuspitzung der Schere zwischen Arm und Reich und besorgniserregende Folgen in der Politik sind die Folge. Rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen und Parteien feiern einen Sieg nach dem anderen, die klassischen Parteien sacken in einer Art Schockstarre und Hilflosigkeit ab.

Antiglobalisierung und Antikapitalismus

Seit langem haben sich angesichts dieser Entwicklung Gegenbewegungen formiert. Am meisten Aufsehen hat die „Occupy Wall Street“ in den USA mit ihrem Slogan „We are the 99 %!“ erregt. Weil die Bewegung im Herzen des globalisierten Kapitalismus entstand und weil sie – wie immer die Amerikaner – es verstanden, ihre Forderungen und den Mißstand unserer Weltordnung in wenigen Worten auf den Punkt zu bringen: selbst in der Fast-Weltwirtschafts-krise profitierten nämlich die oberen 1-10% herrlichst, während das Gros der Bevölkerung zum Aderlass gezwungen wurde.

Gegen diese Entwicklung gab es auch in Europa starke Protest- und Gegenbewegungen. In Frankreich erreichte die radikale Linke mit ihren verschiedenen Formationen immerhin ein Fünftel der Wählerstimmen, Beppe Grillos 5Sterne gaben sich anfangs ja auch antikapitalistisch links und in Spanien haben die verschiedenen Formationen rund um Podemos ein beeindruckendes politisches Gewicht erreicht. Und in Griechenland schaffte diese Anti-Turbo-Globalisierungs-Bewegung sogar den Sieg bei den Parlamentswahlen mit Regierungsmacht.

Kann eine Anti-Globalisierungs-Kapitalismus Bewegung in der EU regieren?

Es ist kein Zufall, dass sämtliche Vertreter der Troika und der EU der griechischen Syriza-Regierung jetzt vorwerfen, sie seien unfähig zum Kompromiss und verantwortlich für das Scheitern der Verhandlungen um eine Verlängerung der Hilfsprogramme für Griechenland. Ganz unmissverständlich auf den Punkt brachte es der alte CSU-Haudegen Edmund Stoiber in einer deutschen TV-tallk-show gegenüber einem Berater des griechischen Premiers Tsipras: “Sie wollen ja nicht über ein paar Prozent Mehrwertsteuer verhandeln, Sie wollen das gesamte Wirtschaftssystem in Frage stellen!“    

Keynes oder Hayek – Staat oder totale Marktwirschaft                                                             

Ja. Syriza wie Podemos, wie occupy wallstreet, attac und viele andere wollen die seit sieben Jahren zur einzigen ökonomischen Heilslehre und Staatsräson erhobene Austertätspolitik nicht mehr mitmachen, ja sie sogar aushebeln. Und da haben sich die Herren Tsipras und Varoufakis schlicht und einfach enorm überschätzt. Da hilft auch nichts, dass Nobelpreisträger wie Joseph Stiglitz oder Paul Krugman im Grunde – wenn auch differenzierter – genau dieselben Thesen vertreten wie Syriza. Der „Griechenland-Streit“ ist letztlich ein Streit über die Zukunftsstrategie unserer Gesellschaft. Sollen die Staaten nach der Theorie des großen ökonomischen Vordenkers John Maynard Keynes in Krisenzeiten massive öffentliche Investitionen tätigen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen? Oder sollen sie nach der Theorie des österreichischen Begründers der Liberalismus-Schule Friedrich August von Hayek alles den Kräften des freien Marktes überlassen? Keynes bewegte den amerikanischen Erfolgspräsidenten Roosevelt in der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre zum legendären „New Deal“, Hayek war zuletzt Berater der britischen, „Eisernen Lady“ Margareth Thatcher.

 

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Dr. Streiter Di., 30.06.2015 - 11:37

Alte Linke Erzählung vom guten Keynes und dem bösen Hayek. Dabei ist doch der Korporatismus das übel. Kein Liberaler ist für Bankster oder riesenschere zwischen Arm und Reich, das ist ein grosses Missverständnis das allzu gern gepflegt wird. Im Zentrum der Liberalen Idee seit Hayek ist gerade das Misstrauen gegenüber Machtzentren und das Plädoyer für einen freien Menschen.

Di., 30.06.2015 - 11:37 Permalink
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Christian Mair Do., 02.07.2015 - 18:57

Antwort auf von Dr. Streiter

Worin ist dieses Misstrauen gegenüber Machtzentren, dessen Schwinden ein unwünschenswerter Zustand ist begründet? Schattenwirtschaft oder Schattenkabinett?
Der Korporatismus wird vielfach als Teil dieses Geflechts gesehen und gibt Anhänger einer Position, die den Korporationszwang aufheben wollen, indem man eine Pflichtmitgliedschaft beendet (z.B. NEOS Österreich)
http://kurier.at/wirtschaft/wirtschaftspolitik/beitraege-schluss-mit-ka…

Do., 02.07.2015 - 18:57 Permalink
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josef.kaufmann… Mi., 01.07.2015 - 10:43

So schön der Artikel auch anfängt....

".... Weil die Bewegung im Herzen des globalisierten Kapitalismus entstand und weil sie – wie immer die Amerikaner – es verstanden, ihre Forderungen und den Mißstand unserer Weltordnung in wenigen Worten auf den Punkt zu bringen: selbst in der Fast-Weltwirtschafts-krise profitierten nämlich die oberen 1-10% herrlichst, während das Gros der Bevölkerung zum Aderlass gezwungen wurde...."

Herr Gallmetzer scheint den getroffenen Punkt der Occupybewegung nicht näher beleuchten zu wollen. Warum besitzen denn die 1-10% der Bevölkerung soviel, wie der Rest ? Naturgesetz?

Das alles, auch das Problem in Griechenland, hat weder mit Keynes noch mit Hayek zu tun oder mit Kapitalismus bzw. mit Kommunismus, sondern damit, wie aktuell Geld entsteht und vor allem wer es schöpfen darf!!

Mi., 01.07.2015 - 10:43 Permalink
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Martin Daniel Mi., 01.07.2015 - 18:40

Ich glaube, die Kontraposition Neoliberalismus vs Keynesianismus bzgl. der Griechenland-Krise greift zu kurz. Dies aus mehreren Gründen:
1. Die Währungsunion wurde bei ihrer Einführung auf eine rechtliche Basis gestellt, die ein gewisses makroökonomisches Verhalten jener Länder voraussetzte, die am Projekt mitmachen wollten. Diese Regeln haben bisher Preisstabilität und niedrige Zinsen sichergestellt. Ich habe noch niemanden, auch keinen Linken, sich über den Erhalt der Kaufkraft seines Lohnes oder seiner Rente und über die billigen Immobilienkredite beklagen hören. Allen war klar, dass Deutschland die Einheitswährung nur um dem Preis der Einführung von Stabilitätskriterien (Waigel!) akzeptieren würde. Wer diese Regeln (noch) nicht erfüllen konnte oder wollte oder die Währungshoheit behalten wollte, blieb draußen: DK, UK, Schweden. Eine bulgarische Zeitung schreibt heute: »Die Griechen wollen im Euro bleiben, aber die Regel dafür nicht einhalten.« Hier geht es um Verbindlichkeit und Vertrauen. Wer diese Prinzipien ständig [nicht einmal oder zweimal] verletzt, kann nicht andauernd auf europäische Solidarität pochen. Der alles andere als im Verdacht des Neoliberalismus stehende Anarchist David Graber beschreibt in seinem Buch »5000 Jahre Schulden« anhand eines Südsee-Stammes, wie ein Kreditwesen im Sinne von persönlichen Gefallen und deren Rückgabe zu einem unbestimmten Zeitpunkt entstanden war. Niemandem wurde Hilfe verweigert. Als aber ein gewiefter Fischer dieses Netz aus persönlichen Hilfestellungen einseitig auszunutzen begann, wurde ihm schließlich die Unterstützung verweigert [und er getötet].
2. Wesentlicher Bestandteil des Währungspaktes war der ausdrückliche Auschluss einer Transferunion und einer Vergemeinschaftung von Schulden. Diese Regeln finden sich in den Verträgen zur Währungsunion und der EZB und unterscheiden uns von den USA. Man kann mit gleicher Legimität einen Transfer von Nord nach Süd und die Einführung von Eurobonds fordern, bis zur einstimmigen Vertragsänderung erlaubt dies die Euro-Verfassung jedoch nicht. Das von Krugman geforderte schuldenfinanzierte Wachstumspaket ist in einem souveränen Staat wie den USA oder China problemlos anwendbar, in Europa bedeutet es allerdings weitere umfangreiche Transferleistungen über die nationalen Grenzen hinweg, wozu der politische Konsens, auch wegen einer mangelnden europäischen Identität und Öffentlichkeit, nicht leicht zu beschaffen ist. Bei der deutschen Einigung waren diese Transferopfer des Westens von einer neu erweckten deutschen Identität begleitet, die eine, heute leider fehlende, Begeisterung für den Einheitsgedanken befeuerte und wirtschaftliche Aspekte in die zweite Reihe drängte. Es scheint, dass neben juristischen Vorgaben v.a. auch kulturelle Unterschiede eine Hemmschwelle für die Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses darstellen.
3. Die Einsetzung keynesianischer Konjunkturpakete hat im Laufe der Jahrzehnte [v.a auch in Italien] zu einem enormen Schuldenberg geführt, weil Keynes' Lehren nur in Krisenjahren angewandt und in Boomzeiten die vom deficit spending verursachten Staatsschulden nicht abgebaut, sondern dem politischen Konsens willen unter den Teppich gekehrt wurden. Was soll sich ein Land wie Italien, das der drittgrößte Geber in diesem Schuldendrama ist, mit seiner 133%-igen Schuldenquote anteilig noch weiter verschulden, um große europäisches Wachstumspakete mitzufinanzieren/garantieren? Die Schuldenstände nehmen den Staaten ab einer bestimmten Schwelle [die Kenneth Rogoff bei 90-100% des BIP verortet] zunehmend Handlungsmöglichkeiten, was den linken Parteien mehr ein Dorn im Auge sein sollte, als den sog. neoliberalen Kräften.
Vielleicht fehlen neben dem Willen auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein Mega-Wachstumspaket in einem Kontinent, der nach jahrzehntelangem Wachstum gesättigte Märkte aufweist, sich auch aufgrund verantwortungsloser Verschuldungspolitik kein deficit spending mehr leisten kann und auch aus ökologischen Gründen eine Wachstumsreduktion anpeilen sollte.
4. Bleibt die Geldpresse. Die läuft bereits auf Hochtouren und wird z.T. heftigst kritisiert. Von den konservativen Deutschen wie - kurioserweise - von den paneuropäischen Linken. Dabei wirkt Draghis Politik durch Senkung der Zinslast doch wie eine Form von Schuldenvergemeinschaftung, noch dazu zugunsten der verschuldeten Südländer.

Mi., 01.07.2015 - 18:40 Permalink
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Christian Mair Do., 02.07.2015 - 18:42

Antwort auf von Martin Daniel

"Man kann mit konservativen Parteien (und mit hasenfüßigen Sozialdemokraten genau so wenig) keinen Weg aus der Krise der Europäischen Währungsunion finden, ja, man kann mit ihnen überhaupt keine große und relativ geschlossene Volkswirtschaft wie die europäische lenken. Die CDU hatte das Glück, in den ersten beiden – paradoxerweise von Keynes’ Denken geprägten –Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in einem System Platz zu finden, in dem sie mitlaufen konnte, aber selbst nicht viel zu entscheiden hatte. Die zweite Phase unter Führung der CDU ab 1982 war ebenfalls weitgehend fremdbestimmt, nämlich durch die Dollaraufwertung in den 80er Jahren und die deutsche Vereinigung, die ihnen eine keynesianische Politik aufzwang. Jetzt, in ihrer dritten Phase, richten die Konservativen gewaltigen Schaden an, weil sie ohne Rücksicht auf Verluste ihr falsches Konzept für Europa durchdrücken. Währenddessen hat sich die deutsche Wirtschaft – mit Hilfe der „Reformpolitik“ von Sozialdemokraten und Grünen – einen so großen Wettbewerbsvorsprung verschafft, dass sie weit weniger von den Kollateralschäden der konservativen Krisenbekämpfung betroffen ist." aus http://www.flassbeck-economics.de/das-luegen-der-herrschenden-kreise-un…

Heiner Flassbeck Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) der UNCTAD 2003-2012

Do., 02.07.2015 - 18:42 Permalink
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Christian Mair Do., 02.07.2015 - 18:42

Antwort auf von Martin Daniel

"Man kann mit konservativen Parteien (und mit hasenfüßigen Sozialdemokraten genau so wenig) keinen Weg aus der Krise der Europäischen Währungsunion finden, ja, man kann mit ihnen überhaupt keine große und relativ geschlossene Volkswirtschaft wie die europäische lenken. Die CDU hatte das Glück, in den ersten beiden – paradoxerweise von Keynes’ Denken geprägten –Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in einem System Platz zu finden, in dem sie mitlaufen konnte, aber selbst nicht viel zu entscheiden hatte. Die zweite Phase unter Führung der CDU ab 1982 war ebenfalls weitgehend fremdbestimmt, nämlich durch die Dollaraufwertung in den 80er Jahren und die deutsche Vereinigung, die ihnen eine keynesianische Politik aufzwang. Jetzt, in ihrer dritten Phase, richten die Konservativen gewaltigen Schaden an, weil sie ohne Rücksicht auf Verluste ihr falsches Konzept für Europa durchdrücken. Währenddessen hat sich die deutsche Wirtschaft – mit Hilfe der „Reformpolitik“ von Sozialdemokraten und Grünen – einen so großen Wettbewerbsvorsprung verschafft, dass sie weit weniger von den Kollateralschäden der konservativen Krisenbekämpfung betroffen ist." aus http://www.flassbeck-economics.de/das-luegen-der-herrschenden-kreise-un…

Heiner Flassbeck Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) der UNCTAD 2003-2012

Do., 02.07.2015 - 18:42 Permalink
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Stefan Hauptmann Fr., 03.07.2015 - 10:09

Die Menschheit befindet sich in einem konstant andauernden Entwicklungsprozess. Mal schneller mal langsamer. Es werden verschiedene Ideologien durchprobiert - welche fast immer unter demselben Problem leiden: „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.“ Die beste Lösung ist immer eine Mischform aus den verschiedenen Theoriegebäuden. Ich möchte mich nicht auf eine Theorie fixieren, da hierbei der Gesamtüberblick leicht verloren geht. Deshalb zurückrudern und den Geist für jede Verbesserung offen halten, egal von welcher Seite diese kommt. Aber hier wird es sehr schwierig denn der Mensch ist ein Gruppenwesen und lässt sich nur sehr schwer von seinen Überzeugungen abbringen...

Fr., 03.07.2015 - 10:09 Permalink