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Healing Hands

Man liest im europäischen Blätterwald gerne von einem Demokratieverlust Griechenlands.

Die Bevölkerung wählt Syriza, sagt Ochi beim Referendum und trotzdem geht es munter weiter mit der Austerität. Das sei nicht demokratisch. Ich kann das Argument nicht nachvollziehen. Nach wie vor hat ein demokratisch gewähltes Parlament dem Deal zugestimmt, hat zwischen Option 1 und Option 1 gewählt und sich dann eben für Option 1 entschieden. Dass ein Land kurz vor der Pleite keine Handlungsfreiheit mehr hat und den Gläubigern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, muss wohl jedem gescheitertem Unternehmer, jeder in Konkurs gegangenen Privatperson schmerzlich bekannt vorkommen. Es ist halt nicht der Zeitpunkt für Selbstverwirklichung, auch nicht der für Selbstbestimmung. Es ist die Zeit, um sich in Demut neu zu erfinden.

Griechenland hat nicht seine Demokratie, sondern seine Autonomie verloren. Defacto wird es kommissarisch verwaltet. Auch meine Stadt Bozen wurde bereits kommissarisch verwaltet, wie so manche Grödner Gemeinde oder unsere Nachbarprovinz Belluno. Stets bedauerlich, sicher nie eine demokratische Sternstunde, aber ganz ehrlich, als Übergangslösung auch nicht sooo dramatisch. Aber halt! Es gibt da einen Unterschied und der ist ziemlich entscheidend. Über eine kommissarisch verwaltete Gemeinde oder Provinz hält doch noch immer eine übergeordnete, demokratisch legitimierte Instanz die schützende und heilende Hand. Aber welche Hand schützt und heilt Griechenland?

Das Europäische Parlament darf nur eine Nebenrolle spielen. Die Europäische Kommission ebenso. Der Europäische Rat ist auch nicht wirklich für den Euroraum zuständig, und selbst wenn er es wäre, die Staatsoberhäupter wären nie und nimmer dazu legitimiert, einen anderen Staat zu verwalten. Die Gläubiger! Die Trojka spielt die Musik. Nicht Griechenland hat seine Demokratie verloren, sondern das Europäische Gebäude, das in eine demokratiepolitische Pleite gerutscht ist. Was schwätz ich da, ihr wisst es ja alle schon lange. Aber jetzt wird’s Zeit, dass wir es angehen.

Es ist die Zeit, um die EU in Demut neu zu erfinden. Nicht eine Europa, das einzelne Länder, die Gemeinschaftswährung oder früher besungene Werte auf die Schlachtbank führt. Sondern ein Europa, das seine schützende Hand über uns alle legt.

 

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Dr. Streiter Di., 21.07.2015 - 20:09

Aber die Troika wird doch von der Eurogruppe geführt, welche die Europäische Komission repräsentiert. ECB ist auch von europäischen Regierungen bestellt.
Ich kann den Schluss nicht nachvollziehen dass da demokratiepolitsche Pleiten zu verorten sind.

Di., 21.07.2015 - 20:09 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 22.07.2015 - 09:51

Antwort auf von Dr. Streiter

Da muss ich mich wohl schlecht ausgedrückt haben.

Ich widerspreche genau dieser Deiner Annahme: Die Eurogruppe ist kein ausgereiftes, demokratisches Gebilde; die Kommission spielt neben IWF und EZB eine äußerst intransparente Rolle. Die Nationalregierungen der Eurozone sind doch nicht dazu demokratisch legitimiert, über ein Mitgliedsland den Daumen zu senken - oder es defacto kommissarisch zu verwalten. Per Definition müssen Nationalregierungen die Interessen der eigenen Nationalstaaten vertreten, womit Griechenland nicht mit einer übergeordneten schützenden/heilenden Hand konfrontiert ist, sondern eben mit Gläubigern. Die übergeordnete, demokratische Instanz, die im Sinne des "buon padre di famiglia" agiert und dabei per Charta ausgleichend und gerecht vorgehen müsste, ist institutionell schlicht und einfach nicht vorhanden. (bzw. nicht "empowered", sollte man das Europäische Parlament vor Augen haben).

Die demokratiepolitische Pleite ist deshalb zu verorten, da die Nationalregierungen der Eurozone (notgedrungen) das Vakuum füllen und (wenig überraschend und folgerichtig) nach Gläubigerlogik handeln.

Mi., 22.07.2015 - 09:51 Permalink
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Klaus Griesser Mi., 22.07.2015 - 09:02

Ich denke auch, dass die Troika in Griechenland ein Desaster angerichtet hat, nur zum Vorteil der internationalen Gläubigerbanken. Auch die Eu-Gruppe ist in der Hand der Finanzoligarchen, still und leise (im Blätterwald wird gegen die Griechen gehetzt) herrscht Finanzdiktatur: einerseits verordneter Sozialabbau/ Niedrigstlöhne andererseits völlige Steuerfreiheit. Die EU-Parlamenttarier scheinen mir nur mehr go-go-girls&men , welche die hohen Beschlüsse durchwinken.
http://blog.campact.de/2015/07/griechenland-krise-warum-die-einfachen-w…?

Mi., 22.07.2015 - 09:02 Permalink
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Stefan Hauptmann Mi., 22.07.2015 - 09:35

Es werden gerne Unternehmen mit Staaten verglichen. Für Unternehmen gibt es die geregelte Insolvenz, aber Staaten können faktisch nicht pleite gehen. Die "übergeordnete" Hand / Instanz wäre das Völkerrecht und dieses sieht keine Staatsinsolvenz vor (bitte korrigiert mich wenn ich falsch liege). Wie wollen wir bei zukünftig drohenden Staatspleiten in Europa mit solchen umgehen?
Eine gemeinsame europäische Fiskal- Konjunkturpolitik?

Mi., 22.07.2015 - 09:35 Permalink
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Benno Kusstatscher Mi., 22.07.2015 - 10:05

Antwort auf von Stefan Hauptmann

Die Wertegemeinschaft der EU auf das Völkerrecht zu reduzieren, wäre jetzt nicht sehr ehrgeizig. Der Widerspruch liegt m.E. schon in der Wortwahl Deiner Fragestellung, mit Betonung auf "Volk" und "Staat". Technisch gesehen mag eine Vergemeinschaftung der Fiskalpolitik ein möglicher nächster Schritt der Stake Holder sein. Vorher aber könnten wir als Individuen endlich damit beginnen, den ganzen Fall Griechenland nicht als *deren* drastische Staatspleite, sondern als 2%-Problemchen *unserer* Wirtschaftsleistung zu sehen.

Mi., 22.07.2015 - 10:05 Permalink
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Klaus Griesser Mi., 22.07.2015 - 12:00

Antwort auf von Benno Kusstatscher

In Griechenland hatten doch die Deutsche Bank, der IWF u.a. dem -mag sein, korrupten - Staat Kredite vergeben. Ich habe bisher angenommen, dass Banken als private Unternehmen eigenverantwortlich handeln u bei einer Risikoinvestition die Folgen austragen (Schuldenschnitt). Warum ist dann die Eu-Staatengruppe mit der Troika mitmarschiert? Das Problem wird umschifft, wenn mächtige Bankengruppen von den Finanzministerien der Länder als "tot-big-to-fail" erklärt werden, wodurch der Steuerzahler eingeschaltet wird, und die Troika hat auftragsgemäß dafür gesorgt, dass die Gläubigerbanken die Kredite zurückbekamen, mit dem Preis der Verelendung des griechischen Volkes. War es nicht so? Mir scheint so geht's auch weiter. Was wir daraus lernen müssen: währungspolitisch ein Rettungsboot schaffen, autonome Regionalwährungen neben dem Euro. Ein Vorschlag!

Mi., 22.07.2015 - 12:00 Permalink
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Klaus Griesser Mi., 22.07.2015 - 15:23

Antwort auf von Benno Kusstatscher

Mein Vorschlag ist für Länder gedacht wie unser Italien, das morgen genauso der EU-Hegemonialpolitik ausgesetzt sein kann wie soeben Griechenland, jetzt wo einmal die Dämme gebrochen sind u die healing hand sich als Peitsche zeigt gegenüber einem schwächelnden Mitglied. Mein Vorschlag ist keinesfalls ein Fertigrezept, eher ein pragmatischer Vorschlag wie wir uns schützen könnten.

Mi., 22.07.2015 - 15:23 Permalink