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Historische Lasten

Wer bestimmt eigentlich, was "man" vergessen muss und was nicht? Wieso sollen brutale Kriegsgräuel und Kriegsschulden weggesteckt werden und ein Milliardenkredit nicht?

Beim Durchlesen des Artikels " Griechenland ist jetzt ein Protektorat der EU" von Rudolf Strahm im Schweizer Tagesanzeiger ( www.tagesanzeiger.ch) fiel mir die Bezeichnung " Buchhalter" ins Auge, mit der der Autor den deutschen Finanzminister Schäuble bedacht hat. Buchhalter? Ist nicht gerade eben der letzte deutsche Auschwitz-Buchhalter Oskar Gröning vom Landgericht in Lüneburg zu vier Jahren Haft verurteilt worden?

Genau: nur einen Tag nach dem sinnlosen und erbarmungslosen Kolonialvertrag zwischen der von Deutschland angeführten Eurogruppe und Griechenland sind wir mit einem Kapitel der deutschen Geschichte konfrontiert worden, das nur zu gerne vergessen wird: mit dem Dritten Reich, seinen brutalen Angriffskriegen, seiner ebenso brutalen Ausbeutung der überfallenen Länder, mit der besonders brutalen Art, wie die deutschen Truppen in Griechenland gehaust haben und : mit dem schrecklichsten aller Kriegsverbrechen, dem Holocaust.

An der systematischen Vernichtung von Millionen von Juden, Zigeunern, Behinderten, Andersdenkenden und Homosexuellen hat auch der oben zitierte mittlerweile 94 jährige Oskar Grönig teilgenommen - als Buchhalter im Konzentrationslager Auschwitz , der die Vergasung von 300.000 Menschen zu verantworten hat.  

Ich höre schon die Einwände, die ich seit 40 Jahren höre: man muss vergessen, man kann eh nichts mehr rückgängig machen, die Kriegsverbrecher hätten " aus Pflichtbewusstsein" gehandelt. Befehle von oben, Unwissen über die KZs, immer die selben schalen Argumente, um die deutsche Kriegsschuld zu verharmlosen.

Nein, ich bin weiter kompromisslos gegen jede Verharmlosung. Und ich kann nicht verstehen, weshalb Deutschland - während noch ein Ausschwitz-Verantwortlicher vor Gericht stand -in Brüssel  seelenruhig über Griechenland herfallen konnte und durfte. 

Allein EU-Staaten wie Portugal, Slowenien, die Slowakei oder die Balten-Staaten, die keine direkte historische Schuld gegenüber Griechenland abzutragen haben, waren moralisch berechtigt, der Regierung Tsipras die Leviten zu lesen und sie - auch hart - zur Rechenschaft zu ziehen.  

Deutschland hätte sich zurückhalten müssen, doch die Buchhalter-Mentalität hat die Berliner Machthaber dazu verleitet, wieder in erster Reihe " für Ordnung zu sorgen".

Nicht nur die Art , in der dieses schwärzeste Papier in der Geschichte der EU den Griechen aufgezwungen wurde, macht fassungslos.

Es ist der Inhalt, der bar jeder Logik und Vernunft ist. Waren wir uns nicht alle darin einig, dass Griechenland niemals seine Schulden zurückzahlen kann- ohne Schuldenschnitt ? Und gab es nicht auch volle Übereinstimmung darüber, dass ein drittes Hilfspaket ebenso unwirksam und sinnlos sei wie die vorhergehenden ?

Was aber machen die vom Oberstreber Dijsselbloem angeführten Wirtschaftsgenies der Eurogruppe? Sie verabschieden ein neues, identisches  Hilfspaket, dessen erste Hilfs-Hilfsrate eben zur Zurückzahlung der griechischen Schulden beim IMF und anderen Gläubigern verwendet werden musste. 

Wieder wird die Troika in den Athener Ministerien ein- und ausgehen und ihren unheilvollen Einfluss ausüben, um die totale Privatisierung des Landes - mit den ausländischen Investoren als freudigen Gewinnern - zu ermöglichen.

Und die braven,sparsamen deutschen Bürger, die um ihre Euros fürchten? Sie sind von ihrer Regierung noch einmal hineingelegt worden. Denn sie müssen erneut bezahlen, wie gehabt..

Nun wenden alle ein: ja, aber die Reformen, zu denen sich Griechenland verpflichtet hat, die sind die eigentliche Wende! Wer das glaubt, hat die Auflistung dieser Reformen nicht durchgelesen. Sie sind nämlich unrealisierbar - vor allem in einem Geister-Staat, wie dem griechischen.

Wir EU-Bürger sind einmal mehr an der Nase herumgeführt worden: der Kolonialvertrag vom 12. Juli bringt weder Verbesserungen für die EU-Wirtschaft, noch einen Aufschwung für Griechenland. Einige unbedarfte Spekulanten, die in griechische Schrottaktien investierten, weil sie sicher waren, dass die EU einspringen würde, sind bis dato die einzigen Gewinner.

Der Scheinsieg der Eurogruppe vom 12. Juli besiegelt das Auseinanderbrechen der Euro-Zone. Mit dem drakonischen Vertrag, den Griechenland unterzeichnen musste,  wir vor allem eines bezweckt:  der Grexit.  Die Regierung in Athen wird scheitern, woraufhin die Mehrheit der Eurogruppe auf den Grexit drängen wird.

Dann hat der deutsche Wirtschaftsminister Schäuble sein Ziel erreicht: EU-Staaten, die nicht sparen und wirtschaften, wie es die nordeuropäischen Länder und Finanzinstitute vorgeben, fallen durch den Rost. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Fast schon rührend: die " Aufwertung" Griechenlands durch die Ratingagentur Moodys! Von totalem Schrott auf dreiviertel Schrott!  Das erinnert mich an den Börsengang Griechenlands im vergangenen März, drei Monate vor den Europawahlen, als sich einige Banken zusammentaten, um dem griechichischen Staat zu ermöglichen, sich an den Finanzmärkten wieder Geld zu leihen. 

Die Staatspapiere waren- für griechische Verhältnisse - relativ tief verzinst und sie waren in einem Aufwasch weg - gekauft von den Banken, die diese Schönheitsoperation ermöglichst hatten. Rund drei Milliarden kassierte der griechische Staat damals, doch sie waren wieder sofort weg , um die ausgebliebenen Einnahmen aus der ( von der Troika) vorgeschriebenen Privatisierung auszugleichen.

Mit dieser Schönheitsoperation sollte signalisiert werden, wie gut die Rosskur der Troika wirkt. Wenige Monate später stand Griechenland wieder vor dem Bankrott. Damals war aber nicht Tsipras an der Macht, der nach seiner Regierungsübernahme tatsächlich alles vermasselt hat, sondern der Konservative Antonis Samaras. 

 

 

 

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Dr. Streiter Mi., 22.07.2015 - 09:55

Wow, ihre Beiträge werden immer absurder. Jetzt haben sie den Vogel ganz abgeschossen mit einem Vergleich zwischen der Gruppe der Europäischen Finanzminister und Nazideutschland. "Deutschland fällt über Griechenland her" und sie ziehen parallelen zu Auschwitz? Unübertroffene Geschmacklosigkeit. Seltsam dass sie der ganze Diskurs über Nazivergleiche der letzten 50 Jahren an ihnen spurlos vorbeigegangen ist. Hätte eine solche Ignoranz niemals erwartet.

Mi., 22.07.2015 - 09:55 Permalink
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gorgias Mi., 22.07.2015 - 10:01

Ich schätze Ihre Artikel meistens sehr und kann ihrem Urteil zur Griechenlandaffäre in diesem Artikel größtenteils zustimmen. Dass mit dieser Buchhalteranalogie nun auch bei Ihnen Godwin's Law zugeschlagen hat, finde ich äußerst bedauerlich.

Mi., 22.07.2015 - 10:01 Permalink
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Dr. Streiter Mi., 22.07.2015 - 10:23

Progressive Besteuerung ist nicht gerade Rocket Science, also bürokratischer Aufwand reduziert = 0. Dass gerade die Flat-Tax die Steuervorteile von Reichen abschafft, kann mathematisch schon mal angezweifelt werden.

Mi., 22.07.2015 - 10:23 Permalink
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gorgias Mi., 22.07.2015 - 11:00

Das Problem liegt nicht an den Steuersätzen, sondern an der Steuerbemessungsgrundlage. Wennschon sollte man das Problem an der Wurzel Packen. Wie dann am Ende die Reichen mehr zahlen sollen weil sie dann einen kleineren Steuersatz haben ist nicht nachvollziehbar.

Mi., 22.07.2015 - 11:00 Permalink
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Dr. Streiter Mi., 22.07.2015 - 11:24

Amazon lassen wir mal in Luxemburg.
Wenn Sie meinen dass eine Bevorteilung der Grossverdiener in der Einkommensteuer - und nix anderes ist eine Flattax, diese veranlasst weniger steuer-zu-flüchten, so ist das unbestritten, wie gross der Effekt ist bleibt aber entscheidend. Warscheinlich muss der Anreiz gross genug sein um die Steuerflucht/hinterziehung + Kosten + Risiko unrentabel zu machen. Daher kann der Effekt nicht besonders gross sein.

Mi., 22.07.2015 - 11:24 Permalink
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Oskar Egger Fr., 24.07.2015 - 17:41

Ich stimme damit überein, dass ein bißchen mehr Demut auch im Hinblick auf Vergangenes, Gutes bewirken kann. Reue gehört nun mal nicht zu Arroganz. Ich glaube nicht, daß es Tsipras verbockt hat, sondern, daß er kapituliern musste um den Preis nicht mit seinem Volk selbst bezahlen zu müssen. Die Welt hat zugeschaut und ich glaube zynisch zugeschaut.

Fr., 24.07.2015 - 17:41 Permalink