Das schwere, deutsch-griechische Zerwürfnis über die Schuldenkrise hat mich sehr deprimiert. Ausgerechnet meine beiden "Leitkulturen", die deutsche und die griechisch-humanistische standen sich plötzlich wieder unversöhnlich gegenüber, obwohl sie sich doch über Jahrhunderte hinweg ergänzt und respektiert hatten - bis zum zweiten Weltkrieg.
Was Deutschland damals in Griechenland angerichtet hat, ist kaum zu verzeihen. Umso unfassbarer dann die Härte der deutschen Regierung im vergangenen Halbjahr : wieder gegenüber Griechenland, dem Opfer von damals.
Und jetzt: Deutschland, in der Person der Bundeskanzlerin, die ankündigt, unbegrenzt Asylanten aufzunehmen ! Die berührenden Szenen von deutscher Solidarität gegenüber den ankommenden Flüchtlingen ausgerechnet in den anrüchigen , ehemaligen Nazi-Hochburgen München und Salzburg ! Wer hätte sich das noch vor einem Monat vorstellen können?
Die Glücksmomente, die ich empfinde, weil Deutschland in der Flüchtlingsfrage diese aussergewöhnlich mutige Entscheidung getroffen und damit ein europäisches Vorbild geliefert hat, werden möglicherweise von kurzer Dauer sein. Aber ich habe sie erlebt und genossen - was immer jetzt auch kommen mag.
Klar: die Versorgung und Eingliederung der Ankömmlinge ist eine riesige Herausforderung. Doch handelt es sich vorwiegend um Syrer,die bekanntermassen über eine überdurchschnittliche Ausbildung verfügen. 30 Prozent der syrischen Flüchtlinge haben Universitätsabschluss, heisst es.
Viele sprechen englisch, fast alle sind lernbegierig und wollen nichts anderes, als arbeiten und sich eine neue Existenz aufbauen. Bundeskanzlerin Merkel hat also klug und weitblickend gehandelt, als sie beschloss, diese Asylbewerber ohne vorherige Registrierung in den Ankunftsländern Griechenland und Ungarn aufzunehmen.
Denn in Deutschland sind die Geburtenraten drastisch eingebrochen, der demographische Schwund in der ehemaligen DDR ist besorgniserregend , weil - wer kann- im reicheren Westdeutschland Arbeit sucht und abwandert.
Eine " Frischzellen-Zufuhr" durch die jüngste Migrations-Welle kann dieses Defizit wettmachen. Doch bis diese Kur greift, werden Deutschland wie andere betroffenen EU-Staaten heftig gebeutelt werden.
Dass der Fremdenhass zunehmen wird, ist unvermeidlich. Ihn gezielt und unbeirrt einzuschränken, ist das Gebot der Stunde. Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender machen es vor.
Andererseits : die Welt geht nicht unter, wenn Flüchtlingsströme vor der Tür stehen und aufgenommen werden müssen.
Wer erinnert sich noch an den 8. August 1991, als das Frachtschiff Vlora mit 21.000 albanischen Flüchtlingen in den Hafen von Bari einlief? Die erste , hilflose Reaktion der Polizei : sie schloss die Flüchtlinge in sengender Hitze im Fussballstadion der Stadt ein, ohne Wasser und Nahrung.
Die Bilder gingen um die Welt und brachten Italien den Vorwurf der Menschenrechts-Verletzung ein. Doch dann plötzlich mobilisierte sich die Zivilbevölkerung Apuliens: sie übernahm die Versorgung der Menschen und bewies, dass Gastfreundschaft und Solidarität in Süditalien Tradition und Bestand haben.
Weil aber im Anschluss der Staat und seine Institutionen jämmerlich versagt haben, indem sie zuliessen, dass die Versorgung der Flüchtlinge zu einem Mafia-Geschäft degradierten, stieg auch in Süditalien der Fremdenhass.
Daraus sollten andere EU-Staaten lernen. Flüchtlinge und Asylbewerber können nicht einfach in Lager eingesperrt und mit einem Taschengeld abgespeist werden.
Ich frage mich zum Beispiel, weshalb den in Italien festgehaltenen Flüchtlingen nicht versuchsweise die vielen in Mittel- und Süditalien verwaisten Dörfer zum Wiederaufbau und zur Selbstversorgung übergeben werden. Auch Italien hat ein demographisches Defizit zu beklagen. Doch fehlt den hiesigen Politikern Weitblick und Phantasie.
Vielleicht kann sich Europa doch noch einmal dazu aufraffen, eine Herausforderung, wie die andauernden Migrationswellen gemeinsam und intelligent zu bewältigen. Deutschland hat den ersten Schritt gemacht.