Nicht nur für Südtirol war 1915 ein Schicksalsjahr. Während 1915 bei der Londoner Geheimkonferenz Südtirol im Tausch für den Verrat an den Mittelmächten an Italien abgetreten wurde , begingen die Jungtürken den Genozid an den Armeniern. Dieses Völkermordes wurde heuer auch in der Türkei gedacht.
Was aber ist mit den Enkeln der Opfergeneration passiert? Die meisten der aus der Türkei vertriebenen Armenier haben sich in den USA, in Russland, in Europa, in Südamerika und in Australien etabliert. Ihnen ist die vom Goetheinstitut Istanbul organisierte Austellung "Enkel - neue Geographien der Zugehörigkeit" gewidmet.
Dabei wird deutlich, dass sich die armenische Identität der Enkelgeneration durch die Globalisierung nicht etwa verflüchtigt, sondern eher verfestigt hat. Eine Transnationalität ist entstanden, die von der allgegenwärtigen Mobilität und der virtuellen Welt begünstigt wurde.
Verschiedene Künstler, die einen Bezug zu Armenien haben, nähern sich dem Thema mit einem Denkansatz, der über die Vorstellung einer geographisch oder genetisch definierten Nation hinausgeht. Sie befassen sich mit dem historischen Erbe und mit der Zerrissenheit innerhalb des armenischischen Volkes.
Die heutige Republik Armenien kam 1828 zu Russland, wo sie mit wechselhaftem und tragischem Schicksal bis zum Zusammenbruch der UDSSR auch verblieb. Damals kam es zur Teilung in Ost- und Westarmenien. Die damals entstandenen Spannungen haben bis heute überlebt.
Noch immer geht ein Riss zwischen die in der Sowjetunion geborenen Armenier und jenen, die in der Diaspora ihr Glück suchten. Diese innere Zerrissenheit ist auch der Grund dafür, dass Armenier gewöhnlich nicht gerne über ihre Geschichte reden. Selbst den Völkermord von 1915 haben die Armeniern nicht dazu benutzt, eine ewige Opferrolle einzunehmen.
Und so sind viele junge Armenier auch wieder in die Türkei zurückgekehrt, in die grausame Heimat ihrer Großväter. Dort, in Istanbul, wurde ihnen im Zusammenhang mit der 14. Biennale die Möglichkeit geboten, ihre Werke auszustellen und ihre Meinungen zu formulieren.
Allein schon der Ausstellungsort, ein restauriertes Tabakdepot in Tophane/Galata ist eine Wucht: Knarzende Holztreppen, hohe Räume mit Dachbalken, Hängematten im Raum, die zum Lesen einladen, Bücher (zu Recht angekettet!) über Armenien, ein Samowar und eine wohltuende Leere - all das begünstigt das Eintauchen in eine fremde, faszinierende Geschichte.
Mein Lieblingsstück: Ein einzelner, mechanisch bewegter hölzerner Gehstock, der drei Tacks von sich gibt. Das Geräusch einer endlosen Wanderung/Flucht: kommen, laufen, losgehen,verschwinden.
Gefesselt haben mich die Tanzvideos: "still dancing" von Silvina Der Meguerditchian aus Buenos Aires. Sie begann vor zwei Jahren, ihre armenischen Landsleute beim Tanzen zu filmen.
Sie fragte sich: "Warum treffen sich diese vielen jungen Leute jede Woche, um rund hundert Jahre später und in 10.000 Kilometer Entfernung dieselben armenischen Tänze zu tanzen wie ihre Urgrosseltern - und das ohne die Choregraphie, ja nicht einmal die geringste Bewegung zu verändern?"
Die armenischen Tänze, die in der Diaspora weiterhin getanzt werden und von der Künstlerin gefilmt wurden, haben eines gemeinsam: Sie sind wunderschön und ihre Interpreten, ob alt oder jung, dick oder dünn, männlich oder weiblich sind offensichtlich alle genetisch talentiert. Das zeigen die spontanen Tänze bei Familienfesten und verschiedenen , informellen Zusammenkünften.
Dazu das Statement der Künstlerin: "In ihren Bewegungen liegt Widerstand, sie teilen den Wunsch, die Gemeinschaft zu genießen und etwas zu erleben, was über die Sprache hinausgeht. Bewegungen als die abstrakte Rebellion gegen das Vergessen."