Gesellschaft | Aus dem Blog von Oliver Hopfgartner

Medizin in Südtirol - Meinungen eines Medizinstudenten

Das weiße Kreuz ist in den Schlagzeilen. Anscheinend kam es zu Fahrlässigkeiten - Rufe nach Professionalisierung wurden laut. Gesundheit ist ein emotionales Thema, daher bemühe ich mich um Sachlichkeit.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Weltweit macht sich im medizinischen Sektor ein Trend bemerkbar: Man spricht nicht mehr von Behandlungen, sondern von Patientenversorgung. Alles was an einem Tag gemacht werden kann, ist gut. Wir erleben eine gewisse Industrialisierung bzw. Rationalisierung im Gesundheitswesen.  Wollen wir in Südtirol diesen weltweiten Trend mitmachen? Muss ein Spital schwarze Zahlen schreiben bzw. was bedeutet das überhaupt?
Dieser Punkt ist so vielfältig, dass sich ein eigener Beitrag ausgehen würde (der vielleicht noch folgen wird, wenn mir kein anderer Blogger zuvorkommt).

Die sogenannten peripheren Krankenhäuser
Ich persönlich habe eine klare Einstellung: Aus meiner Sicht wäre es fahrlässig, die peripheren Krankenhäuser zum jetztigen Zeitpunkt zu schließen.
Laut Gesellschaftspyramide gibt es wenige junge und wenige sehr alte Menschen. Es gibt in der Epidemiologie eine Kenngröße, die "gesunden Lebensjahre". Diese sagt aus, ab welchem Alter man durch Krankheit öfter behandelt werden muss. Es liegt meistens zwischen 65 und 70 Jahren. Wenn man sich die Alterspyramide anschaut, so kann man sich vorstellen, dass aufgrund der aktuellen Altersverteilung in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge (vor allem 1950-1965) in dieses Alter kommen. Das heißt, wir hätten dann nicht zu wenig Ärzte, sondern eigentlich
zu viele Patienten. Das heißt wir benötigen neben dem Personal natürlich auch die zur Behandlung nötigen Räumlichkeiten. Aus diesem Grund verstehe ich auch die Bettenkürzungen a la Monti nicht. Ich behaupte, wir wären in zehn Jahren froh um unsere peripheren Krankenhäuser, da wir sie dann schlichtweg brauchen werden.

Südtirol 2025?
Was ich vermisse, ist so etwas wie eine klare Linie. Es herrscht große Ungewissheit: Wo wird gespart? Wo investieren wir? Wo wollen wir stark sein und welche Kompetenzen brauchen wir nicht? Aktuell kann sich das Gesundheitswesen Südtirols sehen lassen. Wie wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ausrichten, wird darüber entscheiden ob es so bleibt. Ich würde den politisch Verantwortlichen raten, ihre Vorstellungen offen darzulegen um eine Diskussion zu ermöglichen. Gesundheitspolitik in Südtirol verbinde ich aktuell vor allem mit dem Begriff Salamitaktik. Alle, die von Gesundheitspolitik direkt betroffen sind, sprich Patienten, Personal und der Steuerzahler, haben ein Recht darauf, Entscheidungen in diesem Bereich mitzugestalten.
Weiters müssen wir uns die Frage stellen: wo müssen wir stark sein und wo können wir stark sein? Eine einwandfreie Grundversorgung sollte das mindeste sein. Aber brauchen wir Schnickschnack wie eine MedicalSchool oder eine NeuroReha*, wenn wir schon anerkannte Referenzzentren in naher Umgebung in Anspruch nehmen können? Wir haben die Chance, einen anderen Weg einzuschlagen als der Rest Europas. Wieso wagen wir nicht den Versuch, besser zu sein als der Rest?

Arzt oder Mediziner?
Personaleinsparungen sind in meinen Augen sehr kritisch zu betrachten. Studien zeigen, dass ein mehr oder weniger erfahrener Arzt mit 70%iger Wahrscheinlichkeit ohne weiterführende Untersuchungen zur richtigen Diagnose kommt, während eine schlampige oder nicht durchgeführte Befragung bzw. Untersuchung trotz massivem Einsatz von apparativer Diagnostik nur auf 30 Prozent(!) Trefferquote kommt. Insofern wäre es sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch aus Sicht des Patienten sinnvoller, das Ärztepersonal aufzustocken anstatt teure Umbauten oder Anschaffungen zu tätigen. In der Zeitung macht sich aber ein Bild bei einer Neueröffnung besser als ein Bild mit 2 neuangestellten Ärzten.
Zum Abschluss nun doch etwas Pathos: Ich studiere selbst Medizin und erst vor kurzem sprach ein Vortragender vom Unterschied des Arztberufs im Sinne einer Berufung zur Ausbildung zum Mediziner. Der Arzt behandelt Menschen, während der moderne Mediziner Diagnosen stellt und Krankheiten therapiert.

* Ich möchte damit nicht sagen, dass grundsätzlich eine NeuroReha ein Luxusgut darstellt, man sollte aber vorher bereits vorhandene Strukturen besser ausnutzen - auch im Ausland.

Ich wünsche dem Oliver, dass er ein Arzt wird und kein Mediziner und Südtirol nicht den Rücken kehrt. Dann würde unser Sanitätswesen endlich wieder einen kleinen, großen Schritt in die richtige Richtung machen.

Aber, wie sagt Karl Valentin so treffend:

Prognosen sind dann besonders schwierig,
wenn sie die Zukunft betreffen.

Di., 30.04.2013 - 15:33 Permalink

das mit der grundversorgung finde ich gut. wie wäre es mit einem öffentlichen apotheken-garten wo uns heilpflanzen frei zur verfügung stehen?

Di., 30.04.2013 - 17:25 Permalink
Bild
Profil für Benutzer no name
no name

Komplimente für einen angehenden Mediziner, der sich außerdem noch für Politik, Soziologie, Sprache ecc. interessiert. Wie machst Du das?

Di., 14.05.2013 - 07:50 Permalink

Oliver ich finde deine Vielseitigkeit und deine Einstellung zur Medizin auch sympathisch. Warte schon gespannt auf den angekündigten zweiten Beitrag! Ich glaube, es ist dir kein anderer Blogger zuvorgekommen.

Di., 14.05.2013 - 13:43 Permalink