Kultur | Zur Diskussion im "Salto"

Der Islam, die Menschenrechte und wir

Marcella Heines Artikel „Italienische Muslime setzen Zeichen“ löste im „Salto“ eine lebhafte Diskussion aus. Im Kern geht es um die Frage, ob der Islam reformfähig ist.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Die Diskussion im "Salto" war vielstimmig, aber interessant, weil in ihr auch sehr skeptische Urteile über den Islam artikuliert wurden. Sie lassen sich in zwei Kernthesen zusammenfassen: Der Koran und die Menschenrechte widersprechen sich, und was dem Islam im Unterschied zum Christentum fehlt, ist die Aufklärung. Dazu ein paar Bemerkungen meinerseits:

Etwas mehr Bescheidenheit, bitte

Dass auch das Alte Testament nicht die reinste Quelle der Menschenrechte ist, hat sich herumgesprochen. Wer meint, dass es durch die Botschaft von Jesus „aufgehoben“ wurde, macht es sich sowohl theologisch als auch historisch zu einfach. Das Alte Testament ist nun einmal ein integraler Bestandteil der Bibel, die als Ganze das heilige Buch der Christen ist. Viele blutige Landnahmen der christlich-abendländischen Geschichte geschahen im Namen des Alten Testaments. Stolpersteine für die Menschenrechte finden sich aber auch im Neuen, siehe die Rolle der Frau in den Paulus-Briefen.

Ist mit Franziskus alles vergangen, überwunden, vorbei? Der Vatikan ist immer noch einer der wenigen Staaten, die weder die Menschenrechtscharta der UNO noch die europäische Menschenrechtskonvention unterschrieben haben. Die theologische Begründung lieferte Papst Benedikt XVI: Das Naturrecht ist der unmittelbare Wille Gottes, steht also über den Menschenrechten. Und befindet sich beispielsweise die Homo-Ehe nicht im Widerspruch zu diesem Naturrecht? Auch die Trennung von Kirche und Staat gibt es in den katholischen Ländern nur unvollständig. Probleme mit den Menschenrechten zu haben, ist kein Monopol des Islams. Ebenso wie das Verhältnis zur Gewalt: Dass es auch im Christentum ambivalent ist, dafür steht seine gesamte Geschichte.

Genauer fragen

Jeder, der meint, dem Islam fehle die Aufklärung, sollte die Rede von Navid Kermani lesen, die er am 18. Oktober in der Frankfurter Paulskirche hielt, als ihm der Friedenspreis verliehen wurde. Sie machte klar, dass die Frage umgedreht werden muss: Wie ist es möglich, dass eine kulturelle Kraft wie der Islam, der einmal selbst ein aktiver Bestandteil unserer Aufklärung war, zum heutigen Zerrbild verarmte? In den vergangenen Jahrhunderten führte der Islam der angeblich „westlichen“ Aufklärung Energien zu (Stichworte: Ästhetik, Sufismus), die den Rationalismus ergänzten und überstiegen. Das „Problem des Islams“ sei, so Kermani, „weniger die Tradition als vielmehr der schon fast vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie“.

Kermani geht nicht in die Falle, die Schuld daran einfach dem westlichen Kolonialismus zuzuschieben. Es seien die arabischen Despotien selbst gewesen, die ihre Altertümer zerstörten, und heute sei es der mit Öl-Milliarden gesponsorte Wahhabismus, der hinter dem sich ausbreitenden „religiösen Faschismus“ steht. Allerdings tragen dafür auch diejenigen Kräfte eine Mitverantwortung, die sich in den islamischen Ländern als Vertreter westlicher Ideen präsentierten. Denn sie trugen dazu bei, dass in diesen Ländern die „Moderne nicht mit Freiheit, sondern mit Ausbeutung und Despotie assoziiert“ wurde. Kermani erzählt, wie 1936 auf Anordnung des persischen Schahs Soldaten in den Straßen Teherans ausschwärmten, um den Frauen das Kopftuch mit Gewalt wegzureißen.

Auch nach dem Gemeinsamen fragen

Der Exodus aus Ägypten

             Der Exodus aus Ägypten

Man sollte nicht nur fragen, was Islam und Christentum unterscheidet. Denn die gewaltsame Gründung eines Gottesstaats, den die wahhabistischen Sektierer anstreben, ist keine Erfindung des Islams. Die israelischen Siedler, die Palästina zu einem Flickenteppich machen, köpfen zwar keine Menschen, aber vertreiben Menschen, weil Gott ihnen dieses Land verheißen habe. Was die Conquistadores nach Südamerika, die englischen Puritaner nach Nordamerika und die Buren nach Südafrika mitbrachten, waren außer Geistlichen auch Tod und Gewalt. In seinem Buch „Exodus“ zeigt der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann, welche historischen Metastasen der Gründungsmythos des zweiten Buch Mose in allen drei abrahamitischen Religionen hervortrieb: der Auszug aus Ägypten, der Bund mit Gott, die Inbesitznahme des verheißenen Landes (samt Lizenz zur Ausrottung und Vertreibung der dort Ansässigen). So wurde die Ambivalenz von Friede und Gewalt, sozialer Befreiung und sozialer Unterdrückung zur Gemeinsamkeit aller drei Religionen. Dieses Stück Aufklärung über unser Erbe hat nicht nur der Islam, sondern haben wir alle noch vor uns.

Modernität des Islamismus

In seinem Kommentar zu dem anfangs erwähnten Artikel von Marcella Heine weist Bernhard Dressler mit Recht darauf hin, dass der islamische Fundamentalismus keineswegs „mittelalterlich“, sondern in seiner Verbindung von „brutalster Herrschaft, rigidester Moral mit modernstem Ökonomismus“ (ich füge hinzu: und Technizismus, HH) äußerst „modern“ ist. Dies rückt nicht den Islam, aber den islamistischen Fundamentalismus in die Nachbarschaft der totalitären Gesellschaften des 20. Jahrhunderts: Was Hannah Arendt in ihren „Elementen und Ursprüngen totaler Herrschaft“ über Faschismus und Kommunismus schrieb, gälte dann auch für den islamistischen Fundamentalismus: dass er das Ergebnis der sehr heutigen Verlassenheitserfahrung atomisierter Individuen ist. Dies würde erklären, warum hinter der Konversion zum IS-Kämpfer nicht nur die soziale Leere der Banlieues, sondern auch die geistige Leere gutbürgerlicher Wohnzimmer stehen kann.

PS:
Die Kermani-Rede findet sich hier.
 

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Sepp Bacher Fr., 04.12.2015 - 16:50

Ich finde diesen Artikel sehr interessant. Gleichzeitig zeigt er, wie viel man wissen und kennen müsste, um bestimmte Dinge wirklich einschätzen zu können!
Einen kleinen Nebensatz möchte ich herausgreifen und kommentieren: "...siehe die Rolle der Frau in den Paulus-Briefen." Ich bin keine guter Bibelkenner, aber als Ministrant und bei den Bibelkreisen bei der Kath. Arbeiter-Jugend habe ich mich schon immer gefragt, warum man diesen "Extremisten und Taliban" Paulus so viel Platz und Gewicht gibt. Bestimmte ablehnende Aussagen zu Frauen und zur gleichgeschlechtlichen Liebe findet man nur bei Paulus. Aber in keinem Evangelium! Laut einem Theologen, der sich mit dieser Materie beschäftigt hat, meinte, dass Paulus in seiner Mission in den Griechischen Kolonien und Städten Kleinasiens auf eine für ihn ungewohnte Lebensweise gestoßen ist; auf eine freiere als die orthodoxe Jüdische, von der er ja geprägt war. Er sah es als seine Aufgabe, dagegen zu kämpfen. Warum meint man, dass in den Briefen des Paulus das Wort Gottes spricht. Er hat Jesus ja nicht gekannt und er war ein radikaler Mensch. Heute würde man in der Kirche einem so radikalen, keine so große Bedeutung geben! Interessant wäre zu wissen, ob bestimmte Dinge in christlichen Kirchen, die nicht von Paulus geprägt sind, z, B, Armenische, Koptische und andere orientalischen Kirchen, ob Frauen und Homosexuelle einen anderen Stellenwert haben und deren Würde besser anerkannt wird?!

Fr., 04.12.2015 - 16:50 Permalink
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Dr. Streiter Sa., 05.12.2015 - 00:15

Verehrter Herr Heine,
nach dem halben Artikel finde ich soviel Widerspruch, dass ich nicht Ihre Konklusion abwarten kann. Eigentlich muss ich jedem Satz widersprechen... Jetzt hab ich kurz auf die zweite Hälfte gepeek'ed und es wird nicht besser.
Ich bin Atheist. Hat mir in meiner Familien einen kurzen Aufreger gekostet, aber wir sind alle glücklich! das ist nun mal so in Europa. Das vorab.

Ich wundere mich nicht, dass Sie nicht die Struktur des Islams mit der des Christentums vergleichen. Sie haben die Fähigkeit dazu (als Soziologe), aber vermeiden es. Sie ziehen es vor einige anekdotische Evidenz heranziehen um alles Rund zu machen (das ist mein primärer Vorwurf, nicht Objektiv sein zu wollen, sonder Position zu beziehen). Paulus. Kreuzritter. Die Aufklärung lernte (was eher neues?!) von anderen Kulturen (Nein: darum wird ein Arabisches Mittelalter im Umkehrschluss nicht gleich Aufklärung. Ein logischer Trugschluss den schon Griechen thematisiert haben).
Was Sie im ganzen Artikel machen, ist was die Pegider jetzt "Appeasement" nennen. Horchen Sie genau auf Pegida, denn Die finden die Fehler in Ihrem Lager!
Historizismus! Wissen sie wie leicht es ist rückzublicken und wie schwer nach vorne?
Ruhen sie sich nicht auf der Geschichte aus. Wir haben Probleme zu bewältigen.
Ich habe mir eine Liste gemacht was ich alles mit ihnen besprechen will, aber es hört nicht auf:
AT und neues Testament ist absolut anders. Man kann sagen *trotz* der Friedens-Botschaft Jesu war das Christentum brutal. Aber der Koran ist nicht friedlich. Er ist heute die einzige Referenz, ohne viel Interpretation-Spielraum. Wieviel Finger und wieviel Peitschenhiebe, das sagt der Koran. Legitimiert Verbrieft durch Mohamed. Die Gewaltbereitschaft einer Gesellschaftsform durch Geburt ihrer Religion kann nicht Tabu für einen Sozialwissenschaftler sein, der sie mal waren, oder angegeben haben zu sein.
Es schmerzt mich auch dass sie die Schah Revolution aus dem Kontext reissen und ein paar “Kopftücher” herstellen ohne die Geschichte des Persiens im 20Jh. zu betrachten. Ich provoziert sie: das ist ein Zynismus als würde man die Auflösung der Burschenschaften mit dem tragen eines Judensterns vergleichen.
Der ganze Artikel hat eine Schieflage, die eigentlich mit unseren vielzitierten westlichen Werten nicht zu vertreten ist. Manchmal frag ich mich ob wir unsere Religionsfreiheit nicht historizistisch lächerlich nur den sogenannten “30 Jährigen Krieg” erklären wollen. Unser Religionstoleranz ist übertrieben: All die Spinner aus einer 1400 jahre alten Sekte Kamelhirtensekte haben mehr Legitimationsspielraum mehr als ein moderner Mensch mit all seinem begründetem Wissen.
Ich bin Atheist: in jedem islamischen Land wird ein Atheist verfolgt weil der Koran uns denuziert. Der Koran würde sagen wann die Ampel grün sein muss, wüsste Mohamed um Ampeln!, und ich habe Freunde die desswegen fliehen und ihre Familie verlassen mussten.
Religion hat im 21.Jh. nix zu suchen. Das wär mein Stossgebet.

Sa., 05.12.2015 - 00:15 Permalink
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gorgias Mo., 07.12.2015 - 12:28

Antwort auf von Dr. Streiter

Sie bezeichnen sich als Atheist, ich habe nichts dagegen wenn man mich Atheist bezeichnet. Es bleibt für mich aber eine Fremdbezeichnung, und zwar eine theozentrische. Sie wurde zur Zeit der Römer für die Christen angewand. Atheist ist jemand der nicht an meinen Gott glaubt. Wenn jemand sich selbst als Atheist bezeichnet, glaubt er nicht an "seinen" Gott, an das Gottesbild das er sich selbst aufgebaut hat, und bleibt in einem theozentrischen Denken verstrickt.

Ich bezeichne mich lieber als Skeptiker, Rationalist und als säkulär. Heinz von Foerster sagte: "Nur prinzipell unentscheidbare Fragen sind entscheidbar". So eine Frage ist die nach Gott. Sie haben sich entschieden daran zu glauben dass es kein Gott gibt bzw. an die Nichtexistenz Gottes. Von einem Erkenntnisstandpunkt ist das auf der gleichen Ebene als zu glauben dass es einen Gott gibt, es ist im Grunde gleich willkürlich. Sie können jetzt Ockhams Rasiermesser erwähnen, aber dies baut auch nur auf die Annahmen der wissenschaftlichen Methodik auf, die man als Grundlage gesetzt hat sie aber nicht bewiesen hat.

Sie sind kritisch gegenüber Religionen, ich bin es auch, weil mir noch niemand glaubwürdig einen Glauben vermitteln konnte und auch wenn ich mich einer Entscheidung grundsätzlich enthalte, nachdem ich mit einem Gläubigen gesprochen habe, habe ich am Ende eine neue Variante von Glauben abgelehnt. Ich lege sie auf Seite und gehe weiter. Auch finde ich Religion ungeeignet als Element in einem öffentliche Diskurs. Diese kann hier nichts bieten und nur Schaden anrichten.

Jedoch finde ich ihre Forderungen anmaßend dass im 21.Jh. keine Religionen gehören. Hier zeigt sich, dass Sie nicht verstanden haben welchen Stellenwert Religonen haben, welche Funktionen sie erfüllen. welche menschliche Bedürfnisse damit erfüllt werden. Doch was passiert wenn man ihre Forderung erfüllt, aber eine Gesellschaft das eigene kulturelle Erbe der Religion nicht aufgearbeitet hat? Sie kommen wieder als Untote, unter Antlitz von Ideologieen.

Auch gibt es individuelle Wege, wie man schlecht mit diesem Erbe umgehen kann.
Ihre Entscheidung mit diesem umzugehen, war es Ressentiments aufzubauen und zwar gegen die Religion. Meines erachtens hat die Bewegung des neuen Atheismus seine Wurzeln im Protestantismus der mit Nüchternheit seine Wahrheiten verkündete und missionieren wollte und ein Heilsversprechen bietet, das es auch nicht ein halten kann, weil die existentiellen Wiedersprüche des Menschen damit noch nicht gelöst werden.

Das religiöse Erbe ist mächtig und kann nicht einfach abgelehnt werden. Man muss es sich aneignen und transformieren um eine neue Gesellschaft zu erschaffen. So geschah es auch zu Zeiten Mohammeds, Buddhas und Paulus', alle drei sahen das vorhandene, nahmen es auseinander und setzten es neu zusammen.

Um das zu tun muss man aber die existenziellen Fragen des Menschen verstehen, und die Antworten die jene Religion gegeben hat um dass etwas neues zu bieten.

Ich kann hier folgende Lektüre empfehlen weiter interessiert ist:

Erich Fromm: Ihr werdet sein wie Gott - Eine radikale Interpretation des Alten Testaments und seiner Tradition
Alain de Botton : Religion für Atheisten: Vom Nutzen der Religion für das Leben

Noch eine Anmerkung: Beide Autoren bezeichnen sich als Atheisten. Man braucht hier also keine Angst zu haben auf dem alten klerikalen Reformief eines Hans Küng oder Eugen Drewermann zu stossen.

Mo., 07.12.2015 - 12:28 Permalink
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Profil für Benutzer Dr. Streiter
Dr. Streiter Mo., 07.12.2015 - 18:06

Antwort auf von gorgias

> Wenn jemand sich selbst als Atheist bezeichnet, glaubt er nicht an "seinen" Gott, an das Gottesbild das er sich selbst aufgebaut hat, und bleibt in einem theozentrischen Denken verstrickt.

Ich halte es mit der Sprache ein bisschen anders, die eigentliche Wurzel - so interessant der Ursprung des Begriffs Atheismus auch ist - ist nicht so bedeutsam. Ich möchte verstanden werden, darum wähle ich Begriffe von denen ich glaube die Mehrheit der deutschsprachigen versteht sofort was gemeint ist. Genauso meine ich mit Gott auch einen möglichst kanonischen Gott, wie sie die Kirchen verstehen und nicht 'meinen Gottesbegriff'. Skeptiker, Rationalist und säkulär, sind ganz gute alternativen, schliessen aber einen religiösen Glauben nicht ganz aus. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Daher ist Atheist präziser oder griffiger.

>Sie haben sich entschieden daran zu glauben dass es kein Gott gibt bzw. an die Nichtexistenz Gottes. Von einem Erkenntnisstandpunkt ist das auf der gleichen Ebene als zu glauben dass es einen Gott gibt, es ist im Grunde gleich willkürlich. Sie können jetzt Ockhams Rasiermesser erwähnen, aber dies baut auch nur auf die Annahmen der wissenschaftlichen Methodik auf, die man als Grundlage gesetzt hat sie aber nicht bewiesen hat.

Wenn ich mich an Ockham recht erinnere, geht es darum unter verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten die einfachste Erklärung zu wählen. Eine Heuristik. Die empirische Methodik: Hypotese, Induktion, Falsifizierung ist nicht gleich Ockham's Parsemonie. Ockham ist lediglich eine Faustregel in der Empirie.

Erkenntnis unterscheidet sich von Glauben. Ob empirisch oder logisch herleitbar: die Welt ist alles was der Fall ist. Da es bei näherer Betrachtung wenig brauchbare Hinweise für die Existenz eines Koran- oder Bibelgottes gibt, ist davon auszugehen dass es keinen gibt, wobei das Phänomen ganz plausibel sozialpsychologisch erklärt werden kann.

>Jedoch finde ich ihre Forderungen anmaßend dass im 21.Jh. keine Religionen gehören.
Mir hat diese Aussage auch gleich leid getan, ich ziehe sie zurück. Die Privilegien die unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit florieren müssen jedoch widerrufen werden.

Danke für die Literaturhinweise, ich nehme mir mal den Botton zur Brust.

Mo., 07.12.2015 - 18:06 Permalink
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Hartwig Heine Sa., 05.12.2015 - 18:04

Dr. Streiters Kommentar ist für mich in mancher Hinsicht ein Rätsel, nicht nur wegen des teilweise assoziativen Stils. Wenn ich ihn richtig verstehe, vermisst er bei mir einen Strukturvergleich Islam - Christentum. Richtig, auf den habe ich in dem Artikel verzichtet. Und den überlasse ich auch lieber Kundigeren. Ich bin sowieso nicht der Meinung, die definitive Antwort auf die gegenwärtige Diskussion über den Islam zu haben. Mir ging es um ein paar Gesichtpunkte, die mir in der "Salto"-Diskussion noch zu kurz gekommen waren: Auch das Christentum hat trotz der neutestamentarischen Friedensbotschaft eine historische Spur der Gewalt gezogen; der Exodus-Mythos hat nicht nur einer, sondern allen drei abrahamitischen Religionen einen ambivalenten Stempel aufgedrückt; der Tendenz zum Totalitarismus charakterisiert die gesamte Moderne. Was das mit "Appeasement" zu tun hat, erschließt sich mir nicht, es sei denn, Dr. Streiter setzt jeden Versuch, irgendetwas historisch zu verstehen, mit der Bereitschaft gleich, ihm die Absolution zu erteilen. Warum z. B. der IS in den sunnitischen Teilen des Iraks und Syriens offenbar so etwas wie eine Massenbasis findet, dafür gibt es eine Erklärung, die mir plausibel zu sein scheint: Die Erfahrung eines sozialen und politischen Abstiegs, deren subjektive Verarbeitung ein verbreiteter Viktimismus ist, der durch die Religion eine mörderische Interpretation erfährt. Bedeutet diese Erklärung, sich "auf der Geschichte auszuruhen"? Er bedeutet im Gegenteil den Versuch, "das Problem zu bewältigen". Allerdings: richtig zu bewältigen. Was zum Beispiel bedeutet, nicht an der Seite Assads und Putins einfach die Sunniten niederzukämpfen. Sondern den Kampf gegen den IS damit zu verbinden, dass man den Sunniten gleichzeitig eine positive Perspektive bietet - vielleicht in Gestalt einer anzustrebenden Friedensordnung, die ihnen die Chance zu einer eigenen Staatsgründung bietet.
"Religion hat im 21. Jh. nix zu suchen". Persönlich könnte ich Ihnen, Dr. Streiter, da die Hand reichen, Atheist bin ich auch. Aber wir können uns auch gemeinsam hinsetzen und den Mond anheulen. Deshalb bin ich für Plan B: Respektierung der Menschenrechte, wozu auch die Religionsfreiheit (samt Atheismusfreiheit) gehört. Da ich den Verdacht habe, dass Sie es noch nicht getan haben, nochmals mein Vorschlag: Lesen Sie die Rede von Kermani!

Sa., 05.12.2015 - 18:04 Permalink
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Dr. Streiter Sa., 05.12.2015 - 21:55

Antwort auf von Hartwig Heine

Ich sehe in ihrem Artikel mehr einen Beschwichtigungsversuch als eine Erklärung. Er ist einer jener gutgemeinten Beruhigungsmittel die die innere Botschaft birgt dass man den Leser zu besänftigen hat, weil um bei Hanna Arenth zu bleiben "Die Wahrheit NICHT zumutbar ist". Es geht um Erklärungen die mehr eine guten Story sind als schlüssig. Dabei wird immer gerne die Geschichte herangezogen. Wenn in Spanien die erste Universität Arabische Bücher studiert hat, so gilt das als ein starker Hinweis dass wir unser humanistisches Erbe "den Muslims" zu verdanken haben. In der ähnlicher Weise musste Griechenland 2002 dem Euro beitreten, weil wir "den Griechen" die westliche Philosophie zu verdanken haben. Was heisst dieses "Verdanken"? Es will "eine Brücke bilden" und somit was ganz anderes als Erkenntnis: pastorale Einigkeit. Immer mit dem Verdacht, dass die Leser und ein bischen man selber, das Nötig haben.
Sie suchen Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen, wieder mit der Intention dem Leser den Frieden zu predigen. Diese Friedensrede Kermanis habe ich schon dazumal im TV gesehen, ganz der selbe Stil. Macht man die Augen zu glaubt man man sei in der Kirche.
In ihrer Antwort haben Sie jedenfalls mein Kritik verstanden und umdisponiert. Jetzt Argumentieren sie wieder auf Augenhöhe mit dem Leser und bieten eine Erklärung an statt betäubenden Weihrauch: Repression trifft auf Brandbeschleuniger Religion. Ok. Mit ihren Schlüssen daraus bin ich zwar nicht Einverstanden aber darüber kann man reden. Um guten Willen zu zeigen, schau ich mir jetzt den Kermani nochmal auf Youtube an.

Sa., 05.12.2015 - 21:55 Permalink
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paolo zucconi So., 06.12.2015 - 07:29

„weniger die Tradition als vielmehr der schon fast vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie“
Obwohl man nicht alles vereinfachen kann, plädiere ich in Gesprächen zum Thema immer wieder für die aufklärerische Rollle des Islam in vergangenen Jahrhunderten. Gut, dass das jemand mal erwähnt.

So., 06.12.2015 - 07:29 Permalink
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Dr. Streiter Di., 08.12.2015 - 21:13

Antwort auf von paolo zucconi

Ich bin relativ skeptisch über die aufklärerische Rolle des Islams "in vergangenen Jahrhunderten".
Es ist nicht unbegründet zu vermuten dass Religion nur zum ein Teil Gesellschaften prägen. Ein andere Teil wird oft "Materialismus" genannt und zeigt auf, was sich aus den ökonomischen Rahmenbedingungen ergibt. Ein anderer Teil ist gar Kraus, und entsteht aus Emergenten Phänomenen. Nicht nur der Haarschnitt und der Dow Jones ist der Kontingenz unterworfen. Zu sagen der Islam habe aufklärerisch gewirkt, bedeutet die Geschichte Arabiens, der Nahe und Mittlere Osten auf diesen zu reduzieren. Eigentlich ein schrecklicher Gedanke.

Di., 08.12.2015 - 21:13 Permalink
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Hartwig Heine So., 06.12.2015 - 09:41

Nochmals zu Dr. Streiter: Es ist eine uralte Methode, den Streit um Argumente dadurch zu vermeiden, dass man nur über die "Absichten" und "Intentionen" redet (in diesem Fall "Beschwichtigung"), die angeblich dahinter stehen. Da hat man plötzlich Beinfreiheit, man kann fröhlich alles behaupten und auf Pappkameraden einschlagen, die man selbst aufgebaut hat. Weiterführend ist das nicht.

So., 06.12.2015 - 09:41 Permalink
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Dr. Streiter So., 06.12.2015 - 10:02

Antwort auf von Hartwig Heine

Hmm, es fällt mir relativ schwer einen Text zu lesen ohne mir eine Meinung von den Absichten des Autors zu bilden. Falls sie dahinter eine Strategie sehen, um auf Pappkameraden einzuschlagen so überschätzen sie meine Böswilligkeit.
Die Intentionen sollten schon Teil eines Streit um Argumente sein, diese jedoch nicht verdecken. Vielleicht können sie mir das vorwerfen. Falls sie eine andere Absicht mit dem Text verfolge als ich ihnen unterstelle, könnten sie diese ja offenlegen.

So., 06.12.2015 - 10:02 Permalink
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Hartwig Heine So., 06.12.2015 - 12:11

Sehen Sie, das gehört dann zum Spiel der Unterstellungen: Dem Anderen zum Schluss aufzufordern, er solle seine "Absicht offenlegen", natürlich seine "wahre". Ich soll also beteuern, dass es mir nicht um "Beschwichtigung" geht etc. Von den Argumenten, die er in die Debatte einzuführen suchte, ist man dann endgültig weg. Jetzt unterstelle ich etwas: Das ist genau Ihre Absicht. Bei Ihrer Unterstellung, ich wolle nur "beschwichtigen", haben Sie geflissentlich überlesen, dass ich Kermanis Wort vom "religiösen Faschismus" zustimmend zitiere und den islamistischen Fundamentalismus "totalitär" nenne. Was wollen Sie mehr? Ich glaube, ich ahne es: Sie wollen jede Argumentation, die hier von unserer Mitverantwortung spricht, denunzieren.

So., 06.12.2015 - 12:11 Permalink
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Dr. Streiter So., 06.12.2015 - 13:14

Antwort auf von Hartwig Heine

Wär ich paranoid würd' ich jetzt andeuten dass es Ihr Spiel der Unterstellung ist Diskussions-Gegnern Spiele vorzuwerfen. Aber wozu?
"Unsere Mitverantwortung" ist interessant. Ich bin nicht mitverantwortlich für den Islamismus, ich hoffe da sind wir uns einig. Die Politik der Kolonialmächte ist Mitursache, man mag alternative Geschichtsentwicklungen aufzeigen und sagen, hätte Frankreich, Grossbritanien und die USA anders gehandelt dann wäre das und das passiert. Wie sollen aber "wir" (eine wage Wertegemeinschaft?) da Mitverantwortung haben? Der Kult der Mitverantwortung ist ein metaphysische Kunst.

Mir ist aufgefallen dass sie Kermanis Schah-Kopftuch Argument benutzen um diese Mitverantwortung zu finden. Aber nicht weil das Schah Regime eine Erfindung der Amerkanischen Regierung war, die immerhin dafür den demokratisch gewählten Reformer Mossadegh mit ziemlich grauenvollen Methoden weggeputscht haben. Sondern weil "westliche Werte" mit brutalen Mitteln durchzusetzen waren, lesen wir diese Stelle nochmal:

Allerdings tragen dafür auch diejenigen Kräfte eine Mitverantwortung, die sich in den islamischen Ländern als Vertreter westlicher Ideen präsentierten. Denn sie trugen dazu bei, dass in diesen Ländern die „Moderne nicht mit Freiheit, sondern mit Ausbeutung und Despotie assoziiert“ wurde. Kermani erzählt, wie 1936 auf Anordnung des persischen Schahs Soldaten in den Straßen Teherans ausschwärmten, um den Frauen das Kopftuch mit Gewalt wegzureißen.

Nein, Delegierte des Westens haben nicht versucht mit dem Schwert den Humanismus zu verbreiten. British Petrol hat die Amerikaner angefragt um einen Drecksjob zu erledigen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Ajax

Es ist verdreht zu behaupten die Araber würden moderne humanistische Werte nicht verstehen, weil sie ihnen aufoktruirt wurden. Das war nie das Problem.
Der negative Einfluss der Kolonialmächte hat im Nahen Osten zu einem Arabisch Nationalismus geführt, Stichwort Ba'ath Partei. Dieser war modern. Es gab also eine starke Alternative zum Islamismus. Die metaphysische Kunst der Mitverantwortlichkeit ist oft gar nicht demütig. Sie glaubt manchmal zwanghaft, man muss gebraucht werden.

So., 06.12.2015 - 13:14 Permalink
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Frank Blumtritt So., 06.12.2015 - 18:46

Danke, Herr Heine, das ich über Ihren interessanten Beitrag auf die Kermani-Rede gestoßen bin und so in die Versuchung derer Lektüre kommen durfte. Ich hoffe nur, dass auch andere diesem Beispiel folgen mögen..

So., 06.12.2015 - 18:46 Permalink