Berichte aus der Garibaldistraße
Claudia Lintner hat in ihrer Doktoratsarbeit „Economies in Between“ Unternehmer mit Migrationshintergrund in Brixen und Bozen rund anderthalb Jahre begleitet und aufgezeigt, wie sie ihren Alltag in Südtirol gestalten. Diese Unternehmer sind sehr flexibel, so Lintner, haben sie doch ihr ganzes Leben durch eine Migration von Grund auf geändert. So ist für die Migrantinnen und Migranten das Scheitern keinesfalls eine persönliche Katastrophe, sondern ein Schritt zu einem weiteren Neuanfang.
Wie ist es zu Ihrer Forschungsarbeit gekommen, was war Ihre Ausgangsfrage?
Migration als Thema hat mich seit jeher interessiert, ich forsche und schreibe seit etlichen Jahren darüber. 2011 habe ich dann mit meiner Recherche zu dieser Arbeit begonnen; damals ist mir aufgefallen, wie schnell sich in gewissen Straßen in Brixen und Bozen kleine neue Geschäftsmodelle von Migranten entwickeln. Ich fand das sehr spannend, auch weil das Thema in Zukunft sicherlich noch präsenter werden wird und auch hier immer mehr zum festen Bestandteil des Stadtlebens werden wird, wie es bereits jetzt in Österreich und Deutschland ist. Ich wollte verstehen, wie Menschen mit Migrationshintergrund ihre Lebens- und Arbeitsgeschichte hier fortsetzen, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen hatten, und mit welchen Strategien sie dies tun.
Wen haben Sie begleitet und wie lange?
Das waren selbständige Kleinunternehmer, die in Brixen und Bozen ein Geschäft eröffnet hatten. Ich habe sie nicht nach ihrer Herkunft ausgewählt, sondern nach den Sektoren, in denen sie tätig sind: ein Internet-Café, ein Barbier, ein Lebensmittelgeschäft oder ein Fotograf, insgesamt 7 Personen mit ihrem familiären Hintergrund. Unter ihnen waren solche, die bereits länger hier arbeiten, einige die ihr Unternehmen gerade neu eröffnet hatten und andere die das ihre schließen mussten, weil es nicht funktioniert hat.
Was war denn der Fokus Ihrer Feldforschung, der ökonomische Aspekt oder der soziale?
Als Sozialwissenschaftlerin interessiert mich natürlich der zweite, das heißt, über die Arbeitsbiografie erschließt sich auch die Lebenswelt dieser Personen; wie lebte die Person vor ihrer Migration, gelingt es, hier im selben Sektor Arbeit zu finden und kann auf die erlernte Ausbildung und Kompetenz zurückgegriffen werden. Das waren Fragen die mich interessierten, aber auch wie der Alltag und die Handlungsstragien dieser Personen aussehen, ihre Selbstorganisation.
Warum wagten Ihre sieben Unternehmer den Sprung in die Selbständigkeit?
Die meisten waren vorher in einer Erwerbsarbeit tätig, nach ihrer Migration war das das erste und einfachste. Jedoch haben viele von ihnen ihre Arbeit wieder verloren oder haben sich verschlechtert, auch durch die Wirtschaftskrise. Als Alternative zur Arbeitslosigkeit bot sich die Selbständigkeit an. Auch die Zahlen belegen diese Entwicklung, im Zeitraum 2009 bis 2014 haben sich über 25 Prozent der Eingewanderten selbständig gemacht.
Auf welche Hindernisse sind die Unternehmer mit Migrationshintergrund gestoßen?
Grundsätzlich sind diese Schwierigkeiten mit denen von einheimischen Unternehmensgründern vergleichbar, der Unterschied ist der, dass Migranten viel stärker und ausschließlich in informellen Netzwerken organisiert sind, also als Unterstützung die Familie, die Verwandten, das soziale und religiöse Netzwerk auch aus dem Herkunftsland haben und kaum oder keine institutionelle Unterstützung durch Behörden oder Finanzsystemen von hier. Die Einheimischen kennen vor allem das Territorium besser, wissen bei welchen Ämtern oder Netzwerken strukturelle Hilfe zu holen ist, das wissen Migranten kaum einmal. Die Informationen gelangen nicht zu ihnen und sie selbst versuchen es auch kaum.
Also haben Ihre Unternehmer keine Kredite von hiesigen Banken oder finanzielle Fördermaßnahmen für Ihre Geschäftsgründungen in Anspruch genommen?
Wie gesagt, viele wissen nicht einmal welche Förderungen es in diesem Sektor gibt, auch die Sprache war und ist oft ein Hindernisgrund um sich richtig zu informieren. Auch ist es für viele eine Glaubensfrage, der Islam, bzw. die muslimische Wirtschaftsethik verbietet das Kreditnehmen von Banken und das Arbeiten mit Zinsen. Auch werden Kredite von hiesigen Banken kaum an Migranten vergeben.
Womit finanzieren sich dann diese Geschäftsgründer?
Einzig und allein mit dem Familiengeld, das oft auch aus dem Herkunftsland kommt. Die Wirtschaftsethik des Islam ist eine ganz andere als die des westlichen Kapitalismus; ich habe hier sehr interessante Beobachtungen machen können. Zum Beispiel gab es immer wieder Diskussionen, ob im Geschäft auch Alkohol verkauft werden soll, der im Islam verboten ist. Jedoch ist man nun im Westen und muss auch auf die Kundschaft Rücksicht nehmen. Oder es wird sehr genau darauf geachtet, dass man sich nicht untereinander in Konkurrenz begibt, das heißt wenn es in Brixen bereits ein Lebensmittelgeschäft gab, dann wird ein weiterer darauf verzichten, einen gleichen Laden zu eröffnen.
Das Nicht-In-Anspruchnehmen von öffentlichen Förderungen wie Sie es beschreiben, widerspricht auch einer gängigen öffentlichen Meinung, dass Migranten unser Sozialsystem ausnutzen würden…
Ja sicher widerspreche ich mit meiner Studie diesem Vorurteil; das muss hier festgehalten werden, dass das Gegenteil der Fall ist. Diese Kleinunternehmer schaffen Arbeitsplätze für sich selbst und wo es geht, auch für andere. Sie wollen arbeiten und sind kreativ und tüchtig darin, Arbeit zu finden. In meiner Studie wollte ich vor allem dieses allzu billige Bild vom passiven Einwanderer anfechten und unterstreichen, dass viele von ihnen kreative Gestalter unserer Gesellschaft sind.
Gehen Sie in Ihrer Studie auch darauf ein, wie die Umgebung auf die neuen Geschäftsgründungen reagiert?
Das ist nicht explizit Forschungsgegenstand gewesen, doch machen diese Geschäftsgründungen in erster Linie sichtbar, dass es Migranten gibt und dass sie hier leben und arbeiten. In Bozens Garibaldistraße oder in der Runggadgasse in Brixen machten eine Reihe von kleinen ausländischen Geschäften auf; das kann schon zu Verunsicherung und Misstrauen in der Bevölkerung führen. Ganz schnell zirkuliert dann der Begriff der Parallelgesellschaft, man spricht von Ghettoisierung, auch das habe ich versucht in meiner Forschung kritisch zu hinterfragen. Was hier entsteht, sind letztlich Ergänzungsökonomien, die den Einheimischen nichts wegnehmen, weder Arbeit noch Geschäftsflächen, weil diese Gründungen in relativ vernachlässigten Stadtbereichen stattfinden. Dort wo kaum Laufkundschaft ist, und wo auch das Risiko des Scheiterns viel höher ist. Die Stadtverwaltung müsste eigentlich froh sein, wenn solche Zonen revitalisiert werden und diese Aktivitäten unterstützen.
Wenn in diesen Geschäftsstraßen also kaum Laufkundschaft anzutreffen ist, für wen haben die Unternehmer mit Migrationshintergrund diese Geschäfte eröffnet?
Es war eine interessante Entdeckung durch die Studie, dass die Geschäftsgründer ihre Läden zwar oft für die eigene ethnische Gruppe gedacht hatten, um sie mit Lebensmitteln aus dem Herkunftsland zu versorgen, dass aber meistens dann viel mehr einheimische Kunden gekommen sind. Ein Barbier in Brixen galt als Treffpunkt für die eigenen pakistanischen Landsleute, dort traf man sich zum Reden, aber die Kundschaft wurde mehr und mehr einheimisch. Einer sagte mir, das sei so, weil es niemanden mehr gäbe, der ihm den Bart frisiert. Hier findet ein sehr informeller kultureller Austausch statt, der ganz nebenbei passiert. Oft nutzen Kunden die Gelegenheit des Einkaufs zur Diskussion und zur Information, gerade über den Islam. Ich nenne solche Orte auch Integrationsorte, wo zwar nicht jeder rein geht, aber wenn es geschieht, dann entdeckt man, dass hier alles andere als Abschottung passiert.
Rund um die Frage der
Rund um die Frage der "Arbeitsbiografien" würden mich als pensionierten Berufsberater auch Details interessieren; Trends oder Einzelbeispiele.
Zur Frage der Parallelwelten bin ich der Meinung, dass die Immigranten diesen Platz, diesen Spielraum brauchen: es ist für sie eine kleine Heimat. Wahrscheinlich brauchen Muslime diese Nische noch mehr als christliche Einwanderer. Und so wie ich es verstehe und ich die Definition von Integration verstehe (siehe Modell bei Wiki: https://de.wikipedia.org/wiki/Integration_(Soziologie) gehört dieser Platz und Spielraum auch dazu im Unterschied zur Inklusion.