Nur ein Obdachloser
Es ist nicht mein erstes Gespräch mit Folteropfern. Im vergangen musste ein Übersetzter vermitteln. Damit geht einiges an der Relation verloren, aber man muss lernen sich anzupassen, auch in der Medizin. Zum Glück gibt es eine zweite Generation unserer lokalen Migrationsgeschichte. Wir sollten diese jungen Kulturakrobaten zwischen zwei und oft mehreren Welten viel besser und öfters einsetzten – auch und besonders im öffentlichen Dienst.
Immer öfters bin ich gezwungen mich mit Gewalt- und Folteropfer auseinander zu setzen. Der erste Schritt, lange bevor professionelle Unterstützung für die Linderung der Beschwerden angeboten werden kann, ist die Zertifizierung von Gewalteinwirkung, Dynamik und Folgen. Klingt alles ganz logisch und einfach. In der realen Welt, nicht nur in Südtirol, ist Folter ein unangenehmes medizinisches Thema, bei dem sich fast niemand auskennt. Und oft erwischt man sich selbst beim Gedanken: muss ich mich mit dem jetzt auch noch herumschlagen?!
Die erste Frage die sich alle stellen – einschließlich mir: bist du sicher, dass er/sie so Schreckliches erlebt hat? Kannst man es mit 100% Sicherheit dokumentieren? Die Meistens nicht und ich muss lernen mich mit juristischen Ausdrücken anzufreunden („compatibile“, „correlazione altamente probabile“ „il paziente riferisce di aver subito“ statt „avrebbe subito“). Kann und soll man medizinische Kosten verursachen, um eventuelle Aussagen des Opfers zu bestätigen? Zum Beispiel eine MR-Untersuchnung des Schädels nach Schlagstockbehandlung, oder Röntgtenbilder der Schultergelenke für mögliche frühzeitige Arthroseanzeichen bei Opfern die tagelang mit den Händen hinterm Rücken am Oberboden aufgehängt wurden? Wer wird mein Zertifikat beurteilen? Darf ein Anästhesist so was ausstellen oder muss es ein Gerichtsmediziner sein? Darf ich diese Untersuchungen mit „Dringlichkeit“ beschleunigen, ohne die Großoma des Volkes in der Warteschlaufe zu überholen? So in etwa sind dann die Kommentare „mia nonna deve aspettare 6 mesi per la protesi d'anca e poi arrivano questi e ricevono tutto e subito“ - nicht vom Volk, sondern vom Sanitätspersonal. Die Stimmung ist stickig. Ich bin froh kein Migrant zu sein. Nicht heute. Nicht zur Zeit. Hoffentlich nie.
Sharif erzählt:
„Als ich mich in Bangladesh politisch interessiert zeigte, wurde ich in der Universität von einer politischen Partei rekrutiert. Mein Vater war ein gekürter Freiheitskämpfer im Sezzesionskrieg gegen Pakistan. Zum Glück war mein Bruder politisch nicht interessiert. Ich gehörte bald den mittleren Parteiquader an, da 80% der Mitglieder eher ungebildet sind. Eines Tages wurde ich und ein paar Freunde in die Parteizentrale einberufen. Uns wurde befohlen demnächst eine Bombe in eine politische Versammlung zu werfen. Wir weigerten uns. Daraufhin wurden wir eingeschüchtert. Es gelte absolute Gehorsamkeit. Nach ein paar Wochen wurden wir wieder zitiert. Diesmal schlossen sie mich und fünf von uns in ein Zimmer ein. Für eine Woche wurden wir beschimpft. Wir bekamen sehr wenig zu essen - nur am Morgen. Nach 5 Tagen gelang uns die Flucht. Aber nach weiteren drei Wochen haben sie mich dann wieder geschnappt. Diesmal war ich alleine. Sie brachten mich in ein entlegenes Dorf. Sie banden mich an den Handgelenken mit Plastikstreifen an einen Türstock. Dann nach jedem Gebet fünf mal täglich, schlugen sie mich hart. Sie waren wie besessen. Ich glaube in diesen fünf Tagen haben sie mich nie abgebunden. Es war hart. Ich erinnere mich, dass sie mich besonders an den Beinen schlugen. Auch ins Gesicht, aber ich spürte meine Beine nicht mehr. Dann ließen sie mich ein paar Tage in Ruhe. Ich wurde manchmal ins Klo begleitet. Überral wurde gefoltert. Auch schlimmer als mich. Vielleicht weil ich auch Moslem war. Vielleicht weil ich gebildeter war. Aber ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Dann kamen sie und sagten, dass wenn ich nicht die Bombe werfe, werden sie mich schwer Foltern. Da bekam ich Angst. Noch schwerer? Sie kamen, banden mich an einen Stuhl und spritzen mir ein trübe Flüssigkeit in die Armvene. Es brannte schrecklich. Mir wurde trüb. Als ich wieder zu mir kam hatte ich eigenartige schreckliche Gefühle. Ich hatte Halluzinationen. Sie sprachen die ganze Zeit mit mir. Ich weiss nicht was sonst noch geschah. So ging das jeden Tag zweimal für etwa zwei Wochen. Fast kein Essen, wenig trinken. Ich war am Ende. Die Venen zogen sich zurück. Bis sie mir den Einstich an der Leiste machten. Der Effekt der Drogen nahm langsam ab. Ich wurde nicht mehr ohnmächtig und auch die Verhöre und Einschüchterungen hörten allmählich auf. Die Drogen bekam ich aber immer noch einmal täglich. Mir war alles egal. So konnte ich mindestens ein paar Stunden abschalten. Sie gaben mir etwas mehr zu essen und ich wurde einmal in der Woche zum Duschen begleitet. Dort war ich allein. Ich begann einen Fluchtplan zu schmieden. Die Dusche bestand aus einer einfachen Ziegelwand. Ich lockerte die Ziegel. Nach 2 Monaten gelang mir die Flucht. Ich durchbrach die Wand und fing an zu laufen. Aber sie entdeckten mich und warfen mir eine Granate nach. Ich sprang in die Luft. Mein Bein war verletzt und ich war ohnmächtig. Sie dachten ich wäre tot und schmissen mich in eine Grube. Da lagen mehrere Leichen in unterschiedlichen Verwesungsstadien. Eine Frau vom Dorf hörte meine Laute. Sie hatte ein kleines Kind dabei. Sie brachte mich zu einem Gesundheitsstützpunkt. Von dort wurde ich ins Krankenhaus verlegt. Ich bin froh überlebt zu haben. Von meinen 5 Freunden, bin ich nur mit einem im Kontakt. Ich glaube die andern sind alle tot, aber ich weiss es nicht.
Sharif wie geht es dir mental?
„Ich komm schon klar. Am meisten fehlt mir meine alte Mutter, die sich um mich sorgt. Ich schlafe sehr schlecht. Aber ich bin froh ein warmes Essen zu bekommen. Aber wenn ihr glaubt, für mich sei es gut einen Psychologen zu besuchen, dann mach ich das. Ich vertraue euch. Ich tu das was ihr glaubt für mich gut sei. “
Wo schläfst du?
„Auf der Strasse. Jetzt konnte ich eine Woche in einer Garage schlafen. Da war ein Mann aus Bangladesh gestorben. Ich kümmerte mich für die Familie um die Leichenwäsche. Dafür konnte ich im Warmen schlafen.“
Haben sie dir schon in einem anderem Land die Fingerabdrücke genommen?
„Nein. Zum Glück. Ich habe hier in Bozen in der Questur um Asyl angefragt. Ich habe auch eine Aufenthaltsgenehmigung. Und ein Sanitätsbüchlein.“
Aber Sharif ist auf der Strasse. Er wartet seid Monaten auf einen Heimplatz und auf Integrations-Betreuung. Jetzt zum Glück in der Nacht wahrscheinlich in den Turnhallen in via Cadorna.
Ich muss euch lieben Salto-Lesern ehrlich gestehen, dass ich mich geschämt habe. Wir hängen da alle mit drin. Das Thema Flüchtlingsstrom spaltet unsere Gesellschaft – spaltet die EU. Es gibt niemand der Recht hat. Aber ohne aktive Zeichen der Zivilgesellschaft bewegen sich die Institutionen und die Politik sicher nicht. Darunter verstehe ich nicht Protestmärsche, sondern Aktionen wie sie schon in Südtriol stattfinden. Positive und ausgewogene Kommentare in den sozialen Medien. Alles hilft um ein Stück mehr Menschlichkeit in den Vordergrund zu rücken.
Und eines bin ich mir sicher: Ein warmes Bett, 3 Mahlzeiten und eine angemessene und diversifizierte sanitäre Betreuung schafft nicht genug soziale Anziehungskraft. Also bitte, für Südtirol gilt dieses Argument nicht.
manchmal macht mich Südtirol
manchmal macht mich Südtirol sprachlos, Danke Max für Deinen Artikel und Dein Engagement