Politik | M5S-Turbulenzen

Rausschmiss als politisches Rezept

Der Ausschluss einer süditalienischen Bürgermeisterin könnte sich für die Fünfsterne-Bewegung zum politischen Eigentor entwickeln.

Turbulenzen sind im M5S an der Tagesordung. Aber selten hat eine Entscheidung die Bewegung so tief gespalten wie der Ausschluss der Bürgermeisterin von Quarto, einer camorraverseuchten Gemeinde im Grossraum Neapel. Bei den jüngsten Wahlen zeichnete sich dort mit einem Erfolg der Fünfsterne-Bewegung eine Wende ab - bis sich herausstellte, dass der Meistgewählte auf der M5S-Liste im Dienste der Camorra stand und versuchte, die neue Bürgermeisterin zu erpressen.  

Dass Rosa Capuozzo ausgeschlossen wurde, obwohl sie diesem Versuch widerstand, geriet in der Bewegung zur Zerreissprobe.  Die Entscheidung spaltete die Parlamentarier, die Basis, die Sympathisanten, Norden und Süden.

Im Movimento 5 Stelle werden alle wichtigen Entscheidungen von fünf Männern getroffen: Grillo, Casaleggio, Di Maio, Fico und Di Battista. 90 Prozent aller TV-Auftritte sind Männern vorbehalten. Fundamentalisten wie Alessandro Di Battista, die in der unerschütterlichen  und fast religiösen Überzeugung leben, einzige glaubwürdige Repräsentanten öffentlicher Moral  zu sein. Gegen solche Männer hatte Bürgermeisterin Rosa Capuozzo keine Chance - obwohl Fico und Di Maio ihren Wahlkampf geführt hatten. Der Fall demonstriert augenfällig, wie der moralische Impetus der Fünfsterne-Bewegung immer mehr zur Obsession verkommt. Er zeigt aber auch, wie geschickt die M5S-Vertreter von den Parteien lernen, die sie täglich verteufeln. So setzte Di Maio als Bedingung für seine Teilnahme an der jüngsten Talkshow Ballaró  durch, dass es im Studio kein politisches Streitgespräch geben dürfe.  Man hat dazugelernt, seit Senator Marino Mastrangeli wegen Teilnahme an einer Talkshow ausgeschlossen wurde. Der gemeinsame TV-Auftritt von Di Battista, Fico und Di Maio im Internet war an Peinlichkeit kaum zu überbieten - drei moralisierende Sittenwächter schliessen unter grenzenloser Selbstbeweihräucherung eine Frau aus und bescheinigen ihr gleichzeitig, sich der Erpressung der Camorra nicht gebeugt zu haben. Reinheitswahn pur.


Wie regiert die Fünfsterne-Bewegung ihre Gemeinden ?

Um die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu messen, genügt freilich ein Blick auf die bisher von der Bewegung regierten Gemeinden. Federico Pizzarotti regiert Parma als erster M5S-Bürgermeister seit drei Jahren. Er hält den Ausschluss von Rosa Capuozzo für einen schweren Fehler. Die Bewegung habe gleich gehandelt wie der Partito Democratico im Fall Ignazio Marino. Pizzarotti fordert die Wahl eines Leitungsgremiums durch die Mitglieder. Der von Grillo mehrmals attackierte Bürgermeister hat bereits  angekündigt, bei der nächsten Wahl mit eigener Liste anzutreten, falls ihm das Listenzeichen verweigert wird.

In der toskanischen Provinzhauptstadt Livorno ist die Euphorie über den Sieg der Fünfsterne-Bewegung längst der Ernüchterung gewichen. Bürgermeister Filippo Nogarin hat nach dem Ausschluss von drei Ratsmitliedern die Mehrheit verloren und muss jetzt tun, was die Bewegung stets kategorisch ablehnt : ein Bündnis mit andere Listen eingehen. Das ist bisher am Widerstand der zwei Bürgerlisten gescheitert. Die Sympathiewerte für den Raumfahrtexperten Nogarin sind erheblich gesunken.

In Ragusa wurde Bürgermeister Federico Piccitto von Grillo und Casaleggio als neuer Robin Hood gefeiert, als er die Tasi abschaffte. In der Zwischenzeit hat er sie wieder eingeführt. Seine Stadträtin für Kultur musste zurücktreten, weil sie ihrem Mann einen Posten in einer von der Gemeinde unterstützten Vereinigung beschaffte. Ölbohrungen auf dem Gemeindegebiet sorgen für Proteste der Basis.

Wesentlich drastischer ist der Fall des Bürgermeisters von Gela. Domenico Messinese wurde kurzerhand aus dem M5S ausgeschlossen, weil er "die bei Annahme der Kandidatur eingegangenen Verpflichtungen nicht eingehalten" habe. Messinese, der in sechs Monaten vier Stadträte ausgetauscht hatte: "Il Movimento é latitante."    Ähnlich erging es dem Bürgermeister von Comacchio, Marco Fabbri, der von Grillo  mit drei Worten auf der Webseite entlasssen wurde: "Fabbri é fuori." Der Bürgermeister von Civitavecchia, Antonio Cozzolino, musste die Steuern erhöhen und hat grosse Mühe, einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren: "Sto provando ad evitare il default." Zuletzt glänzte der Bürgermeister mit dem originellen Antrag an den Präfekten, alle Ratsmitglieder der Opposition von ihrem Amt zu suspendieren, weil sie gegen die Vergabe eines öffentlichen Auftrags sgestimmt hatten für den es nur einen einzigen Bewerber gab.

Fälle dieser Art dürften stark zunehmen, wenn die Bewegung im Frühjahr die Wahlen in zahlreichen Gemeinden gewinnt. Nummer eins auf der Wunschliste ist Rom, wo die Grillini nach dem Versagen des Partito Democratico durchaus über Chancen verfügen, die Stichwahl für sich entscheiden. Dann wird sich zeigen, ob die Bewegung über die Fähigkeiten und vor allem über die geeigneten Personen verfügt, um in der korruptionsverseuchten Millionenstadt durchzugreifen. Viele der bisherigen Kandidaten haben sich schlichtweg als ungeeignet und unvorbereitet erwiesen, um die hochtrabenden Ziele der Bewegung zu realisieren.

Doch vorerst bleibt Quarto das Epizentrum der italienischen Politik, obwohl die Grillini mit einer gross angelegten Entlastungsoffensive  die Korruption im Partito Democratico geisseln, um von den eigenen Problemen abzulenken. In Quarto hat  Grillos Bewegung  offenbar noch Wichtiges zu tun:  nach der Bürgermeisterin Rosa Capuozzo sollen nun auch alle 15  Mitglieder der M5S-Fraktion ausgeschlossen werden. Diese kontert: "Il movimento siamo noi." Roberto Fico dagegen macht den Wunsch zum Vater des Gedankens: "A Quarto il movimento non esiste piu."

Fakt ist:  in Quarto stand der meistgewählte Kandidat auf der M5S-Liste im Dienst der Camorra. Die Ermittler haben seine Verhaftung beantragt. Damit hat die Bewegung ihre Unschuld verloren. Das hindert sie freilich nicht daran, ihre permanente Selbstbeweihräucherung noch zu verstärken. Durchaus konsequent, gilt doch Selbstkritik als absolutes Tabu im Movomento 5 Stelle, das sich wie gewohnt in der Opferrolle sieht. Di Maio: "Siamo sotto attacchi diffamatori."

 

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Mensch Ärgerdi… Fr., 15.01.2016 - 11:25

Ein sehr sehr (politisch) italienische Sicht der Dinge. Mir scheint so als würde ich hier den "Giornale" von Berlusconi lesen.
Zum Fall Quarto. Die 5 Sterne Bewegung hat, im Gegensatz zu allen anderen Parteien in Italien, sich entschlossen jemand der seinen Fehler selbst nicht einsehen wollte auszuschließen. Bei den anderen Parteien geschieht das nicht mal bei rechtskräftigen Verurteilungen. Wer also meint nun sei die 5 Sterne Bewegung mit den Gesindel der anderen Parteien gleichzusetzen leidet unter akuten Realitätsverlust.
Zu den anderen Gemeinden. Der Fehler des M5S lag darin euphorische Wahlkämpfe zu halten, obwohl von Anfang an klar war, dass man im Falle eines Sieges ein Scherbenhaufen vorfinden würde. Man hat den Bürgern vermittelt "mit uns wird alles anders, mit uns wird alles besser" obwohl man hätte sagen müssen "mit uns werden die Probleme der Gemeinde angegangen anstatt hinausgeschoben und das wird bitter für alle". Aber hätte man so Wahlen gewonnen? Wohl kaum. Natürlich hätte es durchaus fähigere Leute gebraucht, nur wenn sich solche unter den ehrlichen Leuten keine finden, muss man mit dem auskommen was man hat. Mir sind unfähige ehrliche Leute immer noch lieber als fähige Gauner die weiterhin einen guten Teil der italienischen Gemeinden regieren, vom Parlament mal ganz zu schweigen.

Fr., 15.01.2016 - 11:25 Permalink
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gorgias Fr., 15.01.2016 - 18:18

Was will man denn erreichen, wenn man Politiker abwählt die gegenüber Bestechungen standhalten?
Ich habe mir das Video angesehen und wie man so etwas verlangen kann ist für mich nicht nachvollziehbar.
Im Grunde baut der M5S darauf auf, dass wenig Parteistruktur herrscht, dafür aber alles über diese fünf grauen Eminenzen gesteuert wird. Das ist keine echte Transparenz und auch keine Basisdemokratie. Bis jetzt hatte das Symbol auch den Namen eines der Oligarchen im Symbol. Jetzt wo dieser langsam zurücktretet, will man diesen Namen entfernen. Es wird zwar nicht der Namen des neuen Besitzers eingesetzt, weil das kaum vermittelbar wäre, sondern der Namen der Bewegung, aber wie ein italineisches Sprichwort sagt: il lupo perde il pelo, ma non il vizio.
Wer glaubt dass diese über Internet-Marketing gesteuerten Massen Basisdemokratie darstellt, der hat bis jetzt noch nicht den Durchblick.

Fr., 15.01.2016 - 18:18 Permalink