Politik | Bizarr in Bruneck

Südtiroler, frei, heit! Und morgen?

Wer sich über den Autonomiekonvent freut, sollte sich auf einiges gefasst machen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Ich gebe zu: Ich habe mich auf den Autonomiekonvent gefreut. Auf interessante Debatten über die Zukunft des Landes, auf Fragen, wohin sich die Gesellschaft entwickeln könnte und auf Antworten auf diese Fragen. Oder zumindest ansatzweise.

Da ich beim Konventstermin in Brixen keine Zeit haben werde, habe ich mich gestern auf den Weg nach Bruneck gemacht. In der Röd-Schule angekommen, dachte ich zuerst, am falschen Ort gelandet zu sein: War das ein Treffen der Töldrer Heimatfernen oder die Jahresversammlung der Zimmerhofer-Partisanen?

Als ich das mausgraue Plakat mit dem kleinen A sah, schwante es mir dann: Die nichtlinke Reichshälfte hatte massiv mobilisiert und alles an die Autonomiefront geworfen, was sie aufbieten konnte.

Die Suche nach mir ähnlich Gesinnten wurde erst nach einigem Umherirren zwischen zu allem entschlossenen Autonomie-Entwicklern mit aufgestickten und/oder tätowierten Treueschwüren mit Erfolg gekrönt. Ein kleines Häuflein stand verloren im Foyer und wir harrten der Dinge, die da autonomiemäßig  über uns zusammenschlagen würden.

Es ging los! In der Aula Magna wurden uns die Spielregeln eingeschärft, an die wir uns von 9 bis 16 Uhr zu halten hatten.

Schon vorher hatte ich meine Kandidatur zum Forum der 100 eingereicht. Die 100 sollen ja aus allen Bewerbungen ausgelost werden und sozusagen das Rückgrat der Konventsarbeiten bilden, nur überstrahlt vom Rat der 33, in den die 100 acht Mitglieder entsenden dürfen.

Sagen wir es anders: Ich habe versucht, für das Forum der 100 zu kandidieren. Wahrscheinlich mit wenig Aussicht auf Erfolg. Denn es steht zu befürchten, dass meine Kandidatur aus dem Rennen ist, bevor sie richtig anfängt.

Dazu musste ich ein Formblatt ausfüllen. Namen, Nachnamen, Ort, Geburtsdatum, Emailadresse, Telefonnummer und – die Zugehörigkeit zu einer der drei Sprachgruppen, die so privilegiert sind, unser Ländlein zu bevölkern und es sich untereinander aufzuteilen. Nachdem ich der Meinung bin, dass die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe im Europa des 21. Jahrhunderts keine Qualifikation für was auch immer sein kann, habe ich daneben notiert, dass ich die Erklärung verweigere, so wie ich das zusammen mit tausenden Südtirolerinnen und Südtirolern auch bei der Volkszählung gemacht hatte. Das wird mir jetzt wohl einen Ausschluss aus den „Papabili“ bescheren. Ich harre der diesbezüglichen Erklärung von Seiten der Konventseltern, die ich angefordert habe.

Zurück auf den harten Boden der Röd-Schule. Von den geschätzten 130 bis 150 Anwesenden kamen gefühlte 120 bis 140 aus dem „Toule“. Sie waren pünktlichst und geschlossen eingerückt und haben den Konvent in Bruneck wohl gerettet. Die Töldra haben sich als verlässliche Stützen der Autonomie erwiesen und gestalten sie nun mit vollem Recht mit, denn im Gegensatz zu den verpennten Rest-Pusterern haben sie die Mühe auf sich genommen, einen Tag lang BürgerInnenbeteiligung gespielt und sich redlich um die Bekehrung der Welt außerhalb ihres „Toules“ zu wahren Autonomiewerten und wirklich wichtigen Zielen für die Südtiroler Politik engagiert.

Dass sie zügig zum Wesentlichen kommen wollten, konnte man schon erkennen, als es um die Themenfindung ging. Wie von der Tarantel gestochen sprangen rund zwei Dutzend TeilnehmerInnen auf und drängten ans Podium. Manche hatten schon Zettel mit, auf denen die Themen standen und dann ging es los: Schon bald füllte sich die Wand von Selbstbestimmung einmal um den kleinen Südtiroler Freiheitsglobus und zurück bis zur Selbstbestimmung. Über allem schwebte ein sehr deutliches „Los von Rom“ und auch die Begnadigung der Südtirol-Attentäter und topaktuelle Themen wie die Einwandererfrage kamen zügig an die Wand. Übrigens brandete bei genau den beiden letztgenannten Themen „spontaner“ Applaus auf.  

Bastion 1 war also genommen. Geschätzte 20 bis 22 von schließlich 28 Themen kamen aus den wohlorganisierten Reihen der nichtlinken Reichshälfte.

Dann ging es ans Debattieren. Waren einige der Themen noch halbwegs neutral formuliert, kamen die forschen Herren und wenigen Damen von Südtiroler Freiheit & Co. ohne viele Umschweife zur Sache. Die Schule sei ein wichtiges Thema, daran dürfe nichts geändert werden, CLIL ist der Untergang der Schule, die Deutschstunden sind auszubauen, Italienisch sei als Fremdsprache zu unterrichten, der Dialekt zu fördern – so die weitaus größte Mehrheit beim Thema „Schutz der deutschen Schule“. Der Themeneinbringer war mit einer Seite DIN A4 an „Fakten“ ausgestattet. Entsprechende und gleich gestaltete Themenzettel habe ich auch bei drei anderen der fünf von mir besuchten Debatten gesehen – auch hier: penible Vorbereitung, kerniger Vortrag. Die Protokollführer waren stets hurtigst ernannt und kaum jemand machte sich die Mühe, zu überprüfen, was diese eifrigen Herren für erhaltenswert für die Nachwelt hielten.

Ich werde mir die Protokolle, die ich nicht alle kontrollieren konnte, auf jeden Fall sehr genau ansehen, wenn sie veröffentlicht werden und behalte mir vor, Änderungen oder Ergänzungen zu verlangen.

Wer sich ein Bild über die aktuelle Hitliste von Rassismus und Sozialneid machen wollte, war in der Gruppe „Einwanderungsproblematik“ gut aufgehoben, wobei zu sagen ist, dass sich in dieser Gruppe einige Gutmenschen – die von den „anderen“ auch gleich als solche identifiziert und attackiert wurden – sich sehr wacker und konsequent geschlagen haben. Trotzdem empfand ich den Gong-Schlag als Befreiung, der das Ende der Debatte festlegte.

Fast irrwitzig gestaltete sich die Debatte in der Gruppe „Wiedervereinigung Tirols“. Da ich vorher beim populistisch ein- und vorgebrachten Thema der „Entmilitarisierung Südtirols“ kurz deponieren musste, dass damit wohl auch die Entmilitarisierung der Gesellschaft und somit auch militärisch organisierter Vereine gemeint sei, stieß ich etwas später zur Wiedervereinigung hinzu. Schon fast mit rührender Naivität wurden dort Milch, Honig und Kubaturerweiterung herbeigeträumt, die sich mit der Wiedervereinigung des historischen Tirols über das Land ergießen würden. Immer wieder auch das Schlagwort der Tiroler Identität, was mich zur Bitte veranlasste, der Einbringer möge die drei wichtigsten Bestandteile der Tiroler Identität zusammenfassen, um die Tirolität oder Nichttirolität eines Menschen messen zu können. Dem Wunsch wurde entsprochen und seither weiß ich das erstens der katholische Glaube, zweitens der Schutz der Umwelt und die Bewahrung des Gewachsenen und drittens die Liebe zu den Menschen einen Tiroler, eine Tirolerin ausmachen. Die Frage, ob ein Bayer oder ein Kalabrese, der diese Kriterien erfülle, somit auch ein Tiroler werden könne, wurde zuerst bejaht, dann nach einigen Blicken aus und in die überschaubar große Gruppe relativiert und dann wurde schleunigst das Thema gewechselt.

Ich hatte es auch geschafft, zwei Themen einzubringen. Einmal ging es mir darum, zu debattieren, wie man es schaffen könne, den im Autonomiestatut dominanten Aspekt der Trennung zu Gunsten einer inklusionsbereiten und offenen Gesellschaft zu verändern. Die Gruppe war gut besucht, die Beiträge durch die Bank eindeutig, von ganz wenigen etwas nachdenklicheren Wortmeldungen einmal abgesehen. Die Autonomie sei für eine bedrohte Minderheit gemacht, der „walsche Stoot“ arbeite weiter an der Auslöschung der deutschen Kultur der österreichischen Minderheit in Südtirol, eine offene Gesellschaft könnten wir uns nur in einem Freistaat leisten, wenn „WIU“ da Sagen haben, es sei bedauerlich, dass Südtiroler den Untergang „unserer“ Kultur tatkräftig fördern – so blies es aus dem einseitigen Teilnehmerforum heraus.

Auch bei meinem zweiten Thema ging’s nicht anders. Da hatte ich die Frage aufgeworfen, ob es eine kollektive Selbstbestimmung brauche, wenn der individuelle Freiheitsrahmen einen sehr hohen Spielraum für die individuelle Selbstbestimmung bietet. Das einzige was uns retten können, sei in dieser bedrohlichen Phase engagiertes Zusammenhalten, der Staat plündere uns aus und gehe in absehbarer Zeit sowieso vor die Hunde, die Heimat ist bedroht, los von Rom bevor alles zu spät ist und auch hier wieder: Wenn wir einen Freistaat haben, dann schon, dann könne der Lobis seine Meinung frei vertreten und eine wirklich freie und pluralistische Gesellschaft entstehen – wenn „WIU“ bestimmen dürfen, wo’s lang geht.

Mein Fazit nach dem tiefen Eintauchen in die Jahresversammlung der Südtiroler Freiheit? Zum ersten war es ein sehr anstrengender Tag, bei dem man sich allerdings fair zugehört hat. Die politische Majorisierung der Veranstaltung war vielleicht unangenehm, aber es ist den anwesenden konservativen Selbstbestimmungsapologeten und Untergangspropheten hoch anzurechnen, dass sie die Bedeutung des demokratischen Konventsprozesses erkannt und sich engagiert eingebracht haben. Das Fehlen der politischen Mitte und des fortschrittlichen Teils der Pusterer Gesellschaft ist eine peinliche Geringschätzung von Partizipation und Demokratie, die ein sehr schlechtes Licht auf die Südtiroler Gesellschaft wirft.

Und noch eine Erkenntnis habe ich aus Bruneck mitgenommen: Drei oder vier der Anwesenden, die ziemlich konservative und von mir nicht geteilte Positionen engagiert und fundiert vertraten, könnten zu meinen Freunden werden, trotz ihrer Positionen. Und das ist für mich eine sehr positive Erkenntnis, für die ich dem Autonomiekonvent dankbar bin.

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Harald Knoflach Di., 02.02.2016 - 18:50

Antwort auf von gorgias

@gorgias
herrlich diese argumentation. die ethnisierung ist wirklich in fleisch und blut übergegangen. es gibt offenbar kein anderes cleavage als die ethnie. zumindest für leute wie dich.
wie bitte können "die italiener" überstimmt werden. das ist doch keine homogene masse. die italienischsprachige bevölkerung ist ebenso heterogen wie die deutschsprachige. auch auf italienischer seite gibt es die lobise und die leitners, die knolls und die heises. und der "italienische" lobis hat mit dem "deutschen" lobis viel mehr gemein als mit dem "italienischen" leitner.
das ausschlaggebende cleavage ist die ideologie, nicht die ethnie. sollte es zum beispiel zu einer abstimmung über die unabhängigkeit südtirols kommen, werden tausende deutschsprachige dagegen stimmen und tausende italienischsprachige dafür. wer hat da dann bitte wen überstimmt? sollte die unabhängigkeit bei den männern die mehrheit und bei den frauen die minderheit begeistern, hieße das dann auch, dass die männer über die frauen "drübergefahren" sind? oder die jungen über die alten? respektive umgekehrt.
und was ist daran demokratisch, wenn eine minderheitenmeinung den wunsch der mehrheit vereitelt? wiegt denn das unbehagen letzterer weniger?

Di., 02.02.2016 - 18:50 Permalink
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Christian Mair Di., 02.02.2016 - 20:15

Antwort auf von Harald Knoflach

@hunter:
Wo siehst Du in der Argumantation von gorgias ethnische Argumentation? Und warum findest Du diesen ethnischen cleavage, wie Du es nennst würde eher sagen "Identitären"-Bekenntnis nicht bei den ethnischen Selbstbestimmungsbefürwortern?
Eine Position gegen Selbstbestimmung mit klarer Sicht auf die Habenseite nämlich Frieden seit mehr als 25 Jahren muss nicht konservativ sein.

Di., 02.02.2016 - 20:15 Permalink
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Harald Knoflach Di., 02.02.2016 - 20:40

Antwort auf von Christian Mair

"die italiener überstimmen" ist keine "ethnische Argumentation"? als ob - wie ich geschrieben habe - die italienischsprachigen im lande eine homogene gruppe wären.
der ethnische cleavage überlagert den ideologischen in weiten teilen südtirols. das sieht man am wahlverhalten. und somit freilich auch im besonderen bei den ethnischen selbstbestimmungsbefürwortern.
stimmt. die autonomie hat frieden gebracht. aber das heißt nicht, dass es das richtige rezept ist, ihn auch dauerhaft zu erhalten.

Di., 02.02.2016 - 20:40 Permalink
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Christian Mair Di., 02.02.2016 - 20:46

Antwort auf von Harald Knoflach

"der ethnische Cleavage überlagert den idelogischen in weiten teilen Südtirol."
Diese Hypothese möchte ich zumindest anzweifeln, dazu reicht ein Blick in die österreichische Heimat: auch dort gibt es derzeit ein Drittel an Wählern, die an der Grenze zu Rechtsaussen entlangschlittern.

Di., 02.02.2016 - 20:46 Permalink
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Christian Mair Di., 02.02.2016 - 22:40

Antwort auf von Harald Knoflach

Merkst Du nicht wie Deine eigene Theorie wie ein Kartenhaus zusammenfällt.
30 Prozent Rechtspopulistische Wähler hat eben mit ideologischem Cleavage zu tun und nicht mit ethnischem Cleavage, der hypothetisch durch Selbstbestimmung vermindert werden soll. Das ist die Strategie von BBD, deswegen legt man sich mit STF und Freiheitlichen ins Bett und schiebt den "schwarzen Peter" dem eigenen (linksliberalem) Lager zu, dem man einen Bärendienst erweist.

Wichtig ist aber Hunter, Deine Frage, ob die Autonomie den "ethnischen Frieden" weiter gewährleisten kann.
Eine Stabilisierung des "Systems" Autonomie kann wohl nur durch mehr Demokratie, mehr Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen, Auflösung des Korporationszwangs, Zugang zu kultureller Beteiligung jeglicher Art u.ä. erfolgen.
Für was soll Südtirol in 30 Jahren bekannt sein:
A- für die unrechtmässige Grenzziehung von 1919
B- für gute Ausbildungsplätze, gute Anbindung Peripherie-Zentrum, kantonalen Ausbau der Autonomie, die die kulturelle Entfaltung aller Bewohner in einem gemeinsamen Rechts-und Sozialsystem ermöglicht und als Stabilitätsfaktor der Euregio

Di., 02.02.2016 - 22:40 Permalink
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Harald Knoflach Di., 02.02.2016 - 23:06

Antwort auf von Christian Mair

hä? was fällt zusammen? ich sage ja genau das. ich halte das für eine gute sache. ich finde die tatsache, dass das wahlverhalten in südtirol von ethnie mehr als von ideologie bestimmt ist, einer demokratie unwürdig. ethnie (wenn man daran glaubt) ist angeboren. ideologie hingegen angenommen - also eine freie willensentscheidung. das entspricht vielmehr einer demokratie des 21. jahrhunderts. denn ideologie kann ich auch mal wechseln. wer dann welcher ideologie anheim fällt, steht auf einem völlig anderen blatt.
bbd legt sich nicht mit stf und freiheitliche ins bett. noch einmal: liegen die grünen in österreich mit hc strache im bett weil sie beide für den hypo-untersuchungsausschuss gestimmt haben? das ist doch völliger schwachsinn.
da der italienische staat die autonomie wo es nur geht auszuhebeln versucht und wir einen großteil unserer energie darauf verwenden, verbriefte rechte zu verteidigen, anstatt konstruktiv für ein gemeinwesen zu arbeiten, das allen hier lebenden menschen gerecht wird, glaube ich, dass es an der zeit ist, neue wege zu beschreiten. anstatt es mit der richtigen antwort auf das falsche system (die autonomie ist wie ein virenschutzprogramm für das betriebssystem nationalstaat) zu versuchen, sollten wir lieber ein anderes betriebssystem aufspielen und eine lösung, die für eine gesellschaft der 1970er-jahre geschaffen wurde, ad acta legen. irgendwann ist es halt besser auf windows 10 oder linux umzusteigen, anstatt mit hilfe von updates zu versuchen, windows xp am laufen zu halten. alles hat seine zeit.

Di., 02.02.2016 - 23:06 Permalink
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Markus Lobis Di., 02.02.2016 - 12:07

Fasse den Stand der erfreulich lebhaften Debatte aus meiner Sicht zusammen:

Kernfragen:

1) Müssen wir noch auf irgend ein Wunder warten und weitere 20 bis 50 Jahre leiden oder können wir heute schon engagierter (mit)gestalten?
2) Ist unser politisches System in der Lage, Partizipation sicher zu stellen und somit der massiv wachsenden Politikverdrossenheit entgegen zu wirken?
3) Ist das durch das geltende Autonomiestatut sanktionierte Trennungsprinzip ein Hemmschuh für Konsens über wichtige (Zukunfts)Fragen der Südtiroler Gesellschaft und wenn ja, wie können wir es überwinden?
4) Warum interessiert sich die politische Mitte nicht für die Weiterentwicklung der Südtirol-Autonomie?
5) Ist das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker in seiner nationalistischen Verwurzelung ein geeignetes Mittel, um eine gute Entwicklungsperspektive für alle SüdtirolerInnen und die Menschen, die in unserem Land leben?

Di., 02.02.2016 - 12:07 Permalink
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Sigmund Kripp Di., 02.02.2016 - 12:21

Antwort auf von Markus Lobis

1.) ja, müssen wir.offensichtlich 2.) nein. es ist auf die Verhinderung der Mitbestimmung ausgerichtet. 3.) Ja. ist es. auch wenn es im Grunde seine geschichtliche Berechtigung hat. 4.) weil der Durnwalder immer alles gemacht hat. 5.) ich berufe mich bei der Sezession nicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sondern auf das basisdemokratische Prinzip, dass alles, was vom Menschen gemacht wurde, auch vom Menschen wieder abgeschafft werden kann.

Di., 02.02.2016 - 12:21 Permalink
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Sigmund Kripp Di., 02.02.2016 - 17:50

Antwort auf von Christian Mair

Ja! Diese Kräfte würde ich in der Brennerstrasse in Bozen ansiedeln. Mehrheitlich! Die dort angesiedelte Partei profitiert am meisten von dieser Haltung: Solange Rom böse ist, wählen die Südtirolerinnen SVP, diese erhält die Mehrheit im LTag, alle damit verbunden Posten und Pfründen, sie hat die meisten Parlamentarier, die wiederum in Rom fest arbeiten und viel Heu einfahren! Über die Verteilung des Heus wird dann wieder in der Brennerstrasse entschieden etc. Also ein gutes Geschäft! Daher kommt auch niemand von dieser Mainstreampartei zu den Konventtagen, weil der status quo einfach soo fein ist! Würde dagegen ST ein eigener Staat sein, gäbe es ziemlich wahrscheinlich das normale, mitteleuropäische Parteiensprektrum, und die schöne Machtposition wäre weg! Daher lautet der Befehl aus der Brennerstrasse: lei nit roglen!

Di., 02.02.2016 - 17:50 Permalink
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Karl Trojer Mi., 03.02.2016 - 18:51

Geschätzter Markus Lobis, Dein Kommentar gefällt mir. Insbesondere finde ich, ob meiner Erfahrung im open-space in Bozen, folgende Feststellungen zutreffend :
1. Es gibt eine gut organisierte "Front der Widersacher gegen den italienischen Staat", die den Begriff "Selbstbestimmung" nur mit Bezug auf "Los von Rom", "Ein-Tyrol", "Anschluss ans Vaterland" bzw. "Freistaat Südtirol" gelten lassen; dass Selbstbestimmung auch eine Mehrheitsentscheidung aller Südtiroler für den Ausbau und die Festigung der Autonomie bedeuten kann, das wird von dieser erst gar nicht angedacht.
2. Die autonomiefreundlichen Südtiroler sind in den beiden bisherigen open-space zu schwach vertreten ! Frage : wie steht´s bei uns um die Zivilcourage und ums Interesse an direkter Demokratie ? Haben diese Südtiroler die Autonomie vollends und ausschließlich den Politikern überantwortet ?
3. Wenn die ThemeneinbringerInnen gleichzeitig Protokoll führen, ist eine verzerrte Darstellung unvermeidbar. Diese beiden Funktionen müssten unbedingt getrennt werden. Es erschiene mir sinnvoll, möglichst je Gruppe, eine/einen ProtokollantIn deutscher und eine/einen italienischer Muttersprache zu beauftragen, wobei beide die andere Sprache gut verstehen müssten.

Mi., 03.02.2016 - 18:51 Permalink
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Sigmund Kripp Mi., 03.02.2016 - 19:46

Antwort auf von Karl Trojer

lieber Karl, Dein Vertrauen in den italienischen Staat - der ja immer noch der "Gewährer" der Autonomie ist und bleibt und es immer restriktiver sein wird, ist bewundernswert! Es ist so, wie wenn man einem Schuldner, der einem Geld schuldet, nach einer Woche, nach einem Monat, nach einem Jahr, nach einem Jahrzehnt, nach 5 Jahrzehnten, immer noch glaubt, dass er einem das Geld zurück geben wird; nur, weil er dauernd sagt: ich werde es Dir ja zurück geben, wart nur noch ein bissl! So ist es mit dem Ausbau der Autonomie: Seit Jahrzehnten versucht man, sie auszubauen, und seit Jahrzehnten behindert der (stärkere) Staat Italien dieses Ansinnen. Irgendwann ist es genug - oder man muss eben auf seine Forderung verzichten! Ganz einfach! Deswegen bin ich trotzdem ein AutonomieFREUND, weil es eben immer noch die momentan beste Lösung ist. Aber es gibt bessere Perspektiven. Und diesollen jetzt im Konvent zur Sprache kommen! Ohne Nationalismus, ohne "Volkstumspolitik" (was grausig Wort!). Nur ganz einfach basisdemokatisch und aufgeklärt. Für ein selbstbestimmtes, mehrsprachiges, tolerantes und weltoffenes Südtirol. Italien aber WILL das nicht!

Mi., 03.02.2016 - 19:46 Permalink
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Karl Trojer Do., 04.02.2016 - 11:38

Antwort auf von Sigmund Kripp

Geschätzter Sigmund Kripp, Du weißt, Politik ist die Kunst des Möglichen, und so gesehen, steht die Autonomie Südtirols im Vergleich mit anderen Regionen, nach meinem Eindruck, sehr gut da ! Hat z.B. Nordtirol mehr selbstbestimmbaren Handlungsspielraum als Südtirol ? Nutzen wir die kulturell und wirtschaftlich völlig offenen Grenzen zum deutschen Sprachraum hin, insbesondere zu Österreich ? Ich meine da besteht seit Jahrzehnten ein arges Defizit. Gibt es denn wirklich bessere Perspektiven als den dynamischen Ausbau der bestehenden Autonomie ? Ich kann diese besseren Perspektiven nicht erkennen, dabei glaube ich, nicht blind zu sein. Unser Land muss sich besser in ein föderales Europa einbinden. Die ehemaligen europäischen Nationalstaaten gibt es gar nicht mehr, sie sind heute eher Verwaltungsstrukturen deren Entscheidungsbefugnisse allerdings dem europäischen Parlament untergeordnet werden müssten. Dass Italien uns unterdrückt, weil es unseren freien Spielraum "nicht will", das kann ich nicht nachvollziehen. Anstatt unrealistische einzufordern, anstatt permanent über unsere "Unterdrückung" zu jammern, sollten wir, so meine ich, die bereits bestehenden Chancen nutzen, die Komplexheit gesellschaftlicher Zusammenhänge mitbeachten und den Friedensbedarf in der Welt unterstützen (indem wir bei uns damit anfangen).

Do., 04.02.2016 - 11:38 Permalink
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Harald Knoflach Do., 04.02.2016 - 13:31

Antwort auf von Karl Trojer

ad spielraum: das bundesland tirol und südtirol lassen sich nur schwer vergleichen. finanziell ist südtirol viel besser ausgestattet, muss dafür aber auch vieles bezahlen, was in nord- und osttirol der bund übernimmt. gleichzeitig haben österreichische bundesländer zuständigkeiten, die südtirol nicht hat - und umgekehrt. wobei das bundesland tirol in gewissem sinne auch weniger "autonomiebedarf" hat, da es anders als südtirol im staatlichen kontext ja keine gesellschaftliche "ausnahmesituation" wie südtirol hat.
ad offene grenzen: der spielraum wird in der tat nicht genügend genutzt. wobei italien diesbezüglich sehr restriktiv ist. zum beispiel hat italien die zusatzprotokolle zum Europäischen Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften (madrider abkommen) im gegensatz zu den nachbarn nicht ratifiziert und interpretiert beispielsweise auch die intrastat-erklärung in einem sehr isolationistischen sinne - wiederum im gegensatz zu österreich oder deutschland.
ad perspektiven: mit mut, optimismus und phantasie denke ich schon, dass es anderen perspektiven gibt. vor allem, wenn man das große ganze sieht und über den tellerrand blickt. ein auf einer willensgemeinschaft basierendes unabhängiges gemeinwesen wäre so eine spannende perspektive.
ad nationalstaaten: der machtverlust bezieht sich hauptsächlich auf den wirtschaftlichen bereich. in gesellschaftlichen und kulturellen belangen (worin sich das nationale ja viel mehr ausdrückt als im ökonomischen) haben die nationalstaaten nach wie vor große spielräume und interpretieren diese - im falle italiens im besonderen - sehr "nationalorientiert". (stichwort: nationales interesse, symbolfixierung, normierung usw.)
ad "unterdrückung": unterdrückung ist ein gravierendes wort. uns geht es sehr gut. das heißt aber noch lange nicht, dass man sich nicht weiter verbessern kann. hier eine auflistung, in welcher beziehung italien die "individuelle selbstbestimmung" hierzulande hemmt (ohne anspruch auf vollständigkeit):
- belegte mangelnde gewährung der zwei- bzw. dreisprachigkeit in so wesentlichen bereichen wie justiz, konsumentenschutz und exekutive und ignorieren entsprechender entscheidungen des europäischen gerichtshofes
- durch das sprachbarometer belegter rückgang der mehrsprachigkeit vor allem bei staatlichen einrichtungen
- ignorieren der volksabstimmung im souramont, die südtirol und venetien positiv bewertet haben und die die trennung ladiniens zumindest teilweise aufheben und den fortbestand einer kleinen sprachgemeinschaft sichern helfen würde
- integration von zuwanderern nach nationalstaatlichen kriterien
- nichtratifizierung der europäischen charta für regional- oder minderheitensprachen des europarates von 1992
- auf nationalen prinzipien aufgebauter zentralismus (stichwort: vorrang des nationalen interesses), der pluralistische gemeinschaften ohne sonderautonomie erfolgreich in die bedeutungslosigkeit verfrachtet hat - wie im übrigen auch in vielen anderen nationalstaaten europas. belegte sehr schlechte performance diesbezüglich durch eine "quality of government"-studie der europäischen kommission (http://www.qog.pol.gu.se/digitalAssets/1358/1358344_final-report---parts...)
- nichtratifizierung des zusatzprotokolls zum europäischen rahmenabkommen über die grenzüberschreitende zusammenarbeit zwischen gebietskörperschaften (madrider abkommen)
- verweigerung der primären zuständigkeit für schule und kultur - u.a.
- aufoktroyierung nationaler logik und symbolik und marginalisierung bis sanktionierung anderer ausdrucksformen (z.b.: http://www.stol.it/Artikel/Chronik-im-Ueberblick/Chronik/Gericht-Andrea-...)
- gesetzgebung in bezug auf homosexualität
- mangelnde umsetzung des sog. mancino-gesetzes und verharmlosung bis protegierung nazi-faschistischer umtriebe (https://insorgenze.net/2016/01/30/il-documento-shock-del-ministero-delli...)
- anfechtung des von svp und pd in primärer zuständigkeit beschlossenen toponomastik-gesetzes

das sind irgendwie schon signale, dass italien den spielraum "nicht will", oder?

realismus ist keine politische kategorie. wenn man sich immer nur im rahmen des "realpolitisch möglichen" bewegt, kommt man nicht vom fleck, da keine ergebnisoffenheit herrscht, keine visionen möglich sind, da sie a priori begrenzt werden. jede große politische forderung bzw. neuerung war zunächst gegen das geltende recht und per se "unrealistisch". die denkmäler haben wir nicht den realisten und bewahrern sondern den visionären und veränderern gesetzt.

Do., 04.02.2016 - 13:31 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 04.02.2016 - 19:02

Antwort auf von Karl Trojer

Eine Voll-Autonomie eben (den Begriff gibt es nicht mehr, genauso wie vom LR Theiner weder zu diesem Thema noch als Umweltlandesrat zur Flugplatzausbau etwas hört!)
"Es gibt genügend Beispiele in Europa und darüber hinaus, in denen Territorien eine viel weitreichendere Autonomie haben, als unsere jetzige. Einige dieser sind wie ein Freistaat in den Grenzen des Mutterstaates bzw. unter der selben Krone. England, Wales, Schottland und Nordirland sind sogar eigene Nationen unter der selben Krone. Haben deswegen auch eigene Nationalmannschaften, Flaggen und Hymnen. Noch eigenständiger von GB sind die Kanalinseln. Eine analoge Situation gibt es unter der Dänischen Krone: Grönland und die Färöer-Inseln sind auch Freistaaten mit eigenen Parlamenten, eigen Hoheitszonen im Meer (Fischerei, Schifffahrt). In der Schweiz hat jeder Kanton mehr Eigenständigkeit als wir. Aber auch außerhalb von Europa gibt es tolle Beispiele, wie autonom - z. t. sogar eigenes Rechtssystem - Regionen sein können: z. B. Sansibar innerhalb von Tansania Es ist vieles möglich ohne Sezession"

Do., 04.02.2016 - 19:02 Permalink