Politik | Eine Liebeserklärung

Welche Zukunft?

Als junge Frau lebte ich über mehrere Jahre hinweg und jeweils über längere Zeiträume im fremdsprachigen Ausland; das ist jetzt gut dreißig Jahre her und war damals noch nicht so üblich wie heute, weshalb man auch meist ziemlich allein war inmitten mehr oder minder fremder Leute. Als Südtirolerin war man sogar doppelt allein, so zumindest empfand ich das, weil man hier und dort zwar jeweils ein bisschen und irgendwie, aber doch nirgends so richtig dazu gehörte. Wenn sich also z. B. eine italienische oder bundesdeutsche oder österreichische Bekannte, die man in der Sprachenschule für Ausländer kennengelernt hatte, mit anderen bundesdeutschen oder italienischen oder österreichischen Personen kreuzte, ging das große „Hallo“ und Schulterklopfen in der jeweiligen Heimatsprache los, und als Südtirolerin stand man immer irgendwie dabei und doch daneben und dachte sich, wie schön die’s doch haben, die wissen, wo sie hingehören. Und dann war da ja auch noch dieses ewige Erklären, die Sache mit Südtirol, und am Ende verstand’s doch kein Mensch und also ließ man’s bleiben.
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Sfilata danza
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Ich weiß noch sehr gut, wie ich unsere politische Situation und Lage und das ganze Land insgeheim verfluchte, was soll ich sagen, ich war jung, und mir wünschte, es möge doch endlich jemand Ordnung und klare Verhältnisse schaffen, damit das Leben einer Südtirolerin im fremdsprachigen Ausland nicht gar so kompliziert sein möge.

Dreisprachige Provinz in Northern Italy mit Dolomites

Die Jahrzehnte vergingen, und heute weiß man fast überall, was und wo Südtirol ist, und die paar Fleckchen, wo das noch nicht so ist, dort hängt man dann noch ein „Dolomites“ dran an das dreisprachige Südtirol in Northern Italy und schon erhellt sich die Miene des Gegenübers in Erkenntnis und Verständnis. Ja, das sind Momente, in denen ich richtig stolz darauf bin, Südtirolerin zu sein, und ich bin all den vielen Menschen unendlich dankbar, denen es gelungen ist, ein wenig Ordnung zu schaffen in unseren Verhältnissen und dafür zu sorgen, dass wir nicht mehr lange erklären müssen, wer wir überhaupt sind und warum, sondern dass wir schlicht und einfach stolz sein können auf uns. Denn ja, ich bin sehr stolz auf uns, nicht immer, aber immer öfter, zum Beispiel dann, wenn all den anderen, nur mutter- und nicht auch vatersprachlichen Menschen der Unterkiefer aufklappt bis zu den Fußknöcheln angesichts der Mühelosigkeit, mit der wir von einer Sprache in die andere wechseln, und  ich hebe geradezu ab vor Stolz, wenn ich mal wieder bemerke, wie überaus erfolgreich wir uns doch das Beste aus zwei grundverschiedenen Kulturkreisen angeeignet und etwas äußerst Interessantes und auch ein bisschen Neues, so jedenfalls noch nie da Gewesenes, erschaffen haben, und ich liebe es regelrecht, in Baustellen im Stau zu stehen und mir die Wartezeit mit Grübeleien darüber zu vertreiben, warum dieser Satz oder jenes Wort auf den Bau-Informationstafeln so und nicht anders übersetzt wurde, und dann wäre da noch, nicht zuletzt, dass ich sie doch tatsächlich öde finde, fast schon deprimierend, die eintönige Einsprachigkeit überall und allenthalben, kaum dass ich die Grenzen unserer Provinz nach Süden oder nach Norden verlassen habe.

Ein bisschen Frieden

So habe ich mir also meine ganz eigene kleine Identität geschaffen, wenn ich das mal so sagen darf, eine, mit der ich glücklich und zufrieden bin und die mich stolz macht, und von der ich denke, dass sie für immer ist, doch dann kommt Salto auf die Welt und bringt die meine ganz gehörig ins Wanken: Selbstbestimmung hier, Sezession da, neue Grenzen, keine Grenzen, und so erschreckend viele Menschen, die erschreckend ernsthaft darüber sprechen, nicht nur Eva Klotz mit ihren Getreuen, und als wäre all das nicht schon genug der Unruhe, erscheint auch noch eine Alpenregion am Horizont, die dann aber doch, wie sich bei näherem Betrachten herausstellt, keine richtige Alpenregion ist, weil sie nur von Trient über Südtirol bis nach Tirol und ein bisschen, glaube ich, nach Deutschland und in die Schweiz reicht, aber die Alpen, die berühren ja noch mehr, wenn ich nicht irre, die hören nach links erst bei Frankreich und nach rechts erst bei Slowenien auf.

Sollte es denn das also schon wieder gewesen sein, mit dem so mühsam gefundenen Gleichgewicht, dem bisschen Ruhe? Soll das etwa schon wieder losgehen?  Und dabei war das bisschen Frieden doch so schön, einfach nur ein bisschen Frieden und dazu Zeit und den Willen, die Räume unseres Hauses noch ein bisschen schöner zu machen.

Denn ja, ich finde nämlich wirklich und wahrhaftig, es ist ein sehr schönes Haus, unser Südtiroler Haus, eines mit Ecken und Kanten, eines mit Macken und seinen Tücken, hier zieht’s ein bisschen und dort muss mehr Licht rein, aber alles in allem ist es ein wunderbares Haus, so, wie es ist. Es kann noch schöner werden, selbstverständlich, und das eine oder andere Zimmer bedarf vielleicht sogar einer gründlichen Renovierung, denn nichts ist perfekt was von dieser Welt ist, hier eine Erweiterung und dort eine Verbesserung wäre womöglich sinnvoll, und sogar die eine oder andere tragende Wand oder Säule braucht’s so vielleicht nicht mehr… aber die Fundamente, das Haus als solches, an denen wäre doch schön, wenn nicht gerüttelt würde.

Und Italien? 

Ja, natürlich, Italien. Ich weiß jetzt gar nicht, ob man so etwas überhaupt sagen darf, als Südtirolerin, und noch dazu heutzutage, und hier auf Salto, aber es ist halt die Wahrheit: Ich mag auch Italien, und ja, ich bin sogar ein bisschen stolz darauf, zu Italien zu gehören. Denn Italien ist ja nicht nur Bunga Bunga und Berlusconi und Misswirtschaft, Italien ist auch - vor allem? - Kunst und Kultur, ist fantastische Menschen, grandiose Natur, Berge und Meer, ist köstliches Essen und bestes Trinken und so vieles mehr und ja, der ganze triste Rest gehört halt auch dazu, und doch bin ich immer noch eine stolze Südtirolerin, die gern zu Italien gehört. 

 

 

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no name Sa., 18.05.2013 - 17:43

Ja, genauso fühl ich auch, vor allem gefällt mir die Herzlichkeit, die einem spätestens in Verona entgegenweht mit dem Wind der Meere und wider den Ernst, den tierischen. Alpenregion hab ich so verstanden, dass man die Pekuliarität der Alpen berücksichtigt, weils andere Bedürfnisse gibt. Hab aber wohl alles falsch verstanden, von Anfang an. Frieden wär toll, darüber haben die Möpse, die sich in Meran "getroffen" haben, offensichtlich mehr verstanden, als wir Menschen...

Sa., 18.05.2013 - 17:43 Permalink
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a vegele Sa., 18.05.2013 - 18:21

du sprichst mir aus der Seele, Silvia!
Ich bin eine junge Frau die auch seit ein paar Jahren jetzt im südtiroler "Ausland", jedoch italienischen Inland, lebt und auch schon im "richtigen" Ausland gelebt hat. Ich muss dir jedoch eröffnen, dass das mit dem Erklären wohl gleich geblieben ist.
Es passiert mir in Italien praktisch ständig, dass ich, auch nachdem ich erklärt habe aus welcher Provinz ich stamme, immer wieder gefragt werde warum ich deutsch spreche oder warum ich einen Akzent habe, oder seit wann meine bundesdeutschen Eltern in Italien lebten.
Und auch im italienischen Ausland (ausgenommen gegenüber Bundesdeutschen, Schweizern und Österreichern) ist eine Erklärung immer nötig. Für lange Zeit habe ich es als störend empfunden, doch wie auch du bin ich zur Einsicht gekommen, dass diese Zweisprachigkeit (oder für U.S.Amerikaner, Kanadesen, Australier, usw. die Dreisprachigkeit = deu. ita. engl.) eine enorme Bereicherung ist, nicht letztlich durch die Bewunderung Obengenannter, welche sich im Gespräch mit mir oft sehr einsprachig und langweilig vorkamen.
Wie die Weiss Heid so schön sagt, finde auch ich, dass dieser italienisch-deutsche Mix ein wunderschöner ist und uns allen nur gut tut.
Ganz zu schweigen von der wundervollen Landschaft, Naturnähe,... die noch bei jedem meiner "ausländischen" Bekanntschaften Sprachlosigkeit verursachte.
Wie ihr seht brauchte es auch bei mir seine Zeit und einige Auslandserfahrung bis ich diesen Reichtum, den wir hier in Südtirol haben, als solchen schätzen lernte. Und diese Erfahrung und die damit einhergehende Einsicht wünsche ich jedem Südtiroler!

Sa., 18.05.2013 - 18:21 Permalink
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Sebastian Felderer So., 19.05.2013 - 06:05

Endlich habe ich die Zeit gefunden, deine Liebeserklärung an Südtirol und Italien aufmerksam durchzulesen. Sie tut mir gut, weil es eine vernünftige Antwort ist auf das Meraner Theater, welches zwar auf dem Sandplatz und nicht auf dem Theaterplatz stattgefunden hat.

Mein Leben im Umweltschutz hat mir immer dieses Bild gezeigt. Wir hätten es schön, sind aber zu unvernünftig, es zu genießen und zu bewahren. Diese Haltung kannst du anwenden, wo immer es dir passt.
Bei Südtirol, bei Italien, in Europa, bei der Landschaft, in der Wirtschaft, in der Demokratie, in der Gesellschaft, in der Familie, in der Gesundheit, im Sport.
Wie heißt es so schön: Der Mensch ist ein zielstrebiges Wesen. Leider strebt er zuviel und zielt zuwenig!
Und du fragst nach der Zukunft. Meine Antwort: Wir werden die Zukunft haben, die wir wollen, wenn wir soviel Zivilcourage aufbringen, sie mitzugestalten.

Lass mich mit den Worten eines unbekannten Autors schließen:

Die Zeit zum Handeln jedes Mal verpassen
nennt ihr,
die Dinge sich entwickeln lassen.
Was hat sich denn entwickelt,
sagt mir an,
das man zur rechten Stunde nicht getan?

So., 19.05.2013 - 06:05 Permalink
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Profil für Benutzer Benno Kusstatscher
Benno Kusstatscher So., 19.05.2013 - 12:00

Bravo Silvia! Ich bin zwar kein bekennender Bewahrer, aber dieses Gegen, das dieser Tage so vordergründig zu sein scheint, kann so konstruktiv nicht sein und ist undankbar obendrein. Wie habe ich auf einen Kommentar gewartet, der mein fehlendes Paris und Lubljana neben der Alpenregion bemängelt! Genau solche Gespräche sollten wie im Jahre 2013 führen, wenn uns der Blick aufs Wesentliche nicht ständig versperrt würde!

So., 19.05.2013 - 12:00 Permalink
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Profil für Benutzer Sepp.Bacher
Sepp.Bacher Mo., 20.05.2013 - 14:10

Liebe Silvia, eigentlich beneide ich dich, wie es dir möglich ist, eine Erfahrung, deine Gedanken dazu, in einen schönen Text zu fassen, mit der Chance auf salto.bz auch wahrgenommen und gelesen zu werden - und zustimmende Kommentare dafür zu erhalten. Diese Chance habe ich z. B. nicht!
Nun ich möchte auch das Positive und das Schöne, das wir aus beiden Kulturen "geerbt", gelebt und erlebt haben, nicht missen. Auch ich finde die Italiener grundsätzlich fantastische Menschen - wie auch die Südtiroler - solange man mit ihnen italienisch und nicht über unser Südtiroler Selbstverständnis spricht. Über unser (begrenztes) Verständnis von Alpenraum oder Alpenregion habe ich auch schon meine Meinung geschrieben, und zwar in meinem ersten Beitrag auf salto.bz (www.salto.bz/de/article/06042013/erneuerungsschub-noetig) - hat ja niemand wahrgenommen und gelesen!
Nun meine Zukunftsvorstellung für Südtirol: Um es mit den Worten von Sebastian zu sagen - einen geschützten Lebensraum für Südtiroler (Südtirolo-Top) innerhalb Italiens, verknüpft in einem Europa der Regionen - auch als eine Art Freistaat im Rahmen des Nationalstaates Italien.

Mo., 20.05.2013 - 14:10 Permalink