Wirtschaft | TTIP

Erster Leser

Florian Kronbichler blättert im Wirtschaftsministerium unter strenger Aufsicht in den Verhandlungsunterlagen zum TTIP-Abkommen.

„Unter genau festgelegten Bedingungen“ können nun auch italienische Parlamentarier in die Unterlagen zum umstrittenen transatlantischen Handelsabkommen TTIP zwischen USA und EU Einsicht nehmen. Und der Südtiroler Abgeordnete Florian Kronbichler (SEL – Sinistra italiana) war eigenen Angaben zufolge der Erste, der sich in Rom auf den Weg machte, um von seinem Informationsrecht Gebrauch zu machen. So bekam er gestern im Leseraum des Wirtschaftsministeriums unter Aufsicht eines Carabiniere als erster Parlamentarier Einsicht in die TTIP-Unterlagen. Eine ernüchternde Erfahrung, wie er berichtet.

„Vorgelegt bekomme ich einen Karton mit insgesamt acht Ordnern. Seiten zählen unmöglich, weil nicht durchnummeriert. Der Packen dürfte zwischen drei und vier Kilo wiegen. Geschrieben alles auf Englisch. Inhaltsverzeichnisse systematisch keine. Um manche weniger Englisch-fitte Kollegen besorgt, frage ich, ob es eine Übersetzung gibt. Gibt es nicht. Es gibt als einzige Lesehilfe im Raum ein Englisch-Italienisch-Wörterbuch. Sonst nichts.“

Die TTIP-Verhandlungspapiere sind dank den Enthüllungen durch Greenpeace und große US-amerikanische und deutsche Zeitungen bereits seit einem Monat weitgehend bekannt. Die Einsichtnahme, sagt Kronbichler, hat er durch Anfragen, Beschlussanträge und eine Vorsprache bei der italienischen Regierung mühsam erkämpft. Seine Bemühungen nahm der Abgeordnete bereits im Herbst auf, erst nach rund einem halben Jahr war es dann soweit. Sein Fazit: „Was den Inhalt betrifft: Er bestätigt die herrschenden Vorurteile. Was als Verhandlungspapiere vorgelegt wird, ist weitgehend Papiermüll. 'Informiert' wird nach dem Prinzip: je größer der Heuhaufen, desto schwerer, darin die Nadeln zu finden. Die Texte stammen zudem alle aus der Vor-TTIP-leaks'-Zeit, dürften somit überholt sein. Statistiken und Diagramme zur Wirtschaftsentwicklung reichen durchwegs nur bis 2012. Es gibt Entwicklungsprognosen bis 2015, und sie sind so peinlich falsch, wie Prognosen es halt einmal sein können.“

Insgesamt, findet Kronbichler, wirkt die ganze Geschichte wie eine Karikatur auf das Informationsrecht. „Der parlamentarische Leseraum ist ein weiterer Akt aus dem Stück 'Heimlichtuerei namens TTIP' und wird die Öffentlichkeit in ihren Vorbehalten bestätigen. Das Abkommen zwischen den zwei größten Wirtschaftsmächten der Erde verdiente sich mehr Offenheit und mehr Diskussion. Denn es geht darin nicht nur um Wirtschaft und den Abbau von Handelsbarrieren. Es geht darum, ob die Politik der Wirtschaft noch Schranken setzen kann. Das TTIP, so wie es von seinen Geheimverhandlern gedacht ist, möchte es lieber umgekehrt haben.“

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Markus Lobis Di., 31.05.2016 - 08:25

Das ist dermaßen absurd und kafkaesk, dass man es gar nicht glauben möchte. Unsere Besten, die politische Elite, zelebrieren das Hochamt des Großkapitalismus mit andächtiger Würde und geheimnisumwehter Emphase mit, obwohl jedem bekannt und bewußt ist, dass das alles nur ein fauler Zauber ist. Ein phantasievoller, abgründiger, skurriler, abartiger Schriftsteller könnte das gar nicht so auf den Punkt bringen, wie es unsere verantwortlichen Akteure im wahren Leben tatsächlich machen.

Ich meine da jetzt ausdrücklich nicht den Flor, denn der führt eine wackeren und schlauen kleinen Kampf. Aber solange es Dorfmanns und solche Politikertypen gibt ...

Di., 31.05.2016 - 08:25 Permalink
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alfred frei Di., 31.05.2016 - 09:04

Danke Flor, der nächste Schritt: ein Informations- bzw. Streitgespräch in aller Öffentlichkeit mit Dorfmann im Waltherhaus.
Vorstellung und Einführung Monica di Sisto*
Moderatoren > A. Faustini – T.Ebner
*Monica Di Sisto, giornalista, è vicepresidente dell’Associazione Fairwatch, che si occupa di commercio internazionale e di clima da oltre 10 anni. Insegna Modelli di sviluppo economico alla Pontificia Università Gregoriana di Roma.

Di., 31.05.2016 - 09:04 Permalink