Politik | Einkommensungleichheit

Gesetzlicher Mindestlohn als Ausweg?

Die Einkommensverteilung wird immer schräger. Nur über die Kollektivverhandlungen ist kaum Abhilfe zu schaffen. Als Ergänzung bietet sich ein gesetzlicher Mindestlohn an.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Die Entwicklung der Einkommensverteilung stand im Zentrum der jüngsten Tagung des AFI, das einige Schätzungen zur Konzentration der Einkommen in Südtirol zusammengetragen hat. 10% der Bezieher der niedrigsten Einkommen erklären 0,4% des Gesamteinkommens, die 10% Bezieher der höchsten Einkommen halten dagegen 34,3% der insgesamt erklärten Einkommen. Allerdings beziehen sich diese Daten auf die Steuererklärungen von Einzelpersonen, worin viele niedrige Einkommen von Personen enthalten sind, die mit anderen Einkommensbeziehern in einem Haushalt leben. Auch ohne die Einkommenssteuerdaten näher zu analysieren zu können, weist dies auf immer mehr Ungleichheit in der Einkommensverteilung hin. Hier die Tagungsunterlagen.

Grund dafür ist unter anderem, dass das Wachstum der Löhne mit den vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten nicht Schritt gehalten hat: der inflationsbereinigte Brutto-Jahresdurchschnittslohn der 167.000 Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft hat 2007-2012, also in 6 Jahren, um insgesamt 0,6% zugenommen (vgl. ASTAT), jener der öffentlich Bediensteten hat abgenommen. Stellt man die kalte Steuerprogression in Rechnung, haben die Arbeitnehmereinkommen insgesamt seit 2007 stagniert. Die Niedriglohnbezieher hatten in diesen Jahren besonders starke Lohneinbrüche hinzunehmen. Die Einkommensverteilung hat sich laut ASTAT (ASTAT 2015, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Haushalte in Südtirol 2013-2014) deutlich zuungunsten der Arbeitnehmer verschoben.

Die ASTAT-Daten zur Jahresbruttoentlohnung zeigen auf (Öffentlicher Dienst und Landwirtschaft ausgeklammert), dass ein Fünftel der Arbeitnehmer Südtirols in der Privatwirtschaft absolute Niedriglöhne bezieht. Umverteilungsmechanismen wie die progressive Einkommenssteuer und einkommensabhängige Sozialleistungen gleichen die Dynamik bei den Primäreinkommen nicht mehr aus. Die Einkommensschere zwischen Arm und Reich öffnet sich: Südtirol wird reicher, aber dieser Reichtumszuwachs ist immer ungleicher verteilt. Der Anteil der armutsgefährdeten Personen liegt 2013 bei 19%.

In Südtirol müssten eigentlich eher Löhne nach österreichischem Standard gezahlt werden, um den Arbeitnehmerfamilien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, und nicht der kollektivvertragliche Mindestlohn, der für Italien von Catania bis zum Brenner gilt. Zwar gibt es Betriebsabkommen, die Zusatzvergütungen und Prämien vorsehen, doch die eigentlich nötigen Landeszusatzabkommen werden oft für ganze Sektoren nicht abgeschlossen. In einer kleinbetrieblich strukturierten Wirtschaft wie der Südtiroler Wirtschaft wären solche Zusatzverträge entscheidend, um die Entlohnung sowohl dem Produktivitätswachstum als auch den Lebenshaltungskosten anzupassen. Die Südtiroler Gewerkschaften haben jedoch in Südtirol nicht die nötige Verhandlungsmacht, um diese Zusatzentlohnung durchzusetzen, denn das Kollektivvertragssystem ist in Italien stark zentralisiert.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet ein gesetzlicher Mindestlohn, den in Südtirol nur das Land festlegen kann. In die Tarifautonomie kann das Land nicht eingreifen, doch könnte es die Zuständigkeit für die Festlegung sektorenspezifischer Mindestlöhne erhalten. Diese müssten dann über den gesamtstaatlichen kollektivvertraglichen Mindestlöhnen liegen. Davon können die hiesigen Sozialpartner dann wiederum im Rahmen der Landeszusatzabkommen nur nach oben abweichen. Damit kann verhindert werden, dass sich in Südtirol Niedriglohnbereiche breitmachen (wie im Gastgewerbe, Handel und anderen Dienstleistungen heute schon der Fall) und "working poor people" entsteht. Südtirol könnte hier auch unabhängig von einer entsprechenden gesamtstaatlichen Regelung seinen eigenen Weg sozialen Ausgleichs gehen, wie z.B. beim Lehrlingswesen.

In Deutschland gilt ein solcher genereller Mindest-Stundenlohn seit Anfang 2015 und zwar 8,50 Euro netto pro Stunde. Italien ist hingegen eines der wenigen EU-Mitgliedsländer, die noch keinen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben. Dies wird damit begründet, dass in Italien im Rahmen der Tarifautonomie sektorenbezogene Mindestentlohnungen kollektivvertraglich festgelegt werden.

Südtirol hat bereits für eine gewisse Entlastung der Einkommen bis 28.000 Euro beim regionalen IRPEF-Zuschlag gesorgt, doch ist das zu wenig. Es müsste auch beim noch wichtigeren Hebel anzusetzen, nämlich dem Lohn. Im Klartext: Südtirol muss über den kollektivvertraglichen Mindestlohn hinaus eine den hiesigen Lebenshaltungskosten und Produktivitätsniveaus angemessene Mindestlohnregelung einführen. Der ASGB fordert z.B.  in seinem Grundsatzpapier 2014-2018 die flächendeckende Einführung eines kollektivvertraglichen Mindestlohns von 1.500 Euro brutto im Monat (ASGB 2015). Doch weil dies per Landes-Zusatzvertrag nicht durchsetzbar ist, ist das Land in die Pflicht gerufen, um zunächst auf Ebene des Autonomiestatuts die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen und dann per Landesgesetz den Mindestlohn für jeden Sektor selbst festzulegen. Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Gewerkschaften beim Autonomie-Konvent. Auf diese und zahlreiche weitere Neuerungen im Autonomiestatut geht auch mein neues Buch ein, das am 17.6., 10 Uhr, im Kolpinghaus vorgestellt wird.

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Karl Trojer Sa., 25.06.2016 - 07:40

Um nachhaltig, d.h. zukunfstfähig das Lebensminimum für Menschen abzusichern und damit den technologie- und finanzbedingten Trend zu immer mehr Notleidenden aufzufangen, braucht es, meines Erachtens, nicht einen "Mindestlohn", sondern ein "bedingungsloses Grundeinkommen". Die Befürchtung, dass dann die meisten Menschen nur noch auf der faulen Haut liegen würden, ist unbegründet, da es wesentlich zum erfüllten Menschsein gehört, sinnvolle Arbeit leisten zu wollen. Die Finanzierbarkeit wurde bereits von ausreichend qualifizierten Studien nachgewiesen.

Sa., 25.06.2016 - 07:40 Permalink
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gorgias So., 26.06.2016 - 16:52

Antwort auf von Karl Trojer

Das bedingungslose Grundeinkommen ist sicher interessant, aber das kann auf Landesebene nicht eingeführt werden. Wir sollten mal den Fokus auf dem Mindestlohn legen, dieser wäre eine konkrete Möglichkeit auf die sich ein öffentlicher Diskurs konzentrieren sollte.

Der Mindestlohn birgt die Möglichkeit einen Lohndumping entgegenzuwirken der auch durch ausländische Arbeitskräfte verschärft wird, die Löhne stark drücken.

Leider haben wir in Südtirol keine sozialdemokratische Kraft die so etwas vorwärts bringen könnte, nur diese kastrierten SVP-Arbeitnehmer-Wixer, die kaum mehr als eine Wählerverarschung sind.

So., 26.06.2016 - 16:52 Permalink
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Thomas Benedikter So., 26.06.2016 - 15:55

In vielen Ländern gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn, lieber Karl, gerade mit dem Zweck, die Löhne auch im Niedriglohnbereich auf dem Existenzminimu zu halten, dem Phänomen der "working poor" (sehr verbreitet in den Industrieländern) vorzubeugen und die Einkommensungleichheit nicht zu verschärfen. Deutschland hat dies 2015 mit 8,50 Euro eingeführt, Italien ist eines der wenigen Länder ohne gesetzlichen Mindestlohn, aber höherer Einkommensungleichheit im europäischen Vergleich. Mindestsicherung und gesetzlicher Mindestlohn schließen sich nicht aus; das bedingungslose Grundeinkommen ist halt noch weit weg, und für viele Einkommensarmut schon harte Realität.

So., 26.06.2016 - 15:55 Permalink