Gesellschaft | Salto-Gespräch

„Ich bin immer noch links“

Der Südtiroler Journalist Franz Kössler über Donald Trump, Vladimir Putin, den Brexit, die Österreich-Wahl und seine Angst vor einem neuen Faschismus.
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Foto: Salto.bz

Salto.bz: Herr Kössler, Sie waren siebeneinhalb Jahre für den ORF als Korrespondent in Washington. Halten Sie es für möglich, dass Donald Trump wirklich US-Präsident wird?
Franz Kössler: Ich hätte vor einem halben Jahr noch gesagt: Nein. Inzwischen aber muss ich Ihre Frage leider mit Ja beantworten. Es ist durchaus möglich.

Eine Katastrophe?
Ja, ich glaube, dass es eine Katastrophe wäre. So wie der Brexit eine Katastrophe ist, so wir die Entwicklung in Österreich eine Katastrophe werde könnte, wie Putin eine Katastrophe ist. Das geht alles in die gleiche Richtung...

In welche Richtung?
Schauen Sie, ich bin jetzt 65 Jahre alt und habe in meinem Leben eine Entwicklung mitgemacht, die in Richtung mehr Liberalität, zu immer mehr aufgeklärten und freieren Gesellschaften gegangen ist. Jetzt aber ist das alles in Krise geraten. Die liberale Demokratie mit der wir aufgewachsen sind, ist in einer schwerwiegenden Krise. Und das ist eine ganz gefährliche Entwicklung. Die Stimmung erinnert ein bisschen an die dreißiger Jahre.

Sie sehen die Gefahr eines neuen Faschismus?
Ja. Er wird ganz anders ausschauen wie der alte. Aber der Mechanismus, die Krise und das Versagen der Aufklärung sind heute gleich.

„Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung. Die Stimmung erinnert ein bisschen an die dreißiger Jahre.“

Sie sind ein Repräsentant der 68er Generation, waren in Ihrer Jugend dezidiert links...
..na, na ich bin noch immer links. Und ich bin stolz darauf....

..angesichts dieser Entwicklungen muss man sich aber fragen, ob der Kampf Ihrer Generation nicht vergebens war?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Die 68er Generation hat wesentlich dazu beigetragen, dass diese Tendenz in Richtung liberalerer Demokratie vorankommt. Wie ich an der Universität in Frankfurt war, war das noch ein ziemlich verstaubtes, autoritäres Regime. Uns ist es damals gelungen viele Tabus zu brechen und der Entwicklung eine unheimlichen Schub zu geben. Damals waren in Deutschland noch viele Nazi-Richter im Amt, es gab viele Professoren, die eine zweifelhafte Vergangenheit hatten. Gegen diese Leute haben wir protestiert und das hat dazu geführt, dass ein liberaler Schub in die Gesellschaft hineingekommen ist, der bis heute angedauert hat. Und jetzt geht’s wieder nach hinten.

Was ist der Grund für diese Schubumkehr?
Meine These ist, dass das ganze eine klaren sozialen Hintergrund hat. Wir haben heute weltweit die Situation, dass 1 Prozent der Reichsten 90 Prozent des Vermögens auf dieser Welt besitzen. Das ist etwas, was sozial einfach nicht geht und durchzuhalten ist. Wir haben uns da total verrannt. Das ist eine Verteilung des Vermögens, des Reichtums und des Wohlstandes in der Gesellschaft, der einfach nicht auszuhalten ist. Das hält keine Demokratie aus. Alles was wir jetzt sehen, angefangen beim Brexit bis hin zu Donald Trump ist die Reaktion auf diese unhaltbare Ungerechtigkeit in der Verteilung.

Es ist doch absurd, dass sich in einem modernen Land wie den USA ein solcher Blender und Lügner wie Donald Trump durchsetzen kann?
Wir müssen hier vorsichtig sein. Denn wir können nicht so ungebrochen unsere Kategorien auf Amerika anwenden. Die amerikanische Öffentlichkeit hat andere Funktionsweisen. Es gibt dort historisch einen Selektionsprozess, der im Guten dazu geführt hat, dass sehr große Persönlichkeiten zum Präsidenten gemacht wurden. Die andere Seite zeigt sich aber jetzt. Das ganze ist inzwischen zu einer Art negativer Selektion verkommen. Die Leute müssen sehr viel Geld haben oder sie müssen sehr viel Geld mobilisieren können. Das heißt sie müssen Kompromisse eingehen, sie müssen ihre Positionen anpassen, opportunistisch sein und sie müssen Medienleute sein. Medienleute sind bekannterweise nicht immer sehr qualifiziert, aber sie beherrschen die Mechanismen, die es in der Medienwelt braucht. Dadurch aber kommen Leute an die Macht, die sehr zweifelhaft sind. Ich meine Hillary Clinton ist ja auch nicht eine Lichtgestalt. Die hat auch ihre Schattenseiten. Das Ganze ist also nicht so Schwarz-Weiss wie wir es sehen.

„Wir haben heute weltweit die Situation, dass 1 Prozent der Reichsten 90 Prozent des Vermögens auf dieser Welt besitzen. Alles was wir jetzt sehen, angefangen beim Brexit bis hin zu Donald Trump ist die Reaktion auf diese unhaltbare Ungerechtigkeit in der Verteilung.“

Aber Trump....
Für die Amerikaner ist Trump natürlich auch ein Erfolgsmensch. Wenn bei uns einer innerhalb kurzer Zeit sehr, sehr reich wird, dann hat man sofort den Verdacht, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Aber in Amerika ist das immer noch ein Zeichen, dass er sehr tüchtig, sehr geschickt und sehr klug ist. Die Leute sind fasziniert davon. Trump hat deshalb für viele absolut kein negatives Image. Bei uns wäre einer, der wir er mit seinen Firmen sechsmal Pleite gegangen ist, sofort anrüchig. In den USA ist das nicht so. In Amerika geht ein Unternehmer Pleite, dann verlieren die Arbeiter, die Lieferanten und andere ihr Geld. Der Unternehmer selber rettet sich aber. Da ist auch die Gesetzgebung so gemacht. Der Trump erscheint uns viel, viel negativer als ihn die Amerikaner wahrnehmen.

Könnte seine Wahl zu einer historischen Zäsur in der Weltpolitik werden?
Das ist schwer zu sagen. Wenn man die Wahlkämpfe in den USA anschaut, dann ist es oft so, dass während des Wahlkampfs Positionen vertreten werden, die danach viel gemäßigter und viel rationaler rüberkommen. Also ich war in Amerika, wie Ronald Reagan das erste Mal gewonnen hat. Das war auch ein Bruch. Vorher war Jimmy Carter US-Präsident, der sehr weltoffen, liberal und humanitär war und dann kam Reagan, der sehr viele Ähnlichkeiten mit Trump hatte. Auch unglaubliche Sprüche machte. Alle haben geglaubt, jetzt bricht der Dritte Weltkrieg aus. Ich meine, ich teile wenig von dem was Reagan gemacht hat, aber er hat dann eine Wirtschaftsexpansion in Gang gebracht, die zwar nicht sehr nachhaltig war, aber einiges in Schwung gebracht hat. Er war international sehr taff gegenüber der Sowjetunion und hat im Endeffekt mit seiner Politik dazu beigetragen, dass die Sowjetunion sich aufgelöst hat. Weltgeschichtlich ist Reagan am Ende gar nicht so negativ aufgefallen. Genauso könnte es bei Trump auch sein.

Sie klingen jetzt beinahe zuversichtlich?
Das bin ich aber nicht. Trump hat eine spontanen und temperamentvollen Charakter. Vor allem aber ist er sehr, sehr unberechenbar. Und genau da sehe ich das Hauptrisiko.


Franz Kössler (65) ist in St. Pauls/Eppan geboren. Nach dem Studium der Philosophie in Frankfurt und Florenz arbeitete Kössler für verschiedene italienische (Il Manifesto, RAI 3 und ANSA) und deutsche Medien in Rom. Kössler wirkte seit 1980 im ORF wo er unter anderem als Auslandskorrespondent in Moskau, Washington und London tätig war. Weiters war er „Zeit im Bild“-Chef sowie Leiter des „Europa-Journals“ im Radio. 2010 erhielt er den Robert Hochner-Preis. Inzwischen in Pension schreibt Kössler eine regelmäßige außenpolitische Kolumne im „Falter“.

Sie waren am Ende des Kalten Krieges für einige Jahre in Moskau. Hätte Sie geglaubt, dass sich Russland so entwickelt wird, wie es heute dasteht?
Das klingt jetzt ein bisschen vermessen: Aber ja, eigentlich schon. Für mich war klar, dass Russland aufgrund seiner Geschichte keine wirklich demokratische Tradition hat. Ich habe sehr viele Russen kennengelernt und dabei den Eindruck erhalten, dass sie sehr wenig Verständnis für demokratische Vorgänge habe. Also eine liberale Demokratie ist nicht etwas, was die meisten Russen gut finden.

Es gab aber doch Glasnost und Perestroika?
Das was wir als so positiv angesehen haben, die kurze Zeit der Liberalisierung, ist von den meisten Russen als Chaos wahrgenommen wurde. Demokratie hat für die Russen keine positive Bedeutung. In Russland hat es nie eine liberale Demokratie gegeben, deshalb tendiert die russische Gesellschaft dazu autoritäre Typen sehr zu mögen. Ihnen ist wichtig, dass jemand da ist, der sagt, was zu tun ist und wohin es gehen soll. Wichtig ist dabei, dass Russland in der Welt anerkannt wird. Und genau das tut Putin jetzt auch.

„Demokratie hat für die Russen keine positive Bedeutung. In Russland hat es nie eine liberale Demokratie gegeben, deshalb tendiert die russische Gesellschaft dazu autoritäre Typen sehr zu mögen.“

Ist Putin eine Gefahr für die Demokratie?
Oh ja, ich glaube sehr. Ich glaube, dass Putin sehr unterschätzt wird. Man sagt immer, Putin versucht sich halt gegen die Umklammerung des Westens zu wehren. Das ist sicher ein Argument. Aber Putin hat eine Weltanschauung, die das Gegenteil von einer aufgeklärten Demokratie ist. Putin vertritt ein autoritäres Gesellschaftssystem, sehr intolerant, sehr repressiv. Er ist gegen alles, was irgendwie von der Norm abweicht. Er vertritt die reaktionärsten Prinzipien. Er ist gegen Schwule und gegen jede Minderheit. Ich glaube, dass er vor allem den Anspruch hat, dieses Gesellschaftsmodell auch im Westen voranzutreiben. Was jetzt in Ungarn passiert ist sehr ähnlich der Entwicklung in Russland. Auch was in Polen vor sich geht. Die Polen sind aus historischen Gründen zwar antirussisch eingestellt, aber von der Gesellschaftsidee sind sie auch auf demselben Dampfer. Es bildet sich eine Front, die in dieselbe Richtung marschiert. Es ist kein Zufall, dass die extreme Rechte in Europa Sympathien für Putin hat. Nehmen wir Le Pen in Frankreich, Strache und Hofer in Österreich oder Salvini in Italien.

Und die Linke ist mit sich selbst oder dem Geldzählen beschäftigt.
Die Linke ist einer wirklichen Krise. Deshalb habe ich vorher auch gesagt, das erinnert mich an die Dreißiger Jahre. Die Idee der Linken eine sozial-ausgewogene und liberale Gesellschaft aufzubauen ist gescheitert. Diese Idee hat sich nicht verwirklichen lassen. Auch weil die wirtschaftlichen Entwicklungen nicht mehr so positiv sind und gleichzeitig sich jeder verkrampft, um das was er hat, nicht hergeben zu müssen. Man hat es beim Brexit gesehen und sieht es jetzt bei Donald Trump. Die sozialen Schichten, die es zu einem kleinen Wohlstand gebracht haben, fühlen sich jetzt bedroht undsie tendieren eher nach rechts. Der Linken laufen die Wähler davon. Und sie hat eigentlich keine Antwort darauf.

„Die Idee der Linken eine sozial-ausgewogene und liberale Gesellschaft aufzubauen ist gescheitert.“

Sie haben mehrmals den Brexit erwähnt. Ein Schock für Sie?
Absolut. Ich war auch lange in London Korrespondent und hatte den Eindruck, das Land gut zu kennen. Jetzt hat es sich aber herausgestellt, dass ich England gar nicht kenne. Denn ich hätte nie geglaubt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Position stimmt, die gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen geht. Wo genau diese Stimmung – wir sind eine Insel und wir müssen uns abschotten – überwiegt. Das heißt aber auch, dass wir und ich rechne mich da auch zu der eher intellektueller Schicht, keinen Bezug mehr haben zu den Leuten, die die Mehrheit ausmachen. Die Leute, die in der Politik oder in den Medien arbeiten, haben seit langem die Beziehung zu diesen Menschen verloren. Und genau das rächt sich jetzt.

Ist es nicht auch ein Konflikt der Generationen: Alt gegen Jung?
In Großbritanien sicher. Die Mehrheit der Jungen glaubt ihre Zukunft liegt in Europa, deshalb war dieses Ergebnis für die meisten auch ein Schock. In Amerika würde ich das so nicht sagen. Denn dort gibt es viele junge Leute, die sagen, hier ist eine politische Klasse entstanden, die völlig abgehoben ist und eigentlich nichts tut. Es ist ein Aufbegehren gegen eine selbstverliebte Elite.

Franz Kössler im Salto-Gespräch: "Nicht alles was die Basis entscheidet, ist demokratisch. Sehr oft ist das Gegenteil der Fall."

Der Brexit wirft eine andere Grundsatzfrage auf: Sind Volksbefragungen wirklich ein geeignetes Mittel komplizierte politische Probleme zu lösen?
Hier habe ich große Zweifel. Der Brexit hat deutlich gemacht, was passiert, wenn man komplexe Fragen auf ein Ja oder Nein reduziert. In Österreich kandidiert dieser Hofer, der sagt er will ein starker Präsident sein, aber gleichzeitig auch das Volks durch Volksabstimmungen mehr mitbestimmen lassen. So wie Beppe Grillo, der sagt, dass die Mitglieder alles entscheiden sollen. In Wirklichkeit hat das Ganze aber ein sehr autoritäres Element. Auch in den Dreißigen Jahren hatten die faschistischen Bewegungen diese plebiszitäre Komponente. Wir stehen erst am Anfang diese Entwicklung und ich hoffe, dass diese Schocks dazu beitragen, dass eine gewisse Reflexion stattfindet.

„Der Brexit hat deutlich gemacht, was passiert, wenn man komplexe Fragen auf ein Ja oder Nein reduziert.“

Früher hat man am Stimmtisch geflucht und geschimpft. Heute hat sich alles ins Internet verlagert. In den Social Forums und den Kommentaren bricht eine neue und mit Verlaub grausige Welt an.
Die Social Forums gehen meiner Meinung nach eindeutig in eine autoritäre Richtung. Weil sie die Leute auseinanderdividieren und kein echter öffentlicher Diskurs stattfindet. Im Internet lebt jeder nur nach seiner eigenen Idee und trifft nur noch Leute, die seine Meinungen vertreten. Das ist sicher ein strukturelles Problem, das auf uns zukommt. Schauen Sie einmal wie Donald Trump spricht. Das ist genau die Twitter-Sprache. Diese kurzen Sätze, die er immer wieder wiederholt. Was für einen intellektuellen Menschen eine Zumutung ist, Dinge so zu reduzieren, ist in der Twitter-Welt essenziell. Mit den 140 Zeichen, die man dort verwenden darf. Also ich glaube, dass man da sehr vorsichtig sein muss.

Spätestens jetzt wird die Salto Community aufschreien und Sie in den Kommentaren verbal hinrichten?
(lacht) Ich weiß. Aber ich habe auch einen Lehrauftrag an der Universität Innsbruck und ich habe in einem Seminar mit den Studenten genau analysiert, wie diese Mechanismen funktionieren. Sie erscheinen als sehr basisdemokratisch, aber in Wirklichkeit wohnt ihnen ein absolut autoritäres Element inne. Nicht alles was die Basis entscheidet, ist demokratisch. Sehr oft ist das Gegenteil der Fall.

„Die Social Forums gehen meiner Meinung nach eindeutig in eine autoritäre Richtung.“

Im Dezember wird es die Wiederholung der Präsidentschaftswahl in Österreich geben. Wird Norbert Hofer gewinnen?
Ich hoffe nicht und ich bin auch sehr optimistisch, dass das nicht passieren wird.

Worauf gründet ihr Optimismus?
Die FPÖ hat das Ganze einfach überzogen. Das permanente Einklagen, was ihnen nicht passt, wird zum Bumerang werden. Es ist evident, dass man die Wahl nur angefochten hat, weil Hofer nicht gewonnen hat. Hätte er gewonnen, hätte die FPÖ natürlich nicht geklagt. Es ist ein Missbrauch und viele Menschen haben das auch verstanden.

Die Frage wird sein, ob es Alexander Van der Bellen gelingt, noch einmal die Wähler zu mobilisieren?
Ich glaube, dass Van der Bellen eine Stammwählerschaft hat, die bereits sehr mobilisiert ist. Das hat auch eine Nachwahl in einem Wiener Bezirk gezeigt. Dort haben die grünen Wähler alle gewählt, während die anderen wahlmüde geworden sind. Van der Bellen muss aber vor allem jene Leute überzeugen, die nicht grün wählen, dass er die bessere Lösung für Österreich ist als Hofer.

Viele in den Großparteien liebäugeln aber mit der FPÖ.
Natürlich gibt es sowohl in der SPÖ wie auch in der ÖVP eine starke Tendenz für eine Koalition mit der FPÖ. In sozialen Fragen gibt es eine viel größere Übereinstimmung zwischen SPÖ und FPÖ. In anderen Fragen zu Rechtsstaat und Einwandung gibt es eher eine Übereinstimmung zwischen ÖVP und FPÖ. Aber es gibt mit beiden Parteien Deckungsflächen. Und beide spielen mit diesem Szenario, was ich skandalös finde.

„Ich glaube man darf nicht aufgeben, wenn man in einer besseren Gesellschaft leben will.“

Kommen wir kurz nach Italien. Wie lange wird es Beppe Grillo und seine Bewegung noch geben?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich diese Grillo-Bewegung nicht verstehe, weil sie so viele widersprüchliche Elemente hat. Einerseits gibt es viele Linke, die Grillo wählen. Sehr viele meiner Freunde haben Grillo gewählt. Und gleichzeitig findet man in dieser Bewegung so viele rechte Elemente, die mich einfach erschrecken. Italien hat eine sehr mobile, politische Landschaft. Aber getraue mich hier wirklich nichts vorauszusagen.

Hat der Fall Raggi nicht die gesamte Bewegung endgültig entzaubert?
Wenn ich höre, was die Leute sagen, die sie gewählt haben, dann sicher nicht. Sie sagen: „Ja klar, das sind die ganzen Medien und die Leute der anderen Parteien, die sich freuen, dass sie nichts zustande bringt. Gleichzeitig machen sie es ihr bewusst schwer. Rom ist unregierbar, warum sollte sie es deshalb in wenigen Monaten schaffen.“ Ich sehe hier eine ähnlich Stimmung wie bei Trump. Die Medien, die Intellektuellen, die politische Führung, alle haben sich verschworen gegen jene, die was ändern wollen. Daraus entsteht eine ganz seltsame Dynamik.

Nehmen wir an: Trump gewinnt, Hofer gewinnt und Grillo gewinnt. Was tut dann ein Linker wie Sie?
Auswandern. Aber ich weiß nur noch nicht wohin (lacht)....Nein, es ist schwierig. Ich habe einmal Philosophie studiert und Immanuel Kant hat gesagt. „Die Aufklärung ist eine tägliche Herausforderung“. Es ist viel bequemer solchen Tendenzen nachzugeben und autoritären Modellen nachzulaufen, als sich selber in die Verantwortung zu nehmen. Deshalb ist es wichtig, weiterhin zu den liberalen Standpunkten zu stehen, immer wieder einfordern, dass Dinge auf rationaler Ebene heruntergebrochen werden und halt weiterkämpfen. Sicher wird das alles schwierig werden. Aber ich glaube man darf nicht aufgeben, wenn man in einer besseren Gesellschaft leben will.

Danke Herr Franceschini für die gescheiten Fragen und danke Franz Kössler für deine gescheiten, klugen Antworten. Noch heute mach ich mich auf, endlich das von dir empfohlene Buch "Die zerrissenen Jahre 1918 - 1938" von Philipp Blom zu lesen. Es ruht seit einiger Zeit auf dem Tisch. Artikel aus den USA und Russland (über facebook) zeigen die ganze Panik der Intellektuellen. Flüchten! Wohin flüchten? Meistens ins innere Exil. Das kann es nicht sein, das darf es nicht sein.

So., 02.10.2016 - 07:59 Permalink
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Herr Kössler lässt sich leider von seiner vermeintlich liberal aufgeklärten Geschichte sowie den main-stream-Medien, für die er ja auch gearbeitet hat, einseitig blenden. Beispiele: Der (durch Krieg und Nachkriegszeit bedingte) "liberale Schub" der 50-60er Jahre hat sich lange, lange schon (nicht erst "jetzt") ins neo-"liberale" Zerfleischen gewandelt; zur Vermögensschere und eben dem sozialen Zerwürfnis durch eine vor allem von den USA und Europa staatlich unterstützten Wirtschaftspolitik hat haar-genau jene "liberale" Generation geführt, der Kössler angehört; das düstere Bild vom bösen Putin passt genauso ins Bild eines Kössler Kopfes wie jenes eines (wenn auch mit Abstrichen) helleren Bildes einer Hillary, alias "Killary", die seit bald genau 30 Jahren - so wie eben die ganze Generation Kösslers – besser, sozialer, gerechter, etc. hätte auftreten können, anstatt die Unzahl der militärischen Außenstellen, die forcierten Regime-Umstürze, die völkerrechtlich illegalen Kriege, das gerichtslose Morden durch den Drohnenterrorismus, etc. immer brav zu unterstützen. Ob dann die Schlange besser als der Trottel ist, weiß Gott. Aber einseitige Info kann man ergänzen. In Deutsch u.a. hier: www.kenFM.de

So., 02.10.2016 - 13:07 Permalink

Ausgezeichnetes Interview und politische Analyse. Hervorzuheben: Selbst Verantwortung übernehmen für die heutige Legitimierungskrise der Demokratien anstatt Bevölkerungsschichten abzuurteilen, die sich hintengelassen fühlen und rechstpopulistische Parteien wählen. Politik, Medien, Wirtschaftseliten und Intellektuelle müssen sich fragen, warum dies geschieht und Handlungsentwürfe entwicklen, damit sie wieder (freiwillig) zu Parteien zurückkehren, die mit beiden Füßen auf demokratischem Boden stehen.
Die Mainstream-Medien haben zu oft eine um sich selbst und ihre Klientel kreisende Politikerriege gerechtfertigt und hofiert, die eingeschlagene neoliberale Wirtschaftspolitik als alternativlos verteidigt (Eigentumsverhältnisse der Medien!) und die Wähler von Grillo, Le Pen, Strache, Petri, Farage, Podemos in das radikale Eck gestellt. Ich wage zu behaupten, die meisten von ihnen sind nicht rechtsnational, linksextrem oder umstürzlerisch, sondern einfach nur enttäuscht, verängstigt und perspektivlos. Wie richtig bemerkt, das Trickle-Down-Dogma hat nicht funktioniert, nicht im ländlichen England, nicht in den Banlieus, nicht im Osten Deutschlands, nicht im gerontokratisch geführten Italien und auch nicht im stark wirtschaftsliberalisierten Spanien. Hier ist anzusetzen, nicht bei den Symptomen, die heute Strache, Trump, Petri, Le Pen heißen und morgen anders.

So., 02.10.2016 - 13:29 Permalink

genau so ist es. ich finde das interview auch sehr interessant. aber kössler lässt die von dir erwähnten aspekte und verantwortlichkeiten völlig außer acht. jetzt wegen des brexits oder wegen trump von "katastrophe" zu sprechen, greift viel zu kurz. dass es die phänomene "brexit" und "trump" überhaupt gibt, ist nicht die schuld derer, die für den brexit gestimmt haben oder trump wählen. dann zu behaupten, man könne das volk nicht entscheiden lassen, da es so "dummheiten" wie den brexit begehe, ist hanebüchen. die katastrophen sind lange vorher passiert und waren so gut wie nie resultat von volksabstimmungen (entfesselung der finanzmärkte, kriegstreiberei, wirtschaftliche und soziale ausbeutung usw.). eher das gegenteil war der fall. hätte man in großbritannien über den kriegseinsatz im irak abstimmen lassen, hätte es wohl eine breite mehrheit gegen blairs wahnsinnsaktion gegeben. all das haben also die vermeintlich "vernünftigen" und "aufgeklärten" aus kösslers generation verbrochen. strache, trump und co. sind - wie du richtig schreibst - die symptome. jetzt auf die einzudreschen, die in ihrer macht- und ausweglosigkeit, den falschen demagogen auf den leim gehen, ist kontraproduktiv und verstärkt das problem nur.

So., 02.10.2016 - 19:15 Permalink

das wichtigste, über das kein volk je abgestimmt hat, ja nicht einmal die parlamente, ist wohl der faktische prozess der (einseitigen, kapitalistischen) globalisierung, der den konzernen unglaubliche möglichkeiten des kostendumpings eröffnet und ihnen z.t. eine macht verliehen hat, die jene von manchen staaten und staatenbündnissen übersteigt. ohre folgen sind es wohl letzten endes, die die wähler nun zu den rechten parteien treiben.
zu kössler: ich finde man kann jemanden wg. seiner generationenzugehörigkeit nicht automatisch in mithaftung nehmen. ich kenne ich ihn und seine arbeit zu wenig, um ihn zu verteidigen, aber es haben auch einige - im rahmen ihrer möglichkeiten - für aufklärung und meinungsdiversität gesorgt.

So., 02.10.2016 - 20:37 Permalink

zustimmung. manche dieser regelungen entziehen sich völlig der demokratischen kontrolle.
ad kössler: ich habe um himmels willen nicht kössler in sippenhaft genommen. ich meinte nur, dass jene generation, der er "weltoffenheit" und "liberalismus" attestiert eben auch diese situationen kreiert hat, mit denen wir heute zu kämpfen haben.

Mo., 03.10.2016 - 07:23 Permalink

Ein Fremdenführer in Amerika drückte sich so aus:
"Die Amerikaner haben bei dieser Wahl zwischen einer Kriminellen und einem Verrückten zu wählen", ich denke das sagt viel über die amerikanische Denkweise aus.
Putin mag diktatorisch agieren und von Demokratie nicht viel halten, die europäische Haltung gegenüber Russland durch Verachtung und Ausschluss ist aber dennoch für die europäische Gesellschaft und den Frieden in Europa einfach nur Gift.
Poroschenko aus der Ukraine mag von Demokratie wahrscheinlich noch weniger halten gibt sich aber trotzdem als großen Europäer.
Grillo ist dagegen einfach nur ein Napolitaner und ich glaube der Zustand Neapels sagt wohl alles über die 5 Sterne aus.

So., 02.10.2016 - 15:19 Permalink
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F. T.

Na sowas. Um die Äpfel zu verkaufen soll man sich auch mit dem Massenmörder Putin verständigen. Hauptsache es klingelt in der Geldbörse. Und dann ist es nur mehr zum Lachen. Grillo, der Napoletaner (Keks ?). Der für der Müll in Neapel verantwortlich ist. Guter Mann. Sie verstehen nichts von der italienischen Politik. Beschränken Sie sich auf die Pomi, und die eingebildete "Verfolgung der Bauern", dort erzählen Sie schon genug Skurrilitäten.

So., 02.10.2016 - 22:42 Permalink

Herr Ferdinand Tessadri, Meinungsfreiheit gehört zum europäischen Gedanken für Freiheit. Was Russland angeht so ist dies ein europäischer Staat der diese Freiheit sicherlich unterdrückt, trotzdem ist Russland für den frieden in Europa sehr wichtig. Was die Pomi angeht, Äpfel dürfen auch nicht nach USA exportiert werden und ich bin ein großer Skeptiker um nicht zu sagen Gegner von TTIP.
Was den Müll in Neapel angeht so wurde dieser schon öfters von Neapel weggebracht und nie hingebracht, von den neapolitanischen Rücksichtslosigkeiten und Verantwortungslosigkeiten mit lautem Gebrüll halte ich gar nichts, dass diese anrchistische Einstellung auch noch als neapolitanisches Lebensgefühl dargestellt wird ist für mich ein Grund den Staat Italien so schnell wie möglich zu verlassen. Grillo ist für mich ein laut schreiender Demagoge.

Mo., 03.10.2016 - 09:15 Permalink