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“Hätte ich damals gewusst…”

Ein Hassposter, der einen Journalisten “anzünden” wollte, hat eine erstaunliche Wende vollzogen. Eine Geschichte, die Augen öffnen und zum Nachdenken anregen kann.
No Hate Speech
Foto: andreapinchi.it

Alles begann mit einem Facebook-Kommentar: “Kann den wer anzünden bitte?” Diesen Satz postete ein User auf einer Facebook-Seite der Freiheitlichen Partei Österreich, kurz FPÖ. Mit “den” war Florian Klenk gemeint, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter und Claus-Gatterer-Preisträger. Dieser wird auf den Satz aufmerksam, er lässt ihm keine Ruhe. Schließlich trifft er sich mit Boris, wie er den Hassposter nennt. Er erfährt, dass der EDV-Techniker ein gutbürgerliches Leben führt, Karriere gemacht hat, samt Eigenheim und Familie. “Er ist kein einfältiger rassistischer Provinzler”, stellt Klenk fest. Was er aber auch erfährt ist, dass Boris keine Zeitungen liest, kaum TV-Nachrichten schaut und sich nur im Netz über die Geschehnisse in der Welt informiert.

“Boris vertraut den Journalisten nicht mehr, die Nachrichten für ihn filtern, kommentieren und gewichten. Das mache er lieber selbst bzw. der Algorithmus von Google und Facebook”, schreibt Klenk im Falter vom 18. November 2016.  Boris sei bewusst, dass ihn die einseitigen Informationen, die täglich über seinen Bildschirm flimmern, in seiner Weltansicht manipulieren, er fühlt sich “innerlich radikalisiert”. Damals wusste Klenk nicht, was er von dem Mann, der mit beiden Füßen im Leben steht, aber ins Wanken kommt sobald er seinen Laptop anschaltet, halten soll.

Die Wende

Ein Monat später: Florian Klenk berichtet auf Facebook erneut von Boris: “Jedes Jahr machen wir im Falter einen Jahresrückblick. Wir fragen bei den Leuten nach, deren Geschichten wir aufgeschrieben haben. Ich habe Boris, meinen ‘Hassposter’ gefragt, wie sein Leben durch die Falter-Reportage verändert wurde.” Was er daraufhin zu hören beziehungsweise zu lesen bekommen hat, hat ihn beeindruckt.
Auf Bitte des Verfassers veröffentlicht er das Schreiben auf seiner Facebook-Seite. Boris schreibt:

“Ich nutze nach wie vor Facebook, Youtube und andere Medien im Internet.
Ich habe jedoch ganz bewusst versucht, Filterblasen und Echokammern nicht nur zu vermeiden, sondern bestehende aktiv zu durchbrechen und das ist einfacher als man denkt.
Ich habe viele meiner ‘Gefällt mir’ und Abonnements auf Facebook entfernt und statt dessen versucht eine ausgewogenere Infrastruktur an News-Quellen zu aufzubauen.
Es ist erstaunlich, wie sich das eigene Weltbild verändert wenn man nicht nur Strache, Unzensuriert.at und Wochenblick abonniert hat, sondern Personen aus anderen Richtungen mit in seine Informationsquellen aufnimmt.
Ich habe Leute wie Christian Kern, Armin Wolf, Sebastian Kurz und nicht zuletzt Sie, Hr. Klenk zu meinen Abos hinzugefügt. Schlagartig verändert sich das Spektrum an Nachrichten welche man von Facebook aufgetischt bekommt.
Und glauben Sie mir – man startet entspannter und mit einem positiveren Gefühl in jeden Tag wenn das erste, was man beim morgendlichen Kaffee liest nicht von vergewaltigenden Migranten handelt sondern z.B. von der Solidarität und Hilfe gegenüber Leuten die bestens integriert sind und nun unverständlicherweise doch abgeschoben werden sollen.
Ich kann nur jedem empfehlen das gleiche zu tun. Wer nur in eine Richtung abonniert und ‘liked’, der bildet sich keine Meinung – er übernimmt die Meinung anderer. Es würde mich freuen wenn dieses Statement genauso viele Leute erreicht wie der ursprüngliche Artikel über mein ‘Hass-Posting’. Hätte ich damals gewusst was ich heute über die Filtermechaniken der sozialen Medien weiß, wäre es nie soweit gekommen.
In diesem Sinne wünsche ich allen Mitmenschen frohe Weihnachten und einen positiven Start ins neue Jahr. Mit mehr Miteinander und weniger Gegeneinander, denn das bringt niemanden weiter.”

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Martin B. Mi., 21.12.2016 - 22:08

Also rechts- und linksextreme (heute meist wütende Antimigranten gegen politisch korrekte Moralapostel) Informationsquellen abonnieren und den Ausgleich finden? Nein danke.

Mi., 21.12.2016 - 22:08 Permalink