Gesellschaft | Vision/en

Mal was anderes, zum Jahresanfang

„Was nun zu tun wäre: Die vermeintliche Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Politik aus den Köpfen zu schütteln.“
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Bedingungsloses Grundeinkommen
Foto: web

Ich hätte mir eigentlich gerade das Jahresend-/-anfangs-Video der Südtiroler Tageszeitung mit unser aller Landeshauptmann genehmigen wollen. Mich hätte interessiert, wann und wie der Herr Kompatscher warum an Rücktritt gedacht hatte, und es dann doch bleiben ließ, offenbar. Allein, so weit kam ich nicht, auf etwa der Hälfte des Weges musste ich den Film abdrehen, ich hab’s nicht mehr ertragen: Ob in Südtirol der Humus für eine AfD-ähnliche-Bewegung bestünde? Oder für so etwas wie Pegida? Ob die Bevölkerung zurecht unzufrieden sei? Ob die Merkel’sche Flüchtlingspolitik falsch war? Mannmann, denkt sich mein Ich, was sind denn das für Fragen, zum Jahresanfang? Haben wir denn nichts Besseres zu tun, oder zu fragen, als nach dem Schmuddel, dessen Verfallsdatum schon längst abgelaufen ist? Soll das etwa Freude machen, den Enttäuschten? Oder Hoffnung bringen, den Mutlosen? Da lobe ich mir doch einen optimistischen Satz wie diesen, den ich gerade gestern - wie passend! - hier gelesen und für gut bis sehr gut befunden hatte:

„Was nun zu tun wäre: Die vermeintliche Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Politik aus den Köpfen zu schütteln.“

Derweil wird aber, im Lande Südtirol zumal, zwar geschüttelt, aber eher nicht(s) aus den Köpfen heraus, sondern lieber, wenn’s denn ginge, in sie hinein. Oder hätte man etwa nicht den Herrn Landeshauptmann auch mal fragen können, was er denn, zum Beispiel, von einem Bedingungslosen Grundeinkommen halten würde, weil es doch gerade dieser Tage in Finnland als Testphase anlaufen soll, wenn auch auf einer eher nicht wirklich bedingungslosen Ebene (man schaue gern hier, nach Details).

DAS wäre doch mal, finde ich, eine gescheite Vision, die ein wenig Licht in die Gedanken der zurzeit so verunsicherten Menschheit bringen könnte, umso mehr, als ja klar scheint, welche die Verunsicherungs-auslösenden Faktoren erstinstanzlich sind, nämlich: Zukunftsängste, und die Gründe dafür so individuell, wie’s die Menschen sind, und ihre Lebensläufe, aber sie alle münden in denselben Auslass: Werde ich (werden meine Kinder) morgen noch zu leben wahlweise Arbeit wahlweise ein Dach über dem Kopf haben? 

Was läge da näher, als – endlich! – ernsthaft über ein Bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken? Über ein echtes? Eins, das Menschen tatsächlich die Freiheit gäbe, Existenzsorgen und -ängste für immer zur Seite zu legen? Eins, man erlaube mir den kleinen, feministischen Schlenker, das unter anderem ein überaus mächtiger Gleichstellungs-Katalysator wäre? Man stelle sich nur einmal vor, wie viele der derzeitigen „Probleme“, auch aber keineswegs nur der Frauen- und Familienpolitik, sich im Handumdrehen in Wohlgefallen auflösten: Zuhause bleiben, oder arbeiten gehen – kein Thema mehr; bleibt er zuhause, oder sie – kein Thema mehr; bleibt sie beim Mann, oder will sie weg: kein Thema mehr (auch hierzu eine Prise empfehlenswerter Lektüre); viel oder wenig oder gar keine Alimente – kein Thema mehr. Undsoweiter undsofort, so weit die Vorstellungskraft reicht. Und ja, nicht zuletzt: Kinderkriegen würde sich auch wieder lohnen.

Jaja, ich höre sie schon, wie sie aufheulen, die alten Spaßbremsen, Gewohnheits-Tiger, Verhinderer, und Nein-Sager: Zu teuer! Zu ungerecht! Die Faulen! Sie kann ich nur fragen: Welche Alternative?

Überhaupt finde ich es ja immer sehr betrüblich, bis bedenklich, wenn die Gegner u. a. argumentieren, die Menschen würden mit einem BGE faul [werden]. Denn erstens: Wer nicht faul ist, kann’s auch nicht werden. Und wer’s ist, der ist's sowieso, und bleibt's auch, mit und ohne BGE. Und jedenfalls wird damit doch unterstellt, dass nicht nur der Mensch eigentlich und mehrheitlich "faul" ist (wobei, die Frage: Was soll das überhaupt sein?! Wer definiert, was „faul“ ist? Auf welcher Grundlage? Nach welchem Maßstab?), sondern vor allem, dass eine relevante (!) Zahl von Menschen nur des Geldes wegen arbeitet. Einmal davon abgesehen, dass dieses gern und oft gehörte "Argument" doch einen sehr dunklen Schatten wirft, auf unsere Arbeitswelt und die wirtschaftliche Ordnung, wäre das ja wohl GANZ schlecht, für "die Wirtschaft": denn wer nur des Geldes wegen arbeitet, tut das selten besonders gut, und jedenfalls meist wenig besser als sehr durchschnittlich. 

Nichtsdestotrotz würde, falls dem so wäre, mit diesem mäßigen Tun ein Arbeitsplatz besetzt gehalten, den eine andere Person vielleicht gern und mit Begeisterung ausfüllen, statt nur besetzen würde. An welcher Stelle ich fragen möchte: Wurde eigentlich je darüber nachgedacht, oder gar untersucht, welche Schäden diese Kategorie der wenig "produktiven" Arbeitnehmer*innen aka Pflichterfüller*innen für "die Wirtschaft" bedeuten? Wie viel Innovation, Fortschritt und Entwicklung sie verhindert? Und ob es nicht besser und letztlich auch ertragreicher wäre, wenn diese Arbeitnehmer*innen nicht nur im Geiste, sondern auch körperlich auf die(se ungeliebte) Arbeit verzichten könnten - und den Platz frei machen für jemanden, die ihn gut ausfüllt - weil gern und mit Freude? Derweil sie selbst sich ebenfalls etwas zuwenden können, das ihnen Freude macht? Der Küche vielleicht? Dem Garten? Anderen Menschen? Der Philosophie? Dem Eishockey?

Ja, so, finde ich, oder ganz ähnlich, könnte man ein neues Jahr ja auch mal anfangen: Mit ein paar gescheiten Visionen, Zukunftsperspektiven für alle, für die es, allerdings, wohl wahr, Mut braucht, und vor allem den Willen, die Dinge nachhaltig zu ver-ändern, im Sinne der großen Allgemeinheit. Die Schotten, da schau an, machen's vor: Akkurat heute berichtet der Guardian, dass für das junge Jahr 2017 zwei Ortschaften in Schottland die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens überlegen. Matt Kerr gegründet das u. a. sehr schön so: "But it is also about solidarity: it says that everyone is valued and the government will support you. It changes the relationship between the individual and the state.” (Oder auch: "We stand together, or we fall apart." George Monbiot)

In diesem Sinne: Frohes Neues Jahr, allen und all*innen!