Si tacuisses, philosophus mansisses.
Vor 1500 Jahren tat der römische Philosoph Boethius diesen Ausspruch: „Wenn du geschwiegen hättest, wärst du Philosoph geblieben“.
Christoph Baur sollte sich diesen Ausspruch zu Herzen nehmen. Denn was der Bozner SVP-Vizebürgermeister seit einem halben Jahr aufführt, ist mehr als nur eine Peinlichkeit.
Es ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein angesehener Anwalt und Quereinsteiger in der Politik völlig die Orientierung verlieren kann, wenn es um die Trennung öffentlicher, privater und beruflicher Interessen geht. Wie ein gescheiter Mensch die Gravitationsregeln seines persönlichen und beruflichen Umfelds über Nacht außer Kraft setzt, um so zu tun, als sei er die Jungfrau Maria.
„Ein Musterbeispiel dafür, wie ein angesehener Anwalt und Quereinsteiger in der Politik völlig die Orientierung verlieren kann, wenn es um die Trennung öffentlicher, privater und beruflicher Interessen geht.“
Der 65jährige gebürtige Brunecker Christoph Baur ist ein renommierter Anwalt. Zusammen mit seinem ehemaligen Partner Peter Platter gehört er zu jener Generation von Advokaten, die vor allem im Verwaltungsrecht jahrzehntelang die erste Adresse waren und immer noch sind. Baurs Kanzlei ist für die öffentlichen Körperschaften, wie Land oder Gemeinden, eine beliebte Adresse, wenn es um Rechtsangelegenheiten vor dem Bozner Verwaltungsgericht oder dem römischen Staatsrat geht.
Aber auch Private stützen sich gerne auf die Expertise des Bozner Rechtsanwaltes. So vertritt Christoph Baur seit Jahren die Unternehmergruppe Podini beim Streit um ihr Bozner Einkaufszentrum „Twenty“ vor Gericht.
Es gibt allein zwischen 2012 und 2015 acht verschiedene Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Bozen, in denen Christoph Baur und seine Kanzlei die beiden Podini-Unternehmen „Podini Holding SPA“ und „ Twentyone Srl“ vertreten haben oder immer noch vertreten. Es geht dabei sowohl um Rekurse der Eigner des Einkaufszentrums gegen die Gemeinde Bozen (Zugangsbeschränkung auf 500 Personen), wie auch um Rekurse des Konkurrenten Aspiag Service GmbH gegen das Einkaufszentrum Twenty. Oder Christoph Baur verteidigt die Podini-Gruppe gegen Rekurse des Handels- und Dienstleisterverbandes. Allein im ersten Halbjahr 2016 hat es in diesen Verfahren über ein halbes Dutzend Urteile und Verfügungen des Bozner Verwaltungsgerichtes gegeben.
Dazu kommen noch eine Reihe von Verfahren, die noch gegen das geplante Großkaufhaus der Despar-Handelskette Aspiag laufen. Die Konkurrenten Tosolini und Podini haben gegen die Baugenehmigung für den Handelsriesen geklagt. Auch hier ist Christoph Baur als Anwalt involviert. Offizieller Verteidiger ist meistens der Brunecker Anwalt Dieter Schramm. Doch Schramm war eine zeitlang Mitglied der erweiterten Bürogemeinschaft von Christoph Baur. Vor allem aber scheint der Name Baur als Korrespondenzanwalt in allen Klagen immer noch auf. Auch in mehreren Rekursen, die erst entschieden werden müssen.
Christoph Baur ist seit dem 17. Juni 2016 aber auch Vizebürgermeister der Gemeinde Bozen. Seine Kompetenzen: Raumplanung und -Entwicklung, Wirtschaft und Konzessionen, sowie Tourismus und Stadtmarketing.
Es ist eine politische Entscheidung, die unweigerlich zu einem eklatanten Interessenkonflikt führt. Ein Anwalt, der dutzende Rekurse Privater gegen die Gemeinde Bozen in Sachen Raumordnung betreut, wird plötzlich zum Assessor für Raumordnung in jener Gemeinde, gegen die er als Anwalt vor Gericht steht. Man kann diesen latenten Interessenskonflikt nicht nur am Fall Aspiag oder Podini festmachen.
Im Sommer 2015 will ein bekannter Bozner Unternehmer für einen Neubau eine Kubaturverschiebung von Zwölfmalgrein nach Gries vornehmen. Die Gemeinde verweigert die Baugenehmigung. Der Unternehmer zieht vor das Verwaltungsgericht. Anwälte des Rekurrenten sind neben Dieter Schramm, Christoph Baur und seine Kanzlei. Am 5. April 2016 gibt das Verwaltungsgericht dem Privaten Recht. Die Gemeinde hätte die Baukonzession ausstellen müssen.
Die Gemeinde Bozen musste jetzt entscheiden, vor dem Staatsrat zu rekurrieren oder die Baukonzession auszustellen. In der Gemeinde sitzt inzwischen an oberster Stelle aber jener Anwalt, der den Nutznießer vor Gericht vertreten hat. Er soll die Baukonzession unterschrieben.
Einen klareren Interessenkonflikt gibt es wohl kaum.
Die Situation ließe sich durchaus klären. Demonstrativ und konsequent erklärt sich Christoph Baur gemeindeintern in all diesen Fällen für befangen und überlässt der Gemeinde und ihren Ämtern die Entscheidungsfindung. Es wäre eine noble und einfache Geste.
Doch der Bozner Vizebürgermeister tut genau das Gegenteil. Zehn Tage nach seiner Ernennung zum Vizebürgermeister und Stadtrat für Raumordnung legt er den geplanten „Megastore Aspiag“ in der Buozzi-Straße im Gewerbegebiet Bozen-Süd auf Eis. „Wir überprüfen mit der Gemeindeanwaltschaft, ob das sogenannte Umweltscreening, das die Landesregierung mit dem Urbanistikgesetz aus dem Jahr 2014 vorsieht, notwendig ist. Wir müssen abklären, ob diese Vorab-Untersuchung im Vorfeld der Umwelt-Verträglichkeits-Prüfung notwendig ist oder nicht", erklärt Baur vollmundig.
Doch dem nicht genug. Als wenig später die Landeskommission für Natur, Landschaft und Raumentwicklung über die Annullierung der Aspiag-Baukonzession - ausgestellt vom Bozner Kommissär Michele Penta - entscheiden muss, sitzt Christoph Baur als Vertreter der Gemeinde Bozen mit am Tisch und stimmt für die Annullierung. So als wäre nichts gewesen.
Wenig später leitet die Landesregierung offiziell das Annullierungsverfahren für die Aspiag-Baukonzession ein. Dabei beginnt hinter den Kulissen schnell klar zu werden, dass man durch Baur´s Sorglosigkeit arg in die Bredouille kommen könnte.
Wenige Tage bevor die Landesregierung die Baukonzession endgültig annulliert, legen die Aspiag-Anwälte ein Rechtsgutachten vor. Einer der zentralen Punkte darin: der eklatante Interessenkonflikt Christoph Baur bei seiner Stimmabgabe in der Kommission für Natur, Landschaft und Raumentwicklung.
Die Landespolitik und das Rechtsamt des Landes können diesen Einwand durchaus nachvollziehen und so kommt es zu einem der absurdesten Schritte, die es im Land jemals gegeben hat: Man muss in die Verlängerung gehen.
Am 27. Dezember 2016 stimmt die Landesregierung über die Nichtigkeit der Aspiag-Baukommission ab. Doch die Baukonzession wird nicht annulliert. Die Landesregierung bestätigt zwar ihre Überzeugung, dass die Konzession nichts rechtens ist, schickt das Ganze aber nochmals in die Kommission für Natur, Landschaft und Raumentwicklung zurück.
Diese wiederholte an diesem Donnerstag die Abstimmung mit demselben Ergebnis: eine deutliche Mehrheit für die Annullierung der Aspiag-Baukommission. Am kommenden Dienstag will die Landesregierung nun endlich endgültig die Baukonzession für nichtig erklären.
„Es ist nicht so, dass ich aufgrund des Gesetzes oder des Gemeindeethikkodex befangen wäre, doch ich ziehe mich aus der Angelegenheit zurück, da ich es für opportun halte“
Der Eiertanz und die doppelte Abstimmung in der Kommission für Natur, Landschaft und Raumentwicklung war nur durch den eklatanten und eindeutigen Interessenkonflikt von Christoph Baur nötig geworden. Weil Baur der Südtiroler Regierungspartei angehört, hält man damit hinterm Berg.
Diese Woche saß dann nicht der Vizebürgermeister, sondern Renzo Caramaschi in der Kommission. Er hat so gestimmt, wie eigentlich auch Christoph Baur hätte stimmen müssen. Für die Baukonzession. Diese wurde ja von der Gemeinde Bozen ausgestellt, die Baur oder sein Vertreter repräsentieren.
Und Christoph Baur? Der Bozner Vizebürgermeister tut immer noch so, als sei nichts gewesen. „Es ist nicht so, dass ich aufgrund des Gesetzes oder des Gemeindeethikkodex befangen wäre, doch ich ziehe mich aus der Angelegenheit zurück, da ich es für opportun halte“, diktierte er diese Woche dem Tagblatt der Südtiroler in die Spalten.
Baur, der privat gerne zu philosophischen Runden einlädt, versucht jetzt einen längst überfälligen Schritt als freiwillige persönliche Entscheidung zu verkaufen. Von politischer Intelligenz zeugt dieses Verhalten nicht.
Si tacuisses, philosophus mansisses, Herr Vizebürgermeister.