Gesellschaft | Zeitgeschichte
Die Liste der Täter
Foto: upi
Es sollte eigentlich eine Enthüllung sein.
Die Sonntagszeitung Zett brachte in ihrer letzten Ausgabe vier Namen von Südtiroler SS-Männern, die zur Wachmannschaft des KZs Auschwitz gehörten. Am Montag übernahmen Dolomiten und Alto Adige die Exklusivnachricht.
Vor wenigen Wochen hat das Polnische Institut für Nationales Gedenken (PIN) eine Datenbank online gestellt, in der über 8.000 SS-Angehörige angeführt sind, die im Konzentrationslager Auschwitz und seinen Außenlagern Dienst taten.
In der Täterliste finden sich auch vier gebürtige Südtiroler: Johann Pichler, Hans Gufler, Anton Hager und Ernst Kaufmann.
Der emeritierte Innsbrucker Universitätsprofessor und Athesia-Haushistoriker Rolf Steininger kommentierte, dass ihm die genannten Namen bislang nicht bekannt gewesen seien. Daraus folgerten die Zeitungen: „Für Professor Steininger sind die Namen neu“.
Casagrandes Forschung
In Wirklichkeit sind die Namen nicht neu. Denn sie sind seit mindestens zwei Jahren bekannt.
Thomas Casagrande hat die Geschichte von drei der vier Südtiroler SS-Männer in seinem 2015 in der Bozner Edition Raetia erschienen Buch „Südtiroler in der Waffen-SS. Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung“ aufgearbeitet. Der Frankfurter Soziologe hat entlang der Geschichte seines Vaters, des Leiferer SS-Untersturmführers, Otto Casagrande erstmals eine detaillierte historische Untersuchung der Südtiroler in der SS geliefert.
Bei der Auswertung mehrerer Archivbestände, insbesondere der militärischen Suchkarten im Tiroler Landesarchiv, konnte Thomas Casagrande insgesamt 2.036 Südtiroler ermitteln. Darunter auch die Namen Johann Pichler, Hans Gufler und Ernst Kaufmann.
Die Täter
Johann Pichler, Jahrgang 1901, geboren in Bozen, katholisch, gelernter Handelsgehilfe, Militärdienst bei den Alpini in Tolmino 1922/23, von 1935 bis 1939 vier Jahre im italienisch besetzten Abessinien im Straßenbau als Arbeiter tätig, September 1939 Option für Deutschland mit darauffolgender Einbürgerung am 4. Oktober 1939 in Innsbruck; nach einem Jahr als Hilfsarbeiter in Kufstein rückt er am 15. Oktober 1940 ein; nach einigen Monaten Dienst bei der 8. Totenkopfstandarte und bei der Konzentrationslagerinspektion Oranienburg im Juli 1941 Überstellung zur 3. Wachkompanie Auschwitz; Ende 1941 Urlaub in Südtirol; Johann Pichler wird im Februar 1943 zum SS-Rottenführer und ein Jahr später zum SS-Unterscharführer befördert; er blieb bis zur Befreiung des Lagers im Januar 1945 bei den SS-Wachmannschaften in Auschwitz.
Ernst Kaufmann, Jahrgang 1920, geboren in Bozen, wohnhaft in Brixen, katholisch, Handelsangestellter, Juli 1940 Option, Einbürgerung und Auswanderung nach Deutschland bei gleichzeitigem Beginn des Wehrdienstes mit Genehmigung seines Vaters; nach einigen Monaten Dienst beim Ersatzregiment „Deutschland“ in der Kaserne „Freimann“ im gleichnamigen Münchner Stadtteil Überstellung zu den Totenkopfverbänden; bis Ende 1940 Dienst beim Kommandanturstab des Konzentrationslagers Dachau; dann Januar 1941 Überstellung zur Kommandantur Konzentrationslager Auschwitz.
Hans Gufler, Jahrgang 1915, geboren in Meran, Option 1939 und Eintritt in die Waffen-SS, Dienst in den Totenkopfverbänden ab Februar 1940. Dokumentierte Teilnahme an einer Exekution am 22. November 1940 im Konzentrationslager Auschwitz.
Die Prozesse
Sowohl gegen Johann Pichler und Hans Gufler als auch gegen weitere Südtiroler wurde im Rahmen des Auschwitz-Prozesses am Landesgericht Wien ermittelt. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt, da sie offensichtlich nicht vor Gericht erschienen und nicht aufzufinden waren.
Zur Person Ernst Kaufmann sagte am 23. November 1946 die Zeugin Berta Weiss vor der Polizeidirektion in Wien aus: „Es waren sogar im Lager einige SS-Männer nur als Schläger abgestellt, sie hatten nichts anders zu tun, als die Häftlinge zu schinden und zu schlagen.“ Für Hans Gufler ist während seiner Zeit in Auschwitz auch seine Teilnahme an einem Exekutionskommando am 22. November 1940 belegt, das vom Wachsturmbann des Konzentrationslagers Auschwitz gestellt wurde. Das entsprechende Kommando, datiert mit „Auschwitz, 22. November 1940“ ist im Buch „Südtiroler in der Waffen-SS“ abgedruckt.
Ernst Kaufmann stellt Anfang 1942 einen Antrag auf Heimaturlaub, in dem er auch auf die anderen „Südtiroler Kameraden […] im hiesigen Standort Auschwitz“ verweist, die ebenso wie er an einer Aufklärung über etwaige neue Urlaubsbestimmungen interessiert seien.
„Es kann also durchaus sein, dass noch weitere Südtiroler über die nun zugängliche polnische Datenbank ermittelt werden können“, zeigt sich Thomas Casagrande überzeugt. Ihm stehen für eine nähere Untersuchung die von ihm ermittelten 2.036 Südtiroler Namen zur Verfügung.
Einer dieser Südtiroler, der in der Datenbank zu finden ist und den anscheinend noch niemand entdeckt hat, ist zum Beispiel der SS-Sturmann Bernhard Fill. Geboren am 22. Februar 1917 in Bozen und von Beruf Hotelier. Laut Thomas Casagrande war Fill ab 1940 bei der SS-Verfügungstruppe in München stationiert und dann in Mauthausen im Einsatz, bevor er nach Auschwitz kam.
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Ist über Anton Hager nichts
Ist über Anton Hager nichts näheres bekannt? Und weiß man was über den Verbleib der SS-Leute nach Kriegsende?
Antwort auf Ist über Anton Hager nichts von Albert Hofer
Würde mich auch interessieren
Würde mich auch interessieren. Danke Franceschini für den Artikel.
Eine Verlinkung mit Martins
Eine Verlinkung mit Martins Beitrag tut an der Stelle nicht weh.
https://www.salto.bz/de/article/31012017/suedtiroler-ss-mannschaft-kl-a…
Wenn man bedenkt, dass zur
Wenn man bedenkt, dass zur damaligen Zeit fast alle Südtiroler katholisch waren würde mich interessieren, warum der Autor diesen Umstand ausdrücklich hervorhebt. Möchte er damit etwas Spezielles aussagen, bzw. gibt es für den Autor eine Verbindung zwischen dem Katholizismus und den Taten dieser Personen?