Heilender Schock
Man kann es als Happy End eines Thrillers sehen, der auch ganz anders ausgehen hätte können: „Dursban-Rückrufaktion“ ist ein SMS übertitelt, das Südtirols Obstgenossenschaften vergangene Woche an ihre Mitglieder verschickt haben. „Lagerbestände von geschlossenen Dursban-Packungen können innerhalb 9. Februar 2017 in der Warenausgabe zurückgegeben werden (Preis lt. Verkaufserlös)“, heißt es darin. Für Laien übersetzt? Das äußerst umstrittene Pflanzenschutzmittel Chlorpyrifos-Ethyl, das nicht zuletzt von Südtiroler Imkern als extrem bienengefährdend eingestuft wird, verschwindet vom Südtiroler Markt. Oder genauer gesagt: von den integrierten Obstanbauflächen im Land. „Innerhalb der Arbeitsgruppe für integrierten Obstanbau wurde beschlossen, Chlorpyrifos-Ethyl von der Liste der zugelassenen Pflanzenschutzmittel zu streichen“, erklärt der Obmann des Südtiroler Beratungsrings Manuel Santer. „Und deshalb können Wiederverkäufer das Mittel noch innerhalb Donnerstag zurückbringen.“
Eine Maßnahme, die auch Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler bei der Präsentation der Bienen-Studie APISTOX am Beginn dieser Woche als großen Schritt für Südtirols Landwirtschaft bezeichnete. Nicht erwähnt wurde dabei aber der Anlass für den freiwilligen Verzicht auf ein Mittel, das gesetzlich in Italien weiterhin zugelassen ist: der Schock, der Südtirols Apfelwirtschaft nach der Rettungsaktion gegen die Kirschessigfliege noch in den Knochen sitzt, die man im heimischen Weinbau vergangenen Sommer just zum Auftakt der Apfelernte mit dem unter der Handelsmarke Dursban bekannten Wirkstoff Chlorpyrifos-Ethyl durchgeführt hatte. Um die existentielle Bedrohung für viele Weinbauern abzuwehren, wurde damals nicht nur einzelne Apfelchargen, sondern auch Südtirols Ruf als Qualitätsproduzent gefährdet. Schließlich gilt das generell umstrittene Pflanzenschutzmittel laut EU-Bestimmungen bei Äpfeln nur dann als ungefährlich, wenn eine Karenzzeit von 90 Tagen zwischen der letzten Behandlung und der Ernte liegt. Überall dort wo Obstanlagen an mit Dursban behandelte Reben anschlossen, begann deshalb Ende vergangenen August eine frenetische Rückstandskontrolle.
Enormer Aufwand
„Letztendlich wurde die ganze Geschichte heißer gekocht als gegessen“, kann der Obmann des Beratungsrings heute sagen. „Doch natürlich waren die Bedenken anfangs groß und der Auswand enorm.“ Denn während man bei den großen Handelsketten in Deutschland auf die frische Ware aus Südtirol wartet, mussten innerhalb kürzester Zeit alle betroffenen Flächen erhoben, tausende von Proben gezogen und die entsprechenden Rückstandsanalysen gemacht werden. „Zum Glück sind bis heute alle Proben negativ und es hat keinerlei Reklamationen von Seiten der Kunden gegeben“, sagt Manuel Santer. Gerade weil das Image des Südtiroler Apfelanbaus zur Zeit „ein wenig angeschlagen ist“, wie er meint, habe man sich nach dem gewaltigen Aufwand im vergangenen Sommer bei Agrios für den generellen Verzicht auf Dursban entschieden. Im Apfelanbau wurde das Mittel bislang einmal im Jahr während der Nachblüte zur Behandlung gegen Besenwuchs empfohlen., „Über den Winter haben wir uns entsprechend vorbereitet und eine Alternative gefunden“, sagt Santer.
Für den Obmann des Beratungsrings ist der Verzicht auf Dursban kein außergewöhnlicher Schritt. „Die Bestrebung, problematische Mittel so wenig wie möglich zu verwenden bzw. zu ersetzen, sobald es schonendere Alternativen gibt, gibt es bereits seit der Agrios-Gründung vor 25 Jahren“, sagt er. Allerdings sei dies angesichts immer neuer Herausforderungensauf Produktionsseite und immer strengerer Anforderungen des Marktes nicht immer leicht. „Die Kunden fordern heute bei allem Null Rückstände, doch gleichzeitig bescheren uns die Klimaerwärmung und die Globalisierung immer neue Schädlinge, auf die wir dann mit dem bestehenden Angebot an Pflanzenschutzmitteln reagieren müssen.“ Nach der Kirschessigfliege stehe nun beispielsweise im Obstanbau die marmorierte Baumwanze vor der Haustür. „In Norditalien hat sie sich bereits verbreitet“, so Santer.
Geläuterte Bauern
Dennoch gibt es auch laut dem Obmann des Südtiroler Beratungsringes auch unter Südtirols Apfelbauern einen zunehmenden Gesinnungswandel in Sachen Pestizide – und dazu habe der Schock des vergangenen Sommers wesentlich beigetragen. „Die Geschichte hat sicherlich beim einen oder anderen ein Umdenken gebracht, doch ein wenig genauer aufzupassen, und insgesamt zur Sensibilisierung der Bauern beigetragen“, meint Manuel Santer. Einen zweiten positiven Nebeneffekt sieht er aber auch auf Kundenseite. „Dort hat man erlebt, dass wir als Obstbaugebiet extrem schnell reagieren können und schlagkräftig sind, also auch nach solchen Schlagzeilen wirklich gesunde Ware garantieren können.“ Und: Statt zu einer Verstimmung zwischen Obst- und Weinwirtschaft hat der Rückstandsalarm laut Santer vielmehr zu einer engeren Zusammenarbeit geführt. „Die Geschichte hat sicher zu einem Zusammenrücken geführt“, sagt er. „Denn jeder sieht, dass wir nur stark sein können, wenn wir einen gemeinsamen Weg gehen.“ Und das klingt tatsächlich nach einem fast schon kitschigen Happy End.
Ein weiterer Schock wird
Ein weiterer Schock wird hinzukommen, wenn durch eine App das Mobiltelefon Pestizidrückstände an einem Apfel messen kann. http://www.ingenieur.de/Themen/Software/Diese-App-entlarvt-Manipulation…