Rettungsaktion auf dem Mittelmeer
Foto: Ärzte ohne Grenzen
Gesellschaft | Migration

Hilfsorganisationen im Zwielicht

Fördern die NGOs die Schlepperei im Mittelmeer?

Es ist ein schwerwiegender Vorwurf: Fördern die Hilfsorganisationen im Mittelmeer die Arbeit der Schlepper? Diese These vertreten die EU-Grenzschutzagentur Frontex und die Staatsanwälte von Palermo, Catania und Trapani, die über kriminelle Aspekte des Füchtlingsstroms im Mittelmeer ermitteln. "Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden", forderte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz bei einem Besuch in Malta und Sizilien. Deren Rettungsaktionen führten dazu, dass mehr Flüchtlinge im Mittelmeer sterben würden anstatt weniger: "Es gibt NGOs, die gute Arbeit leisten, aber auch viele, die Partner der Schlepper sind", so Kurz, der am Wochenende im Hafen von Valletta ein Schiff der maltesischen Küstenwache bestieg, um sich ein Bild der Lage zu machen. Frontex-Direktor Klaus Rösler übte dabei scharfe Kritik an den Hilfsorganisationen, "deren Schiffe Migranten immer näher an der libyschen Grenze aufnehmen".

"Sollen wir sie ertrinken lassen?"

"C'è una convergenza di interessi", bestätigt Palermos Staatsanwalt Maurizio Scalia, der die NGOs beschuldigt, mit ihren Schiffen bis zur Grenze der libyschen Hoheitsgewässer zu fahren, um Flüchtlinge an Bord zu nehmen. Damit leisteten sie "eine Art Taxidienst für die Schlepper, die manchmal in der Nähe warten, um die Boote erneut zu benützen." Frontex dagegen versenkt alle Schlepperboote. Vor der libyschen Küste seien gleichzeitig bis zu 13 Schiffe von Hilfsorganisationen beobachtet worden. 

Deren finanzieller Aufwand sei beträchtlich, so die ermittelnden Staatsanwälte. So gebe die maltesische Organisation Moas 400.000 Euro monatlich allein für Drohnen aus, um Flüchtlingsboote auszuspähen. Die Miete für ihre zwei Schiffe koste weitere 600.000 Euro pro Monat. Im Vorjahr wurden fast 50.000 Migranten von Schiffen der Hilfsorganisationen an Bord genommen und nach Süditalien gebracht – eine Rekordzahl, an die weder Küstenwache noch Marine herankommen. In die Schlauchboote werden offenbar immer mehr Menschen gezwängt. Waren es 2015 noch 90 pro Boot, so ist die Zahl im Vorjahr auf 160 gestiegen.

Die Hilfsorganisationen wehren sich gegen die Vorwürfe: "Sollen wir uns zurückziehen, die Menschen sich selbst überlassen und noch größerer Gefahr aussetzen, nur um Menschenschmuggel schwieriger zu machen? Sollen wir sie ertrinken lassen?", erregt sich Ärzte ohne Grenzen.

Italien wehrt sich dagegen, einziges Ziel des Flüchtlingsstroms zu sein, nachdem die Türkei keine Migranten mehr aus Griechenland übernimmt und sogar damit droht, das Abkommen mit der EU zu kündigen. Nach Vorstellung der Europäischen Union sollen die im Meer Aufgegriffenen in Zukunft in Lager außerhalb Europas gebracht werden, etwa in Tunesien oder Libyen. Italien rüstet die libysche Küstenwache indessen mit Hubschraubern, Patrouillenbooten und Radaranlagen aus und schult die dortigen Soldaten entsprechend. Dafür hat die EU bereits 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Doch die schlecht bezahlten Mitglieder der Küstenwache werden oft von den Schleppern fürs Wegsehen bezahlt. Und Libyens von der UNO anerkannter Präsident Fayez al Serray kontrolliert mit Mühe gerade die Haupstadt Tripolis.

"Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden."

Nach Indiskretionen aus dem Innenministerium befürchtet Italien mit Rückkehr der warmen Jahreszeit eine Rekordzahl von einer Viertel Million Flüchtlingen. Mit über 16.000 wurde bereits seit Jahresbeginn eine nie erreichte Zahl verzeichnet. 2017 wurde in den ersten 75 Tagen des Jahres ein Zuwachs von fast 70 Prozent registriert. In der Regierung wächst die Besorgnis - auch angesichts der dramatischen Hungersnot in Ostafrika, die das Leben von 20 Millionen Menschen bedroht. Und der Tatsache, dass Eritreas Regime Flüchtlinge neuerdings ziehen lässt, weil sie wichtige Devisenbringer für das verarmte Land sind.

Kein Thema löst so viele Emotionen und Proteste aus wie die Migration, keines wird in Italien, das mit der Unterbringung der Migranten überfordert ist, kontroverser diskutiert. Für Populisten wie Matteo Salvini, Beppe Grillo oder Giorgia Meloni ist die "Flüchtlingsflut" und der wachsende Widerstand vieler Gemeinden gegen die Aufnahme weiterer Migranten Wahlkampfthema Nummer eins. Ein Untersuchungsausschuss des Senats unter Vorsitz von Nicola La Torre will dem Problem nun mit einer Reihe von Anhörungen auf den Grund gehen. Vorgeladen sind der Kommandant der EU-Flotte im Mittelmeer, jener der Capitaneria di porto und der Küstenwache, die Verantwortlichen von Frontex und der Hilfsorganisationen, die ermittelnden Staatsanwälte und das UN-Flüchtlingshochkommissariat, das auf eine Lösung für die minderjährigen Flüchtlinge drängt, deren Zahl sich auf über 25.000 verdoppelt hat.

Die pompösen Jubelfeiern zum 60. Bestehen der EU können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Italien von seinen Partnern in der Flüchtlingsproblematik alleine gelassen wird. Die Länder sperren sich hartnäckig dagegen, die ihnen zustehenden Kontingente an Migranten zu übernehmen. Nicht nur das. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz droht unverblümt mit Schließung der Brennergrenze, sollte die Zahl der nach Österreich kommenden Flüchtlinge aufgrund der besseren Wetterverhältnisse deutlich steigen: "Wenn das Weiterwinken nach Mitteleuropa staffindet, wird der nationale Grenzschutz wieder aktuell."

Eines steht fest: die Regierung Gentiloni blickt angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes im wahrsten Sinne des Wortes einem heissen Sommer entgegen.

Was Kurz, Frontex und co. völlig ausklammern, ist, dass man Seenotrettung sicherlich nicht aus Spaß an der Freude macht, sondern weil Menschen sonst (aus Kalkül und mit Kenntnisnahme der staatl. Verantwortlichen) ertrinken (die hauchdünnen gummiboote schaffen es oft nur geradeso in internationale Gewässer vor der lybischen Küste und dann ist Schluss). Einen sehr guten Einblick bietet dieser Podcast, wo sich ausnahmsweise auch mal Leute von einer dieser Rettungs-NGO äußern können https://www.metronaut.de/metrolaut026/

So., 26.03.2017 - 12:28 Permalink

Warum sind es nur Gummibote die es eh nicht weiter schaffen? Weil man damit rechnet dass sie aus dem Gewässer geholt werden und nach Europa gefahren werden. Damit kooperiert man mit den Schleppern zusammen, denen man es billiger macht.

Hier hat sich eine ganze Helferindustrie aufgebaut, die nicht auf die Lösung von Problemen ausgerichtet ist, sondern ein Geschäftsmodell aufbaut und am Laufen hält. Manche tun es für Anerkennung. Manche für Geld. Aber am Ende wurde nichts erreicht.

Übrigens gab es ein Interview mit Kurz auf Ö1 im Mittagsjournal vom 25.03.2017, wo er darauf hinweißt, dass man den Meschen helfen muss. Nur muss daraus nicht ein Automatismus entstehen dass diese Menschen nach Europa kommen.
Das Interview ist für 7 Tage auf oe1.at verfügbar.

So., 26.03.2017 - 13:09 Permalink

Das Geschäftsmodell des Schleppens gäbe es gar nicht erst, würde es legale Einreisemöglichkeiten für Asylberechtigte geben. Gummiboote auch nicht, wenn nicht jedes andere heil ankommende Boot zerstört wird. Damit sind es nicht die NGOs, die hier den Schlepperm das Geschäftsmodell aufbauen, sondern ganz klar die Eu-Institutionen. Es ist eindeutig eine künstlich herbeigeführte und gewollte Situation des Ertrinken-Lassens zur Abschreckung. Der Vergleich mit Naturkatastrophen und sonstiger Entwicklungshilfe hinkt da schon erheblich.

So., 26.03.2017 - 21:05 Permalink

@Schlauch
Hier hinkt der Vegleich auf keine Fälle. Viele NGO sind darum bemüht dass es immer Neue Flüchtlinge gibt. Als erstes machen sie es den Schleppern leicht indem sie die Gummiboote nicht zerstören, wenn sie die Flüchtinge aufnehmen.
Eine andere Möglichkeit wäre es die Gummibote wieder zurück an die Küste führen und wenn es möglich ist, dort zu zerstören.

Wenn man wirklich verhindern möchte, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dann muss man es nicht attraktiv machen sich mit einem Gummiboot auf hoher See treiben zu lassen mit der Hoffnung dass man gefunden und gerettet wird.

Mich würde es gar nicht wundern, wenn die Schlepper auch noch den ersten Hilfenotruf absetzten.

@Mild
Ich glaube das ist nicht mehr der Fall: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/eugh-eu-staaten-muessen-kein…

Mo., 27.03.2017 - 06:48 Permalink
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Sylvia Rier

Antwort auf von gorgias

sorry herr gorgias aber das geht wohl gar nicht. was, mit verlaub, reden sie denn da?

"(...) nicht attraktiv (!) machen (...) in der Hoffnung (!), dass man gefunden und gerettet wird."? hallo?

Die "Chance", dass "man" eben NICHT gefunden und gerettet wird, ist ja nämlich übergroß. Zynisches Gerede. Und das von Ihnen, Sie Menschenfreund.

Mo., 27.03.2017 - 07:41 Permalink

Es ist aber attraktiv, sonst würden es nicht so viele tun. Wenn man diese Menschen wenn man sie findet wieder zurückbringt dann sinkt die Attraktivität. In der Migrationsforschung heißt man die auch Pull Faktoren.
Diese Menschen sind zu einem großen Teil Glücksritter. Nur weil Sie Ihr Leben riskieren heisst es nicht automatisch dass diese Menschen in ihrem Ursprungsland in Lebensgefahr waren. Die ganz Armen haben nicht die Ressourcen um sich auf dem Weg zu machen.

Es sind auch viele Pioniere während des Goldrauschs auf dem Weg nach Kalifornien in den Rocky Mountain verhungert.

Ich habe mit ein paar Flüchtlinge gesprochen und die haben mir das so erzählt. Das sind dann Asylschmarozer. Den Behörden und den Gutmenschen erzählen sie eine andere Geschichte.

Mo., 27.03.2017 - 08:31 Permalink

"Die "Chance", dass "man" eben NICHT gefunden und gerettet wird, ist ja nämlich übergroß"
Für die Passagiere der Boote vielleicht, aber ich glaube kaum, dass das genauso für die Schlepper gilt! Die sind ja meist mit Satelitentelefonen und Schusswaffen ausgestattet, wenn es eng wird schrecken die auch nicht davor zurück Leute über Bord zu werfen! Das sind Schwerverbrecher die die NGOs bewusst unterstützen, die Gründe dazu mögen verständlich und zum Teil auch löblich sein, das ändert nichts daran, dass es objektiv betrachtet kontraproduktiv ist.

Mo., 27.03.2017 - 14:01 Permalink

Viele Flüchtlinge ein Handy Ob es ein Satellitenhandy war weiss ich jetzt nicht mehr.
Ich habe mehrere Dokus beim letzten Filmfestspielen in Bozen gesehen, darunter war eine Szene wo genau das passiert ist. Ich weiß jetzt nicht ob es Lampedusa d'inverno oder ein andere Dokumentation war. Es könnte auch Seefeuer gewesen sein, eine weitere Dokumentation. Diese wurde letztes Jahr an der Uni Bozen gezeigt.

Mo., 27.03.2017 - 15:56 Permalink

Wenn ihre persoenlichen "Erfahrungen" nicht Schmarrn sind und nicht aus dem Takatuka-Land stammen, dann wuerde ich Ihnen ans Herz legen, den entsprechenden Wikipedia-artikel mit ihrer sehr konkreten und stichhaltigen Quellenangabe zu korrigieren:
"Ein Antrag auf Asyl in Deutschland kann nur persönlich in einer Behörde in Deutschland oder bei der deutschen Grenzbehörde gestellt werden.[95] In einer deutschen Botschaft kann kein Asylantrag gestellt werden."
https://de.wikipedia.org/wiki/Asylrecht_(Deutschland)

Das koennen Sie doch nicht so stehen lassen, oder?

Mo., 27.03.2017 - 17:13 Permalink